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514 Z - 2/18 - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 04.06.2018
Aktenzeichen: 514 Z - 2/18
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsätze:

1) Der Eigner eines Schubleichters haftet im Falle einer Schiffshavarie nicht für Schäden Dritter aus nautischen Fehlern der Besatzung des Schubbootes, dessen Eigner nicht er, sondern ein anderer ist. Etwas anderes gilt nur, wenn der Geschädigte darlegen und be- weisen kann, dass das fehlerhaft handelnde Besatzungsmitglied auch im Dienste des Eigners des Schubleichters stand, zum Beispiel, weil er auch von diesem ausgewählt und überwacht wurde und Weisungen erhalten konnte.

2) Eine analoge Anwendung der Vorschriften der §§ 92b iVm 3 I BinSchG auf das Verhältnis zwischen Schubbootführer und dem Eigner eines fremden Schubleichter ist nicht möglich, wenn es nicht um den Verantwortungsbereich des Eigners des Schiffsleichters geht, sondern um die Verantwortlichkeit bei der Führung des Schubverbandes auf der Reise.

3) Ein regelwidriges Verhalten ist als Manöver des letzten Augenblickes nur dann gerechtfertigt und zulässig, wenn die Notwendigkeit dazu völlig klar ist. Dies ist nicht der Fall, wenn ein nautischer Sachverständiger im Prozess die Notwendigkeit verneint.

 

Urteil des Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt

vom 4. Juni 2018

Az.: 514 Z-2/18

(Rheinschiffahrtsgericht Kehl, Az.: 4 C 42/16 SchRh)

 

Aus dem Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Verantwortlichkeit für eine Schiffskollision. Diese hat sich am 15. März 2015 gegen 00:30 Uhr auf dem Rhein bei Rheinkilometer 310,5 im Vorkanal der Schleuse Gambsheim zwischen dem zu Tal fahrenden Koppelverband »Camaro« – bestehend aus dem Schubboot MS »Camaro« und den drei Schubleichtern SL »Camaro 1«, SL »Camaro IX« und SL »Camaro X«- (im Folgenden: KV »Camaro«) – und dem zu Berg fahrenden TMS »Matrico« ereignet; beide Schiffe wurden bei dem Unfall erheblich beschädigt. Die Klägerin ist die führende Schiffsversicherung des TMS »Matrico«. Sie hat dem Schiffseigner Deckung gewährt und dessen Schaden reguliert. Die Beklagte zu 1 ist die Schiffseignerin des MS »Camaro« und des SL »Camaro 1«, die Beklagte zu 2 ist die Schiffseignerin des SL »Camaro IX« und des SL »Cama- ro X«. Der Beklagte zu 3 war zum Unfallzeitpunkt der verantwortliche Schiffsführer des Koppelverbands ...

Das Rheinschifffahrtsgericht hat zur Klärung des Unfallhergangs ein schriftliches Sachverständigengutachten eingeholt und den Sachverständigen ergänzend mündlich angehört. Mit Grund- und Teilurteil vom 31. Mai 2017 hat es den Klageanspruch dem Grunde nach zur Hälfte für gerechtfertigt erklärt und die Klage im Übrigen abgewiesen ...

Entscheidungsgründe:

Die jeweils zulässigen Berufungen der Klägerin und der Beklagten zu 1 und 3 haben keinen Erfolg. Das Rheinschifffahrtsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Schiffsführungen des KV »Camaro« und des TMS »Matrico« den Unfall jeweils zur Hälfte verschuldet haben. Begründet ist nur die Berufung der Beklagten zu 2, deren Haftung insgesamt ausscheidet.

