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526 Z - 1/22 - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 30.01.2023
Aktenzeichen: 526 Z - 1/22
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Berufungskammer für die Zentralkommission für die Rheinschhifffahrt

526 Z - 1/22

vom 30. Januar 2023

(Rheinschifffahrtsgericht St. Goar)

 

TATBESTAND

Die Parteien streiten über die Verantwortlichkeit für eine Schiffskollision auf dem Rhein, die sich am 29. Juni 2018 gegen 8:35 Uhr bei Rheinkilometer 644,6 in der Ortslage Königswinter zwischen dem TMS „Manouk“ und dem MS „Enyo“ ereignet hat.

TMS „Manouk“ (Länge 110 m, Breite 11,40 m, Tiefgang 3,74 m, Tragfähigkeit 3.056,191 t, Maschinenleistung 1.522 PS, Bugstrahlruder 645 PS) wurde zum Unfallzeitpunkt von Schiffsführer Quaars geführt und befand sich, beladen mit 1.149 t Xylen, bei einem Tiefgang von 2,10 m auf der Fahrt von Vlissingen nach Gernsheim.

MS „Enyo“ (Länge 100 m, Breite 9,47 m, Tiefgang 2,80 m, Tragfähigkeit 1.789,461 t, Maschinenleistung 1.196 PS, Bugstrahlruder 408 PS) wurde zum Unfallzeitpunkt von Schiffsführer Stegemann, dem Beklagten zu 1, geführt und befand sich, beladen mit 1.490 t Tonerde, bei einem Tiefgang von 2,46 m auf der Talfahrt von Bendorf nach Magdeburg.

Die Klägerin ist der niederländische Schiffsversicherer des TMS „Manouk“; er hat dessen Ausrüster und dessen Eigentümer wegen des Schiffsunfalls Deckung gewährt und den ihnen entstandenen Schaden reguliert. Der Beklagte zu 2 ist der Eigner des MS „Enyo“.

Vor der Kollision fuhr TMS „Manouk“ mit blauer Tafel rechtsrheinisch am roten Tonnenstrich mit einer Geschwindigkeit von ca. 10 km/h zu Berg. Voraus fuhr mit einem Abstand von 600 m MS „Europa“, das bei Königswinter den Übergang ins linksrheinische Fahrwasser machte. MS „Enyo“ fuhr in der Mitte des Fahrwassers zu Tal. Es begegnete zunächst MS „Europa“ Backbord an Backbord und näherte sich sodann mit blauer Tafel TMS „Manouk“. Kurz vor der Begegnung änderte MS „Enyo“ seinen Kurs nach Steuerbord. Unmittelbar an den roten Tonnen kam es zur Kollision Kopf auf Kopf, bei der beide Fahrzeuge jeweils an der Steuerbordseite erhebliche Schäden davontrugen.

Die Klägerin nimmt die Beklagten aus abgetretenem und übergegangenem Recht als Gesamtschuldner auf Ersatz des den Interessenten des TMS „Manouk“ entstandenen Schadens in der unstreitigen Höhe von 223.179,96 € nebst Verzugszinsen und vorgerichtlichen Anwaltskosten in Anspruch.

Sie hat vorgetragen:

Schiffsführer Quaars sei von der plötzlichen Kursänderung des MS „Enyo“ völlig überrascht worden und habe die Kollision nicht vermeiden können. Schallsignale unmittelbar vor der Kollision seien nicht gegeben worden. Selbst wenn durch die Besatzung des MS „Enyo“ zuvor über UKW-Kanal 10 auf den angeblichen Motorausfall hingewiesen worden sei, habe Schiffsführer Quaars auf die unvermittelte Kursänderung des Schiffs nicht rechtzeitig reagieren können, zumal kein Hinweis darauf erfolgt sei, dass eine Begegnung Steuerbord an Steuerbord nicht möglich sei. Noch bis 300 m vor der Kollision habe MS „Enyo“ seinen Kurs problemlos gehalten. Auch im Falle eines Motorausfalls sei eine gefahrlose Begegnung bei nautisch korrektem Einsatz des Notruders und des Bugstrahlruders möglich gewesen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 223.179,96 € sowie vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 3.219,50 € jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 11. Oktober 2019 zu zahlen.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie haben vorgetragen:

MS „Enyo“ habe in einer Entfernung zwischen 700 und 1.000 m von TMS „Manouk“ einen unverschuldeten Ausfall der Antriebsmaschine, die erst rund einen Monat vor der Havarie aufwendig überholt worden sei, erlitten. Wegen des fehlenden Ruderdrucks habe der Kurs auch nicht durch das Bugstrahlruder und das Notruder gehalten werden können. Der Beklagte zu 1 habe sogleich und wiederholt über Funk gemeldet, dass der Motor ausgefallen sei und der namentlich benannte Bergfahrer ausweichen solle. Die Schiffsführung des TMS „Manouk“ habe jedoch die Funkansage ignoriert. TMS „Manouk“ hätte durch ein leichtes Manöver nach Steuerbord die Kollision vermeiden können; stattdessen sei es weiter nach Backbord ausgewichen. Hilfsweise rechne der Beklagte zu 2 wegen der Schäden an MS „Enyo“ mit Gegenansprüchen in Höhe von 668.203,60 € auf.

Das Rheinschifffahrtsgericht hat zu Beweiszwecken die Ermittlungsakte des Polizeipräsidiums Duisburg, Wasserschutzpolizeiwache Bonn, Aktenzeichen 501000-066865-18/2, und die Akten des Verklarungsverfahrens 4 UR II 4/18 BSch des Schifffahrtsgericht St. Goar beigezogen und ausgewertet. Es hat ferner zur Klärung der Unfallursache ein schriftliches Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. Broß eingeholt.

