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Leitsatz:
Wer den Verkehr auf einer Schiffahrtstraße (hier: der Mosel) zu sichern hat, ist grundsätzlich nicht gehalten, die Schweißnähte eines Wehrsektors vor dessen Einbau in die Wehranlage auf eine plangerechte und fehlerfreie Ausführung zu überprüfen.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 13. Februar 1975
II ZR 110/73
(Schiffahrtsgericht St. Goar, Schifffahrtsobergericht Köln)
Zum Tatbestand:
Am 14. Mai 1965 brach aus der Wehranlage der Moselstaustufe Lehen unter dem Druck der Strömung der mittlere Sektor heraus, weil einzelne Schweißnähte (Stumpf- und Kehlnähte) der Endanschläge (Knaggen) des Sektors infolge zu geringer Dicke gerissen waren und deshalb die Knaggen den Sektor nicht mehr in der oberen Endstellung hatten halten können. Wegen des schnell geringer werdenden Wasserstands in der Haltung gerieten verschiedene Schiffe auf Grund und wurden beschädigt.
Die Klägerin als Versicherin des Fahrgastschiffes E verlangt Schadenersatz von 1670 hfl., weil die Beklagte ihre Verkehrssicherungspflicht schuldhaft verletzt habe, und zwar mangels Prüfung der statischen Berechnungen und des ordnungsmäßigen Einbaus des Sektors in das Wehr. Bei einer Untersuchung hätte sich ergeben, daß die Stumpf- und Kehlnähte nicht ordnungsgemäß ausgeführt worden seien.
Die Beklagte bestreitet ein Verschulden. Die Überprüfung der Schweißnähte habe den Herstellern – angesehenen Unternehmern - obgelegen, auf deren Arbeit und Berechnungen sie sich habe verlassen dürfen.
Beide Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Auf die Revision der Klägerin ist das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen worden.
Aus den Entscheidungsgründen:
Zwar stellt der Ausbau einer öffentlichen Wasserstraße eine wichtige öffentliche Aufgabe dar und ist dem Bereich der schlichten Hoheitsverwaltung zuzurechnen. Jedoch kann sich die öffentliche Hand privater Mittel bedienen, um in diesem Bereich öffentliche Aufgaben zu bewältigen und insoweit deren Durchführung auf die Ebene des Privatrechts verlegen (BGHZ 48, 98, 103). Das ist bei der Errichtung der Wehr- und Schleusenanlage Lehen dadurch geschehen, daß die Beklagte den Bau der Anlage einer unter Führung der K-Maschinen- und Stahlbau stehenden Arbeitsgemeinschaft privater Unternehmen durch privatrechtlichen Vertrag übertragen hat. Auch hat sie, wie sich aus dem angefochtenen Urteil ergibt, nicht selbst durch ihre Wasser- und Schiffahrtsverwaltung in so weitgehendem Maße auf die Durchführung der Bauarbeiten Einfluß genommen, daß sie diese wie eigene gegen sich gelten lassen und es so angesehen werden muß, wie wenn die Arbeitsgemeinschaft lediglich als ihr Werkzeug bei der Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe tätig geworden wäre.
Wer eine Wasserstraße für den Schiffsverkehr freigibt, hat zur Erfüllung der ihm daraus erwachsenden Verkehrssicherungspflicht dafür zu sorgen, daß dieser durch die Beschaffenheit der Wasserstraße oder ihrer Einrichtungen nicht gefährdet wird oder Schaden erleidet. Deshalb muß er bereits bei der Errichtung von Wasserbauwerken, die die Schiffbarkeit einer Wasserstraße ermöglichen, erweitern oder verbessern sollen, darauf achten, daß sie frei von Mängeln sind, die zu einer Gefährdung des Schiffsverkehrs führen oder ihm Schaden zufügen können. Errichtet der Verkehrssicherungspflichtige derartige Bauwerke nicht selbst, sondern beauftragt er damit Dritte, so muß er sie hinreichend überwachen, wenn er sich nicht dem Vorwurf aussetzen will, seine Pflichten nicht genügend beobachtet zu haben. Allerdings gilt auch insoweit der Grundsatz, daß die Verkehrssicherungspflicht nur im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren auszuüben ist (vgl. BGHZ 37, 69, 71). Bestimmend für ihren Umfang sind dabei die jeweiligen Umstände des Falles.
