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Leitsätze:
1) Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung muß, wenn nicht besondere Umstände vorliegen, in engem Drehkreis gewendet werden. Dies gilt nicht nur für Reeden.
2) Wird ohne Vorliegen besonderer Umstände in weitem Bogen gewendet, so wird das Wenden zur Querfahrt, das nur unter den Voraussetzungen der §§ 49 Nr. 1, 47 Nr. 2 RhSchPolVO zulässig ist.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 16. Januar 1969
II ZR 106/67
(Rheinschiffahrtsgericht St. Goar; Rheinschiffahrtsobergericht Köln)
Zum Tatbestand:
Das vom Beklagten zu 1 als Ausrüster bewirtschaftete und vom Beklagten zu 2 geführte MS L fuhr im September 1964 gegen 7.00Uhr mit einer Geschwindigkeit von 8 bis 10 km/h im Revier Oberlahnstein etwa in Strommitte zu Berg. Ihm folgten etwa 10 m vom linken Ufer entfernt, mit sich verringerndem Abstand das zur Überholung von MS L ansetzende MS P, ferner MS H und mit größerem Abstand MS A. Als Talfahrer kamen, etwa in Strommitte, aber etwas zum linken Ufer hin, das mit etwa 18 km/h fahrende MS E und mit erheblichem Abstand MS S entgegen. Bei dieser Lage entschloß sich das bei der Klägerin versicherte und leer zu Berg bei km 585, etwa 40 bis 50 m vom rechten Ufer entfernt liegende MS G (Schiffsführer R) zu wenden, um im Anschluß an MS E die Talfahrt aufzunehmen. Bei dem sodann erfolgenden Zusammenstoß zwischen MS G und MS L fiel ein Matrose von MS G über Bord und ertrank. Beide Schiffe erlitten schweren Sachschaden.
Die Klägerin verlangt Ersatz des erstatteten Schadens von etwa 32 500,- DM. MS G habe Steuerbordwendesignal gegeben, als der Expressmotor noch etwa eine Schiffslänge oberhalb und MS L sowie MS P noch so weit entfernt gewesen seien, daß das Wendemanöver ordnungsgemäß hätte durchgeführt werden können. Bei der Vorbeifahrt von MS E habe MS G quergelegen, die blaue Seitenflagge schon für die Begegnung mit „Express 36" gesetzt und diese in Erwiderung der Seitenflagge von MS L stehen gelassen. Als MS G mit dem Vorderschiff bereits talwärts gelegen habe, sei auf MS L der Kurs plötzlich nach Steuerbord gerichtet und die blaue Seitenflagge in einer Entfernung von 130 m eingezogen worden. Durch dieses nautische Fehlverhalten sei es zur Kollision gekommen, obwohl Schiffsführer R das MS G noch stromgerecht habe legen können.
Die Beklagten haben Klageabweisung beantragt. Der Beklagte zu 2 habe bemerkt, daß MS G in einer Entfernung von 500 m langsam mit dem Kopf angegangen sei, ohne das Steuerbordwendesignal zu geben. Bei einem Abstand von 300 m habe MS „Gernot" plötzlich die blaue Seitenflagge gesetzt und sei über Steuerbord langsam mit dem Kopf zur Strommitte hin übergegangen, als sich MS E auf gleicher Höhe befunden habe.
MS E habe gemäß blauer Seitenflagge auf MS L Kurs auf dessen Steuerbordseite gewählt. MS L sei dann zur linksrheinischen Seite beigegangen, habe unmittelbar bei der Begegnung mit MS E die blaue Seitenflagge eingezogen und sei dicht an das auflaufende MS P herangegangen. Obwohl MS G das ganze Revier auf der Backbordseite von MS L zur Verfügung gestanden habe, habe MS G in weitem Bogen gewendet und mit seinem Kopf auf das linke Ufer zugesteuert.
In einem seitlichen Abstand von 40 m vom linken Ufer sei es dann in Höhe von km 585,4 zur Kollision gekommen, obwohl MS L die Fahrt noch gestoppt und mit der Maschine zurückgeschlagen habe. Das nicht durch Schallzeichen angekündigte Wendemanöver sei unzulässig gewesen. Das Wenden habe im engen Kreis durchgeführt werden müssen, um an der Backbordseite von MS L zu passieren. Der Beklagte zu 2 habe sich darauf verlassen und demgemäß Steuerbordkurs genommen.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage dem Grunde nach zu '/3, das Rheinschiffahrtsobergericht dem Grunde nach zur Hälfte für gerechtfertigt erklärt. Auf die Revision der Beklagten wurde das Berufungsurteil aufgehoben, soweit der Berufung der Klägerin stattgegeben worden war.
