Rechtsprechungsdatenbank

529 BZ - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 25.05.2023
Aktenzeichen: 529 BZ
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

BERUFUNGSKAMMER

ZENTRALKOMMISSION FÜR DIE RHEINSCHIFFFAHRT

529 BZ

URTEIL

vom 25. Mai 2023

ergangen als Berufungsurteil gegen das Urteil

des Landgerichts Gelderland

vom 23. Februar 2022

unter der Rechtssachennummer C/05/376473 / HA ZA 20-526

 

In der Rechtssache

(...)

gestützt auf die folgenden, derzeit maßgeblichen Verfahrensschriftsätze:

  1. das genannten Urteil des Landgerichts Gelderland vom 23. Februar 2022, gegen das Berufung eingelegt wurde;
  2. die Berufungsschrift der Berufungsklägerinnen vom 25. März 2022, zugestellt an das Landgericht Gelderland;
  3. die Berufungsbegründung der Berufungsklägerinnen mit Anlagen, einschließlich vier USB-Sticks mit Inland-ECDIS-Videos mit den Bezeichnungen „AIS.1“, „AIS.2“, „AIS.3“ von den Berufungsklägerinnen und „Beweismittel 5“ von der Berufungsbeklagten, auf denen die unten zu behandelnden Kollisionen zu sehen sind;
  4. die Klageerwiderung der Berufungsbeklagten mit Anlagen;
  5. das Schreiben des Landgerichts Gelderland an den Gerichtskanzler der Berufungskammer vom 5. Juli 2022.

Das Verfahren in erster Instanz

In dieser Rechtssache geht es um zwei Kollisionen, die sich kurz nacheinander auf dem Boven-Rijn zwischen km 862 und km 863 am Morgen des 7. März 2018 gegen 06:30 Uhr ereigneten und an denen in beiden Fällen die zu Tal fahrende MTS „Stolt Florence“ beteiligt war. Dieses Schiff kollidierte zuerst mit der zu Berg fahrenden MTS „'Walter Deymann“ und dann mit der zu Berg fahrenden MS „Tyro“.

Die Berufungsklägerinnen 1 bis 10 sind die Miteigentümer und die Berufungsklägerin 11 ist der Ausrüster der „Stolt Florence“. Die Berufungsklägerinnen wurden von A.C.C.O. Scheepvaart B.V., Christof Oorburg, Arigje Cornelia Oorburg-Cornet, MS Amlin Marine N.V., Achmea Schadeverzekeringen N.V. und Corins B.V. (im Folgenden: ACCO und Partner), den Eignern und Versicherern der MS „Tyro“, vor dem Landgericht Gelderland auf Schadenersatz wegen der Kollision zwischen der „Tyro“ und der „Stolt Florence“ verklagt. Die Berufungsklägerinnen haben daraufhin die Berufungsbeklagte mit einer durch den Gerichtsvollzieher zugestellten Ladung vom 26. August 2020 vor das Landgericht Gelderland geladen und eine Schadenersatzklage in Bezug auf die Forderungen von ACCO und Partner sowie eine eigenständige Schadensersatzklage erhoben. Die Berufungsklägerinnen machen die Berufungsbeklagte, die Eignerin der „Walter Deymann“, für den Schaden verantwortlich und tragen vor, dass die „Walter Deymann“ die Kollision mit der „Stolt Florence“ (mit)verschuldet habe, da sie durch die Kollision in Richtung der „Tyro“ abgedrängt wurde und daher mit diesem Schiff kollidierte. Darüber hinaus machten die Berufungsklägerinnen eigene Ansprüche für Kollisionsschäden gegen die Berufungsbeklagte geltend.

Mit Urteil vom 23. Februar 2022 entschied das Rheinschifffahrtsgericht Gelderland, Gerichtsort Arnheim in der Hauptsache ACCO und Partner gegen die Berufungsklägerinnen, dass die Berufungsklägerinnen für den Schaden von ACCO und Partner haften. Da der Nutzungsverlustschaden der A.C.C.O. Scheepvaart B.V. noch nicht feststand, setzte das Rheinschifffahrtsgericht die Entscheidung in der Hauptsache aus. Mit demselben Urteil wies das Rheinschifffahrtsgericht die Klage der Berufungsklägerinnen gegen die Berufungsbeklagte ab. Die Berufungsklägerinnen legten gegen die letztgenannte Entscheidung Beschwerde bei der Berufungskammer ein. Diese Berufung betrifft nur den Rechtsstreit zwischen den Berufungsklägerinnen und der Berufungsbeklagen, nicht den Rechtsstreit zwischen ACCO und Partner und den Berufungsklägerinnen.

