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70 Z - 8/77 - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 25.05.1977
Aktenzeichen: 70 Z - 8/77
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt

Urteil

(Auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts Mannheim
  vom 28. Oktober 1976 - C 14/75 RhSeh -)

in der Sache

70 Z - 8/77

hat die Berufungskammmer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt in Strasbourg nach öffentlicher Verhandlung in der Sitzung vom 25. Mai 1977, an welcher als Richter teilgenommen haben die Herren QUANJARD (Vorsitzender), BONET-MAURY, MÜLLER, VREEDE, SCHMITZ und Anwesenheit des Gerichtskanzlers Herrn DOERFLINGER, gestützt auf die Artikel 37 und 45 bis der Revidierten Rheinsthiffahrtsakte vom 17. Oktober 1868, in der Fassung vom 20. November 1963, folgendes Urteil gefällt:

Es wird bezug genommen auf:

1. Das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichtes in Mannheim vom 28.10.1976,

2. auf die Berufungsschrift der Klägerin vom 3.12.1976 und auf deren Berufungsbegründung vom 27.12.1976,

3. auf die Berufungserwiderung der Beklagten vom 7.1.1977,

4. auf die. Akten C 14/76 des Rheinschiffahrtsgerichts in Mannheim.

Tatbestand:

Am 14. Januar 1974 hatte das MS "C" des Beklagten zu 1), dessen Führer der Beklagte zu 2) war, in einem von der Streitverkündeten unterhaltenen Kiesbaggerloch bei Beinheim im Elsass gelegen. Dabei hatte sich der Anker des Schiffes am Grunde verbackt, so dass er nicht gehoben werden konnte. Der Beklagte zu 2) slippte deshalb die Ankerkette, die seither mit dem Anker im Baggerloch lag. Der Vorfall wurde keiner zuständigen Behörde gemeldet. Die Lage des Ankers wurde auch nicht gekennzeichnet. Am 12. Februar 1974 lag das MS "O" der Klägerin in dem genannten Baggerloch vor Anker. Nachdem es beladen worden war, wurden die Anker gehoben und die Maschine im Gang gesetzt. Nach kurzer Fahrt im Baggerloch gab es einen harten Schlag am Heck, der zur Folge hatte, dass das Schiff dem Ruder nicht mehr ordnungsgemäss folgte. Mit Hilfe eines Tauchers wurde festgestellt, dass der Heckanker des MS "O" eine 40-60 m lange Kette gefischt hatte, die sich in doppelter Bucht um die Schiffsschraube gelegt hatte. Nachdem sie entfernt worden war, konnte das Schiff der Klägerin in Fahrt gehen; es musste aber am 21.2.1974 in Minden zur Schadensbesichtigung und Reparatur auf Helling genommen werden. Am 8.10.1974 befand es sich erneut in dem bereits erwähnten Baggerloch der Streitverkündeten. Dabei wurde unter Zuziehung eines Froschmannes nach Kette gesucht, welche die Havarie am 12.2.1974 herbeigeführt hatte. Schliesslich fand man eine Kette mit dem daran hängenden Anker. Beide gehörten zu dem MS "C" und waren am 14.1.1974 geslippt worden. Die Klägerin hat behauptet, die am 8.10.1974 gefundene Kette sei diejenige gewesen, die am 12.2.1974 um die Schraube ihres Schiffes gelegen habe. Sie hat weiter die Ansicht vertreten, es sei vorwerfbar, dass der Vorfall am 14.1.1974 keiner Behörde gemeldet worden sei, und dass der Beklagte zu 2) auch nicht die Stelle gekennzeichnet habe, wo Kette und Anker geslippt worden seien, denn beide hätten auf dem Grunde des Baggerloches liegend eine Gefahr für die Schiffahrt bedeutet. Ihren Schaden hat die Klägerin gestützt auf eine kontradiktorische Taxe und auf Rechnungen - auf DM 44.729,43 beziffert und beantragt,

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sieDM 44.729,43 nebst 4 % Zinsen von DM 40.573,70 seit dem 6.5.1974, von 3.107,73 seit dem 29.10.1974 und von DM 1.048, - seit Klageerhebung zu bezahlen, weiter auszusprechen, dass der Beklagte zu 1) im Rahmen des Binnenschiffahrtsgesetzes sowohl persönlich hafte als auch dinglich mit dem MS "C".