Mit Urteil vom 10. Juni 2021 hat das Rheinschifffahrtsgericht der Klage stattgegeben und zur Begründung dieser Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

Der Beklagte zu 1 als Schiffsführer und der Beklagte zu 2 als Schiffseigner des MS „Enyo“ hafteten als Gesamtschuldner gemäß §§ 3, 92 ff. BinSchG, 823, 840 BGB für den an TMS „Manouk“ infolge der Havarie entstandenen Schaden. Der Beklagte zu 1 habe den Schiffsunfall durch einen Verstoß gegen § 6.03 Nr. 3 RheinSchPV allein verschuldet. Er habe durch eine Kursänderung nach Steuerbord den Zusammenstoß mit dem Bergfahrer TMS „Manouk“ verursacht. Daneben habe er gegen § 6.04 Nr. 5 RheinSchPV verstoßen, weil er das Kursweisungsrecht des Bergfahrers missachtet habe. Ein Mitverschulden der Schiffsführung des TMS „Manouk“ sei nicht mit hinreichender Sicherheit erwiesen. Für ein alleiniges Verschulden der Beklagten an der Havarie spreche bereits der Beweis des ersten Anscheins. Wenn eine Kursänderung, die zu einem Schiffsunfall geführt habe, durch ein Ruderversagen verursacht worden sei, obliege es dem Schiffsführer darzulegen und nachzuweisen, dass der auf einem Maschinenversagen beruhende Kursverfall nicht von ihm verschuldet worden sei. Könne er sich nicht entlasten, spreche der Beweis des ersten Anscheins für ein nautisches Fehlverhalten der Schiffsführung. Schiffsführer und Schiffseigner müssten sich dahin entlasten, dass ihnen bei dem „Ruderversager“ keine Fehler unterlaufen seien. Den Entlastungsbeweis hätten die Beklagten nicht zur Überzeugung des Gerichts geführt.

Aufgrund der Aussagen der Besatzungsmitglieder des MS „Enyo“ und der Angaben des Schiffsführers Quaars im Verklarungsverfahren stehe zwar zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Hauptmaschine des MS „Enyo“ 700 bis 1.000 m vor der Havarie ausgefallen sei. Die Beklagten hätte jedoch nicht ausreichend dargelegt und nachgewiesen, dass die Hauptmaschine des MS „Enyo“ vor dem streitgegenständlichen Einsatz nicht weiter hätte untersucht werden müssen. Bereits insofern hätten die Beklagten sich nicht ausreichend entlastet. Sie hätten zwar eine Reparaturrechnung der Fa. Storm vom 21. Juni 2018 vorgelegt, die belege, dass am 17. Mai 2018 eine Überprüfung des Motors stattgefunden habe. Nachdem es dann aber am 25. Mai 2018 erneut zu einem Ausfall der Maschine gekommen sei, sei zwar wieder der Fehlerspeicher ausgelesen worden. Da jedoch zum Zeitpunkt der Überprüfung der Fehler nicht reproduzierbar gewesen und der Motor wieder gelaufen sei, habe der Beklagte zu 2 keine weiteren Maßnahmen gewünscht. Die Beklagten hätten unter diesen Umständen trotz der veranlassten Reparatur- und Untersuchungsmaßnahmen in der Größenordnung von rund 21.500 € nicht darauf vertrauen dürfen, dass der Motor zukünftig störungsfrei funktionieren werde.

Zudem habe durch das Verklarungsverfahren nicht aufgeklärt werden können, aus welchen Gründen es zu dem drastischen Leistungsabfall beziehungsweise Ausfall des Motors gekommen sei. Nach den Ausführungen des Sachverständigen Adolphs erscheine als Ursache eine Überhitzung des Kühlwassers, aber auch ein versehentliches Abschalten des Motors durch den Beklagten zu 1 oder den Zeugen Gudek möglich. Allein Letzteres hätte nämlich keinen Eintrag im Fehlerspeicher hinterlassen, während die von dem Sachverständigen ausgeführten sonstigen Ursachen eines Maschinenausfalls im Fehlerspeicher abgebildet worden wären.

Ebenfalls nicht bewiesen sei, dass MS „Enyo“ wegen des Motorausfalls nicht manövrier- und steuerungsfähig gewesen sei. Nach dem Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. Broß habe der Kurs des Schiffs trotz des Ausfalls der Hauptmaschine noch bis 34 Sekunden vor der Havarie für die avisierte Begegnung Steuerbord an Steuerbord gehalten werden können. Nach den schlüssigen und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. Broß hätte MS „Enyo“ auch noch während der Begegnung mit TMS „Manouk“ bei einer Geschwindigkeit von weniger als 11 km/h mit der Bugstrahlanlage und dem Notruder auf Kurs gehalten werden können.

Die Ausführungen in dem von den Beklagten vorgelegten Parteigutachten Duller seien dagegen nicht überzeugend. Das Parteigutachten beruhe auf der nicht verifizierbaren Annahme, die Bugstrahlanlage des MS „Enyo“ sei veraltet und nicht ausreichend leistungsfähig gewesen, um das Schiff nach dem Ausfall der Hauptmaschine noch steuern zu können. Diese Vermutung könne nach der Verschrottung des Schiffs nicht mehr zuverlässig aufgeklärt werden.

Die Beklagten hätten sich auch wegen eines nautischen Fehlverhaltens der Besatzung des MS „Enyo“ nicht entlastet. Im Gegenteil spreche das Ergebnis der Beweisaufnahme für ein Verschulden der Schiffsbesatzung im Umgang mit dem Motorausfall. Während der Beklagte zu 1 erstmals auf MS „Enyo“ eingesetzt gewesen sei, habe der Zeuge Gudek nach seinen Angaben das Schiff gekannt und schon mehrfach mit Motorausfällen zu tun gehabt. Statt sich nach dem neuerlichen Motorausfall sofort selbst in den Maschinenraum zu begeben, wo er sich als einziger ausgekannt habe, habe er den nach eigenen Angaben mit dem Motor nicht vertrauten Steuermann Kedzierski beauftragt, den Motor im Maschinenraum wieder einzuschalten. Erst nachdem dieser dort nichts habe ausrichten können, sei der Zeuge Gudek selbst in den Maschinenraum gelaufen, wo es ihm nach der Havarie gelungen sei, die Hauptmaschine wieder zu starten. Dieses Verhalten sei als fahrlässig zu werten und den Beklagten zuzurechnen.

Die Angaben des Beklagten zu 1 und des Zeugen Gudek seien auch hinsichtlich des Umgangs mit dem Bugstrahlruder und dem Notruder während des Motorausfalls nicht klar. Wer hier welches Gerät auf welche Weise bedient habe, sei wegen der von Ungenauigkeiten und Erinnerungslücken geprägten Darstellung der beiden Schiffsführer unaufgeklärt geblieben.

