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55 Z - 12/76 - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 03.06.1976
Aktenzeichen: 55 Z - 12/76
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsätze:

1) Die Anschlußberufung im Verfahren vor der Berufungskammer der Rheinzentralkommission muß gemäß Art. 37 der Mannheimer Akte spätestens und gleichzeitig mit der Beantwortung der Berufung erfolgen.

2) Zu den Voraussetzungen für einen Beweis des ersten Anscheins.

3) Ist ein Aufdrehsignal eines unzulässigerweise wendenden Schiffes nicht von einem durch das Aufdrehmanöver bedrohten und sodann havarierten Schiff gehört worden, weil auf ihm entgegen der Vorschrift des § 1.09 Nr. 3 RhSchPolVO kein Horchposten aufgestellt war, so begründet dieser Fehler kein Mitverschulden des havarierten Schiffes, wenn letzteres alles Erforderliche zur Abwendung der Kollisionsgefahr getan hatte (sofortige Änderung von Kurs und Geschwindigkeit) und bei ihm wegen des kurzen Abstandes von Ankündigungssignal und angekündigtem Manöver des wendenden Schiffes keine andere Reaktion möglich gewesen wäre.

Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt

vom 3. Juni 1976 

55 Z - 12/76

(Rheinschiffahrtsgericht Mannheim)


Zum Tatbestand:

Im Bereich der Mainmündung kam es zwischen dem der Klägerin gehörenden MS D und dem den Beklagten zu 1 gehörenden, vom Beklagten zu 2 geführten MS M zur Kollision. Nach der Darstellung der Klägerin hatte MS D, aus der Mainmündung kommend, bei Dunkelheit, aber klarer Sicht auf dem Rhein zu Tal fahrend das rechtsrheinisch verharrende MS A mit seitlichem Abstand von ca. 20 m passiert. Zu diesem Zeitpunkt habe das MS M in einem seitlichen Abstand von mehr als ca. 100 m das MS D überholt und dann in einer Vorausentfernung von nicht ganz 2 Schiffslängen plötzlich über Steuerbord aufgedreht. Es sei dem MS D in die Backbordseite gefahren, obwohl letzteres wegen des gefährlich erscheinenden Aufdrehmanövers sofort mit der Maschine zurückgeschlagen und den Buganker gesetzt habe. Die Klägerin verlangt Ersatz des dadurch erlittenen Kollisionsschadens von ca. 8500,- DM.

Die Beklagten behaupten, das zu Tal fahrende MS M habe seine Absicht in den Main zu fahren durch ein akustisches Aufdreh-Signal zu erkennen gegeben, mit dem Drehen nach Steuerbord bei km 497,0 begonnen und gleichzeitig das Blinklicht in Tätigkeit gesetzt. Zu dieser Zeit habe sich MS D noch im Main befunden. Erst als MS M das Aufdrehmanöver schon beendet und der Abstand noch 200 m zwischen beiden Schiffen betragen habe, hätte MS D Steuerbordkurs genommen, um das MS M an Backbordseite zu passieren. Dadurch sei es zur Kollision gekommen.

Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage dem Grunde nach zu 3/4 für gerechtfertigt erklärt. Auf die Berufung der Klägerin hat die Berufungskammer unter Zurückweisung der Anschlußberufung der Beklagten das Urteil mit der Maßgabe abgeändert, daß die Klage dem Grunde nach im vollen Umfang für gerechtfertigt erklärt worden ist.

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Berufung ist erfolgreich, denn das Rheinschiffahrtsgericht hat zu Unrecht 1/4 der Unfallfolgen der Klägerin angelastet. Diese Feststellung gilt auch dann, wenn man davon ausgeht, daß das MS M ein Aufdrehsignal gegeben hat, welches auf dem MS D deshalb nicht gehört wurde, weil dort außerhalb des Steuerhauses kein Horchposten aufgestellt war. In diesem Falle hat zwar die Führung von D gegen § 1.09 Nr. 3 RhSchPVO verstoßen, es spricht aber nichts dafür, daß dies von Einfluß auf die Havarie geworden ist. Konkrete Anhaltspunkte für einen solchen Einfluß nennt auch das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichtes nicht. Es meint aber, ein Beweis des ersten Anscheines spreche dafür, daß die Besatzung von D sich anders verhalten hätte, wenn man dort das Signal von M gehört hätte. Von einem Beweis des ersten Anscheins kann nur dann gesprochen werden, wenn ein feststehender Sachverhalt unter normalen Umständen nur bestimmte Schlüsse entweder auf seine Ursache oder auf seine Folgen zuläßt, während andere Schlußfolgerungen nur unter außergewöhnlichen Umständen möglich erscheinen. In einem solchen Falle muß diejenige Partei, die sich auf solche außergewöhnlichen Umstände beruft, diese darlegen und - falls sie bestritten werden - beweisen. Mißlingt diese Darlegung oder dieser Beweis, so ist von einem normalen Geschehensablauf auszugehen. Einen solchen gibt es aber im vorliegenden Falle nicht. Der Grundsatz, daß Schiffssignale von den Besatzungen anderer Schiffe, an welche sie gerichtet sind, auch befolgt werden, wenn sie gehört werden, gilt nämlich nur mit der wesentlichen Einschränkung, daß eine solche Befolgung noch möglich ist. Im vorliegenden Falle war sie nicht mehr möglich, wie die Aussagen der vom Rheinschifffahrtsgericht gehörten Zeugen S. und W. zeigen. Bei ihnen handelt es sich um den Schiffsführer und den Matrosen des MS A, das zur Unfallzeit in der Nähe der Mainmündung auf dem Rhein still lag. Beide Zeugen haben das Aufdrehsignal von M gehört. Aus ihren Aussagen ergibt sich aber auch, daß es ganz kurz vor dem Beginn des damit angekündigten Manövers gegeben worden ist.

Beide Aussagen sind eindeutig. Sie zeigen, daß Ankündigungs¬signal und angekündigtes Manöver sich im kurzen Abstand folgten. Auch wenn man also auf dem MS D das Ankündigungssignal gehört hätte, hätte die Reaktion keine andere sein können als die erfolgte. Sie bestand nach der richtigen Feststellung des Rheinschiffahrtsgerichtes darin, daß Kurs und Geschwindigkeit von D unvermittelt verändert wurden; sie konnte die Havarie aber nicht abwenden. Nur die gleiche Reaktion hätte erfolgen können, wenn man auf D das Aufdrehsignal von M gehört hätte. Eine die Havarie vermeidende Maßnahme war aus Zeitmangel nicht möglich. Damit steht fest, daß der Unfall allein auf dem Aufdrehmanöver von M beruht, das, wie das Rheinschiffahrtsgericht richtig festgestellt hat, rechtswidrig und schuldhaft ausgeführt worden ist.

Die Anschlußberufung weist die Berufungskammer als unzulässig zurück. Es wird zwar grundsätzlich anerkannt, daß auch in Rheinschiffahrtssachen ein solches Rechtsmittel vor der Berufungskammer eingelegt werden kann. Diese Einlegung muß aber mit Rücksicht auf Artikel 37 der Revidierten Rheinschiffahrtsakte spätestens und gleichzeitig mit der Beantwortung der Berufung erfolgen. Im vorliegenden Falle ist dies aber nicht geschehen, denn die Ankündigung einer eventuellen Anschlußberufung in der Berufungserwiderung ist noch keine Einlegung der Anschlußberufung.