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie haben bestritten, dass die am 8.10.1974 gefischte Kette am 12.2.1.974 die Havarie des MS "O" herbeigerührt habe. Weiter haben sie ihre Verpflichtung geleugnet, den Vorfall vom 14.1.74 einer Behörde zu melden oder die Stelle zu kennzeichnen an der Kette und Anker ihres Schiffes geslippt worden seien. Sie haben behauptet, das Kiesbaggerloch sei bis zu 16 m tief gewesen, Deshalb hätte die auf seinem Grunde liegende Kette mit ihrem Anker keine Gefahr für die Schiffahrt sein können. Mit Rücksicht hierauf hätten auch keine Versuche unternommen werden müssen, Kette und Anker zu bergen. Schliesslich haben die Beklagten vorgetragen, etwaige Ersatzansprüche der Klägerin seien auf den Versicherer ihres Schiffes übergegangen.

Demgegenüber hat die Klägerin behauptet, ihr Versicherer habe ihr DM 19.022,95 gezahlt und ihr seinen Anspruch gegen die Beklagten in diese Höhe abgetreten. Sie hat eine Abtretungserklärung vorgelegt.

Das Rheinschiffahrtsgericht in Mannheim hat die Klage abgewiesen. Es hält einmal, nicht für dargetan, dass die Kette des MS "C" die Havarie des MS "O" herbeigeführt habe. Sodann stellt es fest, Kette und Anker des Schiffes der Beklagten hätten keine Gefahr für die Schiffahrt gebildet, weil sie auf dem Grunde eines zumindest 6 bis 7m tiefen Baggerloches gelegen hätten und selbst ein voll abgeladenes Schiff nur 3 bis 4 m tief liege. Mit Rücksicht hierauf seien die Beklagten nicht verpflichtet gewesen, Anker und Kette ihres Schiffes zu bergen oder ihren Verlust eine Behörde zu melden oder die Verluststelle zu kennzeichnen. Eine Meldepflicht könne insbesondere nicht aus § 1.12 Nr. 3 RSch PVO abgeleitet werden, denn sie sei dort nur normiert worden, um die Behörden in Stand zu setzen, ihrer Verkehrssicherungspflicht zu genügen, nicht aber um die Schiffahrttreibenden zu schützen. Schließlich stellt das Rheinschiffahrtsgericht fest, der Vorfall vom 14.1.1974 sei der für die Sicherheit im Baggerloch verantwortlichen Streitverkündeten von den Beklagten gemeldet worden.

Die Klägerin hat Berufung eingelegt.
Die Parteien wiederholen vor der Berufungskammer ihren Vortrag aus dem ersten Rechtszuge und nehmen zu den Ausführungen des Rheinschiffahrtsgerichtes Stellung.

Es beantragen:

1) Die Klägerin,
nach ihren im ersten Rechtszuge gestellten Schlussanträgen zu erkennen.

2 Die Beklagten,
die Berufung zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden.

1) Der Rechtsstreit ist eine Rheinschiffahrtssache, obschon sich die umstrittene Havarie nicht auf dem Rheinstrom, sondern in einem mit ihm direkt verbundenen Kiesbaggerloch zugetragen hat. Solche Baggerlöcher gehören zum Rhein, weil sie mit ihm unmittelbar verbunden sind. Der Rechtstreit ist auch seiner Natur nach eine Rheinschiffahrtssache, denn er beruht auf dem Vorwurf der Klägerin, die Beklagten hätten während eines Aufenthaltes ihres Schiffes im Baggerloch der Streitverkündeten dessen Kette und Anker in Verlust geraten lassen, hätten sich um die Bergung nicht gekümmert, die Verluststelle nicht gekennzeichnet und den Verlust keiner Behörde gemeldet. Der Beklagte zu 2) hat nach diesem Vortrag bei der bestimmungsgemässen Verwendung des von ihm geführten. Schiffes der Klägerin einen Schaden zugefügt. Für die Entscheidung solcher Streitigkeiten sind die Rheinschiffahrtsgerichte nach Art. 34 II c der Revidierten Rheinschiffahrtsakte zuständig, denn die dort gebrauchten Worte "während der Fahrt oder beim Anlanden" sind beispielhaft für die bestimmungsgemässe Schiffsverwendung zu verstehen (Hinweis auf das Urteil der Berufungskammer vom 15.2.1969 in Sachen Oberrhein Reederei und Kohlenhandel A.G. gegen Robert und Jean HOSTEN).