1. Die Schiffsführung von TMS »Matrico« hat sowohl gegen die Verpflichtung nach § 9.02 Nr. 3 RheinSchPV verstoßen, wonach beim Begegnen alle Fahrzeuge die rechte Seite einhalten müssen, soweit dies für die gefahrlose Vorbeifahrt Backbord an Backbord notwendig ist, als auch gegen ihre Verpflichtung nach § 6.03 Nr. 3 RheinSchPV, weil sie den Kurs in einer Weise geändert hat, die die Gefahr eines Zusammenstoßes herbeiführen könnte. Hiervon ist das Rheinschifffahrtsgericht unter Zugrundelegung der Feststellungen des Sachverständigen, die auch von der Klägerin nicht in Frage gestellt werden, zutreffend ausgegangen. Soweit die Klägerin die Ansicht vertritt, das Manöver sei aufgrund eines Manövers des letzten Augenblicks gerechtfertigt, vermag sie hiermit nicht durchzudringen. Gemäß § 1.05 RheinSchPV müssen zwar die Schiffsführer bei unmittelbar drohender Gefahr alle Maßnahmen treffen, die die Umstände gebieten, auch wenn sie dadurch gezwungen sind, von dieser Verordnung abzuweichen. Ein regelwidriges Verhalten ist nach dieser Vorschrift aber nur zulässig, wenn die Notwendigkeit dazu völlig klar ist (vgl. Bemm/v. Wald- stein, Rheinschifffahrtspolizeiverordnung, 3. Aufl., § 1.05 Rn. 1; BGH, VersR 1971, 362 zu § 5 BinnSchStrO a.F.). Hiervon kann auf der Grundlage der Feststellungen des Sachverständigen nicht ausgegangen werden. Der Sachverständige hat nämlich bestätigt, dass der Platz am linken Ufer für TMS »Matrico« für eine Begegnung Backbord an Backbord groß genug gewesen sei und TMS »Matrico« seinen Kurs am linken Ufer hätte beibehalten müssen. In diesem Fall hätte der KV »Camaro« noch die Möglichkeit gehabt, den Verband zu »strecken«, um mit dem Hinterschiff weiter von linken Fahrrinnenrand abzukommen.

2. Die Schiffsführung des KV »Camaro« hat ihrerseits gegen das in § 9.02 Nr. 3 RheinSchPV geregelte Rechtsfahrgebot verstoßen. Sie hätte, wie der Sachverständige überzeugend dargelegt hat, frühzeitig einen größeren Kurs nach Steuerbord wählen müssen, um auf die Querströmung zu reagieren und weniger weit über die Fahrrinnenmitte zu geraten. Entgegen der Auffassung der Beklagten traf die Schiffsbesatzung des KV »Camaro« die Verpflichtung dieser Vorschrift nicht erst kurz vor oder bei der Begegnung. Nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten bemerkte ihre Schiffsführung bereits während der Ausfahrt aus dem Vorkanal auf dem Radar ein Schiff in der Bergfahrt, das sich in der Zufahrt zur Schleuse befand. Bereits zu diesem Zeitpunkt stand fest, dass es zu einer Begegnung mit diesem Schiff, es handelte sich um das TMS »Matrico«, kommen würde. Die Schiffsführung des Koppelverbandes hätte deshalb die erforderlichen Maßnahmen ergreifen müssen, um in der rechten Fahrrinnenseite zu bleiben. Wie der Sachverständige ebenfalls zutreffend ausgeführt hat, bestand hierzu insbesondere wegen der Querströmung eine besondere Verpflichtung. Wäre die Schiffsführung des Koppelverbandes dieser Verpflichtung nachgekommen, hätte die Kollision vermieden werden können.

3. Da hiernach beide Schiffsführer die Kollision schuldhaft verursacht haben, hängt die Verantwortung für die Kollision von dem Grad des jeweiligen Verschuldens ab (§ 92c BinSchG). Insoweit ist die Berufungskammer mit dem Rheinschifffahrtsgericht der Auffassung, dass dem Verschulden der Schiffsführungen das gleiche Gewicht beizumessen ist, so dass die Klägerin lediglich die Hälfte des entstandenen Schadens ersetzt verlangen kann.

