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- Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 15.02.1969
Aktenzeichen:
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsätze:

1) Entgegen dem reinen Wortlaut des Art. 34 II c der Revidierten Rheinschiffahrtsakte, wonach nur Unfälle „während der Fahrt oder beim Anlanden" in die Zuständigkeit der Rheinschiffahrtsgerichte fallen, müssen zur Verhinderung unvernünftiger Ergebnisse alle Schäden einbezogen werden, die von Schiffen während ihrer Verwendung zur Schiffahrt anderen zugefügt werden, z. B. auch während des Ablegens vom Ufer, wie überhaupt währenAd der Vorbereitung der einzelnen Reise oder der Bereitstellung des Schiffes zur Be- und Entladung. Das schließt auch Vorgänge ein, die zum Festmachen des Schiffes notwendig sind oder mit dem Warten auf die Entladung zusammenhängen.

2) Häfen, die unmittelbar am Rhein liegen und mit diesem unmittelbar verbunden sind, werden im Hinblick auf die Zuständigkeit der Rheinschiffahrtsgerichte als Teile des Rheins angesehen.

Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt

vom 15. 2. 1969

(Rheinschiffahrtsgericht des Kantons Basel - Stadt)

Zum Tatbestand:

Das den beklagten Miteigentümern gehörende, vom Beklagten zu 2 geführte MS S fuhr mit einer Ladung Kohlen in den Hafen von Basel-Kleinhüningen ein und machte neben einem dort bereits liegenden Schiff an der Umschlagstelle der Klägerin zwecks späterer Entladung fest. Vor Beginn der Entladung knickte es am anderen Tage in der Mitte ein, so daß nur noch Vorderund Achterschiff aus dem Wasser ragten. Die Entladung und Hebung des gesunkenen Schiffes dauerte mehr als 5 Wochen. Die Klägerin verlangt Ersatz ihrer Einnahmeausfälle in Höhe von 25000 sfr, weil das gesunkene Schiff die Umschlagstelle völlig versperrt und dadurch das Anlegen und Entladen anderer Schiffe verhindert habe. Die Beklagten bestreiten den Schaden und ihre Haftung, halten vor allem aber das angerufene Rheinschiffahrtsgericht des Kantons Basel-Stadt wegen Art. 3411c der Rheinschiffahrtsakte für sachlich unzuständig, weil der behauptete Schaden weder während der Fahrt noch beim Anlanden des Schiffes entstanden sei. Das angerufene Gericht hat seine sachliche Zuständigkeit verneint und deshalb die Klage abgewiesen. Auf die Berufung an die Berufungskammer der Rheinzentralkommission ist das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und zur sachlichen Entscheidung an das Rheinschiffahrtsgericht des Kantons Basel-Stadt zurückverwiesen worden.

Aus den Entscheidungsgründen:

