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Urteil des Amtsgerichts Emden
vom 16.04.2003
Tatbestand:
Die Parteien streiten um Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche aufgrund eines Unfalls, der sich am 23.03.2001 beim Beladen des Binnenschiffes des Klägers, des MS I, auf dem Werksgelände der Beklagten im Papenburger Deverhafen ereignete.
Der Kläger ist Alleineigentümer und verantwortlicher Schiffsführer des MS.
I. Die Beklagte war Abladerin einer Ladung Dünger, die das klägerische Binnenschiff aufgrund eines mündlich zwischen dem Kläger und dem Befrachter W geschlossenen Frachtvertrages übernehmen sollte.
Das MS I lag zur Beladung längsseitig an der Kaimauer auf dem Betriebsgelände der Beklagten. Zur Beladung wurde ein Förderband benutzt, das auf einem Fußteil auf dem Gangbord des Schiffes stand. Nachdem bereits ein Teil verladen worden war, bemängelte der Kläger, dass das Förderband insofern falsch angesetzt sei, als der einzuladende Dünger nicht mehr mittig in den Laderaum des Schiffes falle. Daraufhin wurde das Schiff zunächst um einige Meter verholt, um dann das Förderband wieder rechtwinklig zur Längsachse des Schiffes neu anzulegen, wobei streitig ist, ob und in welchen Einzelheiten die genaue Vorgehensweise zwischen dem Kläger und den Mitarbeitern der Beklagten, den Zeugen N., S. und B., besprochen wurde.
Der Kläger belegte zunächst die Taue am Vorderschiff neu, während die Ehefrau des Klägers, die Zeugin V, das Achterschiff durch Schraubendruck und Ruderstellung an die Kaimauer drückte. Der Zeuge N hob das Förderband nun mit einem Gabelstapler an und der Zeuge Springfeld schob das Band mittels eines so genannten Bobcats nach vorne, um das Bandende mittig über dem Laderaum des Schiffes zu positionieren. Als das Band sich plötzlich ruckartig nach vorne bewegte, geriet der Kläger zwischen das Fußteil des Bandes und die Ladekammerwand des Schiffes, wobei der Standort und die Verhaltensweise des Klägers unmittelbar vor dem Unfall zwischen den Parteien streitig ist. Der Kläger erlitt hierbei schwere Verletzungen, weswegen er sein Schiff 107 Tage lang nicht gewerbsmäßig habe nutzen können. Der Kläger musste sich zudem stationären Heilbehandlungen unterziehen, deren Ausmaß im Einzelnen streitig ist.
Der Kläger behauptet, dass es zwischen ihm und den Zeugen B, N und S eine Absprache dergestalt gegeben habe, dass letztere mit dem Neuanlegen des Förderbandes warten sollten, bis das Schiff verholt und wieder festgemacht worden wäre. Er sei nur deshalb zwischen das Fußteil des Bandes und die Ladekammerwand geraten, weil er sich zu diesem Zeitpunkt auf dem Weg zum Achterschiff befunden habe, um die Achtertaue neu zu belegen. Zudem habe der Zeuge Springfeld das Band mittels des Bobcats mit Wucht nach vorne gestoßen, anstatt das Band langsam zu verschieben.
Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 68.564,95 EUR sowie ein angemessenes Schmerzensgeld von mindestens 6.000,00 EUR, jeweils nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz nach § 1 DÜG ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist zunächst der Ansicht, dass das angerufene Schifffahrtsgericht Emden sachlich unzuständig sei. Zur Sache trägt die Beklagte vor, die Zeugen N und S hätten mit der Versetzung des Bandes auch erst begonnen, nachdem der Verholvorgang bereits beendet gewesen sei und der Kläger dies selbst verlangt habe. Ferner behauptet sie, dass der Kläger in der Nähe des Bandes stehen geblieben sei und der bereits begonnenen Versetzung des Bandes ca. eine Minute lang zugeschaut habe, um zu sehen, ob alles ordnungsgemäß verlief. Dann habe der Kläger plötzlich versucht, zwischen dem Fußteil des Bandes und der Ladekammerwand "durchzuschlüpfen", um zum Achterschiff zu gelangen. Genau zu diesem Zeitpunkt habe das Fußteil des Bandes aber den Bodenkontakt verloren, so dass das Band, das von den Gabelstablerzinken getragen wurde, aufgrund der kurzfristigen Reibung von Eisen auf Eisen ruckartig nach vorne gerutscht sei.
Letztlich meint die Beklagte, dass eine etwaige Haftung ihrerseits in jedem Falle nach § 106 SGB VII ausgeschlossen sei, und erhebt vorsorglich die Einrede der Verjährung.
Wegen des weitergehenden Parteivorbringens wird auf die gewechselten und mündlich vorgetragenen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen.
