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60 Z - 16/76 - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 21.10.1976
Aktenzeichen: 60 Z - 16/76
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsatz:

Zur Darlegungs- und Beweisführungspflicht bei Kollisionen, die auf den plötzlichen Ausfall einer elektrischen Ruderanlage zurückzuführen sind.

Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt

vom 21. Oktober 1976

  60 Z - 16/76 

(Rheinschiffahrtsgericht Mannheim)

Zum Tatbestand:

Als das beladene, bei der Klägerin versicherte MS A am 30. 4. 1973 bei Rhein-km 348 zu Tal fuhr, begegnete ihm das beladene, den Beklagten zu 1 und 2 gehörende, mit dem Beklagten zu 2 als Schiffsführer besetzte und vom Beklagten zu 3 als Lotsen und Rudergänger geführte MS B. Der Kurs war beiderseits auf Backbordbegegnung mit einem seitlichen Abstand von 60-70 m angelegt. Kurz vor der Begegnung brach MS B hart nach Backbord aus und stieß mit MS A zusammen, das nach vergeblichem Versuch, nach Steuerbord auszuweichen, infolge der Kollision sank. Nach dem Ausfall der elektrischen Ruderanlage war noch vergeblich die Umstellung auf Bedienung von Hand versucht worden. Das Schiff war schon vor dem Erwerb am 10. 1. 1973 vom Voreigentümer mit der elektrischen Ruderanlage ausgerüstet worden. Die Beklagten zu 1 und 2 hatten es am 11. 1. 1973 der zuständigen Untersuchungskommission vorgeführt mit dem Ergebnis, daß die Ausrüstung mit einer tauglichen Steuervorrichtung und die weitere Tauglichkeit des Schiffes im Attest mit einer Gültigkeitsdauer bis zum 4. 10. 1974 festgestellt wurde.
Die Klägerin verlangt u. a. Ersatz des erstatteten Schadens in Höhe von 435000,- DM, weil nach erstem Anschein die Beklagten zu 1-3 ein Verschulden treffe. Der plötzliche Ausfall der elektrischen Ruderanlage beruhe entweder auf dem schlechten Zustand der Anlage oder ihrer falschen Bedienung.

Die Beklagten bestreiten jedes Verschulden. Die gegen sie sprechenden Beweise des ersten Anscheins seien durch die Beweisaufnahme widerlegt.

Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Revision ist von der Berufungskammer zurückgewiesen worden.

Aus den Entscheidungsgründen:

„...
Es steht fest, daß die entscheidende Ursache der Havarie in dem plötzlichen Ausfall der elektrischen Ruderbedienungsanlage des MS B liegt. Die Ursache dieses Versagens können nur die Beklagten darlegen. Der Klägerin und dem bei ihr versicherten Eigner des MS A ist sie unbekannt. Von ihr können deshalb Darlegungen und Beweise in diesem Punkte nicht erwartet werden. Darlegungs- und beweisführungspflichtig sind vielmehr die Beklagten. Insbesondere haben sie klarzustellen, daß

a) die elektrische Ruderbedienungsanlage nach Konstruktion und Einbau tauglich war,
b) daß sie sich auch in der Zeit vor der Havarie in einem Zustand befand, der es erlaubte, sie in Betrieb zu nehmen,
c) daß bei ihrer Bedienung unmittelbar vor der Havarie keine Fehler gemacht wurden, die zu ihrem Ausfall führten,
d) daß nach ihrem Ausfall so schnell wie möglich das Ruder auf Handbedienung umgestellt und in geeigneter Weise versucht worden ist, die Havarie mit Hilfe des handbedienten Ruders abzuwenden.

