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534B - 2/24 - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 03.12.2024
Aktenzeichen: 534B - 2/24
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Berufungskammer

der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt

Urteil

534B - 2/24

am 3. Dezember 2024

auf Berufung gegen den Beschluss des

Rheinschifffahrtsgerichts St. Goar

vom 6.November 2023 unter dem Aktenzeichen 4 OWi 2010 Js 57150/21 BSchRh

In dem Bußgeldverfahren

hat die Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt in Straßburg nach öffentlicher Verhandlung vom 12. November 2024, an welcher teilgenommen haben: als Richter: die Herren DE BAETS (Vorsitzender), BALL, LENSELINK, LÖTSCHER-STEIGER, WOEHRLING, in Anwesenheit der Gerichtskanzlerin, Frau Bente BRAAT, gestützt auf Art. 37 und 45bis der Revidierten Rheinschifffahrtsakte vom 17. Oktober 1868 in der Fassung vom 20. November 1963 sowie des Art. III ihres Zusatzprotokolls Nr.3 vom 17. Oktober 1979 folgendes Urteil erlassen:

Es wird Bezug genommen auf:

1. den Beschluss des Rheinschifffahrtsgerichts St. Goar vom 6.November 2023, der dem Betroffenen am 20. November 2023 zugestellt worden ist;

2. die Berufungsschrift des Betroffenen vom 8. Dezember 2023, eingegangen bei Gericht am 13. Dezember 2023;

3. die Berufungsbegründungsschrift des Betroffenen vom 13. Dezember 2023, eingegangen bei Gericht am selben Tag;

4. die Akten 4 OWi 2010 Js 57150/21 BSchRh des Rheinschifffahrtsgerichts St. Goar;

Die genannten Akten haben der Berufungskammer vorgelegen.

 

TATBESTAND

Am 8.Januar 2021 wurde in dem Rheinhafen Koblenz-Wallersheim durch die Firma T. GmbH& Co.KG das TMS „A.“ entladen. Die Ladung bestand aus Dieselkraftstoff (UN-Nummer 1202). An der Entladestelle bestand ein landseitiger Fluchtweg (Treppe). Am entgegengesetzten Ende des Tankschiffs war ein Beiboot zu Wasser gelassen. TMS „A.“ hatte zuvor Benzin geladen. Aufgrund dieser Vorladung war der Tankraum nicht frei von entzündlichen Gasen; aus diesem Grund führte das Schiff einen blauen Kegel.

Das Polizeipräsidium Rheinland-Pfalz, Zentrale Bußgeldstelle, erließ am 8. April 2021 gegen den Betroffenen einen Bußgeldbescheid über 1.000 Euro mit der Begründung, der Betroffene habe als Verantwortlicher des Entladers von Gefahrgut nicht sichergestellt, dass die landseitigen Einrichtungen beim Entladen mit den notwendigen Evakuierungsmitteln ausgestattet gewesen seien. Wegen der von der Vorladung von Benzin (UN-Nummer 1203) herrührenden Gaskonzentration in den Ladetanks und des Führens eines blauen Kegels seien die Vorschriften über den Umschlag von Benzin (UN-Nummer 1203) zu beachten. Nach Spalte1 der dafür maßgeblichen Tabelle zu Absatz 7.2.4.77 ADN müssten zwei Fluchtwege außerhalb der Ladung vorhanden sein; ein Beiboot stelle keinen zulässigen Fluchtweg dar.

Gegen diesen Bescheid hat der Betroffene fristgerecht Einspruch erhoben. Zur Begründung hat er im Wesentlichen geltend gemacht:

Für die Frage, welche Evakuierungsmittel vorzuhalten seien, komme es allein auf die Ladung, nicht auf die Vorladung an. Für die Entladung von Dieselkraftstoff sei gemäß Ziffer9 der Tabelle zu Absatz 7.2.4.77 ADN ein Beiboot als zweiter Rettungsweg zugelassen. Anders als beim Umschlag von Benzin bestehe hier nicht die Gefahr, dass das Ladegut sich entzünde und als brennende Flüssigkeit auf dem Wasser treibe. Die Gaskonzentration aufgrund der Vorladung mit Benzin könne zu einer Explosion, aber nicht dazu führen, dass eine brennende Flüssigkeit auf dem Wasser treibe.

