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70 Z - 8/77 - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 25.05.1977
Aktenzeichen: 70 Z - 8/77
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsätze:

1) Streitigkeiten über Fragen der bestimmungsgemäßen Verwendung eines Schiffes im Sinne des Art. 34 II c der Rheinschiffahrtsakte in einem mit dem Rhein unmittelbar verbundenen Kiesbaggerloch sind Rheinschiffahrtssachen.

2) Verlorene Anker und Ankerketten bilden für die Schiffahrt stets große Gefahren, denen durch Meldung an die zuständige Behörde, durch Bergung und Kennzeichnung der Verluststelle zu begegnen ist. Diese Gefahren bestehen auch in tiefen Baggerlöchern, da bei An- und Ablegemanövern gesetzte Anker die auf der Sohle liegenden Ketten mit nach oben heben und sich diese dann um die Schraube des Schiffes, dessen Anker gehoben wird, legen und sie beschädigen können.

Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt

vom 25. Mai 1977

70 Z - 8/77

(Rheinschiffahrtsgericht Mannheim)


Zum Tatbestand:

Als am 14. 1. 1974 der Anker des dem Beklagten zu 1 gehörenden, vom Beklagten zu 2 geführten MS C sich in einem von der Streitverkündeten unterhaltenen Kiesbaggerloch bei Beinheim im Elsaß verbackt hatte, wurde die Ankerkette geslippt, die mit dem Anker im Baggerloch liegen blieb, ohne daß der Vorfall einer zuständigen Behörde gemeldet und die Lage des Ankers gekennzeichnet wurde. Meldung ist lediglich der Streitverkündeten gemacht worden, die jedoch nichts veranlaßt hat. Am 12. 2. 1974 erhielt MS O der Klägerin, nachdem es im gleichen Baggerloch nach der Beladung die Anker gehoben und die Fahrt kurz aufgenommen hatte, einen harten Schlag am Heck, worauf das Schiff nicht mehr voll manövrierfähig war. Durch einen Taucher wurde festgestellt, daß der Heckanker eine 40-60 m lange Kette gefischt und diese sich in doppelter Bucht um die Schiffsschraube gelegt hatte. Nach ihrer Entfernung ging das Schiff weiter auf Fahrt, wurde aber am 21. 1. 1974 in Minden zur Schadensbesichtigung und Reparatur auf Helling genommen. Gelegentlich eines erneuten Aufenthalts des MS O in dem genannten Baggerloch am 8. 10. 1974 wurde mit Hilfe eines Froschmannes nach der Kette gesucht. Man fand eine Kette mit daran hängendem Anker, die beide zu dem MS C gehörten. Die Klägerin verlangt Schadensersatz von annähernd 45000,- DM mit der Begründung, daß die am B. 10. 1974 gefundene Kette sich am 12. 2. 1974 um die Schiffsschraube von MS O gewunden habe und weil der Beklagte zu 2 weder den Vorfall vom 14. 1. 1974 einer Behörde gemeldet noch die Stelle, an der die Ankerkette geslippt worden sei, gekennzeichnet habe. Die Beklagten bestreiten die Identität der gefundenen mit der um die Schiffsschraube gelegenen Kette, weiterhin eine Melde- oder Kennzeichnungspflicht. Wegen der Tiefe des Baggerloches bis zu 16 m habe die tiefliegende Kette nebst Anker keine Gefahr bedeutet und daher auch kein Versuch zur Bergung unternommen werden müssen. Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf Berufung der Klägerin hat die Berufungskammer die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Rechtsstreit ist eine Rheinschiffahrtssache, obschon sich die umstrittene Havarie nicht auf dem Rheinstrom, sondern in einem mit ihm direkt verbundenen Kiesbaggerloch zugetragen hat. Solche Baggerlöcher gehören zum Rhein, weil sie mit ihm unmittelbar verbunden sind. Der Rechtstreit ist auch seiner Natur nach eine Rheinschiffahrtssache, denn er beruht auf dem Vorwurf der Klägerin, die Beklagten hätten während eines Aufenthaltes ihres Schiffes im Baggerloch der Streitverkündeten dessen Kette und Anker in Verlust geraten lassen, hätten sich um die Bergung nicht gekümmert, die Verluststelle nicht gekennzeichnet und den Verlust keiner Behörde gemeldet. Der Beklagte zu 2 hat nach diesem Vortrag bei der bestimmungsgemäßen Verwendung des von ihm geführten Schiffes der Klägerin einen Schaden zugefügt. Für die Entscheidung solcher Streitigkeiten sind die Rheinschiffahrtsgerichte nach Art. 34 II c der Revidierten Rheinschiffahrtsakte zuständig, denn die dort gebrauchten Worte „während der Fahrt oder beim Anlanden" sind beispielhaft für die bestimmungsgemäße Schiffsverwendung zu verstehen.