Ein Mitverschulden der Schiffsführung des TMS „Manouk“ sei für die Havarie nicht ursächlich geworden. Zwar spreche einiges dafür, dass Schiffsführer Quaars den von der Schiffsführung des MS „Enyo“ abgesetzten Funksprüchen, mit denen wiederholt auf den Motorausfall und die fehlende Steuerungsfähigkeit des Schiffs hingewiesen worden sei, nicht die notwenige Aufmerksamkeit geschenkt habe. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe aber auch fest, dass die Schiffsführung des MS „Enyo“ nicht von einer durch die gesetzte blaue Tafel kommunizierten Begegnung Steuerbord an Steuerbord abgewichen sei und keine andere Begegnung gefordert habe. Aus diesem Grund könne ebenfalls dahinstehen, ob die Besatzung des MS „Enyo“ Schallsignale gegeben habe. Der Schiffsführung des TMS „Manouk“ könne auch nicht vorgeworfen werden, ein Steuerbordmanöver zur Vermeidung der Kollision unterlassen zu haben. Auch bei Kenntnisnahme und Würdigung der Funkdurchsagen sei es für Schiffsführer Quaars nicht vorhersehbar gewesen, dass MS „Enyo“, das noch bis unmittelbar vor der Havarie Kurs für eine Begegnung Steuerbord an Steuerbord gehalten habe, nach Steuerbord abtreiben würde. Er habe daher weiterhin erwarten dürfen, dass seine Kursweisung befolgt werde. Wenn er in dieser Situation entgegen seiner eigenen Kursweisung seinen Kurs mehr nach Backbord (richtig: Steuerbord) geändert hätte, wäre er in den von MS „Enyo“ bis dahin gefahrenen Kurs der Talfahrt geraten.

Im Schifffahrtsrecht gelte der gefestigte Grundsatz, dass der durch Kursweisung festgelegte gefahrlose Kurs grundsätzlich nicht mehr abgeändert werden darf, weil dies auf kurze Entfernung die Gefahr eines Zusammenstoßes erheblich erhöhen würde. Nur wenn der Bergfahrer erkenne, dass seine Kursweisung von dem Talfahrer nicht beachtet werde, könne es seine nautische Sorgfaltspflicht gebieten, einen von der Weisung abweichenden Kurs zu wählen, um eine Kollision zu vermeiden. Das sei hier nicht der Fall gewesen, weil es für Schiffsführer Quaars aufgrund des bisherigen Kursverlaufs des MS „Enyo“ bis 34 Sekunden vor der Havarie nicht erkennbar gewesen sei, dass dieses nach Steuerbord abtreiben werde. Dem Verweis der Beklagten auf die international geltende Antikollisionsregel, dass der Bergfahrer bei gefährlicher oder unklarer Lage grundsätzlich immer Steuerbordkurs legen müsse, stehe der Vorrang der Rheinschifffahrtspolizeiverordnung entgegen.

Die Hilfsaufrechnung des Beklagten greife mangels Verschuldens der Besatzung des TMS „Manouk“ schon dem Grunde nach nicht durch.

Gegen dieses Urteil haben die Beklagten form- und fristgerecht Berufung mit dem Antrag auf Entscheidung durch die Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt eingelegt und das Rechtsmittel form- und fristgerecht begründet.

Zur Begründung machen sie im Wesentlichen geltend:

Das Rheinschifffahrtsgericht lege dem Beklagten zu 1 zu Unrecht einen Verstoß gegen § 6.03 Nr. 3 RheinSchPV zur Last. Es fehle schon an einer Kursänderung, nämlich einer bewussten und willensgesteuerten Änderung der Fahrtrichtung eines manövrierfähigen Schiffs. Nach dem Ausfall der Hauptmaschine habe MS „Enyo“ keine Kursänderung vorgenommen, sondern sei gerade ohne die Möglichkeit einer Kursänderung vertrieben.

Auch einen Verstoß des Beklagten zu 1 gegen § 6.04 Nr. 5 RheinSchPV habe das Rheinschifffahrtsgericht zu Unrecht angenommen. Die Schiffsführung des MS „Enyo“ habe die Kursweisung des TMS „Manouk“ für eine Begegnung Steuerbord an Steuerbord nicht missachtet, sondern im Gegenteil geachtet und durch das Setzen der blauen Tafel frühzeitig bestätigt. Wenn wegen des Ausfalls der Hauptmaschine die Ruderwirkung und damit die Möglichkeit, einen Kurs zu ändern oder zu halten, entfalle, sei dies keine Missachtung der Weisung des Bergfahrers, sondern eine durch Notfall begründete Unfähigkeit, die Begegnungsweisung zu befolgen.

Zu Unrecht verlange das Rheinschifffahrtsgericht von den Beklagten einen Entlastungsbeweis für fehlendes Verschulden. Richtigerweise genüge es, den nach Auffassung des Rheinschifffahrtsgerichts gegen die Beklagten sprechenden Anscheinsbeweis zu erschüttern. Dies sei den Beklagten gelungen.

Abzulehnen sei auch die Annahme des Rheinschifffahrtsgerichts, die Beklagten hätten trotz der bereits veranlassten Reparatur- und Untersuchungsmaßnahmen in der Größenordnung von 21.500 € nicht darauf vertrauen dürfen, dass der Motor künftig störungsfrei funktionieren werde. Mit den veranlassten umfangreichen Maßnahmen hätten die Beklagten alles getan, um technische Fehlerquellen endgültig auszuschließen. Der mit der Fehlerbeseitigung beauftragte Fachbetrieb Storm habe nach dieser „Generalrevision“ keine weiteren Instandsetzungen oder Prüfungen vorgesehen.

Befremdlich sei, dass das Rheinschifffahrtsgericht darüber spekuliere, die Maschine sei von dem Beklagten zu 1 oder dem Zeugen Gudek manuell gestoppt worden. Dass ein Schiffsführer unter Gefährdung von Schiff und Besatzung in der beladenen Talfahrt die Hauptmaschine abstelle, widerspreche dem gesunden Menschenverstand. Wenn die Maschine vom Steuerhaus abgestellt worden wäre, hätte sie auch von dort wieder gestartet werden können. Nach der Annahme des Rheinschifffahrtsgerichts müsste die Schiffsführung des MS „Enyo“ die Hauptmaschine nicht nur bewusst abgeschaltet, sondern auch bewusst nicht wieder angeschaltet haben. Dieses Szenario sei fernliegend.