Das Gericht, das die Akte 14 Ds 122/01 des Amtsgerichts Papenburg zum Gegenstand des Verfahrens gemacht hat, hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 10.02.2003 - vgl. Blatt 134 f. der Akten - durch Vernehmung der Zeugen V, N, S und B, durch Anhörung des Sachverständigen Dipl.-Ing. H sowie durch Augenscheinseinnahme der Unfallstelle. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der Sitzung vom 12.03.2003 - vgl. Blatt 146 ff. der Akte - verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zwar zulässig, aber unbegründet, denn dem Kläger stehen aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt Schadensersatz- oder Schmerzensgeldansprüche gegen die Beklagte zu.
Die Klage ist zulässig, denn abgesehen, davon, dass auch die übrigen allgemeinen Sachurteilsvoraussetzungen vorliegen, ist das Amtsgericht Emden als Schifffahrtsgericht sachlich zuständig. Zwar mag es sich bei dem Papenburger Hafen um einen Seehafen handeln, jedoch folgt die sachliche Zuständigkeit des Schifffahrtsgerichts Emden aus §§ 1, 2 Abs. 1 a bzw. c des Gesetzes über das gerichtliche Verfahren in Binnenschifffahrts- und Rheinschifffahrtssachen (BinSchVerfG), wonach die die Zuständigkeit der Schifffahrtsgerichte begründenden Binnenschifffahrtssachen solche bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten sind, die mit der Benutzung von Binnengewässern durch Schifffahrt zusammenhängen, und die Schadensersatzansprüche aus unerlaubten Handlungen bzw. vertragliche Schadensersatzansprüche aus einem Unfall, der bei dem Betrieb eines Schiffes entstanden ist, zum Gegenstand haben. Hier liegt entgegen der Auffassung der Beklagten eine solche Binnenschifffahrtssache vor, denn der streitgegenständliche Unglücksfall hat sich beim Beladen eines im Hafen liegenden Binnenschiffes ereignet, welches die zu ladende Fracht über die Ems als - zumindest auch - Binnengewässer überführen sollte, und der Kläger stützt seinen Schadensersatzanspruch auf den für die Beladung geltenden Umschlagvertrag als Vertrag zugunsten Dritter bzw. seinen Schmerzensgeldanspruch auf eine von der Beklagten zu vertretende unerlaubte Handlung anlässlich dieser Beladung. Auch irrt die Beklagte, wenn sie meint, es handele sich nicht um einen Unfall bei dem Betrieb eines Schiffes, denn der streitgegenständliche Unglücksfall hat sich anlässlich des bestimmungsgemäßen Beladens des Schiffes ereignet (vgl. insofern OLG Köln, Az. 3 U 92/52 u. AG Hamburg, TranspR 1988, S. 295). Dies wird im Übrigen auch bereits dadurch deutlich, dass das Schiff zur Zeit des Unfalls unstreitig mittels Schrauben- und Ruderdruck an die Kaimauer gedrückt wurde.
Die Klage ist jedoch unbegründet, denn der Kläger hat weder vertragliche Schadensersatzansprüche noch Schmerzensgeldansprüche nach den Grundsätzen der unerlaubten Handlung gemäß § 823 BGB gegen die Beklagte.
Der Kläger hat keinen vertraglichen Schadensersatzanspruch aus dem einzig als Anspruchsgrundlage in Betracht kommenden § 280 Abs. S. 1 BGB i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB, denn auch wenn ein Frachtführer oder Unterfrachtführer nach den Grundsätzen des Vertrages zugunsten Dritter gemäß §§ 328 ff. BGB grundsätzlich einen vertraglichen Anspruch auf Ersatz des Schadens geltend machen kann, der ihm durch die schuldhafte Verletzung einer Nebenpflicht aus dem zwischen dem Um- bzw. Ablader und dem Absender geschlossenen Umladevertrag anlässlich der Beladung seines Schiffes entsteht (vgl. Vortisch/Bemm, Binnenschifffahrtsrecht, 4. Aufl. 1991, § 41 Rn. 11 m.w.N.), so hat die Beklagte als Abladerin vorliegend keine schuldhafte Nebenpflichtverletzung begangen. Denn der insofern beweispflichtige Kläger ist für seine Behauptung, die Zeugen Nee und Springfeld hätten den streitgegenständlichen Unfall fahrlässig und damit schuldhaft i.S.d. § 276 BGB verursacht - was der Beklagten nach § 278 BGB zuzurechnen wäre -, beweisfällig geblieben.
Zunächst kann eine Pflichtverletzung der Zeugen N und S nicht deswegen angenommen werden, weil sie - wie der Kläger behauptet - gegen eine vor dem Verholvorgang ausdrücklich getroffene Absprache verstoßen hätten, nach der sie mit dem erneuten Ansetzen des Förderbandes hätten warten sollen bis der Verholvorgang abgeschlossen gewesen wäre, denn der auch insoweit beweispflichtige Kläger konnte nicht beweisen, dass es eine solche vorherige Absprache tatsächlich gegeben hat. Keiner der Zeugen hat dies bestätigt.