Aus den Entscheidungsgründen:
Die vom Berufungsgericht vertretene Ansicht, die Vorschrift des § 47 RhSchPVO sei unabhängig davon anzuwenden, welchen Raum des Stromes ein Wendemanöver einnimmt und gelte auch dann, wenn hierbei ein Uferwechsel vorgenommen werde, ist in dieser Allgemeinheit nicht richtig. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats muß, wenn nicht besondere (hier nicht vorliegende) Umstände das Wenden in weitem Bogen erfordern, in engem Drehkreis gewendet werden. Dies gilt nicht nur für das Wenden auf Reeden (hierzu vgl. das Urteil des Senats - VersR 68, 548), sondern allgemein. Wird ohne das Vorliegen solcher Umstände in weitem Bogen gewendet, so wird das Wenden zur Querfahrt, die nur unter den Voraussetzungen der §§ 49 Nr. 1, 47 Nr. 2 RhSchPVO zulässig ist (BGH VersR 56, 239; 57, 284; 61, 881 und 68, 549). Der Senat hält an dieser Rechtsprechung fest, weil dies im Interesse der Verkehrssicherheit zur Vermeidung von Mißverständnissen unbedingt erforderlich ist. Der Grundsatz des Wendens im engen Bogen gestattet es der durchgehenden Schiffahrt, sich, wenn keine besonderen Umstände vorliegen, darauf zu verlassen, daß auch so gewendet wird, und die entsprechenden nautischen Maßnahmen zu ergreifen.
Der Schiffsführer des MS G hat mithin beim Wenden zugleich eine Querfahrt vorgenommen, die nur unter den Voraussetzungen der §§ 49 Nr. 1, 47 Nr. 1 RhSchPVO zulässig war. Dem steht auch nicht die in VersR 1966, 465 veröffentlichte Entscheidung des Senats entgegen. Dort waren die Abstände zwischen den kollidierenden Schiffen mit 600 m bei Beginn des Wendemanövers und mit 300 m bei Querlage des wendenden Schiffes im Strom erheblich größer, und zwar so groß, daß auch eine Querfahrt unbedenklich vorgenommen werden konnte. So liegt es hier nicht. Zwar betrug die Entfernung zwischen MS G und MS L nach den Feststellungen des Berufungsgerichts zu Beginn des Wendemanövers etwa 500 m und war damit groß genug, um zügig zuwenden, ohne die durchfahrende Bergfahrt zu zwingen, unvermittelt ihre Geschwindigkeit zu vermindern oder ihren Kurs zu ändern. Als MS L aber schon auf rund 300 m herangekommen war, lag MS G noch in einem Winkel von 45° zu Berg. In diesem Zeitpunkt konnte MS L noch nicht erkennen, ob MS G im engen oder im Anschluß an eine Querfahrt in weitem Bogen wenden werde. Dessen Schiffsführer mußte, insbesondere wegen des völlig freien rechtsrheinischen Reviers, von dem Normalfall ausgehen, daß MS G in kurzem Bogen wenden werde, und seine nautischen Maßnahmen entsprechend einrichten. Erst nachdem MS G sich erkennbar auf Querfahrt befand, wurde deutlich, daß andere nautische Maßnahmen zu ergreifen waren. In diesem Zeitpunkt war MS L aber schon erheblich näher als 300 m an MS G herangekommen.
Schiffsführer R. mußte das auch erkennen. Er hätte deshalb entweder in kurzem Bogen wenden oder das Manöver abbrechen müssen, wenn er wegen der geringen Geschwindigkeit seines Schiffes nur in weitem Bogen wenden konnte. Sein nautisch fehlerhaftes Manöver war auch schuldhaft. Er hätte erkennen können und müssen, daß er durch das Wenden in weitem Bogen in dem sehr belebten Revier Unsicherheit bei der durchgehenden Schiffahrt hervorrufen und diese zur unvermittelten Geschwindigkeitsverminderung oder Kursänderung zwingen würde.
Der Beklagte zu 2 durfte sich nach den vorstehenden Ausführungen darauf verlassen, daß MS G entsprechend der Regel in kurzem Bogen wenden werde. Dann war der von ihm eingeschlagene Steuerbordkurs nautisch richtig, weil er damit dem Wendemanöver des MS G mehr Raum gab und es unterstützt hätte. Insoweit trifft ihn also kein Verschulden. Er hätte aber durch eine ihm zumutbare Geschwindigkeitsverminderung die Kollision verhindern können. Das bestreitet auch die Revision nicht. Die Verkehrssituation im Revier war nicht eindeutig. Er hätte auch früher zurückschlagen können und müssen. Daß er dies nicht getan hat, begründet ein ursächliches Mitverschulden an der Kollision.
Nach den obigen Ausführungen ist das Verschulden des Beklagten zu 2 geringer als das Verschulden von R. Dieser hat durch sein nautisch fehlerhaftes Wendemanöver die Gefahrenlage erst geschaffen und die Ursache für den Schaden gesetzt. Er hat weiter das Wendemanöver zu langsam ausgeführt. Dem Beklagten zu 2 sind dagegen nur die nicht rechtzeitige Geschwindigkeitsverminderung und ein verspätetes Zurückschlagen vorzuwerfen. Der Senat kommt daher in Übereinstimmung mit dem Rheinschiffahrtsgericht zu einer Schadensverteilung im Verhältnis von 2/3 zu Lasten der Klägerin und 1/3 zu Lasten der Beklagten."