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9 U 1141/15 BSch - Oberlandesgericht (Schiffahrtsobergericht)
Entscheidungsdatum: 13.05.2015
Aktenzeichen: 9 U 1141/15 BSch
Entscheidungsart: Verfügung
Sprache: Deutsch
Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Abteilung: Schiffahrtsobergericht

Leitsätze:

1) Fährt ein Schiff rückwärts, also über Heck zu Tal, handelt es sich um einen faktischen Talfahrer und nicht um einen »fiktiven« Bergfahrer. Für die Passage mit einem tatsächlich zu Berg fahrenden Bergfahrer gelten nicht die Vorschriften für das Überholen, sondern die Vorschriften für das Begegnen.

2) Die rechtskräftige Verurteilung eines Besatzungsmitgliedes eines Schiffes führt trotz der materiell-rechtlichen Abhängigkeit der Ansprüche gegen den Schiffseigner von dessen (Besatzungs-) Verschulden nicht zu einer Rechtskraft der gegen den Schiffseigner ergangenen Entscheidung; die Rechtskraft einer klagestattgebenden Entscheidung wirkt nur zwischen den Prozessparteien.

Verfügung des Schiffahrtsobergerichtes Nürnberg

 Az.: 9 U 1141/15 BSch bezüglich des Endurteiles Schiffahrtsgericht Regensburg vom 13. Mai 2015, Az.: 4 C 1710/14 BSch (dieses ist nach Zurücknahme der Berufung rechtskräftig)

Anmerkung der Redaktion:

Die Verfügung und das Urteil sind prozessrechtlich und materiellrechtlich interessant: Zunächst hat das Schiffahrtsobergericht Nürnberg klargestellt, dass die rechtskräftige Verurteilung eines Schiffsführers nicht dazu führt, dass auch die Verurteilung des Schiffseigners in erster Instanz rechtskräftig wird. Materiellrechtlich ist die adjektizische Haftung des Schiffseigners von einem Besatzungsverschulden abhängig. Legt der in erster Instanz verurteilte Schiffsführer keine Berufung ein, so führt das nicht dazu, dass dem Schiffseigner die Berufungsinstanz nicht mehr offen stünde. Es wäre also denkbar, dass die zweite Instanz zu einer hinsichtlich des Besatzungsverschuldens abweichenden Entscheidung kommt. Dann würde der Schiffsführer, der keine Berufung eingelegt hat, haften, der Schiffseigner aber mangels Besatzungsverschulden nicht. Deshalb ist in der Praxis immer darauf zu achten, dass der Schiffseigner dafür Sorge trägt, dass der Schiffsführer oder ein Besatzungsmitglied selbst auch Berufung einlegt, zum Beispiel wenn dieser durch einen anderen Rechtsanwalt als der Schiffseigner vertreten ist. Materiell-rechtlich haben sich beide Gerichte zur Abgrenzung von Überholen und Begegnen geäußert, was Anlass für die folgenden Anmerkungen ist. Überholmanöver und Begegnung sind sehr häufig die Ursache für Havarien. In zahllosen Entscheidungen haben die Schiffahrtsgerichte zu diesen nautischen Situationen grundlegende Entscheidungen gefällt. Der vorliegende Hinweis in der Verfügung des Schiffahrtsobergerichtes ist in Bezug auf ein Urteil des Schiffahrtsgerichtes Regensburg ergangen und hat dazu geführt, dass die Beklagte die Berufung gegen das Urteil des Schiffahrtsgerichtes Regensburg zurückgenommen hat, das damit rechtskräftig geworden ist. Nicht das haftungsrechtliche Ergebnis, sehr wohl aber die rechtliche Begründung ist ein Kuriosum. Bei genauerer Betrachtung des entschiedenen Sachverhaltes ist die rechtliche Begründung des Urteiles zahlreichen grundlegenden Bedenken ausgesetzt: Die nautische Situation war kurios, keineswegs aber ungewöhnlich. Beschädigt wurden das am rechten Ufer der Donau stillliegende FGS »Sissi« sowie der Steiger, an dem dieses Fahrgastschiff lag. Ursache für die Anfahrung war nach den Feststellungen des erstinstanzlichen Gerichtes, dass das bergfahrende FGS »Scenic Crystal«, das im Begriff war, am Stilllieger vorbeizufahren, mit seinem Heck nach backbord gedreht und deshalb FGS »Sissi« berührt und beschädigt hat. Dieses Manöver des FGS »Scenic Crystal« war ausgelöst worden durch ein Manöver des MS »Gisela«, das sich von einem bergwärts des FGS »Sissi« ebenfalls am rechten Ufer liegenden Steiger aus Kopf zu Berg sackenließ. Durch dieses Manöver des MS »Gisela« wurde nach den Feststellungen des erstinstanzlichen Gerichtes FGS »Scenic Crystal« gezwungen, zum linken Ufer auszuweichen, so dass es zur Berührung und Beschädigung des Stillliegers kam. Inhaltlich kommt das Schiffahrtsobergericht Nürnberg zu dem Ergebnis, dass das Manöver des MS »Gisela« unzulässig und ursächlich für die Havarie zwischen FGS »Scenic Crystal« und FGS »Sissi« gewesen sei, so dass MS »Gisela« den Schaden zu ersetzen habe. Soweit so gut. Interessant und höchst problematisch ist aber die rechtliche Begründung der Entscheidung: Das Schiffahrtsgericht Regensburg und ihm folgend das Schiffahrtsobergericht Nürnberg führen aus, dass MS »Gisela« rechtlich als Talfahrer zu behandeln und das Passieren des FGS »Scenic Crystal« an MS »Gisela« als Begegnung und nicht als Überholmanöver anzusehen sei. Daraus folgt, dass der Bergfahrer FGS »Scenic Crystal« die Begegnung zu weisen und dem Talfahrer einen geeigneten Talweg freizulassen hat. Ein Talfahrer hat die Begegnungsweisung zu bestätigen und den gewiesenen Talweg zu nehmen. Im vorliegenden Fall hat FGS »Scenic Crystal« bergfahrend keine blaue Tafel gezeigt und damit eine Begegnung backbord/backbord gewiesen. Eine Begegnung backbord/backbord war aber nautisch unmöglich, da FGS »Scenic Crystal« und MS »Gisela« beide Kopf zu Berg lagen, die Backbordseite des FGS »Scenic Crystal« passiert also sicher die Steuerbordseite und auf keinen Fall die Backbordseite des MS »Gisela«, Passage backbord an steuerbord. Auf allen Schiffen der Welt (zu Wasser, in der Luft und im Weltraum) ist steuerbord die in Richtung Bug gesehene rechte Seite des Schiffes. Sie wird nicht zu Backbord, wenn das Schiff rückwärts fährt. Das Schiffahrtsobergericht Nürnberg hat also eine neue Begegnungsweise entdeckt, die Begegnung backbord/steuerbord. Zu dieser neuen Begegnungsweise stellen sich eine Reihe interessanter Fragen:

