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I ZR 63/73 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Schiffahrt)
Entscheidungsdatum: 10.04.1974
Aktenzeichen: I ZR 63/73
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Schiffahrt

Leitsätze:

1) Scheintatbestände des unechten Werkverkehrs.


2) Die Einschaltung einer Transportagentur zwischen Baustofffirma und gewerblichen Transportunternehmern mit der Maßgabe, daß diese als Großhändler auftreten und tariffreien Werkverkehr durchführen, kann einen Scheintatbestand schaffen, welcher die Umgehung von Tarifvorschriften bezweckt.


3) Die Absicht, tatsächlich bestehende Wettbewerbsnachteile gegenüber den im Werkverkehr fahrenden Mitbewerbern auszugleichen, rechtfertigt eine Tarifumgehung nicht, zumal Abhilfe über die Tarifkommission gesucht werden kann.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 10. April 1974

I ZR 63/73

(Landgericht Arnsberg; Oberlandesgericht Hamm)

Zum Tatbestand:

Die Beklagte zu 1 belieferte ihre Kunden u. a. mit Straßenbaustoffen, die sie in eigenen Werken gewinnt und aufbereitet. Mangels einer genügend großen Anzahl eigener Fahrzeuge, schaltete sie 30 kleinere Transportunternehmer zur Durchführung der Transporte ein. Später gründeten 2 Gesellschafter der Beklagten zu 1, der Beklagte zu 2 und dessen Sohn, eine Transportagentur. Auf deren Vorschlag schlossen die 30 Transportunternehmer mit ihr Agenturverträge ab, nach deren Inhalt sie zur Verbesserung der Konkurrenzfähigkeit gegenüber größeren, reinen Werkverkehrsfirmen die Baustoffe durch Vermittlung der Agentur als Großhändler von der Beklagten zu 1 kaufen und sie sodann den weiteren Abnehmern im Werkverkehr zuführen sollten. Die Agentur wurde damit betraut, die Geschäfte im Namen der 30 Unternehmen zu vermitteln und abzuschließen sowie die Abrechnungen über sie vorzunehmen. Die Forderungen gegen Abnehmer wurden zum Einzug im eigenen Namen an die Agentur abgetreten. Bis auf 4 Firmen wurde von den Unternehmen der Baustoffgroßhandel als Gewerbe angemeldet. Die Agentur setzte jeweils mehrere der Unternehmen, die die Anlieferung zu den Kunden durchgeführt hatten, als Verkäufer ein, wobei jedoch das betreffende Transportunternehmen meistens erst bei der Versandabteilung der Beklagten zu 1 Kenntnis von dem einzelnen Auftrag erhielt. Die den Unternehmen gewährten Entgelte lagen bis zu 45 O/o unter den tariflich festgesetzten Transportentgelten.
Die Klägerin behauptet- das Vorliegen von Scheintatbeständen. Die 30 Unternehmen hätten sich selbst nicht als Baustoffhändler betrachtet und seien als solche auch nicht tätig geworden, zumal sie auf das Verkaufsgeschäft und die Gewinnspanne keinen Einfluß gehabt hätten. Ein Handelsrisiko hätten sie nicht getragen, vielmehr nur den Differenzbetrag zwischen Ein- und Verkaufspreis nach Abzug der Vermittlungsprovision als Beförderungsentgelt erhalten. Sie verlangt Zahlung von etwa 53 000,- DM Differenzbeträgen, die sie gemäß § 23 Abs. 3GüKG auf sich überleitet.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat sie abgewiesen. Auf die Revision der Klägerin wurde die Sache zur anderweiten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.


Aus den Entscheidungsgründen:

Ob etwaige Ansprüche der Transportunternehmer der Klägerin zustehen, hängt gemäß § 23 Abs. 3 GüKG davon ab, ob die Unternehmer vorsätzlich gehandelt haben. Die Feststellung darüber ist vom Gericht zu prüfen, der Überleitungsbescheid ersetzt sie nicht (BGH NJW 1960, 335; NJW 1963, 103).

