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Leitsätze:
1) Ein Rechtsstreit über Schadenersatzansprüche wegen Verletzung einer Amtspflicht ist eine Binnenschifffahrtssache im Sinne des § 2 I BinSchVerfG. Die besondere, ausschließliche Zuständigkeit der Schiffahrtsgerichte nach BinSchVerfG geht der allgemeinen Zuständigkeit nach den Regeln des GVG vor.
2) Das angerufene Gericht hat die ausschließliche Zuständigkeit des Schiffahrtsgerichtes von Amts wegen zu prüfen. Ein fehlerhafter Verweisungsbeschluss ist nicht bindend; das unzuständige Gericht kann zwar nicht zurückverweisen, aber weiterverweisen an das ausschließlich zuständige Gericht.
Verfügung des Landgerichts Wiesbaden
vom 13. Dezember 2016
5 O 280/16
Vorbemerkung der Redaktion:
Die aus übergegangenem Recht eines Bootseigners klagenden Kaskoversicherer hatten eine Klage beim Amtsgericht Rüdesheim eingereicht, die einen Schaden an einem Sportboot zum Gegenstand hatte, der durch eine Amtspflichtverletzung anlässlich der Kontrolle des Sportbootes durch ein Boot der Wasserschutzpolizei auf dem Rhein entstanden sein soll. Das beklagte Land Hessen hat dagegen die Rüge der Unzuständigkeit erhoben und erklärt, das örtlich zuständige Rheinschifffahrtsgericht sei sachlich ausschließlich zuständig, da es sich um eine Rheinschifffahrtssache handele. Das Amtsgericht Rüdesheim hat sich für sachlich unzuständig erklärt und das Verfahren nicht an das Rheinschiffahrtsgericht, sondern an das Landgericht Wiesbaden verwiesen mit folgender Begründung:
Begründung des ersten Verweisungsbeschlusses des Amtsgerichts Rüdesheim:
Das angerufene Gericht ist sachlich unzuständig, da die Kläger nach ihrem Vortrag in der Klageschrift einen Anspruch gegen das Land Hessen wegen behaupteter Amtspflichtverletzung gemäß § 839 BGB geltend machen, für welchen das Landgericht ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstands gemäß § 71 II Nr. 2 GVG ausschließlich sachlich zuständig ist. Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten ist nicht das Rheinschifffahrtsgericht zuständig. Denn deren Zuständigkeit umfasst nicht die Entscheidung über Amtshaftungsansprüche, mögen diese auch ihren Grund im Betrieb eines Schiffes auf dem Rhein haben. Vielmehr stellen Klagen, die auf Amtspflichtverletzung gestützt sind, grundsätzlich keine Rheinschifffahrtssachen dar (vgl. BGH, ZfB 1966, Heft 7, Seite 238 ff = NJW 1966, 1511 ff.; BGH, ZfB 1975, Sammlung Seite 597 f = VersR 1975, 238; RSchOG Karlsruhe, ZfB 1993, Sammlung Seite 1426 f. = NJW-RR 1993, 855 ff.). So führt der BGH im Urteil vom 07.11.1974 (Az: II ZR 94/74, abgedruckt in ZfB 1975, Sammlung Seite 597 f = VersR 1975, 238) aus:
»Das bedeutet, daß der Streitfall so zu behandeln ist, als ob es sich um die Dienstfahrt einer Pionierfähre der Bundeswehr gehandelt hätte. In einer solchen Fahrt ist aber die Ausübung hoheitlicher Tätigkeit zu sehen (vgl. BGHZ 3, 321 <328 ff.> sowie die Anmerkung von Lindenmaier zu dieser Entscheidung in LM <Nr. 1> § 839 <E> BGB; vgl. außerdem BGHZ 42, 176 ff. = VersR 64, 735 ff.; 49, 267 ff. = VersR 68,401 ff.). Die Beurteilung einer derartigen Tätigkeit wird aber von der sachlichen Zuständigkeit der Rheinschiffahrtsgerichte nicht umfaßt, weil die Vertragsstaaten der Mannheimer Akte ihr hoheitliches Handeln deren Gerichtsbarkeit nicht unterworfen haben (BGHZ 45, 237 <245> = VersR 66, 650 <652 li. Sp. >).«Das Gericht schließt sich dieser Rechtsprechung an. Vorliegend handelt es sich ebenfalls um eine Dienstfahrt des Schiffes der Beklagten. Der behauptete Schaden entstand auch in Ausübung hoheitlicher Tätigkeit, nämlich zum Zwecke einer Kontrolle. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Anspruch ggf. auch auf Normen des BinSchG gestützt werden kann. Hierzu führt der BGH – nach Auffassung des Gerichts zutreffend – aus:
