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65 Z - 4/77 - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 02.03.1977
Aktenzeichen: 65 Z - 4/77
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt

Urteil

vom 2. März 1977

(auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts Mannheim vom 1. April 1976 -C 22/74 RhSch.)


Tatbestand:

Das MTS "H" der Beklagten zu 1) , das der Beklagte zu 2) führte, und das MTS "E" der Klägerin sind am 26.11.1972 gegen 18.00 Uhr auf dem Rhein in Höhe von Speyer bei Dunkelheit und Nebel unter den folgenden Umständen zusammengestossen und beschadet worden. Das auf 2,50 m abgeladene "E" fuhr zu Tal, wobei ein Lotse am Ruder stand.  Das Schiff hatte ein Radargerät, das aber nicht benutzt wurde, weil kein Besatzungsmitglied ein Radarpatent hatte.  Oberhalb der Strassenbrücke von Speyer sah man eine Nebelbank, in die man nicht hineinfahren zu dürfen glaubte. Man drehte deshalb über Backbord auf, ohne dieses Manöver durch das im § 6.13 Rheinschiffahrtpolizeiverordnung angeordnete Signal angekündigt zu haben. Dieses akustische Zeichen wurde vielmehr gleichzeitig mit beginnendem Wendemanöver gegeben. Das mit Cyclohexan auf 2,83 -2,85 m abgeladene, mit Radar ausgerüstete MTS "H" fuhr zu Berg. Auch hier führte ein Lotse das Ruder. Das Radargerät war eingeschaltet und wurde benutzt. Im Radarbild erkannte man das zu Tal kommende "E" in einer Entfernung von etwa 1.200 m. Der zweimalige Versuch, mit ihm über UKW-Kanal 10 in Verbindung zu treten, misslang. Daraufhin wurde die Fahrt verlangsamt und Steuerbord signal gegeben. Die Einzelheiten sind umstritten, insbesondere wie oft Signal gegeben worden ist. Der Zusammenstoss der beiden Schiffe erfolgte während des Wendens von "E" in der Form, dass "H" mit seinem Backbordvorschiff das Heck von "E" anfuhr. Jedes Schiff sieht die Schuld der Havarie bei dem anderen. Die Klägerin hat sich darauf berufen, der plötzlich auftretende Nebel habe die Führung ihres Schiffes dazu gezwungen, das Wendemanöver ohne die vorgeschriebene Vorankündigung einzuleiten. Sie hat behauptet, erst während dieses Manövers habe man ein Schallzeichen von "H" gehört und das Licht dieses Schiffes erkannt. Die Havarie habe aber nicht mehr verhindert werden können. Auf ihrem Schiff sei ein Schaden in Höhe von DM 78.953,50 entstanden. Die Beklagten haben behauptet, "E" habe mit dem Wenden begonnen, als beide Schiffe nur 200 bis 300 m voneinander entfernt gewesen seien. Das sei geschehen, obwohl "H" wiederholt akustisches Steuerbordsignal gegeben und dadurch auf sich aufmerksam gemacht habe. Das überraschende Wendemanöver habe die Havarie unvermeidbar gemacht, obschon das eigene Schiff mit aufs äusserste verminderter Geschwindigkeit gefahren sei.

Es haben beantragt:

Die Klägerin,

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie DM 78.953,50 nebst 8 % Zinsen seit dem 25.1.l973 zu bezahlen und auszusprechen, dass die Beklagte zu 1) dinglich mit dem MTS "H" und persönlich im Rahmen des Binnenschiffahrtsgesetzes hafte,

Die Beklagten,

die Klage abzuweisen.

