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II ZR 113/70 - Bundesgerichtshof (Zivilgericht)
Entscheidungsdatum: 22.06.1972
Aktenzeichen: II ZR 113/70
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Zivilgericht

Leitsatz:

Einem Transportversicherungsvertrag, der die Ausfuhr von Kulturgut aus einem Staat zum Gegenstand hat, der diese Ausfuhr zum Schutze seines nationalen Kunstbesitzes verboten hat, liegt ein versicherbares Interesse wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nicht zugrunde.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 22. Juni 1972

II ZR 113/70

(Landgericht Hamburg; Oberlandesgericht Hamburg)

Zum Tatbestand:

Die Firma S. & Co. in Port Harcourt/Nigeria hat bei der Beklagten für einen Seetransport von 3 Kisten mit Kunstgegenständen (afrikanische Masken und Figuren) von Port Harcourt nach Hamburg eine Seetransportversicherung nach den Allgemeinen Deutschen Versicherungsbedingungen abgeschlossen.
Der Kläger macht aus abgetretenem Recht der Versicherungsnehmerin, der Firma S., einen Entschädigungsanspruch von ca. 37 000,- DM wegen angeblichen Verlustes von 6 Bronzefiguren geltend und behauptet, ihm sei die Versicherungsforderung von dem Hamburger Vertreter der Fa. S., nämlich von Th., abgetreten, der seinerseits von dem alleinigen Firmeninhaber E. hierzu bevollmächtigt gewesen sei.
Die Beklagte bestreitet, daß E., Inhaber der Firma S. sei und den Th. Zur Abtretung der Versicherungsforderung bevollmächtigt habe, ferner daß die Bronzefiguren überhaupt verschifft worden seien. Th. habe die Abtretung nur zum Schein vorgenommen und einen Versicherungsbetrug geplant. Der Versicherungsvertrag sei auch unwirksam, weil der versicherte Transport gegen ein nigerianisches Ausfuhrverbot von Kunstgegenständen verstoßen habe.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht hat sie gemäß § 539 ZPO an das Landgericht zurückverwiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Die Revision der Beklagten wurde zurückgewiesen.

Aus den Entscheidungsgründen:

Das Berufungsgericht hat den Rechtsstreit nach § 539 ZPO wegen wesentlichen Verfahrensmangels an das Landgericht zurückverwiesen, weil dieses eine notwendige Beweisaufnahme nicht vorgenommen habe, so daß eine ordnungsgemäße Grundlage der Entscheidung fehle. Die Beklagte ist durch diese Entscheidung beschwert (BGH WM 1972, 733).
Das Berufungsgericht hält es für fehlerhaft, daß das Landgericht die Vernehmung der Zeugen E. und Th. abgelehnt hat. Die Kriegswirren in Biafra seien beendet und die behauptete Unglaubwürdigkeit eines Zeugen könne von seltenen, hier nicht vorliegenden Ausnahmefällen abgesehen, nicht dazu führen, die Vernehmung abzulehnen. Es fehle somit an einem ordnungsmäßigen Verfahren des Landgerichts.

Die Anwendung des § 539 ZPO durch das Berufungsgericht ist entgegen den Ausführungen der Revision nicht zu beanstanden. Zwar ist, wie das Berufungsgericht nicht verkennt, die unterlassene Vernehmung eines einzelnen Zeugen und ein sonstiger einfacher Verstoß gegen § 286 ZPO noch kein Grund zur Zurückverweisung der Sache. Aber hier hat das Landgericht aus nicht stichhaltigen Gründen überhaupt von einer Beweisaufnahme über die wirksame Abtretung der Klageforderung abgesehen. Das ist ein schwerwiegender Verstoß, der die Anwendung des § 539 ZPO nach dem nicht überprüfbaren Ermessen des Berufungsgerichts rechtfertigen konnte. Die Vernehmung des in Hamburg erreichbaren Zeugen Th. konnte nur abgelehnt werden, wenn von vornherein der völlige Unwert seiner Aussage feststand (vgl. BGH NJW 1956, 1480). Bloße erhebliche Bedenken gegen die Glaubwürdigkeit eines Zeugen genügen nicht.
Da das Berufungsgericht entgegen der Ansicht der Revision auch keine Veranlassung hatte, das Vorbringen, der Verlust der Güter sei nicht auf der Seereise eingetreten, zu prüfen, bevor der Kläger den Erwerb der Versicherungsforderung dargetan hatte, hat es nach alledem die Zurückverweisung der Sache an das Landgericht zu Recht ausgesprochen; die Revision war daher zurückzuweisen.

Die Revision erstrebt auch eine Nachprüfung der Ansicht des Berufungsgerichts, der Versicherungsvertrag sei trotz eines von der Beklagten behaupteten und unter Beweis gestellten, vom Kläger jedoch bestrittenen Verstoßes gegen ein nigerianisches Verbot der Ausfuhr von Kunstgegenständen nicht nach §§ 134, 138 BGB unwirksam. Eine solche sachlich-rechtliche Nachprüfung im Falle einer Aufhebung nach § 539 ZPO hat der Bundesgerichtshof für zulässig erachtet, obwohl nur ein zurückverweisendes Prozeßurteil ergangen ist und die sachlich-rechtlichen Ausführungen des Berufungsurteils und die entsprechenden Darlegungen des Revisionsgerichts keine Bindungswirkung für das Landgericht haben (BGHZ 31, 358, 364). Dieses wird nur im Rahmen des rein verfahrensrechtlichen Aufhebungsgrundes gebunden. Eine solche Stellungnahme ist aber prozeßökonomisch und der praktischen Erledigung des Streits dienlich (vgl. Hauß zu BGH LM ZPO § 539 N r. 8).

