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I ZR 103/67 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Schiffahrt)
Entscheidungsdatum: 09.07.1969
Aktenzeichen: I ZR 103/67
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Schiffahrt

Leitsatz:

Eine Umgehung des tarifmäßigen Beförderungsentgelts im Sinne des § 22 Abs. 2 Satz 2 GüKG liegt vor, wenn ein Vermittler, der sich vom Transporteur eine Provision hat zahlen lassen, und der Absender wirtschaftlich gesehen identisch sind oder wenn der Vermittler wirtschaftlich gesehen der Absender, also der Herr des Transportgeschäfts ist. In diesen Fällen ist die Gewährung einer Provision wirtschaftlich als Verkürzung der tarifmäßigen Frachtvergütung anzusehen.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 9. Juli 1969

I ZR 103/67

(Landgericht Berlin; Kammergericht in Berlin)

Zum Tatbestand:

Die Gesellschafter der Beklagten waren Kaufmann P. und Kaufmann M. Kaufmann P. war auch Alleininhaber der Firma G., an der Kaufmann M. als stiller Gesellschafter beteiligt war. Letztere Firma war Zuckeragent und an der Lagerhaltung von Zucker in Berlin beteiligt. P. war ferner alleiniger Gesellschafter der Firma S., die gleichfalls als Zuckeragent tätig war. Alle 3 Firmen hatten gemeinsame Betriebsräume in Berlin. Der Geschäftsführer der Beklagten war gleichzeitig Prokurist der Firma G., die in geschäftlichen Beziehungen zu der Transportfirma L. stand.
Firma L. führte Zuckertransporte von Westdeutschland nach Berlin durch und zahlte für die von der Firma G. behauptete Vermittlung dieser Transporte eine Provision von 8,5 % der Fracht. Als Firma G. für das von ihr selbst unterhaltene Zuckerlager als Eigenkäufer auftrat zahlte Firma L. an die Beklagte insgesamt etwa 65000,- DM als Provision für Zuckertransporte, die die Beklagte der Firma L. vermittelt haben will. Tatsächlich hatte die Beklagte die Firma L. von den Zuckertransporten telefonisch benachrichtigt, von deren Notwendigkeit sie durch die Firma G. Kenntnis hatte.
Nach einer zunächst erhobenen und dann zurückgenommenen Klage im Verwaltungsrechtsweg verlangt die Klägerin (Bundesanstalt) einen von Firma L. an die Beklagte gezahlten Teilbetrag von ca. 23 000,- DM, bei dem es sich um Provisionen aus Transporten betreffend Eigenkäufe der Firma G. handelte

Die Klägerin behauptet, daß die Frachtvermittlung nicht zu der im Gewerbebetrieb der Beklagten üblichen Tätigkeit gehöre. Die Frachtenvermittlung sei nicht zulässig gewesen, da es angesichts der personellen und wirtschaftlichen Verflechtung der Beklagten mit der Firma G. eine unzulässige Tarifumgehung bedeute, wenn Firma G. die Beklagte als angebliche Vermittlerin des Ladegutes eingeschaltet habe.
Die Beklagte vertritt die Auffassung, daß sie zur Ausführung von Frachtvermittlungen berechtigt gewesen sei. Die Vermittlungstätigkeit dürfe nicht schon deshalb als mißbräuchlich angesehen werden, weil sie durch ihre Verbindung zu der Firma G. von den zu erwartenden Zuckertransporten Kenntnis gehabt habe.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung wurde zurückgewiesen. Auch die Revision blieb erfolglos.

Aus den Entscheidungsgründen:

Das Berufungsgericht führt aus, ein Tarifverstoß der Firma L. liege vor, weil diese der Beklagten in Form der Provisionszahlungen Zuwendungen gemacht habe, die einer Umgehung des tarifmäßigen Beförderungsentgelts gleichkämen. Die Firma L, habe ihre Transportaufträge jeweils von G. mittels ihr übersandter Dispositionen erhalten, aus denen sowohl die Beförderungstermine als auch die von den genannten Zuckerfabriken abzuholenden Zuckermengen und -sorten ersichtlich gewesen seien. Auch die Beförderungsaufträge, die die Beklagte vermittelt haben wolle, seien von deren Schwesterfirma G. erteilt worden. Die Behauptung der Beklagten, die Firma G. habe sich nie mit der Vergabe von Beförderungsverträgen befaßt, sei bei Berücksichtigung aller Umstände unglaubhaft, eine Beweiserhebung komme daher nicht in Betracht.
Mit Rücksicht darauf, daß die Firma L. unstreitig alle Transporte entsprechend den ihr von G. erteilten Dispositionen ausgeführt habe, müsse davon ausgegangen werden, daß dieses Unternehmen auch Auftraggeber der Zuckertransporte gewesen sei, für welche L. die hier im Streit befindlichen Provisionen an die Beklagte gezahlt habe.
Die Beklagte könne keine Provision verlangen, weil sie zwar eigene Rechtspersönlichkeit besitze, aber doch wirtschaftlich und personell mit G. so eng verflochten sei, daß sie nicht mehr als ein am Frachtvertrag unbeteiligter Dritter angesehen werden könne.