Das Rheinschiffahrtsgericht hat Zeugen gehört und sodann die Klage zu 1/3 dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die weitergehende Klage ist abgewiesen worden. Das Gericht wirft der Führung von "E" vor, ein Wendemanöver ausgeführt zu haben, das nicht durch das vorgeschriebene akustische Signal angekündigt worden sei. Ausserdem habe man sich nicht davon überzeugt, dass das Manöver ohne Gefahr für die übrige Schiffahrt durchgeführt werden könne, denn diese sei nicht über UKW-Kanal 10 angerufen und von dem bevorstehenden Wenden unterrichtet worden. Der Führung des MTS "H" wirft das Rheinschiffahrtsgericht vor, keine Nebelsignale gegeben und erst angesichts des wendenden "E" die Geschwindigkeit des eigenen Fahrzeuges herabgesetzt zu haben. Nach seiner weiteren Ansicht wiegt die Schuld der Führung von "E" doppelt so schwer als diejenige der Führung von "H". Die Klägerin hat gegen das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichtes Berufung eingelegt, der sich die Beklagten angeschlossen haben. Ihre beim Rheinschiffahrtsobergericht Karlsruhe eingelegte selbständige Berufung haben sie zuückgenommen. Beide Parteien wiederholen ihren Vortrag aus dem ersten Rechtszuge und wenden sich gegen diejenigen Ausführungen des Rheinschiffahrtsgerichts, die ihr Verschulden betreffen.


Es beantragen:

Die Klägerin,

a) die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen an sie DM 78.953,50 nebst 8 % Zinsen seit dem 25.1.1973 zu bezahlen und auszusprechen, dass die Beklagte zu 1) dinglich mit dem MTS "H" und persönlich im Rahmen des Binnenschiffahrtsgesetzes hafte.

b) die Anschlussberufung zurückzuweisen.
 
Die Beklagten,

die Berufung zurückzuweisen und auf die Anschlussberufung hin die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe:

1. Berufung und Anschlussberufung sind in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden; die Anschlussberufung deshalb nicht, weil sie mit der Erwiderung auf die Berufung eingelegt worden ist, (Hinweis auf das Urteil der Berufungskammer vom 3.6.1976 in Sachen Damco-Schwippert 53 Z 12/76).

2. Die formell nicht zu beanstandende Berufung ist erfolglos. Im einzelnen: Die Berufung wird damit begründet, dass eine plötzlich auftretende Nebelbank die Führung von "E" gezwungen habe, sofort aufzudrehen, um nicht in sie hineinzufahren. Dieses notwendige Sofortmanöver sei nur möglich gewesen, wenn man seine Vorbereitung durch akustische Signale ausser Acht gelassen habe. Diese Ausseracht lassung könne deshalb nicht verwerfbar sein.Diese Argumentation ist nach Ansicht der Berufungskammer falsch. Nach § 6.13 RSchPVO "dürfen" Fahrzeuge "nur" wenden, nachdem sie sich vergewissert haben, dass der übrige Verkehr dies ohne Gefahr zulässt und andere Fahrzeuge nicht gezwungen werden, unvermittelt ihren Kurs oder ihre Geschwindigkeit zu ändern. Wenn durch das beabsichtigte Wendemanöver Abweichungen anderer Fahrzeuge von ihrem Kurs oder Änderungen ihrer Geschwindigkeit notwendig werden, so "muss" es durch die im § 6.13 vorgeschriebenen akustischen Signale angekündigt werden. Diese Regelung ist zwingend, wie die Verwendung der Worte "dürfen nur" und "muss" zeigt.  Sie lässt Befreiungen nicht zu. Solche können insbesondere nicht, wie es die Berufung offenbar will, durch Hinweis auf die Regel des § 6.30 RSchPVO beansprucht werden. Sie bestimmt im Absatz 2, dass Fahrzeuge anhalten müssen, sobald sie mit Rücksicht auf die verminderte Sicht, den übrigen Verkehr und die örtlichen Umstände die Fahrt nicht mehr ohne Gefahr fortsetzen können. Diese Norm sagt nicht, dass vor jeder Nebelbank unter allen Umständen angehalten werden muss. Sie erzwingt lediglich eine Prüfung, ob die Fortsetzung der Fahrt verantwortet werden kann. Das ist durchaus möglich, wenn Sicht, übriger Verkehr und örtliche Umstände es zulassen. Der § 6.30 kann also nicht im Sinne einer Befreiung von der Bevolgung des § 6.13 verstanden werden. Vielmehr hat das in der letzten Norm bei richtigem Verständnis ausgesprochene strikte Verbot jedes blinden Wendens Vorrang vor dem Gebot des § 6.30, weil seine Missachtung die grösseren Gefahren heraufbeschwören kann. Im vorliegenden Falle war das Wendemanöver von "E" für "H" gefährlich, wie die Havarie gezeigt hat. Sie ist nur erklärbar, wenn man davon ausgeht, dass beide Schiffe bei Beginn des Manövers einander sehr nahe waren. Auf eine unter den obwaltenden Umständen kaum verlässliche Schätzung der Entfernung kann verzichtet werden, denn es genügt, was die Havarie selbst zeigt, dass sie gefährlich gering war. Zwar wusste man dies auf "E" nicht, da man vor dem Beginn des Wendens "H" nicht sah und akustische Signale von ihm nicht gehört hatte. Auch das entschuldigt aber die Schiffsführung nicht, denn sie musste damit: rechnen, dass sich im Nebel Schiffe befanden, für die das Wendemanöver gerade deshalb gefährlich wurde, weil es ohne Vorankündigung überraschend erfolgte. Das gilt auch für "H" als Radarfahrer. Zwar hatte man dort "E" erkannt, man brauchte aber nicht damit zu rechnen, dass das Schiff ohne die vorgeschriebene Vorankündigung angesichts des Nebels aufdrehen werde und musste sich deshalb nicht auf ein solches Manöver einstellen. Der Vorwurf, gegen § 6.13 RSchPVO verstossen zu haben, bleibt also gegenüber "E" bestehen. Es kann dahingestellt bleiben, ob auch ein Verstoss gegen § 6.31 RSchPVO als bewiesen angesehen werden kann, der bei unsichtigem Wetter die Abgabe von akustischen Nebensignalen durch fahrende Schiffe vorschreibt. Die Führung von "E" hat sich nämlich darauf berufen, dass abgesehen von der Nebelbank die Sicht klar gewesen sei. War dem so, so brauchten vor dem Wendemanöver, bei dem "E" erst in den Nebel geraten sein will, keine Nebelsignale gegeben zu werden. Dahingestellt bleiben kann weiter, ob die Führung von "E", wo niemand ein Radarpatent hatte, verpflichtet war, Sprechfunkverbindung mit den übrigen Schiffen über UKW-Kanal 10 aufzunehmen, was möglich gewesen sein könnte. Eine Verpflichtung zur Benutzung einer solchen Anlage normiert § 6.35 RSchPVO nur für Radarfahrer.