Das Berufungsverfahren

Die Berufungsklägerinnen haben mit Ladung vom 25. März 2022 bei der Berufungskammer Berufung gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts vom 23. Februar 2022 eingelegt, das zu diesem Zeitpunkt noch keiner der Berufungsklägerinnen zugestellt worden war. Die Berufung wurde daher rechtzeitig eingelegt.

Die Berufungsklägerinnen haben am 22. April 2022 - und damit rechtzeitig - eine Berufungsbegründung beim Rheinschifffahrtsgericht eingereicht und Schriftsätze für das Verfahren vorgelegt. In der Berufungsbegründung erheben die Berufungsklägerinnen neun Rügen gegen das Urteil vom 23. Februar 2022. Die Berufungsklägerinnen beantragen, die Berufungskammer möge das Urteil aufheben oder abändern und ihren Anträgen stattgeben, hilfsweise die Rechtssache an das Rheinschifffahrtsgericht zurückverweisen und in beiden Fällen der Berufungsbeklagten die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen auferlegen.

In ihrer Klageerwiderung hat die Berufungsbeklagte ihre Verteidigungsmittel vorgebracht und Schriftsätze eingereicht. Die Berufungsbeklagte beantragt, dass die Berufung abgewiesen wird und dass die Berufungsklägerinnen die Kosten des Berufungsverfahrens tragen.

Bei der Verhandlung vor der Berufungskammer am 12. April 2023 haben die Parteien ihre Argumente vortragen lassen, die Berufungsklägerinnen durch ihren Rechtsanwalt, die Berufungsbeklagte durch ihren Rechtsanwalt und mr. A.R. de Graaf. Van Bemmel hat seine Verhandlungsnotizen eingereicht, mr. Van Zuethem und mr. De Graaf haben ihre Notizen aus der mündlichen Verhandlung eingereicht.

Die Beurteilung der Berufung

Anwendbares Recht

Weder die Berufungsklägerinnen noch die Berufungsbeklagte haben Einwände gegen die Entscheidung in den Randnummern 4.9, 4.10 und 4.11 des Urteils erhoben, dass das Rechtsverhältnis zwischen ihnen durch die Rheinschifffahrtspolizeiverordnung (RheinSchPV) und das niederländische Recht geregelt wird.

Die Berufungskammer geht daher von dieser Feststellung aus.

Tatsachenfeststellung und Umstände

Die Berufungskammer stützt sich ferner auf die vom Rheinschifffahrtsgericht in den Randnummern 5.1 bis 5.16 festgestellten Tatsachen und Umstände, weil die Berufungsklägerinnen keinen (hinreichend deutlichen oder hinreichend erkennbaren Einwand dagegen erhoben haben. In den Randnummern 5.9 und 5.11 finden sich Bilder aus dem Inland ECDIS-Video, das von den Berufungsklägerinnen als AIS.2 vorgelegt wurde. Es wurden auch keine Einwände gegen die unten in Randnummer 6.7 des Urteils zitierten Feststellungen erhoben, in denen die Berufungskammer feststellt, dass das Rheinschifffahrtsgericht mit der Reederei Florence Tank die Berufungsklägerinnen meint:

In der Verhandlung hat Herr Mijnster (von dem von der Reederei Florence Tank beauftragten Sachverständigenbüro Verschoor & Bras) erklärt, was geschah, als der Kurs der Stolt Florence geändert wurde. Ihm zufolge änderte die Stolt Florence ihren Kurs kurz vor oder während der Kollision mit der Walter Deymann. Herr Mijnster geht davon aus, dass die Kursänderung vom Schiffsführer der Stolt Florence veranlasst wurde. Herr Mijnster führte aus, dass er am Morgen der mündlichen Verhandlung mit dem Schiffsführer der Stolt Florence gesprochen habe und dass der Schiffsführer zu diesem Zeitpunkt gesagt habe, dass er die Kurve nach Steuerbord (mit der Biegung des Flusses) gestoppt habe.

Ausgehend von den vorgenannten Ausgangspunkten stellt die Berufungskammer die folgenden Tatsachen und Umstände fest.