4. a) Dies gilt allerdings nur bezogen auf den Beklagten zu 3 als Schiffsführer des KV »Camaro«– er haftet jedenfalls ge- mäß § 823 Abs. 1 BGB – und bezogen auf die Beklagte zu 1, die als Schiffseignerin des MS »Camaro« gemäß § 92b BinSchG für das Verschulden des Be- klagten zu 3 haftet, weil er zur Besatzung des MS »Camaro« gehörte. Eine Haftung der Beklagten zu 2, die lediglich Eignerin der Schubleichter SL ‚Camaro IX« und SL »Camaro X« ist, scheidet demgegenüber aus. Der Beklagte zu 3 stand nämlich nicht (auch) im Dienste der Beklagten zu ... 2. Dass zwischen dem Schiffsführer des Schubbootes und der Beklagten zu 3 ein Dienstverhältnis bestand, hat entgegen der von der Klägerin in der Berufungserwiderung vertretenen Auffassung auch das Rheinschifffahrtsgericht nicht mit Tatbestandswirkung festgestellt. In dem Urteil wird er lediglich als Schiffsführer des Koppelverbandes bezeichnet. Darlegungs- und beweispflichtig für die Zugehörigkeit des Beklagten zu 3 zur Besatzung der Beklagten zu 2 ist die Klägerin. An einem entsprechenden Beweisangebot fehlt es indessen, obwohl die Beklagten die Passivlegitimation der Beklagten zu 2 bereits in dem erstinstanz- lichen Schriftsatz vom 4. März 2016 gerügt haben.

b) Anlass, eine Haftung der Beklagten zu 2 in entsprechender Anwendung des § 92b BinSchG zu bejahen, besteht nicht. Vielmehr ist die Berufungskammer mit dem Bundesgerichtshof der Auffassung, dass der Eigner eines Schubleichters nicht für Schäden Dritter aus nautischen Fehlern der Besatzung des Schubboots haftet, dessen Eigner nicht er, sondern ein anderer ist (BGHZ 88, 309). In einem solchen Fall hat der Leichtereigner sein Fahrzeug für die Reise in die Obhut eines Schubbootes gegeben, dessen Besatzung nicht von ihm, sondern von dem Schubbooteigner ausgewählt sowie überwacht wird, und der er auch keine die Führung des Schubverbandes betreffenden Weisungen erteilen kann. Insoweit sind die Gegebenheiten grundlegend anders, als wenn ein Leichtereigner sein Fahrzeug von einem eigenen Schubboot, also von seinen Leuten, bewegen lässt. Zwar wollen die Vorschriften des § 92b, § 3 Abs. 1 BinSchG Dritte vor den Gefahren, die der Schiffsbetrieb in besonderem Grade mit sich bringt, dadurch schützen, dass sie dem Geschädigten einen zusätzlichen, im allgemeinen wirtschaftlich besser als das Besatzungsmitglied stehenden Schuldner in der Person des Verwenders des Schiffes geben und diesen ohne die Entlastungsmöglichkeit des § 831 BGB haften lassen (vgl. BGHZ 70, 127, 129 f. zu § 3 Abs. 1 BinSchG). Indes sind die Vorschriften dort – auch nicht entsprechend – anwendbar, wo es nicht mehr um den Verantwortungsbereich eines Leichtereigners, sondern, wie bei der Führung eines Schubverbandes auf der Reise durch ein fremdes Schubboot, um den des Schubbooteigners und seiner Besatzung geht (BGHZ 88, 309, 313 zu § 3 Abs. 1 BinSchG) ...

Anmerkung der Redaktion:

In Übereinstimmung mit dem Bundesgerichtshof hat die Berufungskammer der Rheinzentralkommission entschieden, dass für ein Verschulden der Besatzung eines Schubverbandes nur derjenige Schiffseigner haftet, der das Besatzungsmitglied angestellt, also ausgewählt und überwacht hat und weisungsberechtigt ist. Dies führt dazu, dass im Rahmen der dinglichen Haftung dem Geschädigten nur das oder die Schiffe zur Verfügung stehen, die dem Eigner des Schubbootes gehören, nicht aber fremde, geschobene Leichter.