Zum Vorsatz i. S. des § 23 Abs. 3 GüKG genügt es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, daß der Unternehmer die Tatsachen gekannt hat, aus denen sich ergibt, daß die Zahlungen einer Umgehung des tarifmäßigen Entgelts gleichkommen (BGHZ 38, 183).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt ein Scheintatbestand im Sinne des § 5 GüKG vor, wenn die Rechtsfolgen, die gesetzliche Vorschriften einem bestimmten Verhalten beilegen, dadurch vermieden werden sollen, daß zur Erreichung des wirtschaftlichen Erfolges nicht der den Umständen nach gewöhnliche und zweckmäßige Weg, sondern unter Ausnutzung der Vertragsfreiheit ein anderer, den wirtschaftlichen Folgen ferner liegender und daher ungewöhnlicher Weg eingeschlagen wird, der an den vom Gesetz angeordneten Folgen vorbeiführen soll (BGH NJW 1960, 1057, 1058). Einen solchen Scheintatbestand hätte das Berufungsgericht aufgrund der von ihm getroffenen Feststellungen nicht verneinen dürfen.

Die gesamte Abwicklung der Geschäfte lag tatsächlich in der Hand des Herstellers und die als solche bezeichneten Zwischenhändler hatten lediglich die Transporte auszuführen. Das ergibt sich aus den getroffenen Feststellungen, wonach der Beklagte zu 2 zugleich Mitinhaber und Geschäftsführer der Beklagten zu 1 und der Agentur war, ohne Beteiligung der Unternehmer die Aufträge hereinholte, die Preise aushandelte, die Lieferungen bestimmte, die Transporte einteilte und die Unternehmer lediglich die Beförderungsaufträge entgegennehmen und die Beförderung ausführen konnten. Kennzeichnend ist insoweit auch, daß die Abnehmer nicht diese Unternehmer, sondern die Beklagte zu 1 als Lieferanten ansahen und entsprechend ihre Konten führten, und daß die Transportunternehmer nach den unbestrittenen Behauptungen der Klägerin sich insoweit als Transportunternehmer und nicht als Baustoffhändler angesehen haben. Hier fehlte jede echte Handelstätigkeit, so daß es als ein ungewöhnlicher Weg angesehen werden muß, wenn die Unternehmer hier nach bürgerlichem Recht als Vertragsparteien gegenüber der Beklagten zu 1 und den Abnehmern aufgetreten sind. Die Beklagten können sich auch nicht darauf berufen, daß die Agentur kraft Auftrags die Handelsfunktion wahrgenommen habe. Eine solche Gestaltung ist nur dann kein Scheintatbestand, wenn die angeschlossenen Händler dieser gegenüber in bezug auf die Handelstätigkeit rechtlich und tatsächlich weisungsbefugt und vom Lieferanten unabhängig sind, wovon hier nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht gesprochen werden kann. Auch die buchmäßige und steuerliche Behandlung der Verträge kann unter den vorliegenden Umständen keine andere Beurteilung rechtfertigen.

Zu Unrecht verneint das Berufungsgericht den Umgehungstatbestand wegen der Schwierigkeit der Wettbewerbslage, der sich die Beklagte zu 1 im Jahre 1968 gegenübersah und wegen des gemeinsamen Interesses der Fuhrunternehmer und der Beklagten an der Erhaltung von deren Wettbewerbsfähigkeit. Es ist zwar nicht zu verkennen, daß es seinerzeit zu korrekturbedürftigen Ungleichheiten in der Wettbewerbslage kommen konnte, wenn Mitbewerber mit einem großen eigenen Fuhrpark die Transportkosten über §§ 48, 50 GüKG frei - und ohne steuerliche Sonderbelastung - kalkulieren konnten, während die Beklagte mangels eigenen Fuhrparks für fremde Beförderungsleistungen tariflich festgelegte Entgelte zahlen mußte. Auch mag es verständlich sein, daß die Fuhrunternehmer sich bei dieser Lage eher mit untertariflichen Entgelten begnügen wollten als unbeschäftigt zu bleiben. Die Gesetzesumgehung kann damit aber nicht gerechtfertigt werden; sie wendet sich direkt gegen den Tarif, der - neben der Lizensierung - das Kernstück der gesetzlichen Ordnung des Güterkraftverkehrs darstellt.Abhilfe muß in solchen Fällen beim Gesetzgeber gesucht werden, wofür der Weg über die Tarifkommissionen zur Verfügung steht (§ 20 a GüKG), die bei der Festsetzung der Beförderungsentgelte den wirtschaftlichen Verhältnissen der Unternehmer des Güterkraftverkehrs Rechnung tragen, auch unbillige Benachteiligungen mittelständischer Wirtschaftskreise sowie wirtschaftlich schwacher und verkehrsungünstig gelegener Gebiete verhindern sollen (§ 22 Abs. 1 GüKG).