 Würde der Bergfahrer die blaue Tafel zeigen, dann müsste MS »Gisela« die blaue Tafel ebenfalls zeigen, um die Weisung des Bergfahrers für steuerbord/steuerbord zu bestätigen. Würde MS »Gisela« die blaue Tafel (notgedrungen auf der scheinbar falschen Seite) zeigen, müsste es auch steuerbord/steuerbord begegnen, was aber nautisch unmöglich ist, denn dazu müsste es vor der Begegnung aufdrehen. Wie also soll der faktische Talfahrer die Begegnungsweisung bestätigen und wie soll er sie befolgen? Was geschieht, wenn der faktische Talfahrer über Funk anfragt, ob er backbord/backbord oder steuerbord/steuerbord begegnen soll? Kann er darauf zählen, dass er vom Bergfahrer als faktischer Talfahrer erkannt wird mit der Folge, dass aus backbord scheinbar steuerbord wird und umgekehrt? Kann der Bergfahrer überhaupt einen geeigneten Talweg backbord/backbord freilassen, wenn doch der faktische Talfahrer tatsächlich nur backbord/steuerbord begegnen kann? Muss der faktische Talfahrer bei Nacht, um deutlich zu machen, dass steuerbord jetzt backbord ist, die Positionslampen austauschen? Müssen die Positionslampen umgedreht werden, da das Heck ja jetzt der Bug ist? Was geschieht mit dem Topplicht/bei einem Schubverband mit dem sogenannten »Tannenbaum«, dem Zeichen nach § 3.10 I a.) RheinSchPV/§ 2.2.3. DonauSchPV? Müssen diese Lampen nach achtern zum Heck (= faktischer Bug) getragen werden? Was ist, wenn der Schubverband in dieser Situation ständig macht? – (2 Tannenbäume?) Juristisch mag die Subsumtion in vorliegendem Urteil und Beschluss äußerlich richtig erscheinen, nautisch ist sie es mit Sicherheit nicht. Nautisch handelt es sich bei der Passage des FGS »Scenic Crystal« mit seiner Backbordseite an der Steuerbordseite des ebenfalls Kopf zu Berg fahrenden MS »Gisela« um einen Überholvorgang. So bliebe es auch bei einem Überholvorgang, wenn zum Beispiel zwei Bergfahrer beide langsamer als die Strömung des Rheinstromes oder der Donau sind, also beide Schiffe sich über Grund zu Tal bewegen, das eine Schiff aber immer noch schneller durch das Wasser fährt als das andere. Deshalb bleibt es vorliegend bei der Pflichtenverteilung für das Überholen. Das Überholen ist nur zulässig, wenn es gefahrlos möglich ist, der Überholte muss den Überholvorgang unterstützen. Im vorliegenden Fall wäre daher zu fordern gewesen, dass FGS »Scenic Crystal« notfalls sich ebenfalls sacken lässt oder rechtzeitig ständig macht, um die Vorbeifahrt des FGS »Scenic Crystal am Stilllieger und das Überholen des bergfahrenden MS »Gisela« an dieser Stelle zu vermeiden, oder MS »Gisela« anruft und auffordert, das Überholen dadurch zu unterstützen, dass MS »Gisela« im Strom ständig macht. Eine Begegnung backbord/steuerbord gibt es nicht, ebenso wenig gibt es einen faktischen Talfahrer oder einen faktischen Bug. Dabei spielt es auch keine Rolle, ob die Maschine des Bergfahrers, der sich sacken lässt, vorwärts oder rückwärts läuft. Die neue Begegnungsweise backbord/steuerbord, die entdeckt wurde, ist wohl doch nur das Ungeheuer von Loch Ness. Selbst wenn noch so viele Leute es gesehen haben wollen, es gibt dieses Ungeheuer nicht.

