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98 Z - 15/79 - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 12.06.1979
Aktenzeichen: 98 Z - 15/79
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsatz:

Zum nautischen Fehlverhalten eines Talfahrers auf dem Oberrhein beim Befahren des Fahrwassers zwischen 2 festsitzenden Fahrzeugen.

Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt

vom 12. Juni 1979

98 Z - 15/79

(Rheinschiffahrtsgericht Mannheim)

Zum Tatbestand:

Das beladene MS H der Klägerin hatte sich auf der Talfahrt auf dem Oberrhein am deutschen Ufer festgefahren und lag gestreckt Kopf vor zu Tal. Mit dem Heck nahe am französischen Ufer lag in seiner Nähe das MS A ebenfalls fest, in Schräglage den Bug talwärts gerichtet. Nachdem etwa 10 Schiffe das Fahrwasser zwischen den beiden Schiffen ohne Behinderung passiert hatten, fuhr das leere, der Beklagten zu 1 gehörende und vom Beklagten zu 2 geführte MS W talwärts gegen das Heck des MS H. Beide Schiffe wurden beschädigt. Die Klägerin verlangt Ersatz ihres Schadens von etwa 12 500,- DM, da die Havarie allein von dem MS W verschuldet worden sei. Das Fahrwasser sei ausreichend breit gewesen. MS W habe mehrfach seinen Kurs geändert und sei schließlich gerade auf das Heck von MS H zugefahren, obwohl auf diesem Schiff die vorgeschriebenen Signalflaggen gesetzt gewesen seien. Die Beklagten beantragen Klageabweisung und führen das Festfahren auf die falsche Navigation des Schiffes der Klägerin zurück. Danach seien auf ihm die Fahrtflagge nicht eingeholt und die Havarieflaggen nicht hoch genug gesetzt worden. Am Heck sei Schraubenwasser zu erkennen gewesen, offenbar um aus eigener Kraft freizukommen. Diese Umstände hätten dazu geführt, daß man auf MS W zu spät das Festliegen von MS H erkannt habe. Die späteren Stop-, Rückwärts- und Ausweichmanöver hätten die Havarie nicht mehr verhindern können. Die Klägerin müsse sich ein mitwirkendes Verschulden ihre Schiffes von mindestens 1/4 anrechnen lassen. Da der Schaden der Beklagten über 38 000,- DM betrage, mit dem die Beklagten aufrechnen, liege der Schadensanteil der Klägerin mit 1/4 vom Gesamtschaden (etwa 50 500,- DM) über der Klagesumme.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage antragsgemäß dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die Berufung wurde von der Berufungskammer als unbegründet zurückgewiesen.


Aus den Entscheidungsgründen:

„...
Die Beklagten räumen ein, daß der Beklagte zu 2) bei der Annäherung an das MS H die Lage im Revier nicht mit der nötigen Aufmerksamkeit beobachtet, sie deshalb falsch eingeschätzt und dadurch die Havarie überwiegend herbeigeführt hat. Die entsprechende Feststellung des Rheinschiffahrtsgerichts, die auch die Berufungskammer überzeugt, ist damit als richtig anerkannt. Weitere Darlegungen sind mithin in diesem Punkte nicht erforderlich.

Ebenso wie das Rheinschiffahrtsgericht hält auch die Berufungskammer nicht für bewiesen, daß die Führung des MS H den umstrittenen Schiffsunfall schuldhaft mitherbeigeführt hat.

Im einzelnen:

a) Es kann dahingestellt bleiben, aus welchen Gründen sich das MS H festgefahren hat, da dies für die Entscheidung - auch nach der Ansicht der Parteien - ohne Bedeutung ist, denn das festsitzende Schiff der Klägerin mußte die umstrittene Havarie nicht notwendigerweise zur Folge haben, da zwischen ihm und dem ebenfalls festsitzenden MS A ein ausreichend breites Fahrwasser lag. Alle zu diesem Punkte gehörenden Zeugen haben erklärt, daß das Fahrwasser ausreichend breit gewesen sei. Die Schätzungen schwanken zwischen 40 und 75 m. Die meisten liegen bei 50-60 m. Diese Fahrwasserbreite ermöglichte eine glatte Durchfahrt, die eine Reihe von Schiffen auch durchgeführt haben. Es fehlt deshalb auch ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Havarie und dem festgefahrenen Schiff der Klägerin.