»An dieser Beurteilung kann sich entgegen der Ansicht der Kl. nichts ändern, wenn man mit dem RG (RGZ 149, 167 ff.) und Vortisch-Zschucke (Binnenschiffahrts- und Flößereirecht 3. Aufl. BinSchG § 1 Anm. 5c und § 3 Anm. 2 a) davon ausgeht, daß der Schadenersatzanspruch eines Dritten wegen Verstoßes gegen Verkehrsvorschriften bei der Dienstfahrt einer Pionierfähre der Bundeswehr neben Art. 34 GG, 839 BGB auch auf die §§ 3, 4, 92 BinSchG gestützt werden kann. Denn letztlich geht es im Rahmen dieser Bestimmungen ebenfalls nur um die Frage, ob der Führer der Pionierfähre bei Ausübung seiner hoheitlichen Tätigkeit eine Amtspflicht verletzt hat. «Der Rechtsstreit war daher gemäß § 281 I 1 ZPO auf Antrag der Kläger nach Gewährung rechtlichen Gehörs für die Beklagte an das örtlich und sachlich zuständige Landgericht Wiesbaden zu verweisen.
Ende
Diese erste Entscheidung war ergangen, bevor die Beklagte Gelegenheit hatte, sich zum Vortrag der Klägerinnen zu äußern. Nach Erlass des Verweisungsbeschlusses hat die Beklagte ausführlich dargelegt, dass es sich, wenn nicht um eine Rheinschifffahrtssache, dann aber jedenfalls um eine Binnenschifffahrtssache handele, so dass der Verweisungsbeschluss rechtsfehlerhaft sei und damit nicht bindend. Nach Erlass der unten wiedergegebenen Verfügung vom 13. Dezember 2016 hat das Landgericht Wiesbaden mit Beschluss vom 13. Januar 2017 sich schließlich für sachlich unzuständig erklärt und das Verfahren auf Antrag der Klägerinnen mit Zustimmung der Beklagten an das ausschließlich zuständige Schiffahrtsgericht in Mainz verwiesen. Der Verweisungsbeschluss ist nicht begründet, sondern enthält einen Verweis auf die nachstehend veröffentlichte Verfügung vom 13. Dezember 2016. Nach richtiger Auffassung sind Amtshaftungsansprüche der Zuständigkeit der Rheinschiffahrtsgerichte entzogen, weil die Bundesrepublik Deutschland insoweit ihre Rechtsprechungshoheit für ihr hoheitliches Handeln nicht auf ein (supranationales) Sondergericht, wie ein Rheinschiffahrtsgericht, die Rheinschiffahrtsobergerichte und die Berufungskammer der Rheinzentralkommission in Straßburg übertragen hat (Siehe dazu grundlegend und ausführlich: Jörg Hofmann, die gerichtliche Zuständigkeit in Binnenschifffahrtssachen, Mannheimer Beiträge zum Binnenschifffahrtsrecht, Band IV, Duisburg 1996, Seite 46 ff sowie Seite 107). Dies ändert aber nichts daran, dass es sich jedenfalls um eine Binnenschifffahrtssache im Sinne des BinSchVerfG handelt. Die Praxis zeigt immer wieder, dass es sehr wünschenswert ist, dass nautische Vorgänge vor den dafür zuständigen Schifffahrtsgerichten oder Rheinschiffahrtsgerichten verhandelt werden und nicht vor ordentlichen Zivilgerichten mit allgemeiner Zuständigkeit, die ausgesprochen selten Kontakt mit nautischen Fragen haben. Deshalb ist es auch zu begrüßen, dass das Landgericht Wiesbaden sich im vorliegenden Fall nicht nach § 281 II Satz 4 ZPO an den falschen Verweisungsbeschluss des Landgerichts Wiesbaden gebunden gefühlt hat, sondern sich in der Lage sah, das Verfahren an das ausschließlich zuständige Schiffahrtsgericht weiter zu verweisen.