Rechtsanwalt Dr. Martin Fischer,

Frankfurt am Main

Aus den Gründen:

Hinsichtlich des Drittwiderbeklagten K ist das Endurteil des Amtsgerichts – Schifffahrtsgericht – Regensburg vom 13.05.2015 rechtskräftig ... Nach dieser Entscheidung des Schifffahrtsgerichts hat der Drittwiderbeklagte an die Beklagte und Widerklägerin 7.440,00 € nebst Zinsen zu zahlen. Er haftet für den der Widerklägerin entstandenen Schaden gemäß §§ 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6.03 Nr. 3, 6.14, 6.13 Nr. 1 DonauSchPV, BinSchG. Die Rechtskraft der Entscheidung gegen den Drittwiderbeklagten erstreckt sich allerdings trotz der materiell-rechtlichen Abhängigkeit der Ansprüche der Beklagten gegen den Drittwiderbeklagten einerseits und gegen die Klägerin andererseits nicht auf die Klägerin, denn die Rechtskraft einer klagestattgebenden Entscheidung wirkt nur inter partes. Die Frage der Haftung auch der Klägerin für den Schaden der Beklagten bzw. die Frage der Begründetheit der gegenläufigen Klage sind gesonderter Prüfung zugänglich ...Das Schiffahrtsgericht hat seinem Urteil folgenden Sachverhalt zugrunde gelegt: Am 11.05.2013 kurz nach 18.05 Uhr kam es zwischen dem am Anlegesteig A 11 am rechten Donauufer in Passau bei Donaukilometer 2.226,280 festgemachten Fahrgastschiff (im Folgenden: FGS) »Sissi«, das im Eigentum der Klägerin steht, und dem im Eigentum der Beklagten stehenden FGS »Scenic Crystal«, das zu Berg fuhr, zu einem Zusammenstoß, wodurch beide Schiffe und der Anlegesteig A 11 beschädigt wurden. Der Schaden an Sissi« betrug 15.400,00 €‚ derjenige am Anleger 9.900,00 €. Der Schaden am Schiff »Scenic Crystal« belief sich auf 4.580,00 €. Vorangegangen war, dass das FGS »Scenic Crystal« dem rückwärtsfahrenden FGS »Gisela« (ebenfalls Eigentum der Klägerin), das vom Drittwiderbeklagten K als Schiffsführer gesteuert wurde und gerade vom Anlegesteig A 12 bei km 2.226,500 abgelegt hatte, nach Steuerbord in Richtung des linken Ufers ausgewichen war. Der Drittwiderbeklagte K hatte dem Schiffsführer des FSG »Scenic Crystal«, dem Zeugen T, über Funk mitgeteilt, er fahre von Donau-km 26,4 – 26.0 über Heck. Durch seinen Kurs nach Steuerbord wollte »Scenic Crystal« das »FSG »Gisela« an dessen rechter Seite (Steuerbord) passieren. Während es zur Berührung der beiden sich aufeinander zu bewegenden Schiffe nicht gekommen ist, kollidierte das FSG »Scenic Crystal« durch die weitere Drehung nach Steuerbord mit seinem Heck mit der Steuerbordseite des FSG »Sissi«. Dieser Sachverhalt ist zwischen den Parteien unstreitig. Das Schifffahrtsgericht ist weiter davon ausgegangen, dass der Drittwiderbeklagte K mit dem Schiff »Gisela« seine Kurshaltepflicht verletzt und durch pflichtwidriges Verhalten als Schiffsführer das Ausweichmanöver des FSG »Scenic Crystal« und den Zusammenstoß mit dem »Sissi« schuldhaft verursacht hat, während das Schiff der Beklagten dem FSG »Gisela‘ unvorhersehbar ausweichen musste und es ohne den Fahrfehler des Drittwiderbeklagten dessen Schiff problemlos hätte passieren können. Daraus hat das Erstgericht zutreffend die Haftung des Drittwiderbeklagten (s.o.) auf Ersatz des Schadens der Beklagten hergeleitet und desweiteren die Ersatzpflicht der Klägerin als Eignerin des Schiffes »Gisela« auf §§ 92 Abs. 2, 92 b BinSchG gestützt. Damit korrespondierend hat es die Haftung der Beklagten für den Klägerseits entstandenen Schaden von »Sissi« und am Anleger A 11 mangels schuldhaften