Am Morgen des 7. März 2018 war es gegen 06:30 Uhr noch dunkel (Sonnenaufgang gegen 07:30 Uhr). Aufgrund des Nebels war die Sicht auf etwa 200 Meter begrenzt, d.h. von den jeweiligen Steuerhäusern der „Stolt Florence“ und der „Walter Deymann“ bis etwa 100 Meter vor dem Bug.

Bei km 862/863, in der Nähe des Hafens der Schiffswerft De Hoop, macht der Boven-Rijn eine Rechtskurve. Dieser Hafen und die angrenzende Landebrücke für Autos, die beide am rechten Ufer liegen, sind als verkehrsreiche Abschnitte bekannt, was auf den Inland-ECDIS-Karten durch ein Gefahrendreieck angezeigt wird.

Das Fahrwasser ist bei km 862/863 etwa 340 Meter breit, die Fahrrinne darin ist etwa 170 Meter breit. Der Abstand zwischen der Landebrücke für Autos und der Fahrrinne beträgt etwa 110 Meter.

Die zu Berg fahrende, unbeladene „Walter Deymann“ hatte längsseits der MS „The-Ann XII“ an der Landebrücke für Autos angelegen, um ein Besatzungsmitglied aufzunehmen und lag dort kurz still. Gegen 06:25 Uhr (Zeitstempel der Inland ECDIS-Videos AIS.1 und AIS.3) setzte sich die „Walter Deymann“ wieder in Bewegung. Die „Walter Deymann“ ließ die „The-Ann XII“ vorbei. Beide Schiffe fuhren am rechten Rand der Fahrrinne und zeigten die blaue Tafel mit Funkellicht.

Die „Stolt Florence“, beladen mit 1.003 Tonnen Monoethylenglykol, fuhr als Talfahrer mit einer Geschwindigkeit von etwa 19 km/h über Grund auf dem Boven-Rijn. Zunächst passierte die „Stolt Florence“ die „The-Ann XII“ Steuerbord an Steuerbord. Aus den Erklärungen des Schiffsführers der „Stolt Florence“ Randnummer 5.14 Urteil geht hervor, dass er die hinter der „The-Ann XII“ fahrende Walter Deyman wahrgenommen hat und dass er sah, dass dieses Schiff die blaue Tafel und das Funkellicht zeigte. Der Schiffsführer der „Stolt Florence“ verließ sich daher darauf, dass es auch zu einer Steuerbord-Steuerbord-Begegnung kommen würde (Berufungsbegründung Randnummer 39). Das haben die beiden Schiffe auch so umgesetzt, allerdings rammten sie sich gegen 06:29 Uhr gegenseitig an ihren Steuerbordseiten. Die „Stolt Florence“ und die „Walter Deymann“ kollidierten am Rand der rechten Hälfte der Fahrrinne, direkt stromaufwärts von der Landebrücke für Autos.

Ab oder nach der Berührung mit der „Walter Deymann“ änderte sich der Kurs der „Stolt Florence“ für etwa eine Minute immer weiter, um ungefähr 10 Grad (von 287,6 nach 277,3) in Richtung Backbord, während der Boven-Rijn nach rechts abbiegt. So ist die „Stolt Florence“ in die linke Hälfte der Fahrrinne geraten. Dort kollidierte das Schiff mit der zu Berg fahrenden „Tyro“. Die „Stolt Florence“ berührte mit ihrem Backbord-Achterschiff das Backbord-Achterschiff der „Tyro“:

Soweit die Berufungsklägerinnen andere als die oben festgestellten Tatsachen und Umstände gerügt haben, haben sie daran kein Interesse mehr, weil diese nicht entscheidungserheblich sind.

Die Rügen

Wie bereits erwähnt, machen die Berufungsklägerinnen die Berufungsbeklagte als Eignerin der „Walter Deymann" für die von ACCO und Partner erlittenen Schäden sowie für ihre eigenen Schäden haftbar und machen geltend, dass alle diese Schäden auf die Kollision zwischen der „Stolt Florence" und der „Walter Deymann" zurückzuführen seien und dass das letztgenannte Schiff an der Kollision mit der „Stolt Florence" (mit)schuldig sei. Die Berufungsklägerinnen machen - kurz gefasst - geltend, dass das Rheinschifffahrtsgericht einen Fehler bei der Prüfung und Entscheidung folgender Punkte begangen habe:

  1. dass die “Walter Deymann“ kein (Mit-)Verschulden an der Kollision mit der 'Stolt Florence' trägt; und
  2. dass der Schaden, der bei der Kollision zwischen der „Stolt Florence“ und der „Tyro“ entstanden ist, nicht durch die Kollision zwischen der „Stolt Florence“ und der „Walter Deymann“ verursacht wurde.