Rechtsanwalt Dr. Martin Fischer,
Frankfurt am Main
Begründung der Verfügung des Landgerichts Wiesbaden vom 13. Dezember 2016:
In dem Rechtsstreit ...weist das Gericht darauf hin, dass gem. § 1 BinSchVerfG für Binnenschifffahrtssachen im ersten Rechtszug die Amtsgerichte zuständig sind. Binnenschifffahrtssachen sind u. a. gem. § 2 Abs. 1 d BinSchVerfG auch Schadensersatzansprüche wegen Verletzung einer Amtspflicht zur Sicherung des Verkehrs. Es war die Durchführung einer Sportbootkontrolle geplant, als das Polizeiboot auf der Steuerbordseite des MB Möhre« anlegen wollte und es beim Anlegemanöver – was zwischen den Parteien streitig ist – zu einem Sachschaden gekommen sein soll. Demzufolge stünde nach Ansicht des Amtsgerichts Rüdesheim – als mögliches Rhein-Schifffahrtsgericht – ein Amtshaftungsanspruch im Streit, der in die sachliche Zuständigkeit des Landgerichts falle. Gemäß der Regelung des § 2 Abs. 1 d BinSchVerfG gehören auch etwaige Amtspflichtverletzungsansprüche vor die Schifffahrtsgerichte, da es sich um Binnenschifffahrtssachen handelt. Gemäß § 3 BinSchVerfG sind für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, die wie hier gem. § 2 Abs. 1 d BinSchVerfG Binnenschifffahrtssachen sind, die Amtsgerichte als Schifffahrtsgerichte auch dann sachlich zuständig (ausschließlich), wenn sie nach den Regeln des GVG (hier § 71 Abs. 2 Nr. 2 GVG) in die sachliche Zuständigkeit der Landgerichte fielen. Die ausschließliche Zuständigkeit des Schifffahrtsgerichtes hat für den Rechtszug ausschlaggebende Bedeutung, sodass das Landgericht von Amts wegen gehalten ist, die sachliche Zuständigkeit zu prüfen. Der Verweisungsbeschluss vom 29.11.2016 bindet das Landgericht Wiesbaden nicht gem. § 281 ZPO, ohne dass es darauf ankommt, ob der Beschluss bereits vor Ablauf der Stellungnahmefrist für das beklagte Land erlassen wurde und demzufolge unter der Verletzung des Gebots rechtliches Gehör zu gewähren ergangen sein könnte, denn das Landgericht Wiesbaden könnte »weiterverweisen« an das ausschließlich zuständige Schifffahrtsgericht und würde nicht an das Amtsgericht Rüdesheim zurückverweisen, das erkennbar auch nicht als Rhein-Schifffahrtsgericht den Verweisungsbeschluss erlassen hat.
Ende
Anmerkung:
Das Amtsgericht Rüdesheim ist kein Rheinschiffahrtsgericht, sondern in diesem Bereich nur das Amtsgericht Mainz. Die Begründung des Landgerichts Wiesbaden lässt aber den Schluss zu, dass eine Sache, die von einem Rheinschiffahrtsgericht an ein unzuständiges Landgericht verwiesen wurde, weiter (und nicht »zurück«) verwiesen werden kann an das Schiffahrtsgericht, selbst wenn es sich um das gleiche Amtsgericht handelt. Ein Schiffahrtsgericht ist nun einmal etwas anderes als ein Rheinschiffahrtsgericht.
Rechtsanwalt Dr. Martin Fischer,
Frankfurt am Main
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2017- Nr.3 (Sammlung Seite 2467f.); ZfB 2017, 2467f.