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6 U 10/88 - Oberlandesgericht (-)
Entscheidungsdatum: 14.07.1988
Aktenzeichen: 6 U 10/88
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Abteilung: -

Leitsatz:

Zu den rechtlichen Auswirkungen eines Streiks des mit der Beladung eines Schiffes beauftragten Personals und der darauf beruhenden Nicht- oder nur Teilbeladung des Schiffes, insbesondere zur Frage der Risikotragung für entstandene Kosten, Liegegelder usw. unter Berücksichtigung handelsüblicher Klauseln oder Sonderregelungen.

Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichtes in Hamburg

vom 14. Juli 1988

6 U 10/88


Zum Tatbestand:


In einem Reisechartervertrag zwischen den Prozessparteien vom 24.10. 1983 verpflichtete sich die Klägerin zum Transport von 3800t Kunstdünger von Landskrona in Schweden nach Terneuzen oder Gent. Vereinbart wurden ferner eine Lade- und Löschzeit von insgesamt 84 Stunden und das etwaige Liegegeld von 5750,- HFU Tag. Ablader und Vertragspartner des Stauereibetriebes war Fa. S., eine Schwesterfirma der Beklagten. Nach Ankunft des Schiffes am 26.10. 1983 wurde mit der Beladung begonnen, die nach teilweiser Durchführung (2600t) am 27.10. 1983, 18.00 Uhr, endete, weil das unter der Flagge Singapurs fahrende MS „Christiane" auf Veranlassung der Internationalen Transportarbeiter Föderation (ITF) von den schwedischen Gewerkschaften boykottiert wurde und die Stauer darauf die weitere Arbeit verweigerten. Gerichtliche Schritte der Klägerin gegen die zuständigen schwedischen Gewerkschaften blieben erfolglos. Die Parteien kamen Mitte Dezember 1983 überein, die geladene Teilpartie wegen des drohenden Verderbs wieder zu löschen. Nach Aufhebung des Boykotts am 23.1. 1984 verließ das Schiff am nächsten Tag den Hafen Landskrona ohne Ladung.
Die Klägerin verlangt Zahlung von Liegegeld für 87 Tage (1. 11. 1983-24.1. 1984) abzügl. einer Provision von 3,75 % = 481 490,63 HFL. Die sich aus der Klausel 30 des Chartervertrages ergebende Verpflichtung, mit den Besatzungsmitgliedern des Schiffes nach den Tarifverträgen der beiden singapurischen Gewerkschaften - Mitglieder der ITF - Heuerverträge zu für die ITF akzeptablen Beschäftigungsbedingungen abzuschließen, sei von der mit der Bemannung des Schiffes beauftragten Fa. T. beachtet worden. Trotz wiederholter Aufforderung habe sich Fa. S. geweigert, während des Boykotts alles in ihren Kräften stehende zur Unterbindung des Boykotts zu tun und selbst gegen die schwedischen Gewerkschaften gerichtlich vorzugehen. Auch die Beklagte habe es treuewidrig unterlassen, in gleicher Richtung auf ihre Schwesterfirma S. einzuwirken.
Die Beklagte hält die Liegegeldforderung für verwirkt, da die Klägerin sie in den letzten zwei Jahren vor Klageerhebung weder gegen die Abladerin noch gegen die Beklagte erhoben habe. Durch die Klausel 30 des Chartervertrages habe die Klägerin das Risiko eines Streiks übernommen. Da die Heuerverträge nicht akzeptabel gewesen seien, sei nunmehr der Garantiefall eingetreten. Durch ein zwischen der Klägerin und der ITF am 22.1. 1984 abgeschlossenes „Memorandum of Understanding" habe sich die Klägerin für den Fall, dass der Boykott unberechtigt gewesen sei, der Schadensansprüche gegen die ITF begeben, die dann Zug um Zug gegen Zahlung des Liegegeldes an die Beklagte hätten abgetreten werden können. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.


Aus den Entscheidungsgründen:
„....

I.

Nach dem vereinbarungsgemäß anzuwendenden deutschen Recht ist der geltend gemachte Liegegeldanspruch schon deshalb nicht begründet, weil das Schiff im Sinne des § 574 Satz 2 HGB an der Übernahme der Ladung verhindert war. Auch wenn hier die Stauereiarbeiter streikten, so dass das Schiff nicht beladen werden konnte, so hatte doch dieser Streik seine eigentliche Ursache in der Sphäre der Klägerin, weil es sich unstreitig um von der ITF veranlasste Boykottmaßnahmen gegen das Schiff handelte. Das Gesetz folgt hinsichtlich des Einflusses von Störungen auf die Liegezeit und auf das Liegegeld der Sphärentheorie, nach der jede Partei in ihrer Sphäre liegende zufällige Abladeverhinderungen zu tragen hat (vgl. Prüßmann-Rabe, §573 HGB, Anm. 2a). Als solcher der Sphäre der Klägerin als Verfrachterin zuzurechnender Umstand stellen sich die hier in Rede stehenden Boykottmaßnahmen dar, die sich gegen die Beschäftigungsbedingungen auf dem Schiff richteten, auch wenn sie nicht von der Schiffsbesatzung selbst durchgeführt wurden, sondern auf Veranlassung der ITF durch die Stauereiarbeitererfolgten.