Versteht man die Worte „während der Fahrt oder beim Anlanden" des Artikels 3411c der Revidierten Rheinschiffahrtsakte wörtlich, so stellen sich unvernünftige Ergebnisse insofern ein, als bei natürlicher Betrachtungsweise gleich gelagerte Sachverhalte teils in die Zuständigkeit der Rheinschiffahrtsgerichte, teils in diejenige der nach der Regelung des jeweiligen nationalen Rechtes sonst zur Entscheidung berufenen Gerichte fallen. Die Worte „während der Fahrt oder beim Anlanden" erfassen z. B. bei enger Auslegung nicht das Ablegen eines Schiffes zum Antritt einer Fahrt oder kurze Aufenthalte im Strom oder in Ufernähe während der Reise. Es gibt aber keinen vernünftigen Grund dafür, Unfälle beim Anladen eines Schiffes der Zuständigkeit der Rheinschiffahrtsgerichte zuzuweisen, solche, die beim Ablegen entstehen, aber nicht oder die gleiche unterschiedliche Regelung für Unfälle während der Fahrt oder solche während eines kurzen Aufenthaltes im Strom hinzunehmen. Aus den dargelegten Gründen muß angenommen werden, daß die Worte „während der Fahrt oder beim Anlanden" in Artikel 3411 c der Revidierten Rheinschiffahrtsakte nur beispielhaft gemeint sind und die Fälle der Zuständigkeit der Rheinschiffahrtsgerichte nicht erschöpfend aufzählen. Versteht man sie so, so muß selbstverständlich dargelegt werden, wofür sie beispielhaft sind. Es liegt nahe, anzunehmen, daß sie die Verwendung des Schiffes zur Schiffahrt dadurch beschreiben wollen, daß sie zwei Schiffahrtsphasen nennen. Versteht man sie so, so begründen sie die Zuständigkeit der Rheinschiffahrtsgerichte für alle Schäden, die Schiffe, während sie zur Schiffahrt verwendet werden, anderen zufügen. Die Verwendung eines Schiffes zur Schiffahrt erfolgt aber nicht nur während einer Schiffsreise im engeren Sinne, also während der Fahrt vom Ausgangs- zum Bestimmungsort. Sie erfolgt vielmehr auch während der Vorbereitung der einzelnen Reise durch die Bereitstellung des Schiffes zur Beladung und die Beladung selbst. Die Verwendung eines Schiffes zur Schiffahrt schließt weiter diejenigen Vorgänge ein, die notwendig werden, wenn das Schiff im Bestimmungshafen festgemacht hat, nämlich das Warten auf die Entladung und diese selbst. Schließlich gehören dazu Zwischenaufenthalte des Schiffes während einer Fahrt und die damit zusammenhängenden Vorfälle. Versteht man den Artikel 3411 c der Revidierten Rheinschiffahrtsakte so, wie soeben dargelegt, so enthält er einen vernünftigen Inhalt, nämlich eine Regelung der sachlichen Zuständigkeit in Rheinschiffahrtssachen, die willkürliche Trennung vermeidet und gleich gelagerte Fälle gleich behandelt. In diesem Zusammenhang ist auch folgendes zu bedenken: Streitigkeiten aus Rheinschiffahrtsunfällen können sachgemäß nur von Richtern entschieden werden, die mit den besonderen Verhältnissen der Rheinschiffahrt vertraut sind. Zu dieser Vertrautheit gehören nautische Kenntnisse, ferner solche der örtlichen Verhältnisse, weiter Kenntnis der geschriebenen und ungeschriebenen Fahrregeln und schließlich solche der Technik des Schiffsbetriebes und der technischen Einrichtung eines Schiffes. Auch mit Rücksicht hierauf kann eine Auslegung des Artikels 3411 c der Revidierten Rheinschiffahrtsakte nicht vernünftig sein, die Unfälle, die ihrer Natur nach Rheinschifffahrtsunfälle sind, nicht in die Zuständigkeit der Rheinschiffahrtsgerichte weist; denn diese sind mit Richtern besetzt, welche über die bereits erwähnten Kenntnisse verfügen, während bei anderen Gerichten eine Gewähr dafür nicht besteht.Soweit ein Vertrag auslegbar ist, enthält er keine Lücke. Das gilt auch für diejenigen Fälle, wo sich der Auslegende in zulässiger Weise vom Wortlaut des Vertragstextes löst und zum wirklichen, nur unvollkommen erklärten Willen der Vertragspartner durchdringt, wie es im vorliegenden Falle die Berufungskammer tut. Sie befindet sich bei dieser Auslegung in Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtssprechung der Zentralkommission, die im Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts Basel-Stadt erwähnt wird. Rheinschiffahrtsgerichte und Obergerichte der Vertragsstaaten legen die Zuständigkeitsregeln der Revidierten Rheinschiffahrtsakte ähnlich oder noch weiter aus. Es kann nicht zweifelhaft sein, daß mit dem Schiff der Beklagten Schiffahrt betrieben wurde, als es im Hafen von BaselKleinhüningen auf seine Entladung wartete, wenn man diesen Begriff so versteht, wie oben dargelegt worden ist, Wenn es dabei einknickte und sank, so hat sich dies „während der Fahrt oder beim Anlanden" des Schiffes ereignet. Die Zuständigkeit der Rheinschiffahrtsgerichte zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreites ist also nach Artikel 3411 c der Revidierten Rheinschiffahrtsakte gegeben. Die Tatsache, daß sich der Unfall in einem Hafen ereignet hat, ändert an dieser Zuständigkeit nichts; denn Häfen, wie derjenige von Basel-Kleinhüningen, die unmittelbar am Rhein liegen und mit diesem unmittelbar verbunden sind, werden als Teile des Rheins angesehen.