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II ZR 109/59 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 20.04.1961
Aktenzeichen: II ZR 109/59
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsatz:

Ein Bergfahrer muß damit rechnen, daß hinter der weichenden zweiten Länge eines vor ihm aufdrehenden Talschleppzuges, dessen hoch aus dem Wasser ragenden leeren Anhangkühne die Sicht stromaufwärts verdecken, weitere Talfahrt in Erscheinung tritt.

 

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 20. April 1961

II ZR 109/59

Zum Tatbestand:

Das bei Orsoy zu Tal fahrende MS „A" (156 t, 27 m lang, 28-PS-Hilfsmotor) wurde an Backbordseite von einem Talschleppzug, bestehend aus dem der Nebenintervenientin gehörenden Boot „C" und je 2 leeren Anhangkähnen auf erster und zweiter Länge, überholt. Dieser Schleppzug drehte nach Beendigung der Überholung über Backbord auf. Das zunächst linksrheinisch zu Berg kommende, dem Beklagten zu 1 gehörende, vom Beklagten zu 2 geführte, beladene MTS „B" (900 t, 500 PS) ging unterhalb des aufdrehenden Schleppzuges zur rechten Seite hinüber und kollidierte dort inwendig einer vor einem Baggerloch befindlichen Boje mit dem ebenfalls nach rechtsrheinisch bis hinter die Bojenlinie ausgewichenen MS „A".
Die Klägerin als Versicherin von MS „A" verlangt von den Beklagten Schadensersatz. Das Rheinschiffahrtsgericht hat der Klage dem Grunde zu 2/3 stattgegeben, das Rheinschiffahrtsobergericht hat die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Auf die Revision der Klägerin wurde das erstinstanzliche Urteil wiederhergestellt.

Aus den Entscheidungsgründen:

Nach der Feststellung des Berufungsgerichts ist „B" nur 50 bis 80 m unterhalb der zweiten Länge des Talzuges in scharfer Schrägfahrt zum rechten Ufer hinübergefahren, obwohl ihm die Sicht stromaufwärts durch die hoch aus dem Wasser ragenden Leerkähne verdeckt und er nur 50 bis 60 m oder weniger vom rechten Ufer entfernt war, als er „A" erstmals sichten konnte. Das Rheinschiffahrtsgericht hat in der Fahrweise von „B" eine Querfahrt gesehen, das Berufungsgericht hat die Frage dahingestellt sein lassen. An sich liegt es nahe, diese Frage zu bejahen, da „B" nach Passieren der Leerkähne unter Kreuzung des Kurses der Talfahrt das rechte Ufer gewinnen wollte, wobei das lange Tankmotorschiff durch seine scharfe Schrägfahrt einen wesentlichen Teil des der Talfahrt zwischen den aufdrehenden Kähnen und dem rechten Ufer verbleibenden Fahrwassers versperrte. Doch auch wenn zugunsten der Beklagten unterstellt wird, daß „B" nicht Querfahrer, sondern weisungsberechtigter Bergfahrer war (vgl. dazu Urteil des erkennenden Senats V. 28 April 1960, II ZR 68/59, VersR 1960, 535; MDR 1960, 740), so fällt der Schiffsführung von „B" ein ursächliches Verschulden an dem Zusammenstoß zur Last. Unter den vom Berufungsgericht festgestellten Umständen durfte „B" nicht unter Kreuzung des Kurses der Talfahrt zum rechten Ufer fahren. Ihm war die Sicht nach stromaufwärts durch die hoch aus dem Wasser ragenden Leerkähne, an denen er in sehr knappem Abstand vorbeifuhr, genommen. Wie auch im angefochtenen Urteil zutreffend angenommen wird, mußte man auf „B" damit rechnen, daß hinter der weichenden zweiten Länge Talfahrt in Erscheinung treten würde.
Der Schiffsführer von „B" mußte damit rechnen, daß eine etwaige Talfahrt, die durch die Leerkähne verdeckt wurde, sich schon in so großer Nähe befand, daß durch die Beibehaltung der scharfen Schrägfahrt die Gefahr eines Zusammenstoßes begründet werden konnte. Die ganze Anlage seines Manövers der Fahrt zum rechten Ufer war verfehlt und mit der ihm obliegenden nautischen Sorgfaltspflicht nicht zu vereinbaren, wie das Rheinschiffahrtsgericht richtig erkannt hat. Das Tankmotorschiff hätte daher ggf. unter weiterer Fahrtherabsetzung in dem Zeitpunkt, als sein Bug die weichenden Kähne passierte, in genügendem Abstand von diesen sich aufstrecken müssen, um einer etwaigen Talfahrt den unter den gegebenen Umständen allein geeigneten Weg zur Vorbeifahrt Backbord an Backbord frei zu lassen. Nur so konnte der Schiffsführer von „B" bei der unübersichtlichen Lage der ihm nach § 38 Nr. 1 S. 2 obliegenden Verantwortung für eine hinter der zweiten Länge befindlichen Talfahrt gefahrlos Rechnung tragen.
Aber auch die Schiffsführung von „A" ist nicht frei von Schuld. Zwar kann der Senat dem Berufungsgericht nicht darin beitreten, daß man auf „A" aus der Richtung der Bewegung der über der zweiten Länge gesichteten Mastspitze von „B" den Schluß hätte ziehen müssen, daß „B" zum rechten Ufer fahren wollte. In diesem Zeitpunkt war vielmehr für „A" die Kursabsicht von „B" durchaus unklar.
Weil man auf „A" über die Kursabsicht von „B" im unklaren war, was sich aus dem Rat der Ehefrau des Schiffsführers von „A", man solle lieber hinter dem Talzug her aufdrehen, einerseits und dem Ausweichen des Schiffsführers zum rechten Ufer andererseits ergibt, hätte man sehr vorsichtig manövrieren müssen, wozu vor allem die Herabsetzung der Geschwindigkeit gehört hätte, wie das Berufungsgericht zutreffend annimmt. Wenn man aber die Geschwindigkeit beibehielt, so hätte man wenigstens in diesem Zeitpunkt, als „A" von „B" noch nicht gesichtet war, scharf Steuerbordkurs zum rechten Ufer nehmen müssen, so daß „A" bereits ganz am rechten Ufer gewesen wäre, als das Schiff für „B" in Sicht kam, und daher eine Backbordweisung von „B" nicht mehr in Frage gekommen wäre. Das nur allmähliche Hinübergehen zum rechten Ufer war in der gegebenen Lage fehlerhaft.
Hiernach ist der entstandene Schaden gemäß § 92 BSchG, § 736 HGB, bzw. §§ 823 Abs. 1, 254 BGB zu verteilen. Bei der Abwägung des ursächlichen Verschuldens kommt der Senat zu demselben Ergebnis wie das Rheinschiffahrtsgericht. Die Schiffsführung von „B" hat durch ihr falsches Manöver die erhebliche Gefahrenlage geschaffen, in der der Schiffsführer von „A" falsche Maßnahmen getroffen hat.