Im Punkte a) können sich die Beklagten auf § 1.08 der Rheinschiffahrtpolizeiverordnung 1970 berufen. Er bestimmt in Ziffer 1, daß Fahrzeuge so gebaut und ausgerüstet sein müssen, daß die Sicherheit der an Bord befindlichen Personen und der Schiffahrt gewährleistet ist und die Verpflichtungen aus der Rheinschifffahrtpolizeiverordnung erfüllt werden können. Nach der Ziffer 3 gelten diese Bedingungen als erfüllt, wenn das Fahrzeug mit einem Schiffsattest nach der Untersuchungsordnung für Rheinschiffe versehen ist, Bau, Ausrüstung und Besatzung des Fahrzeuges den Angaben des Attestes entsprechen und das Fahrzeug nach den Vorschriften der Untersuchungsordnung betrieben wird. Mit einem solchen Attest war das MS B versehen. Es war am 3. B. 1962 von der zuständigen Instanz in den Niederlanden, der „Commissie van Deskundigen voor de Rijnvaart" ausgestellt worden. In seiner ursprünglichen Form erfaßte es nicht die elektrische Ruderbedienungsanlage. Am Tage nach dem Erwerb des Schiffes, am 11. 1. 1973, haben es deshalb die Beklagten zu 1) und 2) zu einer besonderen Untersuchung vorgestellt, die sich speziell auf diese Anlage erstreckte. Die Untersuchung endete mit der Feststellung, daß das Fahrzeug mit einer tauglichen Steuervorrichtung ausgerüstet und tauglich, sei, den Rhein zu befahren. Die Gültigkeitsdauer des gesamten Attestes bis zum 4. 10. 1974 wurde deshalb bestätigt. Nach diesem Zeugnis war das Schiff einschließlich der elektrischen Ruderbedienungsanlage betriebssicher. Die Beklagten zu 1) und 2) durften sich auf die Richtigkeit dieser Feststellung verlassen. Weitere Untersuchungen des Schiffes - insbesondere solche durch Privat-Sachverständige - hatten sie nicht zu veranlassen. Anders wäre die Lage nur dann gewesen, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestanden hätten, daß das Schiff trotz des ausgestellten Attestes nicht betriebssicher war. Solche Anhaltspunkte, die sich insbesondere auf die elektrische Ruderbedienungsanlage bezogen hätten, bestanden aber nicht, bevor es zur Havarie kam.
...
Auch im Punkt b) spricht für die Beklagten der § 1.08 Ziffer 3 der Rheinschiffahrtpolizeiverordnung 1970. Die dort aufgestellte Norm muß für die gesamte Gültigkeitszeit des Schiffsattestes gelten, da sie keinerlei Einschränkungen ausspricht. Die Frage, ob trotz dieser Geltung einzelne Teile des Schiffes, die besonders wichtig und besonderen Beanspruchungen ausgesetzt sind, innerhalb der Gültigkeitszeit des Attestes besonderen Untersuchungen auf fortbestehende Sicherheit zu unterziehen sind, und ob das z. B. bei einer elektrischen Ruderbedienungsanlage der Fall ist, stellt sich im vorliegenden Rechtsstreit nicht. Die Anlage ist am 11. 1. 1973 untersucht worden. Der Unfall hat sich am 30. 4. 1973 zugetragen. In der kurzen Zwischenzeit hatte die Anlage einwandfrei funktioniert.
Im Punkt c) werden alle Beklagten durch die Ausführungen des Sachverständigen N. entlastet. Bei seiner Anhörung durch das Rheinschhiffahrtsgericht am 24. 9. 1974 hat er u. a. ausgeführt: Die verschiedenen Fehlerquellen der Anlage, vor allem solche im sog. Schützenkasten, in dem der Kurzschluß eingetreten sei, hätten von der Brücke aus weder hervorgerufen noch beeinflußt werden können. Sie beruhen keineswegs auf einer falschen Bedienung der Anlage von dort aus. Ein solcher Fehler sei als Ursache des Ausfalls der Anlage auszuschließen. Einschränkend hat der Sachverständige hinzugefügt, es könne allenfalls eine Überlastung des sog. Schützen eintreten, wenn man den Bedienungshebel im Ruderhaus häufig hin- und herlege. Aber, so hat er bemerkt, das mache man ja nicht, das sei ausgeschlossen. Die Berufungsbegründung bezweifelt die Richtigkeit dieses letzten Satzes mit dem Argument, im Bereich der Unfallstelle zwinge der Uferverlauf zu einer ständigen Bedienung des Schalthebels der elektrischen Ruderbedienungsanlage. Wäre dem so, so könnte in dieser Bedienung kein Fehler des Beklagten zu 3) gesehen werden, da sie zur ordnungsgemäßen Steuerung des Schiffes notwendig gewesen wäre. Die Anlage hätte, wenn sie eine solche Bedienung nicht ausgehalten hätte, aufgrund einer ihr anhaftenden Schwäche, nicht aber unter dem Einfluß fehlerhafter Bedienung versagt.

Zu Ziffer d) hat der Beklagte zu 3) bei seinen Vernehmungen übereinstimmend ausgesagt, er habe sofort nach dem Ausfall der elektrischen Bedienungsanlage das Ruder auf Handbetrieb umgestellt. Darüber sei aber soviel Zeit vergangen, daß er mit Hilfe des Handruders das nach Backbord herumgefallene Schiff nicht mehr habe aufstrecken können, trotzdem er die Maschine auf langsame Touren gesetzt habe. Nach dieser Aussage ist zur Vermeidung der Havarie alles geschehen, was nach dem Ausfall der elektrischen Anlage möglich war. Die Wirkung der ergriffenen Maßnahmen trat aber nicht rasch genug ein, um die Havarie vermeiden zu können. Es versteht sich, daß die Aussage des Beklagten zu 3) allein keine geeignete Grundlage für eine solche Feststellung ist, denn sie kann durch das Bestreben bestimmt sein, sich selbst zu entlasten. Sie bedarf deshalb der Bestätigung durch Zeugen, die verläßlich erscheinen. Ein solcher Zeuge ist z. B. der Schiffsführer E. des MS A. Er hat bei seiner Vernehmung am 30. 4. 1973 durch die Wasserschutzpolizei erklärt, die Ereignisse seien so schnell abgelaufen, daß seiner Ansicht nach keine Möglichkeit bestanden habe, etwas zur Abwendung des Unfalles zu tun. Das MS B sei plötzlich hart nach Backbord geschossen und habe quer zum Strom gelegen. Ein Buganker des Schiffes sei noch gesetzt worden. Diese Aussage bestätigt die große Schnelligkeit des Geschehensablaufes und macht diejenige des Beklagten zu 3) glaubhaft, er habe alles Erforderliche getan, die Havarie aber nicht verhindern können....Nach den voraufgegangenen Darlegungen können die Beklagten nach dem anwendbaren Übereinkommen zur Vereinheitlichung einzelner Regeln über den Zusammenstoß von Binnenschiffen vom 15. 3. 1960 (Art. 2 Absatz 1) nicht auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden. Dieses Binnenschiffahrtsrecht kennt keine Gefährdungshaftung. Die Feststellung, die Havarieursache liege an Bord des MS B, begründet deshalb keine Haftung der Beklagten, sondern weist nur auf eine ihrer Voraussetzungen hin, zu der Verschulden hinzutreten muß.