Die Berufungsklägerinnen wenden sich außerdem gegen die abweisende Entscheidung über die Sachverständigenhonorare, Kosten für ECDIS-Videos und für die Übersetzung.

Die Berufungskammer wird diese Rügen thematisch und als Ganzes behandeln.

Verschulden der „Walter Deymann“?

Die Berufungsklägerinnen machen geltend, dass die „Walter Deymann“ die Kollision mit der „Stolt Florence“ verschuldet oder zumindest mitverschuldet hat, dass die Berufungsklägerinnen durch diese Kollision einen Schaden erlitten haben und dass die „Stolt Florence“ infolgedessen mit der „Tyro“ kollidierte und so die Folgeschäden verursacht worden sind. Die Berufungsklägerinnen berufen sich auf die Vorschrift von § 6.14 RheinSchPV und machen geltend, (i) dass die „Walter Deymann“ aufgrund ihrer Abfahrt von der Landebrücke für Autos dafür verantwortlich war, sich zu vergewissern, dass sie gefahrlos abfahren konnte und (ii) dass die „Walter Deymann“ nicht direkt hinter „The-Ann XII“ fuhr, sondern nach Steuerbord (von der „Stolt Florence“ aus gesehen: nach Backbord) steuerte. Daraufhin geriet sie weiter in die rechte Hälfte der Fahrrinne und ließ so der „Stolt Florence“ nicht genügend Platz, beziehungsweise zwang dieser Kurs die „Stolt Florence“ hart nach Backbord zu steuern, um der „Walter Deymann“ auszuweichen. So lautet das Vorbringen der Berufungsklägerinnen.

Die Berufungsbeklagte bestreitet dieses Vorbringen und führt dazu eine Begründung an. In erster Instanz wurde festgestellt, dass von einem Verschulden oder Mitverschulden der „Walter Deymann“ keine Rede sein kann.

Auch in der Berufungsinstanz ist ein Verschulden oder Mitverschulden der „Walter Deymann“ nicht glaubhaft gemacht worden geschweige denn bewiesen. Die Berufungskammer führt in diesem Zusammenhang folgende Entscheidungsgründe an.

Hinsichtlich des Beurteilungsrahmens stellt die Berufungskammer zunächst Folgendes fest. Die Kollision unterliegt dem Internationalen Übereinkommen zur einheitlichen Feststellung bestimmter Regeln über den Zusammenstoß von Schiffen, Genf, 15. März 1960, Niederländisches Staatsblatt 1961, 88 (Genfer Zusammenstoßübereinkommen). Die für diesen Fall relevanten Bestimmungen des Genfer Zusammenstoßübereinkommen sind in den Artikeln 8:1004 und 8:1005 des niederländischen Bürgerlichen Gesetzbuches (BW) enthalten. Darin heißt es, dass eine Haftung für Schäden nur dann besteht, wenn der Schaden durch ein Verschulden verursacht wurde und es keine gesetzliche Vermutung für ein Verschulden gibt (Artikel 8:1004 BW), und dass, wenn der Schaden durch das Verschulden eines Schiffes verursacht wurde, die Verpflichtung zur Zahlung von Schadenersatz beim Eigentümer dieses Schiffes liegt (Artikel 8:1005 BW).

Die Berufungsklägerinnen machen zwar zu Recht geltend, dass die „Walter Deymann“, weil sie sich von der Landebrücke für Autos entfernte, gemäß § 6.14 Nr. 1 RheinSchPV die Verantwortung hatte, sich zu vergewissern, dass diese Abfahrt gefahrlos erfolgen konnte. Aber aufgrund des Verweises in diesem Artikel auf § 6.13 ist diese Verpflichtung beschränkt, und zwar darauf dass „andere Fahrzeuge nicht gezwungen werden, unvermittelt ihren Kurs oder ihre Geschwindigkeit zu ändern". Gemäß der anwendbaren Nummer 3 von § 6.13 RPR war die „Walter Deymann“ bei der Abfahrt von der Landebrücke für Autos außerdem dazu berechtigt, bei der Begegnung mit der „ Stolt Florence“ deren Mitarbeit einzufordern. Die „Stolt Florence“ leistete diese Mitarbeit auch, wie sich aus der Tatsache ablesen lässt, dass der Schiffsführer der „Stolt Florence“ die von der „Walter Deymann“ gesetzte blaue Tafel mit Funkellicht befolgte und eine Steuerbord-Steuerbord-Begegnung anstrebte.

