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Leitsätze:
1) Keine Anwendung des Internationalen Übereinkommens zur einheitlichen Feststellung von Regeln über den Zusammenstoß von Schiffen (IUZ) bei einem Zusammenstoß zwischen einem niederländischen Binnenmotorschiff und einem für den 1 öffentlichen Dienst bestimmten deutschen Seeschiff.
2) Zur richtigen Fahrweise und den Fahrregeln auf der Ems unterhalb von Emden.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 24. April 1972
II ZR 112/70
Oberlandesgericht Oldenburg
Zum Tatbestand:
Das bei den Klägerinnen (zu 1 = Kaskoversicherin; zu 2 = Ladungsversicherin) versicherte holländische MS „S' fuhr bei Dunkelheit emsabwärts im betonnten Fahrwasser nach Delfzijl. Es erhielt bei einem Zusammenstoß mit einem der Beklagten zu 1 gehörenden Schleppverband, bestehend aus dem vom Beklagten zu 2 geführten Schlepper „A' und der vom Beklagten zu 3 geführten und mit Baggergut beladenen Schute „S 16", etwa 130 m außerhalb des Fahrwassers nördlich des Tonnenstriches ein Leck und sank.
Die Klägerinnen verlangen u. a. Ersatz des ersetzten Schadens von ca. 155000,- hfl. (Klägerin zu 1) bzw. von ca. 40000 hfl. (Klägerin zu 2) mit der Behauptung, „A" sei im Fahrwasser oder zu dicht neben dem Tonnenstrich gefahren und falsch nach Backbord ausgewichen. Der Ausguck sei nicht besetzt gewesen. Der Führer der Schute habe den Schlepper zum richtigen Kurs veranlassen müssen.
Die Beklagten bestreiten dieses Vorbringen. Schon frühzeitig habe der Schlepper das Fahrwasser verlassen und geraden Kurs zu seinem Ziel, einem Spülgerüst, genommen, das sich nördlich des betonnten Fahrwassers befand. „S" habe das Fahrwasser mit Steuerbordkurs verlassen und sei ohne Signalabgabe auf „A" zugefahren, als dieser 400 m entfernt gewesen sei. „A" habe nach Backbord auszuweichen versucht, um einen möglichst spitzen Kollisionswinkel zu erreichen.
Das Landgericht hat die Klage dem Grunde nach für berechtigt erklärt. Das Oberlandesgericht hat sie abgewiesen. Die Revision der Klägerinnen blieb erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
Der Unfall hat sich durch Zusammenstoß eines niederländischen Binnenmotorschiffs mit einem die deutsche Flagge führenden Seeschiff, das ausschließlich für einen öffentlichen Dienst bestimmt war, ereignet. Das Internationale Übereinkommen zur einheitlichen Feststellung von Regeln über den Zusammenstoß von Schiffen vom 23. September 1910 (RGBI. 1913, 49) findet daher auf den Zusammenstoß keine Anwendung (Art. 11 IÜZ). Vielmehr sind §§ 734 ff HGB heranzuziehen. Diese Bestimmungen gelten gem. § 739 HGB auch bei Beteiligung eines der Binnenschiffahrt dienenden Schiffes.
Die Revision hält einen Verstoß gegen § 35 SSchSO für vorliegend, weil „A" jedenfalls etwa parallel zu der von der Verbindungslinie der Tonnen E/13 und E/14 gebildeten Fahrwassergrenze links unmittelbar jenseits der Grenze, meist in weniger als 100 m Abstand, gefahren sei. Dem ist nicht zu folgen. Das Gebot des § 35 SSchSO gilt nur für Schiffe, die das Fahrwasser benutzen. Für solche Schiffe, die sich außerhalb des Fahrwassers (auf eigenes Risiko; vgl. § 35 Abs. 7 SSchSO) bewegen, gelten die Ausweichregeln der Seestraßenordnung (§ 2 SSchSO; Art. 18, 19 SSO; vgl. Lampe/Marienfeld, Seeschiffahrtsstraßenordnung § 35 Anm. 1).
Mit Recht sind aber die Vorinstanzen davon ausgegangen, ein Schiff, das sich in der Nähe des Fahrwassers bewegt, habe sich so zu verhalten, daß es für andere Fahrzeuge keinem Zweifel unterliegen kann, ob es dem Fahrwasser folgt oder nicht (vgl. jetzt § 26 Abs. 5 SeeSchStrO vom 3. Mai 1971). Ein Verstoß gegen dieses Gebot war zur Unfallzeit nach Art. 29 SSO, § 4 Abs. 4 SSchSO zu beurteilen, weil es zu den nötigen Vorsichtsmaßregeln gehört, daß jede Verwirrung und Irreführung anderer Schiffe vermieden wird, und die eigenen Absichten klar und frühzeitig erkennbar sind (vgl. Schaps/Abraham aaO; SSO Art. 29 Anm. 17). Das verlangt die Rechtspflicht zur Rücksicht auf die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer.
