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Leitsätze:
1) Bei einem an Order gestellten Ladeschein darf und muss die Auslieferung der Güter durch den Frachtführer nur an den legitimierten Besitzer des Scheins, d. h. nur dann erfolgen, wenn der Empfänger der Ladung sich durch den Besitz des Originaldokuments als solcher legitimiert.
2) Diese Rechtslage ändert sich durch das Angebot von Bankgarantien in Höhe des Warenwertes oder mit Rücksicht auf abweichende Vertragsbestimmungen zwischen dem Empfänger und seinem Verkäufer nicht. Entscheidend sind allein der Frachtvertrag und die Verpflichtungen des Frachtführers aus dem Ladeschein.
Urteil des Amtsgerichts Duisburg
vom 12. Dezember 1974
Zum Tatbestand:
Die Beklagte hatte von der Fa. X in Duisburg eine schwimmende Getreidepartie gekauft, die von einer Genossenschaft in Frankreich geliefert und von dieser aufgrund eines Frachtvertrages mit dem Kläger und dessen MS „L" zum Empfangsort in Hamm versandt wurde. Der Kläger war gemäß dem an Order ausgestellten Ladeschein verpflichtet, das geladene Gut nur gegen Aushändigung des Originalladescheins auszuliefern. Der Kläger meldete sich löschbereit, verweigerte aber die Auslieferung bis zu der erst einige Tage danach erfolgten Vorlage des Originaldokumentes. Infolge der dadurch verursachten Überschreitung der Löschzeit wurde Liegegeld fällig.
Der Kläger verlangt Liegegeld in Höhe von über 1000,-DM.
Die Beklagte beruft sich darauf, dass sie dem Kläger eine Bankgarantie in Höhe des Warenwertes angeboten habe, zu deren Annahme der Kläger aufgrund eines zwischen ihr und der Verkäuferin X. abgeschlossenen, von den Getreidehandelsverbänden seit Jahren anerkannten gedruckten Vertrages („Deutsch-Niederländischer Vertrag Nr. 6") verpflichtet gewesen sei. Der Kläger habe diese Verpflichtung auch gegenüber dem Empfänger gehabt; ferner habe er als Erfüllungsgehilfe des Verkäufers alles tun müssen, um die Ablieferung der Ware zur Erfüllung des Kaufvertrages zu bewirken.
Das Amtsgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben.
Aus den Entscheidungsgründen:
Der Kläger war nur Zug um Zug gegen Vorlage des Dokuments zur Auslieferung der Ladung verpflichtet. Die Beklagte ist gemäß § 298 BGB in Annahmeverzug geraten, da sie zwar die angebotene Leistung anzunehmen bereit gewesen ist, die verlangte Gegenleistung, hier die Aushändigung des Ladescheins, jedoch nicht angeboten hat.
Der Beklagten kann auch nicht darin gefolgt werden, dass die Aushändigung des Konnossements durch einen Freistellungsrevers oder durch das Anbieten einer Bankgarantie entbehrlich geworden ist. Insoweit verkennt sie die Rechtsnatur des Konnossements (Ladeschein). Der Ladeschein wird gemäß § 72 Abs. 1 Binnenschifffahrtsgesetz auf Verlangen des Absenders von dem Frachtführer ausgestellt. In dem Ladeschein verpflichtet sich der Frachtführer zur Auslieferung der Frachtgüter „an den legitimierten Besitzer des Scheins". Der Ladeschein ist also eine Verpflichtungsurkunde des Frachtführers, die für seine Rechtsbeziehungen zum Empfänger entscheidend ist (§ 446 Abs. 1 HGB). Der Originalladeschein dient dem Empfänger zum Nachweis seiner Empfangsberechtigung (§ 447 HGB und gemäß § 448 HGB), ist der Frachtführer nur gegen seine Rückgabe zur Ablieferung der Güter verpflichtet (vergl. Vortisch-Zschucke Anm. 1 b zu § 72 Binnenschifffahrtsgesetz). Nach § 26 Binnenschifffahrtsgesetz in Verbindung mit § 446 Abs. 1 HGB ist der Ladeschein entscheidend für das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien. Das gilt nicht nur für Fracht und die sonstigen Forderungen, sondern ausschließlich und in allen Beziehungen, insbesondere auch für den Inhalt und Umfang der Frachtgüter, für den Ablieferungsort, für die Feststellung der Person des Empfängers und des Frachtführers (vergl. Vortisch-Zschucke Anm. 4 a a.a.O.). Die Beklagte hat auch gemäß § 26 Binnenschifffahrtsgesetz in Verbindung mit § 450 HGB erst mit dem Empfang des Ladescheins die Rechte und den mittelbaren Besitz an der darin vermerkten Ladung erlangt. Daraus folgt, dass sie erst von diesem Zeitpunkt an berechtigt gewesen ist, von dem Kläger die Auslieferung der Ladung zu verlangen. Bis dahin hatte sie lediglich obligatorische Ansprüche gegenüber dem Verkäufer. Auf der anderen Seite bestand die Verpflichtung des Klägers zur Auslieferung der Ladung nach § 72 Abs. 1 Binnenschifffahrtsgesetz nur gegenüber dem „legitimierten Besitzer des Scheins". Das ist hier von besonderer Bedeutung, da das Konnossement an Order gestellt war. Der Kläger konnte daher aus dem ihm verbliebenen Duplikat nicht ersehen, wer letztlich Empfänger der Ladung sein sollte. Wie die Beklagte auch selbst vorträgt, hat die Ladung eine sogenannte „Kette" von Verkäufern und Käufern bis zu der Beklagten als Endempfängerin durchlaufen. Gerade in solchen Fällen ist es eine zwingende Notwendigkeit, dass sich der Empfänger der Ladung durch den Besitz des Originaldokuments als solcher legitimiert.
Hat aber die Beklagte das Recht auf Auslieferung der Ware erst mit dem Empfang des Konnossements erlangt, so kann der mangelnde Besitz dieses Dokuments nicht durch Freistellungseverse oder Bankgarantien ersetzt werden. Nur nebenbei sei bemerkt, dass die angebotene Bankgarantie in Höhe des Warenwertes auch nicht das Risiko des Klägers abgedeckt hätte.
Die oben dargestellte Rechtslage wird durch etwa abweichende Vertragsbestimmungen zwischen der Beklagten und ihrer Verkäuferin nicht beeinflusst.
Die gegenseitigen Rechte und Pflichten zwischen den Parteien werden allein durch den Ladeschein bestimmt. Dieser dient nicht der Erfüllung des Kaufvertrages zwischen der Beklagten und ihrer Verkäuferin. Er ist vielmehr auf Verlangen des Absenders ausgestellt worden.
Insoweit kommt es auf den Umstand, dass Bestimmungen des Kaufvertrages möglicherweise dem Inhalt des Konnossements und der gesetzlichen Regelung hinsichtlich der Auslieferungspflicht entgegenstehen, nicht an. Für den Kläger ist jedenfalls eine solche entgegenstehende Regelung nicht verbindlich.