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90 Z - 18/78 - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 18.10.1978
Aktenzeichen: 90 Z - 18/78
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsatz:

Gegenüber der französischen Regelung, daß bei völliger tJbereinstimmung des zivilrechtlichen und strafrechtlichen Verschuldens die zivilrechtliche Klage nach Ablauf der strafprozessualen Verjährungsfrist nicht mehr zulässig ist, hat die Verjährungsvorschrift des Art. 118 des in Frankreich für die Rheinschiffahrt geltenden deutschen Binnenschiffahrtsgesetzes als besondere Norm Vorrang.

Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt

Urteil

vom 18. Oktober 1978

(Rheinschiffahrtsgericht Straßburg)

Zum Tatbestand:

Das dem Beklagten zu 1 gehörende und vom Beklagten zu 2 geführte MS O rammte und beschädigte am 14. 7. 1975 die Backbordseite des Obertors der großen Kammer der Schleuse Straßburg, deren Konzessionär die Klägerin ist. Der Beklagte erhielt vom Rheinschiffahrtsgericht Straßburg Bußgeldbescheide über 300 FF bzw. 100 FF wegen Verletzung der Sorgfaltspflicht und wegen Fahrt mit unvollständiger Besatzung sowie wegen Verstoßes gegen die Regeln der Schleusendurchfahrt. Die Klägerin hat ihrerseits am 3. 12. 1976 Klage auf Schadensersatz in Höhe von über 800 000 FF gegen die Beklagten als Gesamtschuldner erhoben. Auf die von den Beklagten erhobene Einrede der Verjährung hat das Rheinschiffahrtsgericht die Verjährung nach Maßgabe der französischen Strafprozeßordnung bejaht und die Klage abgewiesen. Da das strafrechtliche und zivilrechtliche Verschulden im vorliegenden Fall völlig gleich zu bewerten sei, finde die Bestimmung des Art. 10 StPo Anwendung, wonach die zivilrechtliche Klage nicht nach Ablauf der Verjährungsfrist der öffentlichen Klage, also nach der inzwischen tatsächlich abgelaufenen strafrechtlichen Verjährung mehr erhoben werden könne. Die Klägerin hat jedoch unter Bezugnahme auf Art. 118 des Binnenschiffahrtsgesetzes von 1895 Berufung eingelegt. Die Berufungskammer der Rheinzentralkommission hat ihr stattgegeben und unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils die Sache zur Verhandlung an das Rheinschiffahrtsgericht zurückverwiesen.


Aus den Entscheidungsgründen:

„...
Artikel 118 des Binnenschiffahrtsgesetzes vom 15. Juni 1895 ist die besondere Bestimmung, die in Frankreich in der Rheinschifffahrt Anwendung findet.

Der erstinstanzliche Richter hat folglich im vorliegenden Rechtsstreit zu Unrecht erkannt, daß die selbst unabhängig von der öffentlichen Klage eingereichte Klage gemäß den Bestimmungen des Artikels 10 des StPO jedesmal, wenn der Schadensfall ein Strafvergehen ist, von der Verjährung der öffentlichen Klage betroffen ist, und die Berufung der Klägerin für unzulässig erklärt (siehe auch C. Cass. chambre mixte: Mutuelle d’assurances aeriennes c/ Consorts Geny et veuve Pezous 24. 2. 1978; Gazette du Palais du 28/29 juin 1978). Somit erübrigt sich die Frage, ob eine völlige Übereinstimmung zwischen dem zivilrechtlichen Verschulden und dem strafrechtlichen Verschulden vorliegt, was ein  Zusammentreffen der Verjährungsfristen der zivil- und strafrechtlichen Klage zur Folge hätte.

Im vorliegenden Fall hält die Berufungskammer aufgrund von Art. 24 Abs. 3 der Verfahrensordnung der Berufungskammer eine Verhandlung über die Sache nicht für zweckmäßig.

Die streitigen Ereignisse haben sich am 14.7.1975 zugetragen,  und es ist nicht umstritten, daß die Klägerin am 3. Dezember 1976 gegen die Beklagten zu 1) und 2) eine Schadensersatzklage erhoben hat.

Artikel 118 des Gesetzes über die privatrechtlichen Beziehungen in der Binnenschiffahrt (Binnenschiffahrtsgesetz) vom 15. Juni 1895 das in Frankreich mit Artikel 5 des Gesetzes vom 1. Juni 1924 eingeführt wurde, schreibt vor, "daß die Verjährungsfrist mit Ablauf des Jahres zu laufen beginnt, in dem die Forderung fällig geworden ist".

Demzufolge wäre die Klage der Klägerin erst am 31. Dezember 1976 verjährt, und der Antrag vom 3. Dezember 1976 ist somit noch fristgerecht eingereicht worden.

Die vorgenannten Bestimmungen des Binnenschiffahrtsgesetzes stehen im Widerspruch zu der Regel der Strafprozeßordnung.

Bei Vorliegen von zwei unvereinbaren Normen ist die einschlägige besondere Norm anzuwenden und nicht die allgemeine, nach dem gemeinen Recht geltende Norm.
...“