Mit Beschluss vom 6. November 2023 hat das Rheinschifffahrtsgericht gegen den Betroffenen eine Geldbuße von 500 Euro festgesetzt und zur Begründung dieser Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

Der Betroffene sei als Schiffsführer des TMS „A.“ am 8. April 2021 Verantwortlicher für die Entladung von Gefahrgut gewesen. Beim Umschlag im Hafen Koblenz habe nur ein fester Fluchtweg landseits bestanden; daneben sei ein Beiboot an dem Tankschiff angebracht gewesen. Die Rechtsauffassung des Betroffenen, die erforderlichen Evakuierungsmittel seien nach der aktuellen Ladung, nicht nach der Vorladung zu bestimmen, treffe nur mit der Einschränkung zu, dass dies nur dann gelte, wenn eine Kontrolle der Konzentration an giftigen Gasen oder Dämpfen innerhalb des Ladetanks nach dem dafür erforderlichen Prozedere (Ziffer 7.2.5.0.1 ADN) durchgeführt worden sei. Da dies nicht geschehen sei, seien die Sicherungsvorschriften nach Maßgabe des nicht ausgeschlossenen Risikos zu beachten. Im Hinblick darauf, dass der Betroffene blaue Kegel gesetzt habe, sei davon auszugehen, dass er sich des grundsätzlichen Risikos bewusst gewesen sei und die erforderlichen Maßnahmen zumindest fahrlässig nicht beachtet habe.

Gegen diesen Beschluss hat der Betroffene fristgerecht Berufung eingelegt und die

Entscheidung der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt beantragt.

Zur Begründung trägt er vor:

Die Entscheidung des Rheinschifffahrtsgerichts beruhe auf einem unzutreffenden Sachverhalt, weil er nicht Schiffsführer des TMS „A.“ gewesen sei und keine blauen Kegel gesetzt habe. Es habe ihm auch nicht oblegen, Messungen der Gaskonzentration vorzunehmen.

In rechtlicher Hinsicht gehe es um die Frage, welche Evakuierungsmittel erforderlich seien.

Wenn kein Benzin mehr geladen sei, bestehe unabhängig von einer eventuellen Gaskonzentration keine Gefahr, dass im Falle einer Gasexplosion eine brennende Flüssigkeit auf dem Wasser treibe. Somit sei ein Beiboot ein geeignetes Evakuierungsmittel.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

Die zulässige Berufung ist begründet.

 

I.

Der Betroffene moniert zu Recht, dass der angefochtene Beschluss auf einem unzutreffenden Sachverhalt beruht. Auch im Ergebnis kann die Entscheidung des Rheinschifffahrtsgerichts keinen Bestand haben.

 

II.

Der Betroffene wendet sich zu Recht gegen den Vorwurf, beim Entladen des TMS „A.“ nicht für ausreichende Evakuierungsmöglichkeiten gesorgt zu haben.

Gemäß § 23aAbs.4 Nr.1 der Verordnung über die innerstaatliche und grenzüberschreitende Beförderung gefährlicher Güter auf der Straße, mit Eisenbahnen und auf Binnengewässern (Gefahrgutverordnung Straße, Eisenbahn und Binnenschifffahrt - GGVSEB) hat der Entlader in der Binnenschifffahrt nach Absatz 1.4.3.7.1 Buchstabe g ADN 2021, gültig ab. 1. Januar 2021 (im Folgenden: ADN), sicherzustellen, dass beim Entladen die landseitige Einrichtung mit einem oder zwei Evakuierungsmitteln ausgerüstet ist, damit das Schiff in Notfällen verlassen werden kann.