b) Der Führung des Schiffes der Klägerin kann nicht vorgeworfen werden, die durch § 3.41 RSchPVO für festgefahrene Schiffe vorgeschriebenen Flaggen oder Tafeln nicht so hoch gesetzt zu haben, daß sie von allen Seiten sichtbar waren. Das zeigt am klarsten die Aussage des Beamten der Wasserschutzpolizei Sch. vor dem Rheinschiffahrtsgericht. Der Zeuge befand sich in einem Polizeiboot auf Streifenfahrt, als mitgeteilt wurde, daß MS H festsitze. Als er an Ort und Stelle eintraf, hatte sich die umstrittene Havarie bereits ereignet. Er hat festgestellt, daß auf H die sog. Havarieflaggen am vorderen Mast gesetzt waren, allerdings nicht an dessen Spitze, sondern zwischen dieser und der halben Masthöhe. Um zu prüfen, ob die Flaggen auf ausreichende Entfernung erkennbar waren, hat der Zeuge in seinem Boot eine Fahrt vorgenommen und dabei festgestellt, daß die Flaggen auf eine Entfernung von 150-170 m gut auszumachen waren. Wenn er trotzdem veranlaßt hat, daß sie bis zur Mastspitze hochgezogen wurden, so geschah das, um, wie er formulierte, „das Optimale in dieser Situation zu veranlassen". Die Beklagten verstehen diese Aussage falsch, "wenn sie ihr entnehmen, die Flaggen seien vor dem Heraufziehen bis zur Mastspitze nicht hinreichend sichtbar gewesen, und hierin liege der Grund der vorgenommenen Änderung. Diese war vielmehr „das Optimale", also die nicht überbietbare Sorgfalt und nicht die Korrektur einer Nachlässigkeit bzw. die Herstellung des normaler Sorgfalt entsprechenden Zustandes. Mehrere Zeugen haben erklärt, die auf H gesetzten Havariezeichen in ausreichender Entfernung erkannt zu haben.
..
Angesichts der auf ausreichende Entfernung sichtbaren Havarieflaggen hatte die Führung des Schiffes der Klägerin keinen Anlaß, zusätzliche Maßnahmen gemäß § 3.35 RhSchPVO zu ergreifen, da sie nicht erforderlich waren.

c) Keiner der vernommenen Zeugen, die nicht zur Besatzung des Schiffes der Beklagten gehörten, hat deren Behauptung bestätigt, auf dem Schiff der Klägerin sei, auch nachdem es sich festgefahren hatte, die Fahrtflagge nicht eingezogen worden und die Schraube dieses Schiffes habe weitergearbeitet. Diese von den Beklagten in der Erwiderung auf die Klage festgestellte Behauptung muß deshalb als reine Schutzbehauptung gewertet werden und unbeachtet bleiben. Mit ihr soll offenbar der Eindruck hervorgerufen werden, es sei für den Beklagten zu 2) nicht rechtzeitig erkennbar gewesen, daß das MS H sich festgefahren hatte. Er habe vielmehr den Eindruck gewinnen können, es befinde sich noch in Fahrt und sich deshalb entschlossen, seinem Kurs zu folgen. Widerlegt ist auch die weitere Schutzbehauptung der Beklagten, ihr Schiff sei demjenigen der Klägerin eine Zeitlang in einiger Entfernung gefolgt, bis dieses sich festgefahren habe. Dieser Vortrag soll offenbar den Eindruck vermitteln, das Festfahren und die umstrittene Kollision seien in geringem zeitlichen Abstand erfolgt, so daß dem Beklagten zu 2) keine ausreichende Reaktionszeit zur Verfügung gestanden habe. Demgegenüber hat die Beweisaufnähme gezeigt, daß das Schiff der Klägerin schon einige Zeit festsaß, als sich dasjenige der Beklagten näherte.
...

d) Die Beklagten haben in der Berufungsbegründung den Versuch unternommen, daß einigen Zeugen, die nach ihren Aussagen das festsitzende Schiff der Klägerin auf ausreichende Entfernung erkannt haben, diese Erkenntnis dadurch erleichtert worden sei, daß man sie über Sprechfunk auf das Schiff aufmerksam gemacht habe, während der Beklagte zu 2) eine solche Wahrschau wegen fehlender Funkeinrichtung nicht habe empfangen können. Dieser Umstand kann jedoch die Entscheidung nicht beeinflussen. Gewiß erleichterte die Wahrschau über Sprechfunk die Beurteilung der Lage im Revier. Damit steht aber nicht fest, daß ohne Wahrschau eine richtige Beurteilung und rechtzeitige Reaktionen nicht möglich waren....“