3. Die Anschlussberufung ist ebenfalls erfolglos. Der gegen die Führung von "H" zu erhebende Vorwurf hat die folgende Grundlagen. Auf dem Radarschirm des Schiffes ist das zu Tal kommende Schiff "E" in einer Entfernung von 1200 res erkannt worden. Der wiederholte Versuch, mit ihm Sprechverbindung aufzunehmen, scheiterte. Hieraus musste die Führung von "H" schliessen, dass das ankommende Schiff möglicherweise kein Radargerät benutzte und deshalb die Position des Bergfahrers nicht erkennen konnte. Bei dieser Lage war bei einer Fortsetzung der Fahrt ohne besondere Vorkehrungen die Sicherheit beider Schiffe nicht mehr gewährleistet. Auf "H" musste man damit rechnen, dass "E" angesichts des herrschenden Nebels die Fahrt einstellte und dabei zu Berg wendete. Es war zumindest nicht auszuschliessen, dass dieses Manöver ohne Ankündigung durch ein Signal erfolgte, wie es ja auch geschehen ist. Bei einem solchen Manöver konnte der Talfahrer in den Kurs des Bergfahrers geraten und mit ihm zusammenstossen. Diese Gefahr wurde umso grösser, je näher beide Schiffe einander kamen. Das Ergebnis solcher Überlegungen hätte der Entschluss der Führung von "H" sein können, die Fahrt gemäss der Regel des § 6.33 Abs.3 RSchPVO einzustellen, da bei ihrer Fortsetzung die Sicherheit anderer Fahrzeuge gefährdet würde. Dieses Entschluss ist nicht gefasst worden.
Entschloss man sich aber wie geschehen zur Fortsetzung der Fahrt, so war Folgendes zu beachten:  Nach § 6.33 Abs. 3 RSchPVO müssen Bergfahrer bei einer Fahrt im Nebel den entgegenkommenden Fahrzeuge über Sprechfunk ihren Standort, ihren Namen, die Art ihres Fahrzeuges und ihre Fahrtrichtung mitteilen sowie ansagen, ob sie die blaue Flagge oder das weisse Blinklicht zeigen.  Diese Verbindung über Sprechfunk konnte im vorliegenden Falle nicht hergestellt werden. Damit entfiel aber nicht die Verpflichtung von "H", seine Position und seinen Kurs dem ankommenden Talfahrer mitzuteilen, und zwar durch akustische Signale, die in etwa die gleiche Informationswirkung hätten wie die nicht mögliche Sprechfunkverbindung. Die Berufungskammer denkt an die Kombination eines Nebelzeichens gemäss § 6.31 RSchPVO (ein langer Ton) mit einem solchen gemäss § 6.04 Abs. 4 RSchPVO (ein kurzer Ton), wenn die Vorbeifahrt an Backbord stattfinden soll.  Diese Zeichenkombination sagt dem Talfahrer einmal, dass ein Bergfahrer im Revier ist. Die Entfernug von ihm wäre mit Hilfe der Lautstärke des Zeichens in etwa feststellbar gewesen. Vor allem hätten die Zeichen aber ausgewiesen, dass der Bergfahrer Steuerbordkurs für und deshalb eine Begegnung Backbord an Backbord wünschte. Damit wäre der Führung von "E" klar geworden, dass ein Wendemanöver über Backbord, das sie bei einer Einstellung der Fahrt hätte ausführen müssen, eine Kollisionsgefahr heraufbeschworen hätte. Die genannte Signalkombination wäre solange zu wiederholen gewesen, bis "E" zu erkennen gab, dass sie dort gehört und verstanden worden war. Nur so hatte die mit der Fortsetzung der Fahrt von "H" im Nebel verbundene Gefahr beseitigt werden können mit dem Ergebnis, dass die Fortsetzung nicht zu beanstanden war. Es ist unstreitig, dass man auf "H" die genannten Zeichen nicht gegeben hat. Seine Besatzung hat lediglich behauptet, wiederholt Steuerbordsignal gegeben zu haben» Nicht behauptet worden ist dagegen, dass man auch darauf geachtet habe, dass der Talfahrer es erwidert und damit erklärt habe, es beachten zu wollen. Dort hat man kein Zeichen gehört. Die gegebenen Zeichen waren mithin deshalb unzureichend, weil sie nicht intensiv genug gegeben wurden, d.h. solange, bis klar war, dass sie verstanden worden waren. Die Fortsetzung der Fahrt von "H" angesichts des entgegenkommenden "E" verstiess also gegen die §§ 6.35 Abs. 3, 6.31 und 6.04 Abs. 4 RSchPVO.