2) Das Rheinschiffahrtsgericht in Mannheim war örtlich zuständig, obschon sich die Havarie des MS "O" auf französischem Hoheitsgebiet ereignet hat mit der Folge, dass das zuständige französische Rheinschiffahrtsgericht gemäss Art. 35 der Revidierten Rheinschiffahrtsakte für die Entscheidung "kompetent" gewesen wäre. Artikel 35 dieser Akte gibt aber den Parteien die Möglichkeit, ein anderes Rheinschiffahrtsgericht anzurufen. Davon haben sie in der Form Gebrauch gemacht, dass die Klägerin die Klage vor dem Rheinschiffahrtsgericht in Mannheim erhoben hat, und dass die Beklagten sich rügelos auf diese Klage eingelassen haben.

II.

Die Entscheidung nach deutschem materiellen Recht, das mit dem entsprechenden französischen übereinstimmt, hat das folgende Ergebnis.

1) Verliert ein Schiff einen Anker oder eine Kette, so bilden diese auf der Flusssohle liegenden Gegenstände eine Gefahr für die Schiffahrt. Das zeigen die vielen Unfälle, welche darauf beruhen, dass solche Anke den Boden über sie hinwegfahrender Schiffe aufgerissen oder darauf,das solche Ketten Schiffsschrauben beschädigt haben. Solche Gefahren sind auf einem Strom besonders gross, weil das fliessende Wasser auf der Sohle liegende Gegenstände transportiert und dabei in Lagen bringt, die nicht voraussehbar sind. Anker und Ketten, die an Stromstellen verloren werden, wo sie wegen der Wassertiefe keine Gefahr für die Schiffahrt bilden, können deshalb auf ihrem Transport durch das Wasser zu einer solchen werden. In einem Baggerloch ist die Gefahrenlage nur teilweise anders. Hier bleiben verlorene Anker und Ketten in der Regel dort liegen, wo sie verloren wurden, weil kein fliessendes Wasser sie transportiert. Auf der anderen Seite sind in Baggerlöchern An- und Ablegmanöver von Schiffen besonders häufig. Dabei werden Anker zu Wasser gelassen und wieder gehoben, die mit auf der Sohle liegenden Ketten in Berührung kommen können. Das kann zur Folge haben, dass Anker solche Ketten fischen und sie beim Hochziehen mit nach oben heben. Mahlt in einem solchen Falle schon die Schraube des Schiffes, dessen Anker gehoben wird, so kann sich die gefischte Kette, die ja lose hängt, um sie herumlegen und sie beschädigen. Auch in Baggerlöchern sind deshalb auf dem Grunde liegende Anker und Ketten Gefahren für die Schiffahrt. Die gegenteilige Ansicht des Rheinschiffahrts gerichts Mannheim kann die Berufungskammer nicht übernehmen. Sie kann insbesondere nicht durch den Hinweis auf die Tiefe eines Baggerloches überzeugend begründet werden, denn die geschilderte Gefahr ist von dieser Tief unabhängig, wie ja auch der vorliegende Unfall zeigt.

2) Aus den vorausgegangen Ausführungen folgt, dass die allgemeine nautische Sorgfaltspflicht. (§ 1.04 RSchPVO) demjenigen Schiffer, dessen Schiff Anker und Kette in einem Baggerloch verloren hat, gebietet, beide Gegenstände so schnell wie möglich zu bergen, um eine von ihm geschaffene Gefahrenlage zu beseitigen. Die nautische Sorgfaltspflicht verlangt weiter, dass, falls die erörterte Bergung nicht sofort möglich ist, die Verluststelle durch einen Döpper gekennzeichnet wird, um zu verhindern, dass Schiffe hier ankern oder manövrieren (§ 1.12 Ziffer 3 RSchPVO kommt hinzu).

3) Es ist unstreitig, dass die Beklagten keine der dargelegten Pflichten erfüllt haben. Es war keine Erfüllung, wenn sie den Verlust von Anker und Kette der Streitverkündeten gemeldet haben sollten, ohne sich darum zu kümmern, was diese daraufhin veranlasste. Anders wär die Situation nur dann zu beurteilen, wenn die Streitverkündete auf die Meldung hin versprochen hätte, die kritische Stelle sofort zu kennzeichnen. Auf die Erfüllung eines solchen Versprechens hätten sich die Beklagten verlassen dürfen, Die Beklagten haben nicht behauptet, dass ihnen ein solches Versprechen gegeben worden sei. Die Streitverkündete hat nichts zur Kennzeichnung der Stelle getan wo Kette und Anker geslippt worden sind.