Die personelle Verflechtung schließe auch eine Vermittlungstätigkeit aus. Der verantwortliche Leiter der Beklagten sei deren Geschäftsführer B., der zugleich Prokurist der Firma G. und Geschäftsführer der Richard S. sei. Es bedeute einen Mißbrauch der Eigenständigkeit der Beklagten, wenn ihr Geschäftsführer den Abschluß von Beförderungsverträgen vermittelte, die er zugleich als Prokurist der Firma G. für diese mit L. abschließe.

Die gegen diese Ausführungen gerichteten Angriffe der Revision haben keinen Erfolg.

a) Die Vertragsfreiheit nach den allgemeinen Regeln des bürgerlichen Rechts und des Handelsrechts ist im Güterkraftverkehr gewissen Beschränkungen unterworfen, um die Bundesbahn vor dem uneingeschränkten Wettbewerb des Güterkraftverkehrsgewerbes zu schützen und einen existenzgefährdenden Wettbewerb innerhalb des Güterkraftverkehrsgewerbes und andere vom Gesetzgeber als nicht tragbar angesehene Erscheinungen des Güterkraftverkehrs zu verhindern (BGH LM GüKG Nr. 10; BGH in Der Güterverkehr 1956, 40; Urteil vom 15. Dezember 1965 - Ib ZR 136/63). Diesem Zweck dient auf dem Gebiet der Vermittlung von Ladegut neben der gegen das Maklerunwesen gerichteten Vorschrift des § 32 GüKG, deren Voraussetzungen im Streitfall zugunsten der Beklagten für das Revisionsverfahren zu unterstellen sind, insbesondere die Vorschrift des § 22 Abs. 2 Satz 2 GüKG. Danach steht die Provision der Beklagten nicht zu, wenn deren Zahlung einer Umgehung des tarifmäßigen Beförderungsentgelts gleichkommt. Eine Umgehung ist grundsätzlich nicht gegeben, wenn die Beklagte als Dritte eine Tätigkeit ausgeübt hat, durch die ein Frachtvertrag zwischen dem Absender und dem Frachtführer zustande gekommen ist.
Eine Vermittlungstätigkeit in diesem Sinne liegt aber nicht vor, wenn Vermittler und Absender wirtschaftlich gesehen identisch sind oder wenn der Vermittler wirtschaftlich gesehen der Absender, also der Herr des Transportgeschäfts ist. Denn in diesen Fällen stellt sich die Gewährung einer Provision wirtschaftlich als Verkürzung der tarifmäßigen Frachtvergütung dar.
Für die Feststellung einer solchen tarifwidrigen Verkürzung der Frachtgebühren im Sinne des § 22 Abs. 2 GüKG kommt es maßgeblich darauf an, für wen die Frachtkosten ein bei seiner die beförderten Güter betreffenden Kalkulation wirtschaftlich zu beachtender Faktor sind oder auch für wen eine Vermittlungsprovision sich auf die Geschäfte betreffend die beförderten Güterwirtschaftlich auswirkt oder auch wer die Entscheidung über die Art des Transportes (Schiene oder Straße) trifft;

b) Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zutreffend eine Frachtverkürzung im Sinne des § 22 Abs. 2 Satz 2 GüKG angenommen.
Denn die rechtliche Beurteilung hat nicht nur das Verhalten der Beklagten für sich allein zu berücksichtigen - insoweit könnte bei Außerachtlassen der nachfolgenden Erwägungen eine provisionsberechtigte Vermittlung der Beklagten gegeben sein - sondern auch die Firma G. einzubeziehen. Die Beklagte und die Firma G. sind zwar rechtlich selbständige Unternehmen. An beiden Firmen waren aber ausschließlich dieselben beiden Personen beteiligt und zwar an der Beklagten als Gesellschafter der GmbH und an der Firma G. als Alleininhaber und stiller Gesellschafter. Die, wie bereits dargelegt, im Rahmen des § 22 Abs. 2 Satz 2 GüKG gebotene wirtschaftliche Betrachtungsweise rechtfertigt die Feststellung des Berufungsgerichts, angesichts dieser Identität der Unternehmensinhaber im wirtschaftlichen Sinne sei die Sachlage so anzusehen, als ob die Firma G. die Provision erhalten habe.
Die Firma G. war aber nicht berechtigt, eine Vermittlerprovision zu beziehen. Denn sie war als Käufer des transportierten Zuckers auch Herr der Transportgeschäfte in dem dargelegten Sinne; es kommt daher nicht darauf an, daß Frachtzahler die Zuckerfabriken sind und als Absender auf den Frachtbriefen vermerkt sind und daß der Zucker jedenfalls teilweise vom Lager der Zuckerfabriken abzunehmen war."