Diese Frage war früher heftig umstritten, die Auffassung des Bundesgerichtshofes ist heute aber herrschende Meinung (Grundlegend dazu Papst, Haftung der Schubschifffahrt, ZfB 1975, Samm- lung Seite 625 f mit zahlreichen weiteren Nachweisen, sowie Kircher, ZfB 1984, Sammlung Seite 1056). Die hier vertretene Auffassung hat insbesondere Bedeutung für das Schiffsgläubigerrecht. So ist es ohne weiteres denkbar, dass etwa ein Schubboot mehrere Leichter verschiedener Schiffseigner schiebt und im Havariefalle nur der Eigner des Schubbootes mit einem dinglichen Schiffsgläubigerrecht nach § 102 Ziffer 4 BinSchG dinglich haftet. Wird zum Beispiel das Schubboot schwer beschädigt und annähernd wertlos, die Leichter dagegen nicht, dann kann die dingliche Sicherheit unzureichend sein, weil sich die dingliche Sicherung des Geschädigten auf das Schubboot beschränkt. Das Schiffsgläubigerrecht spielt aber in der Praxis kaum eine Rolle, es wird ausgesprochen selten vollstreckt, da fast alle Schiffe auf den europäischen Wasserstraßen über eine Haftpflichtdeckung verfügen und die Haftpflichtversicherer in der Regel nach Ausurteilung oder Anerkenntnis regulieren. Binnenschiffe sind aber nicht versicherungspflichtig, so dass es immerhin denkbar ist, dass nicht oder unzureichend versicherte Schiffe auf den europäischen Wasserstraßen unterwegs sind.

Die Schiffseignerstellung hat allerdings keinen Einfluss auf die Berechnung der Höchsthaftungssumme nach §§ 4 ff Bin- SchG, respektive nach dem CLNI. Nach § 5e II und III BinSchG erhöht sich die Höchsthaftungssumme für das Schubboot entsprechend der Tragfähigkeit der Leichter oder gekoppelten Schiffe, ohne dass es auf die Eigentums- oder Ausrüstungsverhältnisse an den beteiligten Schiffen ankommt. Dies wird sich auch nach dem Inkrafttreten des CLNI 2012 als in Deutschland geltendes Recht, was voraussichtlich in 2019 geschehen wird, nicht ändern, da Artikel 6 I lit.a, iv), und v) CLNI 2012 dem heute geltenden Recht entsprechende Regelungen mit erhöhten Haftungsbeträgen vorsieht.

Soweit die Berufungskammer das Manöver des letzten Augenblickes beanstandet, da dies nicht völlig eindeutig notwendig gewesen sei, so steht sie damit in Übereinstimmung mit Rechtsprechung und Literatur. Es sollte allerdings bedacht werden, dass in einer schwierigen und gefährlichen nautischen Situation, die durch Verschulden des anderen Havariebeteiligten heraufbeschworen wird, die Entscheidung über ein Manöver des letzten Augenblickes oft schwierig ist und in sehr kurzer Zeit gefällt werden muss. Stellt ein Sachverständiger später am grünen Tisch nachträglich fest, dass das Manöver gar nicht notwendig gewesen sei, dann sollte die Notlage des Schiffsführers, der sich zum Manöver des letzten Augenblickes gezwungen sieht, mindestens bei der Gewichtung des Mitverschuldens, also bei Festlegung der Verschuldensquote, Berücksichtigung finden.

Rechtsanwalt Dr. Martin Fischer, Frankfurt am Main

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2018 - Nr.8 (Sammlung Seite 2544 f.); ZfB 2018, 2544 f.