Das Rheinschifffahrtsgericht halte das Gutachten des Sachverständigen Duller für nicht überzeugend, weil es auf nicht verifizierbaren Annahmen über die Leistungsfähigkeit des Bugstrahlruders beruhe. Die Entscheidung vernachlässige allerdings die dann zwingende Erkenntnis, dass der gerichtlich bestellte Sachverständige Broß bezüglich der Leistungsfähigkeit des Bugstrahls und seiner Wirkung als Ruder dann wohl ebenfalls von nicht verifizierbaren Annahmen ausgegangen sei. Zum Ausräumen der Widersprüchlichkeit hätte das Rheinschifffahrtsgericht ein Obergutachten einholen müssen. Die Einholung eines solchen Obergutachtens werde beantragt.

Im rechtlichen Sinne sei ein angenommener Anscheinsbeweis gegen MS „Enyo“ erschüttert. Ein beladener Talfahrer ohne Hauptmaschine und damit ohne Ruder sei nicht mehr fahrbar und verfalle. Ein Anscheinsbeweis für ein Verschulden der Besatzung des MS „Enyo“ sei damit unzweifelhaft erschüttert.

Die Entscheidung gehe davon aus, dass die Feststellung des Sachverständige Duller, mit der vorhandenen Bugstrahlanlage hätte das Schiff die Kollision nicht verhindern können, nicht verifizierbar sei. Das sei unverständlich. Der Sachverständige habe in aufwendiger Weise die Schiffsführer Kleemann und Krügermann zur Wirkungsweise des vorhandenen Bugstrahlruders befragt. Hiernach habe das Bugstrahlruder ab einer Geschwindigkeit von etwa 8 km/h über Grund keine Wirkung mehr. Dabei handele es sich um eine bewiesene Sachverständigen-Feststellung. Im Verklarungsverfahren habe keiner der Beteiligten Ermittlungen zur Wirkungsweise des Bugstrahlruders für sachdienlich angesehen. Das lasse nur den Schluss zu, dass alle Beteiligten der Auffassung gewesen seien, dass man mit einem beladenen Schiff in der Talfahrt mit einem Bugstrahlruder nichts ausrichten, vor allem keine Kursänderung beim Verfallen des Schiffs vornehmen könne (Beweis vorsorglich: Obergutachten).

Falsch sei die Annahme des Rheinschifffahrtsgerichts, bei höherer Geschwindigkeit sei die Wirkung des Bugstrahls stärker. Richtig sei das Gegenteil (Beweis vorsorglich: Sachverständigengutachten).

Zu Unrecht laste das Rheinschifffahrtsgericht dem Beklagten zu 1 als fahrlässig an, dass nicht der Zeuge Gudek, sondern zunächst der Steuermann Kedzierski in den Maschinenraum gegangen sei, um zu versuchen, die Hauptmaschine wieder zu starten. Auch dem Zeugen Gudek sei es erst erhebliche Zeit nach der Kollision gelungen, die Maschine wieder zu starten. Es treffe daher nicht zu, dass wertvolle Zeit verloren gegangen sei.

Entgegen der Auffassung des Rheinschifffahrtsgerichts treffe den Schiffsführer des TMS „Manouk“ ein Verschulden an der Kollision, weil er den Funkdurchsagen des MS „Enyo“ nicht die gebotene Aufmerksamkeit gewidmet und trotz Kenntnis des Notfalls auf Seiten des Talfahrers auf der gewiesenen Begegnung Steuerbord an Steuerbord bestanden habe. Dies gelte in besonderem Maße deshalb, weil jeder patentierte Schiffsführer wisse, dass es reiner Zufall sei, ob ein beladener Talfahrer ohne Maschinenantrieb und damit ohne Ruderdruck nach Steuerbord oder nach Backbord verfallen werde. Spätestens 34 Sekunden vor der Havarie sei jedoch klar gewesen, dass MS „Enyo“ nach Steuerbord abgehe und damit direkten Kollisionskurs habe. Hätte die Schiffsführung des TMS „Manouk“ in einigermaßen zeitlichem Zusammenhang hiermit ein einfaches und leichtes Steuerbordmanöver durchgeführt, wäre die Havarie sicher vermieden worden und TMS „Manouk“ nicht in den bis dahin gefahrenen Kurs der Talfahrt geraten. Wenn also ein beladener Talfahrer Maschinenausfall melde, gehöre es zum Berufswissen jedes Schiffsführers zu erkennen, dass der Talfahrer steuerlos und hilflos sei, mithin jede Lageänderung denkbar sei und einkalkuliert werden müsse. In einer solchen Situation darauf zu vertrauen, dass der Begegnungsweisung nachgekommen werde, sei falsch und gefährlich.

Unrichtig sei schließlich die Auffassung des Rheinschifffahrtsgerichts, die internationalen Kollisionsverhütungsvorschriften seien wegen Vorrangs der Rheinschifffahrtspolizeiverordnung nicht anwendbar. Zu den allgemeinen Sorgfaltspflichten, die der Schiffsführer nach § 1.04 RheinSchPV über diese Verordnung hinaus zu beachten habe, zählten auch die internationalen Kollisionsverhütungsvorschriften, nach deren Regel 14 bei drohender Kollision der Kurs nach Steuerbord geändert werden müsse. Das von der Schiffsführung des TMS „Manouk“ eingeleitete Backbordmanöver habe nicht nur dieser Regel widersprochen, sondern sei genau das Falsche gewesen. Es unterliege keinem Zweifel, dass ein Bergfahrer binnen 34 Sekunden mit voller Maschine und vollem Ruder einen verfallenden Talfahrer über Steuerbord freifahren könne (Beweis: Sachverständigengutachten).

Die Beklagten beantragen,

das Urteil des Amtsgerichts – Rheinschifffahrtsgerichts – St. Goar, Aktenzeichen 4 C 6/19 BSchRh vom 10. Juni 2021 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und macht im Wesentlichen geltend:

Die Behauptung der Beklagten, nach dem Ausfall der Hauptmaschine des MS „Enyo“ sei die Ruderwirkung entfallen und das Schiff sei ohne die Möglichkeit einer Kursänderung vertrieben, das Schiff sei verfallen und habe seinen Kurs nicht willentlich geändert, werde bestritten und stehe in Widerspruch zu den Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen Dipl.-Ing. Broß. Nach dessen Feststellungen habe MS „Enyo“ bis etwa 30 Sekunden vor der Kollision den Kurs gehalten; bis zum Zeitpunkt nach der Begegnung mit MS „Europa“ (30 Sekunden vor der Kollision) seien die Kursabweichungen korrigiert worden, die Ruderwirkung des Schiffs also ausreichend gewesen, um den Kurs des Fahrzeugs zu stützen; nach der Begegnung mit MS „Europa“ sei MS „Enyo“ mit einer Geschwindigkeit von 10,14 km/h durch Wasser gefahren; bei dieser Geschwindigkeit sei mit Hilfe der Bugstrahlanlage ein Stützen des Kurses möglich.