Gemäß den vorgenannten Bestimmungen und dem anwendbaren Artikel 150 der niederländischen Zivilprozessordnung trägt die Partei, die behauptet, dass ein Schiff ein Verschulden oder Mitverschulden für eine Kollision hat, die Vortragspflicht und – bei einem begründeten Bestreiten – die Beweislast für den Sachverhalt und die Umstände, die den Schluss zulassen, dass ein solches Verschulden oder Mitverschulden vorliegt.

Aus dem oben festgestellten Sachverhalt, dem Vorbringen beider Parteien und den von den Beteiligten vorgelegten Erklärungen ergibt sich, dass an der Stelle, an der sich die „Stolt Florence“ zuerst der „The-Ann XII“ und dann der „Walter Deymann“ näherte, ausreichend Platz war, um problemlos eine Steuerbord-Steuerbord-Begegnung durchzuführen. Denn an dieser Stelle ist das Fahrwasser ungefähr 340 Meter breit und die Fahrrinne hat eine Breite von 170 Meter. Wie aus dem Ausdruck des Inland ECDIS Videos AIS.2 in Randnummer 5.11 des Urteils hervorgeht – gegen den keine der Parteien Einspruch erhoben hat – stießen die „Walter Deymann“ und die „Stolt Florence“ am Rand der rechten Fahrrinnenhälfte zusammen; es war noch ein großer Teil der rechten Hälfe der Fahrrinne frei. Es ist auch unbestritten, dass die Schiffe einander nur gestreift haben. Sowohl die „The-Ann XII“ als auch die „Walter Deymann“ hatten die blaue Tafel gekoppelt mit weißem Funkellicht gezeigt, um anzuzeigen, dass sie eine Steuerbord-Steuerbord-Begegnung durchführen wollten. Schließlich steht fest, dass die „Stolt Florence“ und die „The-Ann XII“ problemlos Steuerbord an Steuerbord aneinander vorbeifuhren.

In Anbetracht dieser festgestellten Tatsachen und Umstände sowie der vorgenannten Bestimmungen (und der eingeschränkten Verpflichtung für ein abfahrendes Schiff gemäß § 6.14 RheinSchPV) obliegt es daher den Berufungsklägerinnen, hinreichend konkrete Tatsachen und Umstände darzulegen, aus denen sich ableiten lässt, dass die „Walter Deymann“ tatsächlich deutlich weiter in der rechten Fahrrinnenhälfte gefahren ist als die „The-Ann XII“ und – angesichts des begründeten Bestreitens – ein hinreichend konkretes und spezifisches Beweisangebot in diesem Sinne vorzulegen. Die Berufungsklägerinnen haben dies nicht getan. Die Berufungsklägerinnen haben lediglich angeboten, den Schiffsführer der „Stolt Florence“, M. Flemmer, anzuhören, um eine Erklärung „über die Geschehnisse" abzugeben (Berufungsbegründung Rn. 40), ohne auszuführen, was Schiffsführer Flemmer zusätzlich zu dem, was er bereits zuvor erklärt hatte, darlegen könnte.

Soweit die Berufungsklägerinnen angeboten haben, noch schriftliche Erklärungen des Schiffsführers Flemmer und des Sachverständigen Mijnster in das Verfahren einzubringen (in den Verhandlungsnotizen unter Beweisvorlage), hat die Berufungskammer dieses Angebot aufgrund der Regelung, dass eine Partei von sich aus schriftliche Beweise in das Verfahren einbringen muss, nicht berücksichtigt (vgl. niederländischer Oberster Gerichtshof Hoher Rat vom 9. März 2012, ECLI:NL:HR:2012:BU9204, Rn. 3.5). Hinzu kommt, dass das Rheinschifffahrtsgericht Herrn Mijnster schon angehört hat und die Berufungsklägerinnen aber nicht vorgetragen haben, was Herr Mijnster noch ausführlicher erläutern könnte.