Navigierens des Schiffsführers T abgelehnt und die Klage abgewiesen ... Das Schifffahrtsgericht hat zu Recht vorausgesetzt, dass es sich nicht um einen Überhol-Vorgang, sondern um einen Begegnungsverkehr zwischen den Schiffen »Scenic Crystal« und »Gisela« handelte. Gemäß § 6.01 Nr. 2 DonauSchPV ist Begegnen (a) wie folgt definiert: Wenn zwei Fahrzeuge direkt entgegengesetzte oder fast entgegengesetzte Kurse fahren. Überholen (b) ist wie folgt beschrieben: Wenn ein Fahrzeug (Überholender) sich einem anderen in Fahrt befindlichen Fahrzeug (Vorausfahrender) in einem Winkel von mehr als 22,5 Grad hinter der Querlinie des Letzteren nähert und an ihm vorbeifährt. Nach § 6.03 Nr. 1 DonauSchPV ist sowohl das Begegnen als auch das Überholen nur gestattet, wenn das Fahrwasser unter Berücksichtigung aller örtlichen Umstände und des übrigen Verkehrs hinreichenden Raum für die Vorbeifahrt gewährt. Nach § 6.03 Nr. 3 DonauSchPV dürfen Fahrzeuge, deren Kurse jede Gefahr eines Zusammenstoßes ausschließen, beim Begegnen oder Überholen ihren Kurs oder ihre Geschwindigkeit nicht in einer Weise ändern, die die Gefahr eines Zusammenstoßes herbeiführen könnte. § 6.03 Nr. 4 DonauSchPV bestimmt, dass das Begegnen nur gestattet ist, wenn der Schiffsführer sich überzeugt hat, dass es ohne Gefahr für andere Fahrzeuge durchgeführt werden kann. Schließlich bestimmt § 6.04 DonauSchPV, dass beim Begegnen der Bergfahrer unter Berücksichtigung der örtlichen Umstände und des übrigen Verkehrs dem Talfahrer einen geeigneten Weg freilassen muss (Nr. 1) und dass Bergfahrer, die Talfahrer an Backbord vorbeifahren lassen, kein Zeichen zu geben haben (Nr. 2). Gemäß § 6.14 i.V.m. 6.13 Nr. 1 DonauSchPV dürfen Fahrzeuge, die ihren Liege- oder Ankerplatz verlassen, ohne zu wenden, dies nur tun, nachdem sie sich vergewissert haben, dass der übrige Verkehr dies ohne Gefahr zulässt und andere Fahrzeuge nicht gezwungen werden, unmittelbar ihren Kurs oder ihre Geschwindigkeit zu ändern und sie haben Schallzeichen zu geben. § 6.19 Nr. 1 DonauSchPV verbietet das Treibenlassen, mit Ausnahme kleiner Bewegungen auf Liege-, Lade- und Löschstellen und regelt in Nr. 2, dass als Bergfahrer – und nicht als Treibender – gilt, wer sein Schiff Bug zu Berg mit im Vorwärtsgang laufender Antriebsmaschine zu Tal bewegt. Auch nach Auffassung des Senats liegt kein Überholvorgang vor, sondern ein Begegnungsvorgang. Das FSG »Scenic Crystal« fuhr unstreitig zu Berg, das FSG »Gisela« fuhr faktisch – wenn auch nur kurze Zeit – rückwärts, also mit Heck zu Tal. Es gilt auch nicht als »fiktiver« Bergfahrer nach § 6.19 Nr. 2 DonauSchPV, denn von der Richtigkeit der Angaben des Drittwiderbeklagten, er sei nicht zurückgefahren, sondern habe gewartet, ist gerade nicht auszugehen (s.o.). Damit fuhren die Schiffe (fast) entgegengesetzte Kurse im Sinne des § 6.01 Nr. 2 a) DonauSchPV. Aufgrund der Beweisaufnahme steht weiter fest, dass der Schiffsführer des FSG »Scenic Crystal« (Bergfahrer) dem faktischen Talfahrer, dem FSG »Gisela«, einen geeigneten Weg freigelassen hatte und das Passieren kollisionsfrei vonstatten gegangen wäre, wenn »Gisela« nicht eine Kursänderung mit dem Heck nach Steuerbord durchgeführt hätte. Beim Verlassen des Liegeplatzes A 12 hatte sich der Drittwiderbeklagte nicht ausreichend vergewissert, dass dies ohne Gefahr für andere Fahrzeuge möglich ist, vielmehr war »Scenic Crystal« zur Kursänderung nach Steuerbord gezwungen worden ...