Die Beklagten, die sich auf einen „Ruderversager“ beriefen, hätten nach der Rechtsprechung der Berufungskammer darzulegen, dass der auf ein Maschinenversagen zurückzuführende Ruderausfall unverschuldet sei. Dazu gehöre nicht nur, dass die Maschine und das Ruder sich vor der Havarie in einem Zustand befunden hätten, der es erlaubt habe, sie in Betrieb zu nehmen, sondern auch, dass bei ihrer Bedienung unmittelbar vor der Havarie keine zu ihrem Ausfall führenden Fehler gemacht worden seien und dass nach dem Ausfall alles in geeigneter Weise versucht worden sei, um die Havarie abzuwenden.

In Übereinstimmung mit dieser Rechtsprechung habe das Rheinschifffahrtsgericht zu Recht angenommen, dass die Beklagten wegen des erneuten Ausfalls der Maschine nach den Überprüfungs- und Reparaturarbeiten der Firma Stork nicht hätten darauf vertrauen dürfen, dass der Motor zukünftig störungsfrei funktionieren werde.

In der Beweisaufnahme des Verklarungsverfahrens sei ungeklärt geblieben, ob Ursache des drastischen Leistungsabfalls und des Ausfalls des Motors eine Erhitzung des Kühlwassers oder eine versehentliche Fehlbedienung durch die Besatzung des MS „Enyo“ gewesen sei.

Dem Rheinschifffahrtsgericht sei auch darin beizupflichten, dass sich die Beklagten wegen eines nautischen Fehlverhaltens der Besatzung im Umgang mit dem Motorausfall nicht entlastet hätten. Wertvolle Zeit sei dadurch verloren gegangen, dass zunächst der Steuermann Kedzierski in den Maschinenraum geschickt worden sei, der nach eigenen Angaben mit dem Motor nicht vertraut gewesen sei. Auch sei ungeklärt geblieben, wie während des Motorausfalls das Schiff gesteuert worden sei und das Bugstrahl- und das Notruder bedient worden seien.

Den Behauptungen des Parteigutachters Duller über die Bugstrahlanlage des MS „Enyo“ sei das Rheinschifffahrtsgericht zu Recht nicht nachgegangen, weil sie nicht verifizierbar seien. Es bestehe daher kein Anlass, ein weiteres Sachverständigengutachten einzuholen, wie von den Beklagten beantragt. Vielmehr sei zu entscheiden, ob der gerichtliche Sachverständige Dipl.-Ing. Broß sein Gutachten ergänzen solle.

ZU DEN ENTSCHEIDUNGSGRÜNDEN

Die Berufung ist zulässig, bleibt in der Sache jedoch ohne Erfolg.

Das Rheinschifffahrtsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Die Beklagten sind gemäß §§ 3, 92 ff. BinSchG, 823, 840 BGB als Gesamtschuldner zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der den Interessenten des TMS „Manouk“ durch die Kollision mit MS „Enyo“ am 29. Juni 2018 auf dem Rhein bei Rheinkilometer 644,6 entstanden ist. Denn der Beklagte zu 1 und der weitere Schiffsführer Gudek des MS „Enyo“, für deren Verhalten der Beklagte zu 2 gemäß § 3 BinSchG mit verantwortlich ist, haben diesen Unfall durch einen Verstoß gegen § 6.03 Nr. 3 RheinSchPV verschuldet. Sie haben durch eine Kursänderung des MS „Enyo“ den Zusammenstoß mit dem Bergfahrer TMS „Manouk“ herbeigeführt, wie das Rheinschifffahrtsgericht mit zutreffender Begründung dem Beweisergebnis entnommen hat. Den Beklagten zu 2 als Eigner des MS „Enyo“ trifft darüber hinaus ein eigenes Verschulden an dem für die Havarie ursächlichen Ausfall der Hauptmaschine.

Die hiergegen gerichteten Angriffe der Berufung sind unbegründet.

I. Ursächlich für die Kollision war der Umstand, dass MS „Enyo“, das bis dahin gestreckt einen Kurs hielt, bei dem die von TMS „Manouk“ gewiesene und von MS „Enyo“ bestätigte Begegnung Steuerbord an Steuerbord gefahrlos hätte durchgeführt werden können, etwa 30 Sekunden vor der Kollision nach Steuerbord in den Kurs des Bergfahrers geriet. Nach der Darstellung der Beklagten, dem Ergebnis der Beweisaufnahme im Verklarungsverfahren und den Feststellungen des gerichtlich beauftragten Sachverständigen Dipl.-Ing. Broß war dies Folge eines etwa zwei Minuten vor der Kollision aufgetretenen Ausfalls der Hauptmaschine und damit des Wegfalls der Ruderwirkung.

Hierdurch haben die Schiffsführer des MS „Enyo“ gegen das Kursänderungsverbot des § 6.03 Nr. 3 RheinSchPV verstoßen, wie das Rheinschifffahrtsgericht zutreffend festgestellt hat. Denn durch die Kursänderung wurde die Gefahr eines Zusammenstoßes herbeigeführt, und hierauf beruht hier die Kollision.

Die Beklagten stellen einen Verstoß gegen § 6.03 Nr. 3 RheinSchPV mit der Begründung in Abrede, es fehle schon an einer Kursänderung des MS „Enyo“, weil darunter nur eine bewusste und willensgesteuerte Änderung der Fahrtrichtung eines manövrierfähigen Schiffs zu verstehen sei. Das trifft nicht zu. Nach der Rechtsprechung der Berufungskammer stellt auch eine Kursabweichung, die – wie hier – durch einen Ausfall der Antriebsmaschine und Ruderversagen verursacht wurde, eine Kursänderung im Sinne von § 6.03 Nr. 3 RheinSchPV dar (Urteil vom 22. November 2000 – 402 Z, ZfB 2001, 76).