II.


Das gleiche Ergebnis ergibt sich aus der dem Chartervertrag zugrunde liegenden „General Strike Clause" der Gencon-Bedingungen, die eine gegenüber der gesetzlichen Regelung vorrangige vertragliche Regelung hinsichtlich der Berücksichtigung der Streiktage enthält: Unter diese Klausel fallen angesichts ihrer weiten Fassung „any strikes or lock-outs" und ihres wirtschaftlichen Zwecks, die ersichtlich die Folgen jeder Art von Streik regeln will, der zum vollständigen Stillstand der Arbeit führt, auch die hier in Rede stehenden Streik-(Boykott)-maßnahmen (vergl. zur Problematik Volze in Hansa 1977, S. 1401 ff, 1402 m.w.N.; Puchta, Die Gencon-Charter S. 151). Nach dieser Klausel hat bei jeder Art von Streik der Verfrachter das Recht, den Befrachter zu der Erklärung aufzufordern, ob die Liegezeit trotz der Streikmaßnahmen so zählen soll, wie dies nach dem Frachtvertrag vorgesehen war... .
Da sich weder aus dem Vortrag der Klägerin entnehmen lässt, dass sie die Beklagte zu einer Erklärung im Sinne der „General Strike Clause" aufgefordert hat, noch ersichtlich ein (schriftliches) Einverständnis der Beklagten mit der Einrechnung der Streiktage vorliegt, steht der Klägerin nach der Klausel ein Liegegeld gegen die Beklagte gerade nicht zu.
                                                                                  

III.


Ein solches steht der Klägerin schließlich auch deshalb nicht zu, weil sie in Klausel 30 der Charterbedingungen die Garantie dafür übernommen hatte, dass die Beschäftigungsbedingungen für die Schiffsbesatzung für die ITF annehmbar sein würden. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist diese Klausel nämlich nach Treu und Glauben gemäß §§ 133, 157 BGB dahin auszulegen, dass die Klägerin durch sie garantierte, dass die Beschäftigungsbedingungen von der ITF tatsächlich akzeptiert werden würden. Der Klägerin ist zwar zuzugeben, dass der Wortlaut der Klausel nicht klar ist und für die Akzeptierbarkeit der Bedingungen für die ITF aus der Sicht eines objektiven Beobachters sprechen könnte. Gegen eine derartige Auslegung sprechen aber Sinn und Zweck der Klausel unter Berücksichtigung des Inhalts der Vertragsverhandlungen. MS „Christiane" fuhr unter Singapur Flagge, einem so genannten FoC (Flag of Convenience)-Staat. Schiffe, die unter der Flagge eines derartigen Staates fahren, müssen mit Boykottmaßnahmen der ITF rechnen, wenn sie nicht im Besitz der die Billigung der ITF ausweisenden so genannten Blue Card der ITF sind. Demgemäß hatte sich die Beklagte auch bei früheren Kontrakten mit der Klägerin durch eine von ihr üblicherweise vereinbarte Klausel im Chartervertrag bestätigen lassen, dass Schiffe unter FoC-Flagge eine derartige, die Billigung der ITF ausweisende Blue Card besaßen ... Demgemäß hat die Beklagte hier zwar auf Wunsch der Klägerin ausnahmsweise auf die Blue Card verzichtet. Wenn sie sich aber andererseits von der Klägerin garantieren ließ, dass die Beschäftigungsbedingungen für die ITF annehmbar waren, so konnte das angesichts der Erklärung der klägerischen Agentin nur bedeuten, dass die Klägerin für die Folgen einstehen sollte, falls die ITF die Bedingungen tatsächlich nicht akzeptierte und es zu Boykottmaßnahmen gegen das Schiff kam.

... Wenn die Klägerin dieses Risiko nicht übernehmen wollte, hätte sie dies bei den Vertragsverhandlungen deutlich machen müssen. Nach allem hat das Landgericht die Klausel 30 der Charterbedingungen zutreffend ausgelegt....

IV.


Die Klägerin kann die Beklagte schließlich auch nicht mit Erfolg auf Schadensersatz in Anspruch nehmen, weil die Abladerin keine gerichtlichen Schritte gegen die Boykottmaßnahmen der schwedischen Gewerkschaften unternommen und die Beklagte diese dazu auch nicht angehalten hat. Die Klägerin hat nämlich schon ein pflichtwidriges Verhalten der Abladerin nicht hinreichend dargetan (wird ausgeführt). Dagegen, dass gerichtliche Schritte der Abladerin gegen die Boykottmaßnahmen Erfolg gehabt hätten, spricht im Übrigen der Umstand, dass nach dem eigenen Vortrag der Klägerin nicht die Abladerin, sondern die von dieser eingeschaltete Stauereifirma Vertragspartner der boykottierenden Arbeiter war. . Darüber hinaus hat die Klägerin auch weder die Kausalität noch einen Schaden ausreichend dargetan.
Die von der Klägerin eingelegte Revision hat der Bundesgerichtshof nicht angenommen.

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1990 - Nr.2 (Sammlung Seite 1282 f.); ZfB 1990, 1282 f.