Gemäß den Begriffsbestimmungen in Absatz 1.2ADN ist Evakuierungsmittel jedes Mittel, das von Menschen verwendet werden kann, um sich aus einer Gefahr in Sicherheit zu bringen. Als Gefahren sind nach dieser Begriffsbestimmung zu berücksichtigen:

- bei Stoffen der Klasse 3, Verpackungsgruppe III, UN-Nummer 1202, zweite und dritte Eintragung, und bei Stoffen der Klassen 4.1,8 und 9 auf Tankschiffen: Leckage am Landanschluss der Lade- und Löschleitung;

- bei anderen Stoffen der Klasse3 und der Klasse2 und bei entzündbaren Stoffen der Klasse8 auf Tankschiffen: Feuer im Bereich des Landanschlusses der Lade- und Löschleitung an Deck und brennende Flüssigkeit auf dem Wasser.

Welche Evakuierungsmittel im Einzelfall vorzuhalten sind, ergibt sich aus der Tabelle zu Absatz 7.2.4.77 ADN. Hiernach sind beim Entladen von Dieselkraftstoff (UN-Nr. 1202) mögliche Evakuierungsmittel im Notfall gemäß Spalte2 ein Fluchtweg außerhalb oder innerhalb des Bereichs der Ladung und ein Beiboot am entgegengesetzten Ende des Tankschiffs (Nr. 4, 9). Diese Evakuierungsmittel waren nach den Feststellungen der Wasserschutzpolizei während des Entladevorgangs vorhanden.

Auch eine Zuwiderhandlung gegen § 33 der Landeshafenverordnung Rheinland-Pfalz ist dem Betroffenen nicht vorzuwerfen. Nach Absatz 1 dieser Vorschrift hat der Betreiber der Umschlagsanlage für den Umschlag von gefährlichen Gütern zwei feste Fluchtwege zur Verfügung zu stellen, wobei einer dieser Fluchtwege durch ein zu Wasser gelassenes, jederzeit sicher erreichbares, betriebsbereites Beiboot ersetzt werden kann. Diese Anforderungen waren beim Entladen des TMS „A.“ erfüllt.

Die Zulässigkeit des Beiboots als zweites Evakuierungsmittel beim Entladen von Dieselkraftstoff ist nicht deshalb zu verneinen, weil TMS „A.“ zuvor Benzin geladen hatte, von dieser Vorladung noch Gaskonzentrationen in den Ladetanks vorhanden waren und aus diesem Grund ein blauer Kegel gesetzt war. Diese Umstände führen nicht dazu, dass die für das Entladen von Benzin (UN-Nummer1203) geltenden Bestimmungen über Evakuierungsmittel (Spalte1 der Tabelle zu Absatz 7.2.4.77 ADN) anzuwenden wären. Die Gefahr brennender Flüssigkeit auf dem Wasser, derentwegen ein Beiboot beim Entladen von Benzin kein zulässiges Evakuierungsmittel darstellt, ist nach der oben zitierten Begriffsbestimmung beim Entladen von Dieselkraftstoff nicht zu berücksichtigen. Eine Verpflichtung des Entladers, hiervon abweichend die Evakuierungsvorschriften für das Entladen von Benzin einzuhalten, falls in den Ladetanks noch Gaskonzentrationen von einer vorausgegangenen Beladung mit Benzin vorhanden sind und aus diesem Grund ein blauer Kegel gesetzt ist, sehen die einschlägigen Bestimmungen nicht vor.

 

III.

Aus den dargelegten Gründen wird daher für Recht erkannt:

Auf die Berufung des Betroffenen wird der Beschluss des Amtsgerichts — Rheinschifffahrtsgerichts — St. Goar vom 6.November 2023 —4 OWi 2010 Js 57150/21 BSchRh —aufgehoben.

Der Betroffene wird freigesprochen.

Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei.

Die notwendigen Auslagen des Betroffenen werden der Staatskasse auferlegt.