Nach der vom Rheinschifffahrtsgericht zu Recht herangezogenen Rechtsprechung der Berufungskammer haben sich bei einem auf Maschinenversagen beruhenden Ruderausfall der Schiffsführer und der Schiffseigner dahin zu entlasten, dass ihnen bei dem „Ruderversager“ keine Fehler unterlaufen sind, da dem Geschädigten die Verhältnisse unbekannt sind. Es spricht gegen sie der Beweis des ersten Anscheins für ein nautisches Fehlverhalten der Schiffsführung bzw. ein dem Schiffsführer als Verschulden zuzurechnendes Versehen innerhalb seiner über den nautischen Aufgabenbereich hinausgehenden Betriebssphäre, zu der auch die ordnungsgemäße Wartung der Ruderanlage und der Maschine gehört (Urteil vom 22. November 2000 – 402 Z, ZfB 2001, 76).

Im Falle eines Ruderversagens muss sich der Schiffsführer zur Erschütterung des Anscheinsbeweises dahin entlasten, dass

a)    eine elektrische Ruderanlage nach Konstruktion und Einbau tauglich war,

b)    sie sich auch in der Zeit vor der Havarie in einem Zustand befunden hat, der es erlaubte, sie in Betrieb zu nehmen,

c)    bei ihrer Bedienung unmittelbar vor der Havarie keine Fehler gemacht worden sind, die zu ihrem Ausfall geführt haben, und

d)    nach dem Ausfall der Anlage das Ruder so schnell wie möglich auf das Notrudersystem umgestellt und in geeigneter Weise versucht worden ist, hiermit die Havarie abzuwenden (Urteil vom 10. Mai 2001 – 404 Z, ZfB 2001, 61).

Übertragen auf den hier zu beurteilenden Fall eines Ruderversagens als Folge eines Ausfalls der Hauptmaschine müssen hiernach der Schiffsführer – und hinsichtlich der Tauglichkeit und des ordnungsgemäßen Zustands zum Zeitpunkt der Havarie (vorstehend Buchstaben a und b) auch der Schiffseigner – ihr jeweils fehlendes Verschulden am Ausfall der Hauptmaschine darlegen. Das ist den Beklagten nicht gelungen.

Soweit es um ein Verschulden des Beklagten zu 2 als Eigner des MS „Enyo“ geht, steht aufgrund des unstreitigen Sachvortrags fest, dass er das Schiff in Betrieb genommen hat, obwohl kurz nach der umfangreichen Überprüfung und Reparatur der Bordelektronik durch die Firma Storm die Hauptmaschine erneut ausgefallen war und auf seinen Wunsch keine weiteren Maßnahmen zur Fehlerbehebung unternommen wurden. Durch dieses Verhalten hat der Beklagte zu 2 weitere Ausfälle der Hauptmaschine des Schiffs aus ungeklärter Ursache zumindest fahrlässig in Kauf genommen und seine Pflicht verletzt, dafür zu sorgen, dass die Hauptmaschine sich in einem Zustand befand, der es erlaubte, das Schiff in Betrieb zu nehmen. Diese mindestens fahrlässige Pflichtverletzung war für die Kollision zwischen MS „Enyo“ und TMS „Manouk“ ursächlich.

Dem Beklagten zu 1 als Schiffsführer des MS „Enyo“ kann dieses Versäumnis allerdings nicht angelastet werden. Er kam nach seinen unbestritten gebliebenen Angaben im Verklarungsverfahren am Vorabend des Unfalltags erstmals an Bord des Schiffs; dass er zuvor oder jedenfalls vor dem für die Kollision ursächlichen Ausfall der Hauptmaschine über vorausgegangene Motorausfälle Kenntnis erlangt hätte, hat die Klägerin nicht behauptet.

II. Der Beklagte zu 1 hat jedoch zum einen nicht darzulegen vermocht, dass der zur Kollision mit TMS „Manouk“ führende Ausfall der Hauptmaschine des MS „Enyo“ nicht durch ein versehentliches Abschalten im Steuerhaus, wo der Beklagte zu 1 sich zu diesem Zeitpunkt mit dem weiteren Schiffsführer Gudek aufhielt, verursacht wurde. Diese Möglichkeit ist nicht auszuschließen, würde sie doch nach den Ausführungen des Sachverständigen Adolphs im Verklarungsverfahren als einzige Variante erklären, warum sich zu dem Ausfall der Hauptmaschine kurz vor der streitgegenständlichen Havarie in keinem der vorhandenen Fehlerspeicher des MS „Enyo“ ein Eintrag fand.

Zum anderen haben die Beklagten nicht dargelegt, dass den Beklagten zu 1 und den Zeugen Gudek kein Verschulden an der zur Kollision mit TMS „Manouk“ führenden Kursänderung des MS „Enyo“ trifft. Die Auswertung der auf MS „Enyo“ und TMS „Manouk“ aufgezeichneten GPS- und AIS-Daten durch den Sachverständigen Broß hat ergeben, dass MS „Enyo“ nach dem Ausfall der Hauptmaschine 122 Sekunden vor der Havarie noch rund 90 Sekunden seinen ursprünglichen, auf eine Begegnung Steuerbord an Steuerbord gerichteten Kurs beibehalten hat. Damit ist die Behauptung der Beklagten nicht zu vereinbaren, MS „Enyo“ sei sofort nach dem Ausfall der Hauptmaschine trotz Bedienung des Notruders und des Bugstrahlrudern nicht mehr steuerbar gewesen. War es somit bis zum Beginn der Kursabweichung nach Steuerbord etwa 34 Sekunden vor der Kollision möglich, den Kurs des Schiffs durch Notruder und Bugstrahlruder zu stützen, hätten die Beklagten im Einzelnen darlegen müssen, wie der Beklagte zu 1 und der Zeuge Gudek Notruder und Bugstrahlruder bei und nach Beginn der Kursabweichung einsetzten und dass es trotz nautisch fehlerfreier Bedienung der beiden Steuereinrichtungen nicht zu verhindern war, dass das Schiff vom bis dahin gehaltenen Kurs nach Steuerbord abwich.