4. Wägt man die fegestellten Verstösse beider Schiffe gegeneinander ab, so erscheint der auf "E" begangene erheblich schwerer. Das sogenannte blinde Wenden gehört zu den gefährlichsten Manövern die denkbar sind. Möglicherweise ist es das gefährlichste überhaupt. Die damit verbundenen Gefahren sind sehr gross; jedenfalls sind sie weit grosser als diejenige, welche die Führung von "H" durch die Fortsetzung der Fahrt im Nebel heraufbeschwor. Es ist deshalb nicht zu beanstanden, dass das Rheinschiffahrtsgericht 1/3 der Kollisions-Folgen "H", 2/3 aber "E" angelastet hat.

Aus diesen dargelegten Gründen wird für Recht erkannt:

Die Berufung der Klägerin und die Anschlussberufung der Beklagten gegen das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichtes Mannheim vom 1. April 1976 werden als unbegründet abgewiesen.

Das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichtes Mannheim wird bestätigt.
Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin 2/3 und die Beklagten 1/3
Die Festsetzung der Kosten unter Berücksichtigung von Artikel 39 der Revidierten Rheinschiffahrtsakte erfolgt durch das Rheinschiffahrtsgericht Mannheim.

Der Gerichtskanzler:                                    Der Vorsitzende:
 
(gez.)  Doerflinger                                        (gez) Quanjard