4) Auf der pflichtwidrigen Unterlassung der Beklagten beruht der am Schiff der Klägerin entstandene Schaden. Die in diesem Punkte vom Rheinschiffahrtsgericht Mannheim geäusserten Zweifel sind nicht gerechtfertigt. Es steht nicht fest, dass ausser dem MS "C" ein Schiff in dem Baggerloch der Streitverkündeten Kette und Anker verloren hat. über einen solchen Verlust fehlt jeder Vortrag. Er kann deshalb nicht unterstellt werden. Das gilt vor allem deshalb, weil es ausserordentlich selten vorkommt, dass ein Schiff einen seiner Anker mit der ganzen Kette, an der er hängt, verliert. Es geht nicht an, einen so aussergewöhnlichen Vorgang als denkbar anzunehmen, ohne dass der Vortrag der Parteien dazu irgendeinen Anlass gibt. Die Möglichkeit des Verlustes von Kette und Anker eines am vorliegenden Prozess nicht beteiligten Schiffes ist deshalb nichts als eine Hypothese, der für die Entscheidung nach deutschem Prozessrecht keine Bedeutung zukommt. Zu demselben Ergebnis führt die Erwägung, dass die Stelle des Verlustes von Kette und Anker und der Ort, wo beide gefunden wurden, nahe der Unfallstelle liegen. Es kann nicht angenommen werden, dass trotz dieses Umstandes die Kette des Schiffes der Beklagten nicht die Ursache der Havarie ist. Ob andere Gegenstände auf dem Grunde des Baggerloches gelegen haben, kann offen bleiben, denn es ist unstreitig (siehe den Tatbestand des angefochtenen Urteils), dass die Havarie des Schiffes der Klägerin durch eine 4O bis 60 m lang Kette verursacht worden ist. Unerheblich ist, dass die Kette des Schiffes der Beklagten nicht schon am Unfalltage als Schadensursache festgestellt worden ist. Das schloss eine spätere Feststellung nicht aus. Unerheblich ist auch die Tiefe des Baggerloches, da die Kette beim Hochziehen eines Anker mit gehoben worden ist. Einer Beweisaufnahme in diesem Punkte bedurfte es nichts da die Unfallursache nach den voraufgegangenen Darlegungen feststeht. Die Pflicht der Beklagten zum Ersatz des Unfallschadens folgt aus den §§ 3,4,7,114 des Binnenschiffahrtsgesetzes, die mit dem am Unfallort geltenden französischen Recht übereinstimmen.

5) Aus den voraufgegangenen Ausführungen folgt, dann die Klage vom Rheinschiffahrtsgericht Mannheim zu Unrecht abgewiesen worden ist. Da die eingeklagte Forderung auch der Höhe nach streitig ist, muss der Rechtsstreit nach § 538 I 3 der deutschen Zivilprozessordnung an, das Rhein, schiffahrtagericht in Mannheim zurückverwiesen werden. Die Berufungskammer muss sich auf die Feststellung beschränken, die Klage sei dem Grunde nach gerechtfertigt (§ 304 er deutschen Zivilprozessordnung). Diese Feststellung ist möglich, da ein Schaden der Klägerin in jedem Fall besteht. Sie hat durch Vorlage einer Urkunde nachgewiesen, dass sie von ihrem Kaskoversicherer nur Schadensersatz in Höhe von DM 19.022,95 erhalten hat. Nur in diesem Umfange ist deshalb ihr Ersatzanspruch gem. § 67 des   deutschen Versicherungsvertragsgesetzes auf den Versicherer übergegangen. In Höhe des Differenzbetrages zur Klagesumme ist er bei der Klägerin verblieben, so dass diese in jedem Falle einen Schaden geltend machen kann. Diese Feststellung rechtfertigt nach deutschem Prozessrecht, dass die Berufungskammer gemäss Art. 30 ihrer Verfahrensordnung anwenden kann, den Erlass eines Grundurteils. Im Streit über die Höhe der Forderung kann dann vor dem Rheinschiffahrtsgericht auch die Frage geklärt werden, ob der auf den Kaskoversicherer der Klägerin übergegangene Anspruch an diese wiederum abgetreten worden ist.

Es wird deshalb für Recht erkannt:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 28.10 1976 verkündete Urteil des Rheinschiffahrtsgerichtes in Mannheim dahin abgeändert, dass die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt wird.

Zur Verhandlung und Entscheidung über die Höhe der Klage wird der Rechtsstreit an das Rheinschiffahrtsgericht in Mannheim  zurückverwiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagten als  Gesamtschuldner.
 
Die Festsetzung dieser Kosten unter Berücksichtigung von Art. 39 der Revidierten Rheinschiffahrtsakte erfolgt durch das Rheinschiffahrtsgericht in Mannheim.

Der Gerichtskanzler:                           Der Vorsitzende:

(gez.) Doerflinger                                (gez.) Quanjard