Mitgeteilt durch Rechtsanwalt Fink v. Waldstein

Verfügung des Schiffahrtsobergerichtes Nürnberg

Az.: 9 U 1141/15 BSch

bezüglich des Endurteiles Schiffahrtsgericht Regensburg vom 13. Mai 2015, Az.: 4 C 1710/14 BSch (dieses ist nach Zurücknahme der Berufung rechtskräftig)

Hinweise:

Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Amtsgerichts –Schifffahrtsgericht – Regensburg vom 13.05.2015 (Az. 4 0 1710/14 Bsch) gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen, weil sie offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat und die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nicht vorliegen.

Gründe:

Der Vortrag der Klägerin und Widerbeklagten in der Berufung ist nicht geeignet, die Feststellungen des Amtsgerichts – Schifffahrtsgericht – Regensburg in Frage zu stellen.

1. Hinsichtlich des Drittwiderbeklagten K ist das Endurteil des Amtsgerichts – Schifffahrtsgericht –Regensburg vom 13.05.2015 rechtskräftig. Auf den Beschluss des Senats vom 05.10.2015 wird Bezug genommen. Nach dieser Entscheidung des Schifffahrtsgerichts hat der Drittwiderbeklagte an die Beklagte und Widerklägerin 7.440,00 € nebst Zinsen zu zahlen. Er haftet für den der Widerklägerin entstandenen Schaden gemäß §§ 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6.03 Nr. 3, 6.14, 6.13 Nr. 1 DonauSchPV, BinSchG. Die Rechtskraft der Entscheidung gegen den Drittwiderbeklagten erstreckt sich allerdings trotz der materiell-rechtlichen Abhängigkeit der Ansprüche der Beklagten gegen den Drittwiderbeklagten einerseits und gegen die Klägerin andererseits nicht auf die Klägerin, denn die Rechtskraft einer klagestattgebenden Entscheidung wirkt nur inter partes. Die Frage der Haftung auch der Klägerin für den Schaden der Beklagten bzw. die Frage der Begründetheit der gegenläufigen Klage sind gesonderter Prüfung zugänglich.

2. Die vom Schifffahrtsgericht Regensburg zu der Bootskollision vom 11.05.2013 getroffenenFeststellungen geben das Ergebnis der Beweisaufnahme vollständig und richtig wieder.

