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Leitsatz:
Zur Beweiswürdigung der Aussage eines Zeugen über den von oberhalb einer Flußkrümmung bei Dunkelheit wahrgenommenen Kursverlauf und über die Lage eines in der Kurve befindlichen Schiffes.
Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
vom 27. März 1999
- 91 P - 5/79 -
(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort).
Zum Sachverhalt
Der Betroffene war vom Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 1.22 RhSchoPolVO in Verbindung mit Bekanntmachung Nr. 12/75 vom 15. 2. 1975 zu einer Geldbuße von 150,- DM verurteilt worden, weil er als Schiffsführer des MS H am 28. 1. 1976 gegen 19 Uhr bei Rhein-km 795 entgegen dem Rechtsfahrgebot rechtsrheinisch zu Berg gefahren und infolgedessen eine Backbord-Begegnung mit dem zu Tal kommenden Schubverband M nicht möglich gewesen sei. Der Verband sei zu einem Rückwärtsmanöver gezwungen worden, wodurch ihm das nachfolgende MS F aufgelaufen und mit ihm kollidiert sei. Die Berufungskammer hat den Betroffenen unter Aufhebung des Urteils des Rheinschiffahrtsgerichts freigesprochen.
Aus den Gründen:
„...
Der Schiffsführer G. von MS F, dessen Bekundungen das Rheinschiffahrtsgericht trotz seiner Beteiligung an dem Schiffsunfall entscheidende Bedeutung beimaß, hat seine Beobachtungen, wie er selbst angibt, nicht auf seinem auf 900 m voraus eingestellten Radarbild - was etwa dem Abstand zwischen seinem Standort und der Spitze der vorausfahrende Schubeinheit entsprach -, sondern offensichtlich aufgrund unmittelbarer Beobachtung des Reviers gemacht. Hierbei war aber zu berücksichtigen, daß zu dieser Zeit bereits Nachtdunkelheit herrschte.
Außerdem spielte sich die Annäherung des talfahrenden Schubverbandes und des bergfahrenden MS H in einer Rechtsbiegung des Stromes ab, bei der jede zu lange Beibehaltung des ursprünglichen Kurses die Schubeinheit mit ihrer Spitze über die Flußmitte hinweg in die geographisch linke Stromhälfte bringen mußte. Für den in einem Abstand von mehreren hundert Metern nachfolgenden Beobachter konnte kaum in zuverlässiger Weise mit dem bloßen Auge der Vorausabstand der Spitze der Schubeinheit zu dem in einem Bogen verlaufenden linken Rheinufer geschätzt werden. Nur dieser Abstand hätte aber Auskunft über die Gesamtlage des Schubverbandes im Strom geben können; denn bei zu geringem Abstand in der verlängerten Schiffsachse geriet der Schubverband zwangsläufig, ohne seine äußere Lage zu ändern, in den Hang, d. h. in eine Schräglage zu dem nach rechts abbiegenden Ufer. Infolge dieser Flußkrümmung mußte auch das zu Berg, aufkommende MS H für einen Beobachter von Oberstrom immer steuerbordseits der Längsachse des Schubverbandes auftauchen, wodurch leicht der Eindruck, das MS H sei in starker Schräglage vor dem rechten Stromhälfte. Auch der von dem Zeugen G. geschilderte Eindruck, das MS H sei in starker Sträglage vor dem Kopf der Schubeinheit hervorgekommen, kann durch eine Schräglage des Schubverbandes hervorgerufen worden sein, die dadurch entstand, daß der Schubverband zu lange seinen ursprünglichen Kurs hielt und dabei mit den Vorschiffen in den Hang geriet. Die von dem Zeugen V. vom Schleppboot D wiedergegebene Sprechfunkdurchsage des Schubverbandes M, daß er vollan zurückschlage, „da vor ihm einer quer liege", kann durch eine eigene Schräglage des Schubverbandes zu MS H hervorgerufen worden sein, wozu noch die von den Besatzungsmitgliedern des MS H geschilderte Ausweichbewegung ihres Schiffes nach Steuerbord beigetragen haben kann. Zusammenfassend ist festzustellen, daß nach Meinung der Berufungskammer so viel Zweifel an den Beobachtungsmöglichkeiten des Zeugen G. von MS F angesichts der Dunkelheit und der Lage des vorausfahrenden Schubverbandes innerhalb der Rechtsbiegung des Flusses verbleiben, daß mit einer zur Verurteilung ausreichenden Sicherheit nicht festgestellt werden kann, daß MS H das Rechtsfahr-Gebot verletzt und erst kurz vor der Schubeinheit aus der geographisch rechten in die geographisch linke Flußhälfte hinübergewechselt sei, zumal dies nicht nur mit den Angaben des unfallbeteiligten Betroffenen, sondern auch mit denjenigen seines zweiten Schiffsführers S. in Widerspruch stünde.
Dieser letztgenannte Zeuge gab in Übereinstimmung mit dem Betroffenen an, daß der Kurs des MS H ständig in einem Uferabstand von etwa 80 m linksrheinisch verlaufen sei, während die zu Tal kommende Schubeinheit ihren zunächst in Flußmitte gehaltenen Kurs verlassen habe und in den Hang gefahren sei.
...“