Das Berufungsgericht führt aus, das nigerianische Ausfuhrverbot zum Schutze vor der Ausplünderung des Landes durch ausländische Kunstliebhaber berühre nicht das Interesse der (deutschen) Allgemeinheit. Ein Sittenverstoß bei einer Zuwiderhandlung gegen dieses Verbot sei zu verneinen. Es betreffe keine vitalen Interessen Nigerias, wie es z. B. bei der Seuchenbekämpfung oder der Hebung des Wohlstandes im Lande der Fall sei.

Eine wirksame Versicherung setzt ein erlaubtes versichertes Interesse voraus (§ 2 Abs. 1 ADS). Ob ein solches vorliegt, ist hier nach deutschem Recht zu beurteilen. Eine Anwendung des § 134 BGB bei einem ausländischen Verbotsgesetz kommt nicht in Betracht, weil dieses im Inland unmittelbar keine Verbindlichkeit besitzt, aber mittelbar ist auch ein ausländisches Gesetz unter Umständen für die Frage beachtlich, ob die versicherte Unternehmung gegen die guten Sitten verstößt und der Versicherungsvertrag deshalb nach § 2 ADS unwirksam ist (vgl. Ritter/Abraham, Das Recht der Seeversicherung § 1 ADS Anm. 18). Nicht versicherbar ist ein Interesse, wenn der Versicherer, sofern er den Verstoß gegen die guten Sitten gekannt hätte, den Versicherungsschutz nicht hätte übernehmen können, ohne daß der Vertrag nach § 138 BGB nichtig gewesen wäre (BGH VersR 1962, 659). Hier handelt es sich nicht um ein Ausfuhrverbot, durch das mittelbar auch deutsche Interessen geschützt würden und das schon deshalb zur Anwendung des § 138 BGB führen könnte (BGHZ 34, 169, 177), sondern um ein Verbot, das die Erhaltung des künstlerischen Erbes im Ursprungsland und, wie das Berufungsgericht darlegt, den Schutz des Landes vor einer Ausplünderung durch ausländische Kunstliebhaber, außerdem, wie hinzuzufügen ist, durch Händler bezweckt.
Auf der 16. Tagung ihrer Generalkonferenz in Paris im Jahre 1970 hat die UNESCO ausgesprochen, daß jeder Staat sich in zunehmendem Maße der Verpflichtung bewußt sein müsse, sein kulturelles Erbe und das aller Nationen zu achten. Ferner hat die Generalkonferenz erklärt, die unzulässige Ausfuhr von Kulturgut stehe der Verständigung der Nationen im Wege. Sie hat daher ein internationales Übereinkommen für diesen Zweck angenommen und den gesetzgebenden Körperschaften ihrer Mitgliedstaaten zugeleitet.
Das Übereinkommen hat für die Bundesrepublik noch keine verbindliche Kraft (für Nigeria in Kraft seit 26. April 1972). Die Beratungen der UNESCO und die Annahme des Übereinkommens durch die Generalkonferenz ergeben aber deutlich, daß die für die internationale kulturelle Zusammenarbeit zuständige Organisation die Ausfuhr von Kulturgut entgegen den Verboten eines Staates seit langem als ein gemeinschädliches und die Verständigung zwischen den Nationen hinderndes Verhalten auffaßt.
In der Völkergemeinschaft bestehen hiernach bestimmte grundsätzliche Überzeugungen über das Recht jedes Landes auf den Schutz seines kulturellen Erbes und über die Verwerflichkeit von „Praktiken" (Art. 2 Abs. 2 des Übereinkommens-Entwurfes), die es beeinträchtigen und die bekämpft werden müssen. Die Ausfuhr von Kulturgut entgegen einem Verbot des Ursprungslandes verdient daher im Interesse der Wahrung der Anständigkeit im internationalen Verkehr mit Kunstgegenständen keinen bürgerlichrechtlichen Schutz, auch nicht durch die Versicherung einer Beförderung, durch die Kulturgut aus dem von der ausländischen Rechtsordnung beherrschten Gebiet dem seiner Sicherung dienenden Ausfuhrverbot zuwider ausgeführt werden soll. Einem solchen Vertrag liegt ein versicherbares Interesse nicht zugrunde (§ 2 Abs. 1 Satz 1 ADS).
Hiernach werden die Behauptungen der Beklagten, die versicherten Gegenstände fielen unter ein Ausfuhrverbot Nigerias, das zum Schutz seines Kulturgutes erlassen worden ist, und die Ausführungen des Klägers, der dies bestritten und behauptet hat, die fehlende Lizenz sei durch eine Zollgenehmigung ersetzt worden, gegebenenfalls der Nachprüfung bedürfen.