a) Das Schifffahrtsgericht hat seinem Urteil folgenden Sachverhalt zugrunde gelegt: Am 11.05.2013 kurz nach 18.05 Uhr kam es zwischen dem am Anlegesteig A 11 am rechten Donauufer in Passau bei Donaukilometer 2.226,280 festgemachten Fahrgastschiff (im Folgenden: FGS) »Sissi«, das im Eigentum der Klägerin steht, und dem im Eigentum der Beklagten stehenden FGS »Scenic Crystal«, das zu Berg fuhr, zu einem Zusammenstoß, wodurch beide Schiffe und der Anlegesteig A 11 beschädigt wurden. Der Schaden an Sissi« betrug 15.400,00 €‚ derjenige am Anleger 9.900,00 €. Der Schaden am Schiff »Scenic Crystal« belief sich auf 4.580,00 €. Vorangegangen war, dass das FGS »Scenic Crystal« dem rückwärtsfahrenden FGS »Gisela« (ebenfalls Eigentum der Klägerin), das vom Drittwiderbeklagten K als Schiffsführer gesteuert wurde und gerade vom Anlegesteig A 12 bei km 2.226,500 abgelegt hatte, nach Steuerbord in Richtung des linken Ufers ausgewichen war. Der Drittwiderbeklagte K hatte dem Schiffsführer des FSG »Scenic Crystal«, dem Zeugen T, über Funk mitgeteilt, er fahre von Donau-km 26,4 – 26.0 über Heck. Durch seinen Kurs nach Steuerbord wollte »Scenic Crystal« das »FSG »Gisela« an dessen rechter Seite (Steuerbord) passieren. Während es zur Berührung der beiden sich aufeinander zu bewegenden Schiffe nicht gekommen ist, kollidierte das FSG »Scenic Crystal« durch die weitere Drehung nach Steuerbord mit seinem Heck mit der Steuerbordseite des FSG »Sissi«. Dieser Sachverhalt ist zwischen den Parteien unstreitig. Das Schifffahrtsgericht ist weiter davon ausgegangen, dass der Drittwiderbeklagte K mit dem Schiff »Gisela« seine Kurshaltepflicht verletzt und durch pflichtwidriges Verhalten als Schiffsführer das Ausweichmanöver des FSG »Scenic Crystal« und den Zusammenstoß mit dem »Sissi« schuldhaft verursacht hat, während das Schiff der Beklagten dem FSG »Gisela› unvorhersehbar ausweichen musste und es ohne den Fahrfehler des Drittwiderbeklagten dessen Schiff problemlos hätte passieren können. Daraus hat das Erstgericht zutreffend die Haftung des Drittwiderbeklagten (s.o.) auf Ersatz des Schadens der Beklagten hergeleitet und desweiteren die Ersatzpflicht der Klägerin als Eignerin des Schiffes »Gisela« auf §§ 92 Abs. 2, 92 b BinSchG gestützt. Damit korrespondierend hat es die Haftung der Beklagten für den Klägerseits entstandenen Schaden von »Sissi« und am Anleger A 11 mangels schuldhaften Navigierens des Schiffsführers T abgelehnt und die Klage abgewiesen. Die tatsächlichen Feststellungen fußen auf der Beweisaufnahme. Das Schifffahrtsgericht hat den Drittwiderbeklagten als Kapitän des FSG »Gisela« angehört und die Zeugen T, G und V und vernommen. Der Senat schließt sich der zutreffenden Beweiswürdigung des Amtsgerichts an. Danach fuhr der Drittwiderbeklagte das Schiff »Gisela«, wie er zuvor dem Zeugen T über Funk mitgeteilt hatte, tatsächlich »über Heck«, d.h. rückwärts, zu Tal, woraufhin das FSG »Scenic Crystal« an der Steuerbordseite der »Gisela« vorbeifahren wollte: Weil »Gisela« dem »Scenic Crystal« rückwärts mit dem Heck nach Steuerbord entgegen kam, änderte dieses seinen Kurs stark nach Steuerbord und touchierte schließlich das FSG. ‚Sissi«. Dies ergibt sich zweifelsfrei aus den in sich widerspruchsfreien, eindeutigen und überzeugenden Schilderungen der Zeugen T und G. Während der Zeuge T, der Steuermann des FGS »Scenic Crystal«, angegeben hat, aufgrund fehlender Wahrnehmungen zum Schraubenwasser keine Angaben darüber machen zu können, ob »Gisela« rückwärts gefahren ist oder sich nur hat treiben lassen, hat der Zeuge G, der auf »Scenic Crystal« als Ausguck fungierte, bekundet, die Rückwärtsfahrt des »Gisela« beobachtet zu haben. Er erklärte, »Gisela« sei mit Maschinenkraft rückwärtsgefahren. Dies habe er am Wasser und an den Turbulenzen erkannt. Deswegen habe er dem Zeugen T auch gesagt, er solle nach rechts ausweichen. Dies passt zu den Angaben des Zeugen Veselinov, Kapitän der »Scenic Crystal«, der ausgesagt hat, er habe über die Kamera unmittelbar vor der Kollision das Heck des Schiffes »Gisela« und dessen Backbordseite gesehen. Die diesen Angaben widersprechende Auskunft des Drittwiderbeklagten K, er sei nicht zurückgefahren, sondern habe die ganze Zeit abgewartet, ist insoweit nicht glaubhaft. Dies ergibt sich auch aus der Diskrepanz dieser Angabe zu derjenigen gegenüber seinem Havariebericht vom 22.05.2013, wonach er sich hat zu Tal treiben lassen, während er in seiner polizeilichen Zeugenvernehmung am 15.05.2013 behauptete, er habe das Schiff ständig gemacht, laviert und abgewartet.