Für einen ausreichenden Wasserstand innerhalb einer Stauhaltung und damit für einen sicheren Schiffsverkehr sind die beweglichen Wehrsektoren von ganz wesentlicher Bedeutung. Deshalb hat sie der Verkehrssicherungspflichtige vor dem Einbau in das Wehr sorgsam darauf zu überprüfen, ob sie plangerecht und fehlerfrei hergestellt sind, damit sie die ihnen zugedachte Aufgabe ordnungsgemäß erfüllen können. Das bedeutet jedoch, wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, nicht, daß er die Sektoren bis in die letzten Einzelheiten untersuchen, insbesondere noch Schrauben, Nieten oder Schweißnähte nachsehen muß, es sei denn, daß ihm hierfür besondere Umstände, beispielsweise die Arbeitsweise der ausführenden Unternehmen und der von diesen eingesetzten Arbeitskräfte oder deren mangelhafte Überwachung auf der Baustelle, Anlaß geben. Denn das wäre, was die Revision nicht genügend berücksichtigt, mit einem Aufwand verbunden, der dem Verkehrssicherungspflichtigen grundsätzlich nicht zuzumuten ist.
Auch wäre es nicht gerechtfertigt, ihn so zu behandeln, daß er sich auf die allgemein bekannte Zuverlässigkeit eines zur Ausführung herangezogenen Unternehmens überhaupt nicht verlassen darf.
Entgegen der Ansicht der Revision ergab sich eine solche Oberprüfungspflicht der Beklagten auch nicht daraus, daß das Neubauamt Mosel-Ost die Bauzeichnung der bauausführenden Unternehmen für die beweglichen Wehrsektoren lediglich „vorbehaltlich der statischen Berechnung" genehmigt hatte und die von diesen Unternehmen zeitlich später vorgelegte Statik von einer anderen Befestigungsart der Knaggen ausging, als sie die Bauzeichnung vorsah und anscheinend auch tatsächlich ausgeführt worden ist. Insoweit beachtet die Revision nicht genügend, daß der von der Beklagten zur Nachprüfung der statischen Berechnung herangezogene freie Prüfingenieur L. diese für richtig befunden hatte, weshalb für sie kein Anlaß bestand, nochmals ihrerseits Bauzeichnung und Statik miteinander zu vergleichen.
Trotzdem kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben. Wie oben dargelegt, war die Beklagte im Rahmen ihrer Verkehrssicherungspflicht für die Mosel gehalten, die beweglichen Wehrsektoren vor dem Einbau in das Wehr der Staustufe Lehen sorgsam darauf zu überprüfen, ob sie plangerecht und fehlerfrei hergestellt waren, damit sie die ihnen zugeordnete Aufgabe ordnungsgemäß erfüllen konnten. Davon geht auch das Berufungsgericht aus. Jedoch hat es unerörtert gelassen, ob der Beklagten, wenn sie dieser Prüfungspflicht nachgekommen ist oder wäre, die offenbar auch äußerlich fehlerhaften Schweißnähte der Knaggen hätten auffallen und sie zu einer weiteren Untersuchung hätten veranlassen müssen, auch wenn sie an sich die Nähte nicht besonders nachzusehen hatte. Ohne eine solche Erörterung läßt sich der Streitfall aber nicht abschließend beurteilen. Deshalb war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Dieses wird nunmehr Gelegenheit haben, die erwähnte Prüfungspflicht und deren Beobachtung durch die Beklagte im einzelnen darzustellen, wobei auch von Bedeutung sein können der Runderlaß der Verwaltung für Verkehr des Vereinigten Wirtschaftsgebietes vom 14. Dezember 1948 - W 33/8104/48 über Verantwortlichkeit bei Bauten der Wasserstraßenverwaltung" sowie die am 30. Juni 1967 vom Bundesminister für Verkehr verfügte Allgemeine Dienstvorschrift der Wasser- und Schiffahrtsverwaltung (ADW) Nr. 3004 betr. Verantwortung bei Bauten.