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Verliert ein Schiff einen Anker oder eine Kette, so bilden diese auf der Flußsohle liegenden Gegenstände eine Gefahr für die Schiffahrt. Das zeigen die vielen Unfälle, welche darauf beruhen, daß solche Anker den Boden über sie hinwegfahrender Schiffe aufgerissen oder darauf, daß solche Ketten Schiffsschrauben beschädigt haben. Solche Gefahren sind auf einem Strom besonders groß, weil das fließende Wasser auf der Sohle liegende Gegenstände transportiert und dabei in Lagen bringt, die nicht voraussehbar sind. Anker und Ketten, die an Stromstellen verloren werden, wo sie wegen der Wassertiefe keine Gefahr für die Schifffahrt bilden, können deshalb auf ihrem Transport durch das Wasser zu einer solchen werden. In einem Baggerloch ist die Gefahrenlage nur teilweise anders. Hier bleiben verlorene Anker und Ketten in der Regel dort liegen, wo sie verloren wurden, weil kein fließendes Wasser sie transportiert. Auf der anderen Seite sind in Baggerlöchern An- und Ablegemanöver von Schiffen besonders häufig. Dabei werden Anker zu Wasser gelassen und wieder gehoben, die mit auf der Sohle liegenden Ketten in Berührung kommen können. Das kann zur Folge haben, daß Anker solche Ketten fischen und sie beim Hochziehen mit nach oben heben. Mahlt in einem solchen Falle schon die Schraube des Schiffes, dessen Anker gehoben wird, so kann sich die gefischte Kette, die ja lose hängt, um sie herumlegen und sie beschädigen. Auch in Baggerlöchern sind deshalb auf dem Grunde liegende Anker und Ketten Gefahren für die Schiffahrt. Die gegenteilige Ansicht des Rheinschiffahrtsgerichts Mannheim kann die Berufungskammer nicht übernehmen. Sie kann insbesondere nicht durch den Hinweis auf die Tiefe eines Baggerloches überzeugend begründet werden, denn die geschilderte Gefahr ist von dieser Tiefe unabhängig, wie ja auch der vorliegende Unfall zeigt.
Aus den voraufgegangenen Ausführungen folgt, daß die allgemeine nautische Sorgfaltspflicht (§ 1.04 RSchPVO) demjenigen Schiffer, dessen Schiff Anker und Kette in einem Baggerloch verloren hat, gebietet, beide Gegenstände so schnell wie möglich zu bergen, um eine von ihm geschaffene Gefahrenlage zu beseitigen. Die nautische Sorgfaltspflicht verlangt weiter, daß, falls die erörterte Bergung nicht sofort möglich ist, die Verluststelle durch einen Döpper gekennzeichnet wird, um zu verhindern, daß Schiffe hier ankern oder manövrieren (§ 1.12 Ziffer 3 RSchPVO kommt hinzu).
Es ist unstreitig, daß die Beklagten keine der dargelegten Pflichten erfüllt haben. Es war keine Erfüllung, wenn sie den Verlust von Anker und Kette der Streitverkündeten gemeldet haben sollten, ohne sich darum zu kümmern, was diese daraufhin veranlaßte. Anders wäre die Situation nur dann zu beurteilen, wenn die Streitverkündete auf die Meldung hin versprochen hätte, die kri¬tische Stelle sofort zu kennzeichnen. Auf die Erfüllung eines solchen Versprechens hätten sich die Beklagten verlassen dürfen.
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Auf der pflichtwidrigen Unterlassung der Beklagten beruht der am Schiff der Klägerin entstandene Schaden. Die in diesem Punkte vom Rheinschiffahrtsgericht Mannheim geäußerten Zweifel sind nicht gerechtfertigt. Es steht nicht fest, daß außer dem MS C ein Schiff in dem Baggerloch der Streitverkündeten Kette und Anker verloren hat. Über einen solchen Verlust fehlt jeder Vortrag. Er kann deshalb nicht unterstellt werden. Das gilt vor allem deshalb, weil es außerordentlich selten vorkommt, daß ein Schiff einen seiner Anker mit der ganzen Kette, an der er hängt, verliert. Es geht nicht an, einen so außergewöhnlichen Vorgang als denkbar anzunehmen, ohne daß der Vortrag der Parteien dazu irgendeinen Anlaß gibt. Die Möglichkeit des Verlustes von Kette und Anker eines am vorliegenden Prozeß nicht beteiligten Schiffes ist deshalb nichts als eine Hypothese, der für die Entscheidung nach deutschem Prozeßrecht keine Bedeutung zukommt. Zu demselben Ergebnis führt die Erwägung, daß die Stelle des Verlustes von Kette und Anker und der Ort, wo beide gefunden wurden, nahe der Unfallstelle liegen. Es kann nicht angenommen werden, daß trotz dieses Umstandes die Kette des Schiffes der Beklagten nicht die Ursache der Havarie ist. Ob andere Gegenstände auf dem Grunde des Baggerloches gelegen haben, kann offen bleiben, denn es ist unstreitig (siehe den Tatbestand des angefochtenen Urteils), daß die Havarie des Schiffes der Klägerin durch eine 40 bis 60 m lange Kette verursacht worden ist. Unerheblich ist, daß die Kette des Schiffes der Beklagten nicht schon am Unfalltage als Schadensursache festgestellt worden ist. Das schloß eine spätere Feststellung nicht aus.
Die Pflicht der Beklagten zum Ersatz des Unfallschadens folgt aus den §§ 3, 4, 7, 114 des Binnenschiffahrtsgesetzes, die mit dem am Unfallort geltenden französischen Recht übereinstimmen.
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