b) Das Schifffahrtsgericht hat zu Recht vorausgesetzt, dass es sich nicht um einen Überhol-Vorgang, sondern um einen Begegnungsverkehr zwischen den Schiffen »Scenic Crystal« und »Gisela« handelte. Gemäß § 6.01 Nr. 2 DonauSchPV ist Begegnen (a) wie folgt definiert: Wenn zwei Fahrzeuge direkt entgegengesetzte oder fast entgegengesetzte Kurse fahren. Überholen (b) ist wie folgt beschrieben: Wenn ein Fahrzeug (Überholender) sich einem anderen in Fahrt befindlichen Fahrzeug (Vorausfahrender) in einem Winkel von mehr als 22,5 Grad hinter der Querlinie des Letzteren nähert und an ihm vorbeifährt. Nach § 6.03 Nr. 1 DonauSchPV ist sowohl das Begegnen als auch das Überholen nur gestattet, wenn das Fahrwasser unter Berücksichtigung aller örtlichen Umstände und des übrigen Verkehrs hinreichenden Raum für die Vorbeifahrt gewährt. Nach § 6.03 Nr. 3 DonauSchPV dürfen Fahrzeuge, deren Kurse jede Gefahr eines Zusammenstoßes ausschließen, beim Begegnen oder Überholen ihren Kurs oder ihre Geschwindigkeit nicht in einer Weise ändern, die die Gefahr eines Zusammenstoßes herbeiführen könnte. § 6.03 Nr. 4 DonauSchPV bestimmt, dass das Begegnen nur gestattet ist, wenn der Schiffsführer sich überzeugt hat, dass es ohne Gefahr für andere Fahrzeuge durchgeführt werden kann. Schließlich bestimmt § 6.04 DonauSchPV, dass beim Begegnen der Bergfahrer unter Berücksichtigung der örtlichen Umstände und des übrigen Verkehrs dem Talfahrer einen geeigneten Weg freilassen muss (Nr. 1) und dass Bergfahrer, die Talfahrer an Backbord vorbeifahren lassen, kein Zeichen zu geben haben (Nr. 2). Gemäß § 6.14 i.V.m. 6.13 Nr. 1 DonauSchPV dürfen Fahrzeuge, die ihren Liege- oder Ankerplatz verlassen, ohne zu wenden, dies nur tun, nachdem sie sich vergewissert haben, dass der übrige Verkehr dies ohne Gefahr zulässt und andere Fahrzeuge nicht gezwungen werden, unmittelbar ihren Kurs oder ihre Geschwindigkeit zu ändern und sie haben Schallzeichen zu geben. § 6.19 Nr. 1 DonauSchPV verbietet das Treibenlassen, mit Ausnahme kleiner Bewegungen auf Liege-, Lade- und Löschstellen und regelt in Nr. 2, dass als Bergfahrer – und nicht als Treibender – gilt, wer sein Schiff Bug zu Berg mit im Vorwärtsgang laufender Antriebsmaschine zu Tal bewegt. Auch nach Auffassung des Senats liegt kein Überholvorgang vor, sondern ein Begegnungsvorgang. Das FSG »Scenic Crystal« fuhr unstreitig zu Berg, das FSG »Gisela« fuhr faktisch – wenn auch nur kurze Zeit – rückwärts, also mit Heck zu Tal. Es gilt auch nicht als »fiktiver« Bergfahrer nach § 6.19 Nr. 2 DonauSchPV, denn von der Richtigkeit der Angaben des Drittwiderbeklagten, er sei nicht zurückgefahren, sondern habe gewartet, ist gerade nicht auszugehen (s.o.). Damit fuhren die Schiffe (fast) entgegengesetzte Kurse im Sinne des § 6.01 Nr. 2 a) DonauSchPV. Aufgrund der Beweisaufnahme steht weiter fest, dass der Schiffsführer des FSG »Scenic Crystal« (Bergfahrer) dem faktischen Talfahrer, dem FSG »Gisela«, einen geeigneten Weg freigelassen hatte und das Passieren kollisionsfrei vonstatten gegangen wäre, wenn »Gisela« nicht eine Kursänderung mit dem Heck nach Steuerbord durchgeführt hätte. Beim Verlassen des Liegeplatzes A 12 hatte sich der Drittwiderbeklagte nicht ausreichend vergewissert, dass dies ohne Gefahr für andere Fahrzeuge möglich ist, vielmehr war »Scenic Crystal« zur Kursänderung nach Steuerbord gezwungen worden. Diese Voraussetzungen, nämlich die Verursachung des Schiffsunfalls durch den Schiffsführer (Drittwiderbeklagten) und dessen nautisches Verschulden, hat die Beklagte und Widerklägerin als insoweit darlegungs- und beweisbelastete Partei