Daran fehlt es. Wie das Rheinschifffahrtsgericht zu Recht ausführt, sind die Angaben des Beklagten zu 1 und des Zeugen Gudek über den Umgang mit dem Notruder und dem Bugstrahlruder während des Motorausfalls nicht klar. Wer hier wann welche Steuerungseinrichtung auf welche Weise bedient hat, ist aufgrund der von Ungenauigkeiten und Erinnerungslücken geprägten Darstellung der beiden Schiffsführer ungeklärt geblieben. Insbesondere fehlt es an klaren Angaben der beiden Schiffsführer des MS „Enyo“ dazu, ob und in welcher Weise während der entscheidenden letzten 30 Sekunden versucht wurde, die Kursabweichung nach Steuerbord mit Hilfe des Notruders und des Bugstrahlruders zu korrigieren. Der Zeuge Gudek hat angegeben, durch das Notruder und den Bugstrahl sei das Schiff vorne schon etwas nach links, also nach Backbord gegangen, es sei aber zu spät gewesen, um die Kollision zu verhindern. Diese Angabe muss sich auf einen Zeitpunkt kurz vor der Kollision beziehen, denn in einem frühen Stadium der Kursabweichung hätte diese durch eine Kurskorrektur „etwas nach links“ leicht vermieden werden können. Entscheidende Bedeutung gewinnt damit die Frage, welche Maßnahmen ergriffen wurden, nachdem für die Schiffsführer des MS „Enyo“ erkennbar war, dass das Schiff begann, von dem bis dahin gehaltenen Kurs nach Steuerbord abzuweichen. Dazu fehlt es an klaren und eindeutigen Angaben der beiden Schiffsführer.

Die Beklagten behaupten, mit einem beladenen Schiff in der Talfahrt könne man mit einem wie immer gearteten Bugstrahlruder nichts ausrichten, vor allem keine Kursänderung beim Verfallen des Schiffs vornehmen, und beantragen hierzu die Einholung eines Obergutachtens. Dem folgt die Berufungskammer nicht.

Nach den insoweit übereinstimmenden Angaben der beiden Schiffsführer des MS „Enyo“, des Beklagten zu 1 und des Zeugen Gudek, im Verklarungsverfahren wurden sofort nach dem Ausfall der Antriebsmaschine das Notruder in Betrieb genommen und das Bugstrahlruder eingeschaltet, um das Schiff zu steuern. Aufgrund der Auswertung der auf MS „Enyo“ und TMS „Manouk“ aufgezeichneten GPS- uns AIS-Daten durch den Sachverständigen Dipl.-Ing. Broß steht fest, dass während der folgenden rund 90 Sekunden der Kurs von MS „Enyo“ mit Hilfe des Notruders und des Bugstrahlruders gestützt und mehrfach korrigiert werden konnte (Gutachten Broß Abschnitt 4.6, 5). Damit ist die unter Beweis gestellte Behauptung der Beklagten, mit einem beladenen Schiff in der Talfahrt könne man mit einem wie immer gearteten Bugstrahlruder nichts ausrichten, durch die hier feststehenden Tatsachen widerlegt.

Da es der Schiffsführung des MS „Enyo“ nach dem Ausfall der Antriebsmaschine gelungen war, unter Einsatz des Notruders und des Bugstrahlruders den ursprünglichen Kurs zu stützen, hätten die Beklagten darlegen müssen, aus welchen von ihnen nicht verschuldeten Gründen dies ab 34 Sekunden vor der Havarie nicht mehr möglich gewesen sein soll. Die Geschwindigkeit von MS „Enyo“ durch das Wasser betrug nach den Feststellungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. Broß zu diesem Zeitpunkt 10,14 km/h (15,0 km/h über Grund abzüglich 4,86 km/h Fließgeschwindigkeit). Beim Ausfall der Hauptmaschine betrug die Geschwindigkeit durch das Wasser 14,59 km/h (19,45 km/h über Grund abzüglich 4,86 km/h Fließgeschwindigkeit; Gutachten Broß Abschnitt 4.1), 60 Sekunden vor der Kollision betrug sie noch 11,04 km/h (15,9 km/h über Grund abzüglich 4,86 km/h Fließgeschwindigkeit; Gutachten Broß Abschnitt 4.1). Wenn bei diesen höheren Geschwindigkeiten der Kurs von MS „Enyo“ unter Einsatz von Notruder und Bugstrahlruder gestützt werden konnte, war dies bei der geringeren Geschwindigkeit von 10,14 km/h technisch erst recht möglich, weil die Wirksamkeit des Bugstrahls, wie auch die Beklagten vortragen, mit abnehmender Geschwindigkeit des Schiffs zunimmt. Die Beklagten haben nicht dargelegt, dass es trotz fortgesetzten fehlerfreien Einsatzes der beiden Steuerungselemente nicht möglich gewesen wäre, den Kurs weiterhin zu stützen.

Bei einer Geschwindigkeit von 10,14 km/h durch das Wasser ist nach den Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. Broß ein Stützen des Kurses mit Hilfe der Bugstrahlanlage, die dann mindestens 50 % bis 70 % des Pfahlzugschubs entwickelt, möglich (Gutachten Broß Abschnitt 4.3). Diese Aussage greifen die Beklagten unter Hinweis auf die Ausführungen des Parteigutachters Duller an, denen zufolge die auf MS „Enyo“ vorhandene Bugstrahlanlage für ein Stützen des Kurses bei dieser Geschwindigkeit zu schwach gewesen sei. Auf diese Kontroverse kommt es für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht an. Wie vorstehend ausgeführt wurde, steht aufgrund der auf MS „Enyo“ und TMS „Manouk“ aufgezeichneten GPS- und AIS-Daten fest, dass es der Schiffsführung des MS „Enyo“ nach dem Ausfall der Hauptmaschine tatsächlich gelungen ist, den Kurs des Schiffs selbst bei Geschwindigkeiten zwischen 14,59 km/h und 11,4 km/h durch das Wasser mit Notruder und Bugstrahlruder zu stützen. Damit ist die These des Parteigutachters Duller widerlegt, die Bugstrahlanlage des MS „Enyo“ sei dazu bei der (geringeren) Geschwindigkeit von 10,14 km/h zu schwach gewesen. Ebenso kann dahinstehen, ob der von den Beklagten bezweifelten Beurteilung des Sachverständigen Dipl.-Ing. Broß zu folgen ist, die Bugstrahlanlage des MS „Enyo“ habe bei dieser Geschwindigkeit einen Wirkungsgrad von mindestens 50 % bis 70 % des Pfahlzugschubs entwickelt. Der von den Beklagten beantragten Einholung eines Obergutachtens bedarf es daher nicht.

Zusammenfassend ist somit festzustellen, dass es den Beklagten nicht gelungen ist, den Anscheinsbeweis für ein schuldhaftes nautisches Fehlverhalten der Schiffsführung des MS „Enyo“, für das der Beklagte zu 2 als Schiffseigner mit verantwortlich ist, zu erschüttern.