Die Berufungsklägerinnen legten eine Erklärung und eine Zeichnung des Schiffsführers Flemmer vor, die in Randnummer 5.14 des Urteils wiedergegeben werden und die ihr Vorbringen nicht stützen. Schiffsführer Flemmer hat erklärt, dass die „Walter Deymann“ zunächst nach Steuerbord steuerte, dann aber wieder hart nach Backbord lenkte. Infolgedessen konnte die „Walter Deymann“ nicht so in den Kurs der „Stolt Florence“ geraten, dass die „Stolt Florence“ ihr nicht hätte ausweichen können und sollen. Auch aus der Zeichnung des Schiffsführers Flemmer geht nicht hervor, dass die „Stolt Florence“ auf ihre Backbordseite hätte wechseln müssen, um der „Walter Deymann“ auszuweichen.

Auch der Ausdruck des Inland ECDIS AIS.2 Videos, der von den Berufungsklägerinnen in Randnummer 5.11 des Urteils vorgelegt wurde, stützt das Vorbringen der Berufungsklägerinnen nicht.

Unter Berücksichtigung von § 4.07 RheinSchPV (in der am 7. März 2018 geltenden Fassung) mussten beide Schiffe ein ordnungsgemäß funktionierendes Inland AIS Gerät und ein ordnungsgemäß funktionierendes Inland ECDIS Gerät an Bord haben. Die von den Verfahrensbeteiligten vorgelegten Inland ECDIS Videos konnten daher im Prinzip herangezogen werden. Die Parteien haben sich jedoch zur Genauigkeit der Darstellung auf diesen Inland ECDIS Videos geäußert. Wie dem auch sei, die Inland ECDIS Videos, insbesondere die mit AIS.1 und AIS.3 gekennzeichneten Videos, zeigen keineswegs, dass die 'Walter Deymann' nicht mehr oder weniger direkt hinter der 'The-Ann XII' fuhr, sondern eher in der rechten Hälfte der Fahrrinne, wie die Berufungsklägerinnen vorbringen. Aus den in das Verfahren eingebrachte ECDIS-Videos ergibt nicht, dass die „Stolt Florence" ihre Geschwindigkeit deutlich reduziert oder ihren Kurs erheblich geändert hat, im Gegenteil.

Das Vorbringen der Berufungsklägerinnen, dass die „Walter Deymann“ die blaue Tafel mit Funkellicht wegen Nebels - wie auch immer die Lage nun genau vor Ort ausgesehen haben mag - nicht hätte benutzen dürfen, wird von der Berufungskammer nicht berücksichtigt, da dieser Umstand nicht zu der Kollision zwischen der „Walter Deymann und der „Stolt Florence“ geführt hat. Im Gegenteil, der Schiffsführer der „Stolt Florence“ hat die Zeichen gesehen und darauf vertraut, dass die Schiffe Steuerbord an Steuerbord aneinander vorbeifahren würden.

Soweit die Berufungsklägerinnen für die übrigen Aspekte ein Beweisangebot unterbreitet haben, wird dieses von der Berufungskammer nicht berücksichtigt, da es sich nicht auf entscheidungserhebliche Argumente, Tatsachen oder Umstände bezieht.

Die Schlussfolgerung lautet, dass die Berufungsklägerinnen keine Beweise für ihr Vorbringen vorgelegt haben. Da die Berufungsklägerinnen kein hinreichend konkretes und spezifisches Beweisangebot gemacht haben, ordnet die Berufungskammer keine Beweiserhebung an. Da die Berufungsklägerinnen die Beweislast tragen, trifft sie das Risiko der Nichterweislichkeit der ihren Vortrag tragenden Beweise.

Die Berufungskammer kommt daher zu dem Schluss, dass ein (Mit-)Verschulden der „Walter Deymann“ an der Kollision mit der „Stolt Florence“ nicht nachgewiesen werden konnte. Folglich haftet die Berufungsbeklagte nicht für die von den Berufungsklägerinnen geltend gemachten Schäden, die nach Ansicht der Berufungsklägerinnen alle dieser Kollision zurechenbar sind. Daher greifen die Schadenersatzforderungen und die erhobenen Rügen nicht durch.

Kausaler Zusammenhang mit der Kollision mit der „Tyro“?

Da sich der finanzielle Löwenanteil der Rechtssache auf die Kollision zwischen der „Stolt Florence" und der „Tyro" bezieht, erwägt die Berufungskammer darüber hinaus im Folgenden den Vortrag der Berufungsklägerinnen, dass die „Stolt Florence" durch die Kollision mit der „Walter Deymann" in Richtung Backbord abgedrängt wurde und deshalb mit der „Tyro" kollidierte.