Den Ausführungen der Revision über eine mißverständliche Fahrweise wenige Meter hinter der Fahrwassergrenze fehlt die tatsächliche Grundlage. Unstreitig hat auch die Kollision 130 m von der Fahrwassergrenze entfernt stattgefunden, so daß von einem Ausweichen von „A" in das Gebiet jenseits des Tonnenstrichs
erst kurz vor der Begegnung keine Rede sein kann. Es bedarf daher keiner Erörterung, ob „A" auch dann, wenn sie in unzulässiger Weise in der Nähe des Fahrwasserrandes gefahren wäre, diesen Kurs hätte beibehalten müssen und nicht nach Steuerbord hätte ausweichen dürfen, nachdem „S" herangekommen war. Es ist anerkannt, daß sogar ein auf der falschen Fahrwasserseite sich bewegendes Schiff nicht mehr auf die richtige Seite übergehen darf, wenn dies mangels genügender Entfernung von einem Gegenkommer nicht ohne Gefahr auszuführen ist (vgl. BGH VersR 1961, 80; Schaps/Abraham aaO Bd. III Art. 25 SSO Anm. 9).
Den Klägerinnen kommt hiernach für den von ihnen mit Recht geforderten Beweis eines Verschuldens der Beklagten kein Anscheinsbeweis wegen Verletzung einer Vorschrift der Seestraßen- oder Seeschiffahrtsstraßenordnung zu Hilfe.
Für die Begegnung der beiden Schiffe sind, da sie vor der Kollision außerhalb des Fahrwassers fuhren, Art. 18 und 19 SSO heranzuziehen. Das Berufungsgericht erachtet den Beweis eines Verschuldens der „A" durch Verstoß gegen diese Vorschriften nicht für geführt.
Die Klägerinnen haben auch nach den Ausführungen des Berufungsgerichts über die zurückgelegten Entfernungen und Geschwindigkeiten die Darstellung der Beklagten nicht widerlegen können, daß die Kollisionsgefahr erst durch das nicht vorauszusehende Steuerbordmanöver der „S" etwa eine Minute vor der Kollision herbeigeführt worden ist. „A" habe dieser durch ein Manöver des letzten Augenblicks mit einer Backborddrehung zu begegnen gesucht, die keinesfalls einen Schuldvorwurf begründen könne. Ein Rechtsfehler des Berufungsgerichts bei dieser Beurteilung ist nicht ersichtlich.
Die Klägerinnen haben nach der Auffassung des Berufungsgerichts nicht bewiesen, daß der Kurs der Schiffe bereits in einer solchen Entfernung eine Kollisionsgefahr begründete, die „A" zum Ausweichen nach Steuerbord hätte veranlassen müssen, wenn „S" ausgemacht worden wäre. Eine „unklare Situation", wie sie die Revision annimmt, ist nicht dargetan. Die Beibehaltung des Kurses von „A" zum Spülgerüst trotz Zurufs eines Ausgucks wäre nicht fehlerhaft gewesen. Die Klägerinnen haben nicht bewiesen, daß zu einem Ausweichmanöver der „A" mit entsprechendem Signal, wie es die Revision für nötig hält, Anlaß bestanden hat. Nahm „S" eine unklare Situation an, so konnte sie zudem „A" auf die Zweifel, ob diese ausweichen werde, durch ein Schallsignal aufmerksam machen.
Mit Recht hat auch das Berufungsgericht angenommen, daß nach dem für erwiesen erachteten Sachverhalt für den Beklagten zu 3, den Führer der geschleppten Schute, kein Anlaß gegeben war, die Fahrweise seines Schleppers zu beanstanden und von ihm eine Kursänderung zu verlangen. Einen unzulässigen Kurs der „A", der eine Kollisionsgefahr begründete, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt.
Ohne Erfolg beanstandet die Revision auch die Darlegung des Berufungsgerichts, mit dem es ein Ausrüstungsverschulden durch Verwendung einer ungeeigneten Schlepptrosse verneint. Die Trosse ist unstreitig bei der Kollision gebrochen (S. 3 Tatbestand), also nicht schon vorher, wie die Revision annimmt. Die Klägerinnen haben nicht dargelegt, daß die Trosse den an den Schiffsbetrieb bei normalem Verlauf zu stellenden Anforderungen nicht gewachsen gewesen wäre und daß es deshalb noch zu einer schweren Kollision zwischen der losgerissenen Schute und „S" kam. Einer Kollision brauchte die Trosse nicht standzuhalten.