III. Ein mitursächliches Verschulden des Schiffsführers des TMS „Manouk“ an der Havarie hat das Rheinschifffahrtsgericht zu Recht als nicht erwiesen angesehen. Schiffsführer Quaars hat zwar den mehrfach abgesetzten Funkdurchsagen der Schiffsführung des MS „Enyo“, mit denen auf den Motorausfall und die damit entfallene Steuerungsfähigkeit des Talfahrers hingewiesen wurde, nicht die gebotene Aufmerksamkeit gewidmet. Die Berufungskammer teilt aber die Auffassung des Rheinschifffahrtsgerichts, dass Schiffsführer Quaars auch dann, wenn er die Funkdurchsagen zur Kenntnis genommen hätte, keine andere Wahl hatte, als seine Fahrt am roten Tonnenstrich fortzusetzen, um MS „Enyo“ Steuerbord an Steuerbord zu begegnen. Denn MS „Enyo“ näherte sich in der Talfahrt mit unverändert gesetzter blauer Tafel, und die Schiffsführung des MS „Enyo“ verlangte auch über Funk keine abweichende Begegnung, nachdem das Schiff begonnen hatte, von dem zunächst gehaltenen Kurs nach Steuerbord abzuweichen. Zwar war aus der Sicht des Bergfahrers die Gefahr einer Kollision mit dem immer mehr nach Steuerbord geratenden Talfahrer erkennbar. Schiffsführer Quaars hat in dieser Situation seine Geschwindigkeit reduziert und TMS „Manouk“ noch mehr nach Backbord gesteuert, um MS „Enyo“ auszuweichen. Mehr oder Anderes konnte er in dieser Situation nicht tun, um die Havarie zu vermeiden.

Insbesondere kann ihm entgegen der Auffassung der Beklagten nicht als Verstoß gegen § 1.04 RheinSchPV vorgeworfen werden, dass er den Kurs des TMS „Manouk“ nicht nach Steuerbord gelenkt hat, um MS „Enyo“ Backbord an Backbord zu passieren. Denn für ihn war nicht erkennbar, ob MS „Enyo“ den unvermittelt eingeschlagenen Steuerbordkurs beibehalten oder aber – wofür das Beibehalten der blauen Tafel und fehlende Aufforderungen des Talfahrers zu einer geänderten Begegnung über Funk sprachen – wieder aufstrecken würde, um die Begegnung wie angekündigt Steuerbord an Steuerbord durchzuführen. Er musste daher befürchten, mit einer Kursänderung nach Steuerbord in den Kurs des Talfahrers zu geraten.

Es kommt hinzu, dass ein Ausweichmanöver des TMS „Manouk“ nach Steuerbord wegen des geringen Abstands zu MS „Enyo“ riskant gewesen wäre. Als für Schiffsführer Quaars erkennbar war, dass MS „Enyo“ den Steuerbordkurs beibehalten würde, hatten die Fahrzeuge sich bei einer Annäherungsgeschwindigkeit von zuletzt 5,8 m/sec (Gutachten Broß Abschnitt 4.5) auf schätzungsweise weniger als 200 m genähert. Dass bei einem so geringen Abstand ein Steuerbordmanöver des TMS „Manouk“ noch gefahrlos möglich gewesen wäre, behaupten die Beklagten nicht. Ihr dahin gehender Beweisantrag stellt auf den Zeitpunkt 34 Sekunden vor der Kollision ab, den Beginn der Kursabweichung des MS „Enyo“ nach Steuerbord. Zu diesem frühen Zeitpunkt war für Schiffsführer Quaars aber noch nicht erkennbar, dass MS „Enyo“ den Steuerbordkurs beibehalten und – ungeachtet der Weiterfahrt mit gesetzter blauer Tafel – sich dem rechtsrheinischen Rand des Fahrwassers immer weiter nähern würde.

Schiffsführer Quaars war entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht nach internationalen Kollisionsverhütungsregeln gehalten, MS „Enyo“ nach Steuerbord auszuweichen.

Die Internationalen Kollisionsverhütungsregeln (Internationale Regeln von 1972 zur Verhütung von Zusammenstößen auf See – Kollisionsverhütungsregeln – KVR) gelten nicht für die Binnenschifffahrt auf dem Rhein. Das ergibt sich schon aus deren Regel 1 Buchstabe b). Danach berühren die KVR-Regeln nicht die von einer zuständigen Behörde erlassenen Sondervorschriften für Reeden, Häfen, Flüsse, Seen und Binnengewässer, die mit der Hohen See in Verbindung stehen und von Seeschiffen befahrbar sind und die so weit wie möglich mit den KVR übereinstimmen. Sondervorschriften in diesem Sinne enthält die von der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt als der zuständigen Behörde erlassene Rheinschifffahrtspolizeiverordnung.

Die Kollisionsverhütungsregeln gelten für die Rheinschifffahrt auch deswegen nicht, weil sie für den Rhein nicht in Kraft gesetzt worden sind. Ein Rechtsakt der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt, der dazu erforderlich wäre, existiert nicht. Es fehlt auch an in diesem Sinne gleichlautenden Rechtsakten der Gesamtheit der Rheinanliegerstaaten. Die Bundesrepublik Deutschland hat die Kollisionsverhütungsregeln nicht für Binnenwasserstraßen, sondern nur für Seeschifffahrtsstraßen und an ihnen gelegene öffentliche bundeseigene Häfen sowie das übrige deutsche Küstenmeer in Kraft gesetzt (Art. I des Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 20. Oktober 1972 über die Internationalen Regeln zur Verhütung von Zusammenstößen auf See vom 29. Juni 1976 [BGBl. II S. 1017] in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung zu den Internationalen Regeln von 1972 zur Verhütung von Zusammenstößen auf See vom 13. Juni 1977 [BGBl. I S. 813]).

IV. Der Höhe nach ist der eingeklagte und vom Rheinschifffahrtsgericht zuerkannte Schadensersatzanspruch unstreitig. Die Hilfsaufrechnung des Beklagten zu 2 mit Schadensersatzansprüchen wegen der Beschädigung des MS „Enyo“ geht ins Leere, weil den Schiffsführer des TMS „Manouk“ wie dargelegt kein Verschulden an der Havarie trifft.

Bei dieser Sachlage muss es bei dem angefochtenen Urteil sein Bewenden haben.

Aus den dargelegten Gründen wird daher für Recht erkannt:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts – Rheinschifffahrtsgerichts – St. Goar vom 10. Juni 2021 – 4 C 6/19 BSchRh – wird zurückgewiesen.

Die Beklagten haben als Gesamtschuldner die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.