Die Berufungsklägerinnen berufen sich auf die Erklärung des Schiffsführers Flemmer der „Stolt Florence“, um ihr Vorbringen zu belegen. Die Berufungskammer folgt den Beschwerdeführern in diesem Punkt aus folgenden Gründen nicht.. Die „Walter Deymann“ war unbeladen und die „Stolt Florence“ war beladen, die „Stolt Florence“ hatte eine wesentlich höhere Geschwindigkeit als die „Walter Deymann“; ein Unterschied von etwa 14 km/h über Grund. Die Schiffe streiften sich lediglich gegenseitig, wodurch lediglich ein paar Kratzer an der Außenhaut der Schiffe entstanden sind.

Diese Umstände veranlassten den Sachverständigen der Berufungsbeklagten zu der Schlussfolgerung, dass die größere Wasserverdrängung der „Stolt Florence“ einen größeren Widerstand mit sich bringt und die „Stolt Florence“ daher sehr wohl die „Walter Deymann“ hätte wegschieben können, nicht aber umgekehrt. Dieser Sachverständige erklärte ferner, dass die „Walter Deymann“ durch die Kollision nicht von ihrem Kurs abgebracht wurde.

Der Ausdruck aus den Inland ECDIS-Videos in Randnummer 5.11 des Urteils zeigt, dass die „Stolt Florence" zu dem Zeitpunkt, als sie mit der „Walter Deymann" kollidierte, noch mehr als 100 Meter (eine Schiffslänge) von der „Tyro" entfernt war. In dieser Hinsicht stimmt die zuvor genannte Zeichnung des Schiffsführers Flemmer der „Stolt Florence“, (Randnummer 5.14 des Urteils) weder mit der tatsächlichen Entfernung zwischen den Schiffen noch mit dem tatsächlichen Kurs der „Stolt Florence“ überein.

Das Rheinschifffahrtsgericht hat den Sachverständigen Mijnster angehört, der im Auftrag der Berufungsklägerinnen handelte. Herr Mijnster hat erklärt, dass der Schiffsführer der „Stolt Florence“ kurz vor oder während der Kollision mit der „Walter Deymann“ den Kurs nach Backbord änderte oder aufhörte, einen Kurs nach Steuerbord einzuschlagen, um der Biegung des Flusses zu folgen.

Diese Tatsachen und Umstände lassen nur den Schluss zu, dass der Schiffsführer der „Stolt Florence" bei oder nach der Kollision mit der „Walter Deymann" nicht wieder nach Steuerbord gesteuert hat, dass die „Stolt Florence" deshalb mit der „Tyro" kollidierte, und dass kein kausaler Zusammenhang zwischen den beiden Kollisionen besteht.

Auch das Rheinschifffahrtsgericht kam zu diesem Schluss. Es oblag daher den Berufungsklägerinnen, in der Berufung plausibel darzulegen, dass und warum die „Stolt Florence“ infolge der Kollision mit der „Walter Deymann“ vom Kurs abkam und nicht in der Lage war, diese Kursänderung (durch Steuern nach Steuerbord) zu korrigieren und dadurch mit der „Tyro“ zusammenstieß. Die Berufungsklägerinnen haben dies jedoch nicht getan. Auch in dieser Hinsicht greift ihr Vorbringen nicht durch.

Schlussfolgerung

Es wird daher festgestellt,, dass die Rügen nicht durchgreifen und dass das Urteil, gegen das Berufung eingelegt wurde, bestehen bleiben muss. Die Berufungskammer wird entsprechend entscheiden.

Verfahrenskosten

Wie von der Berufungsbeklagten beantragt und nicht selbst bestritten, wird die Berufungskammer den Berufungsklägerinnen als unterlegener Partei die Kosten des Verfahrens auferlegen.

Die Berufungskammer setzt die der Berufungsbeklagten entstandenen Gerichtskosten auf € 8632,- für Anwaltskosten fest. Es werden keine Gerichtsgebühren fällig.

Entscheidung

Die Berufungskammer

Aus diesen Gründen:

Wird die Berufung der Berufungsklägerinnen als unbegründet zurückgewiesen;

Tragen die Berufungsklägerinnen die Kosten des Verfahren;

Die Kosten des Verfahrens, die der Berufungsbeklagten entstanden sind, werden auf € 8632,- für die Anwaltskosten festgesetzt.