bewiesen. Der Klägerin ist es indes nicht gelungen, die gegenteiligen Voraussetzungen, nautisches Verschulden des Schiffsführers des »Scenic Crystal«, zu beweisen. Damit ergibt sich eine Verantwortlichkeit der Beklagten für den klägerseits entstandenen Schaden nicht, sodass die Klage zu Recht abgewiesen wurde, während die neben dem Drittwiderbeklagten für den beklagtenseits entstandenen Schaden einstandspflichtig ist. Zurechnungsnorm ist § 92 b BinSchG. Nach dieser Vorschrift ist der Schiffseigner im Falle einer (unmittelbaren oder mittelbaren) Schiffskollision (§ 92 Abs.1 bzw. Abs. 2 BinSchG) zum Ersatz des Schadens verpflichtet, den die Besatzung eines der beteiligten Schiffe schuldhaft herbeigeführt hat. Es handelt es sich hierbei, ebenso wie bei der Generalhaftungsnorm des § 3 Abs. 1 BinSchG, der gegenüber § 92 b BinSchG lex specialis ist, nicht um eine selbständige Haftungsgrundlage, sondern uni eine Zurechnungsnorm, nach der der Schiffseigner nicht für eigenes, sondern für Fremdverschulden (hier des Drittwiderbeklagten) adjektizisch einzustehen hat. Das Berufungsvorbringen der Klägerin bietet keinen Anlass, an der Richtigkeit der Feststellungen des Erstgerichts, an der Beweiswürdigung und an der Richtigkeit der rechtlichen Einordnung des Schiffsverkehrs zu zweifeln.Die Klägerin ist der Auffassung, es habe sich nicht um einen Fall des Begegnungsverkehrs gehandelt, sondern um einen Überholvorgang. Das FGS »Scenic Crystal« habe als Überholender besondere nautische Sorgfalt an den Tag legen müssen. Es seien an einen gefahrlosen Überholvorgang höhere Hürden zu stellen als an die Sorgfalt im Begegnungsverkehr. Zutreffend ist, dass § 6.09 DonauSchPV regelt, dass das Überholen nur gestattet ist, nachdem sich der Überholende vergewissert hat, dass dieses Manöver ohne Gefahr ausgeführt werden kann. Daraus ergibt sich jedoch keine andere Einschätzung der Rechte und Pflichten der hier beteiligten Schiffe zueinander. Auch das Begegnen ist (wie bereits dargelegt) nur gestattet, wenn der Schiffsführer sich überzeugt hat, dass es ohne Gefahr für andere Fahrzeuge durchgeführt werden kann, § 6.03 Nr. 4 DonauSchPV. Beide Vorschriften würden dem Führer des FGS »Scenic Crystal« die gleichen Sorgfaltspflichten abverlangen. Letztlich ist es nicht entscheidungserheblich, ob die Schiffe »Scenic Crystal« und »Gisela« sich begegneten oder »Scenic Crystal« das FGS Gisela überholte. Ein relevanter Fahr- oder Manöverfehler des »Scenic Crystal« ist nicht zu erkennen. Auf die Beantwortung der von der Berufung aufgeworfenen Frage, ob der Zeuge T nur Steuermann! Rudergänger oder zugleich auch verantwortlicher Schiffsführer des FGS »Scenic Crystal« 1. S. d § 1.02 DonauSchPV war, kommt es nach Auffassung des Senats im vorliegenden Zusammenhang nicht entscheidend an. Auch die Verkehrspolizei Passau ist ausweislich der Ermittlungsakten (Az: 13 Js 8965/13) davon ausgegangen, dass der Zeuge Schiffsführer war. Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil vom 13.05.2015 ist daher offensichtlich unbegründet. Die Parteien erhalten Gelegenheit, binnen zwei Wochen zu diesem Hinweis Stellung zu nehmen. Der Senat weist darauf hin, dass höhere Gebühren auch dann entstehen, wenn er zur Begründung der Entscheidung nach § 522 Abs. 2 Satz 3 ZPO nur auf den vorstehenden Hinweis Bezug nimmt. Er empfiehlt deshalb der Klägerin und Widerbeklagten, die Berufung zur Vermeidung höherer Kosten zurückzunehmen.

Mitgeteilt durch Rechtsanwalt Fink v. Waldstein, Mannheim

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2015 - Nr.12 (Sammlung Seite 2399 ff.); ZfB 2015, 2399 ff.