Ferner kann aber auch in Ermangelung einer vorherigen Absprache eine schuldhafte Unfallverursachung durch die Zeugen N und S auch nicht in der Ausführung der oben beschriebenen Tätigkeiten gesehen werden. Zwar hat die Beweisaufnahme nicht bestätigt, dass der Kläger die Zeugen N und Springfeld angewiesen hat, mit der Verschiebung des Förderbandes zu beginnen, denn keiner der von der Beklagten benannten Zeugen hat dies bestätigt. Jedoch folgt daraus nicht, dass die Zeugen N und S eine ihnen obliegende Sorgfaltspflicht verletzt haben, als sie damit begannen, das Förderband wieder anzusetzen und nach vorne zu verschieben. Die wäre nur dann der Fall gewesen, wenn - wie der Kläger behauptet - es für sie erkennbar gewesen wäre, dass der Kläger erst noch die Achtertaue hätte neu belegen müssen und dass er erkennbar zum Unfallzeitpunkt auch gerade deswegen auf dem Weg zum Achterschiff gewesen ist. Dies hat die Beweisaufnahme nicht zweifelsfrei bestätigt, wenngleich die Zeugin Vrieling in diesem Sinne ausgesagt hat.
Vielmehr erscheint es dem Gericht durchaus nicht unwahrscheinlich, dass der Kläger - wohl, weil er tatsächlich die Achtertaue neu belegen wollte - glaubte, dass er noch zwischen dem Fußteil des Förderbandes und der Ladekammerwand hindurchschlüpfen könnte, nachdem er sich zuvor zumindest kurzzeitig von der richtigen Positionierung von Schiff und Förderband überzeugt hatte.
Den dahingehenden Sachvortrag der Beklagten haben die Zeugen N und S so bestätigt. Ihrer Aussage nach hat der Kläger sich in die Nähe des Förderbandes begeben und ist dort außerhalb des Gefahrenbereichs stehengeblieben, nachdem er die Taue am Vorderschiff neu belegt hatte. Erst dann habe er plötzlich versucht, noch schnell durch den Gefahrenbereich nach achtern zu gelangen. Selbst wenn der Zeuge N - wie es nach der nicht autorisierten polizeilichen Vernehmung den Anschein haben mag - den Kläger vor dem Unfall nicht hat stehen sehen, so bestätigt die polizeiliche Vernehmung doch immerhin ausdrücklich, dass der Zeuge bekundet hat, den Kläger nicht im Gefahrenbereich wahrgenommen zu haben. Hieraus ist zu schließen, dass der Zeuge bestätigen wollte, dass sich der Kläger nach seiner Beobachtung zu diesem Zeitpunkt nicht in Gefahr befand.
Diesem Ablauf steht auch die Aussage der Zeugin V nur vordergründig entgegen, nach der der Kläger nicht zunächst stehend der Verschiebung des Bandes zugeschaut habe, sondern vielmehr gleichmäßigen Ganges vom Vorder- zum Achterschiff ging, um dort die Taue neu zu belegen, als das Fußteil des Förderbandes plötzlich und ruckartig auf ihn zu kam und ihn einquetschte. Die Zeugin V war nämlich zur Zeit des Unfallgeschehens unstreitig damit beschäftigt, das Achterschiff vom Führerhaus aus mit Schrauben- und Ruderdruck an die Kaimauer zu drücken und kann demnach das Geschehen auf dem Mittelschiff nicht die ganze Zeit über beobachtet haben. Zwar mag sie hin und wieder auch nach vorne geschaut haben, um zu beobachten, was dort passierte, jedoch wird sie zwangsläufig auch darauf geachtet haben müssen, ob das Achterschiff ordnungsgemäß an der Kaimauer lag. Demnach mag sie gesehen haben, wie der Kläger zunächst vom Vorderschiff nach achtern lief und, nachdem sie von den Unfallgeräuschen alarmiert worden war, auch mitbekommen haben, dass der Kläger zwischen das Fußteil des Bandes und die Ladekammerwand geraten war. Das Gericht ist aber nicht davon überzeugt, dass sie tatsächlich gesehen hat, ob der Kläger zwischenzeitlich kurz stehen geblieben ist, um den begonnenen Verschiebevorgang zu beobachten. Aus demselben Grund wird die Zeugin auch nicht genau gesehen haben, ob das Förderband erst zu dem Zeitpunkt erstmalig bewegt wurde, als der Kläger sich entschloss, nach achtern zu laufen, oder ob es sich zu diesem Zeitpunkt nicht schon in langsamer und allmählicher Verschiebung befand.
Dem steht im Übrigen auch nicht die allgemeine Lebenserfahrung entgegen, nach der ein erfahrener Schiffer sich nicht unnötig in eine erkennbare Gefahrenlage begibt. Denn nach der Beweisaufnahme steht es zur Überzeugung des Gerichts fest, dass das Förderband nicht deshalb nach vorne geschnellt ist, weil der Zeuge Springfeld es mit dem Bobcat nach vorne gestoßen hat, sondern vielmehr deswegen, weil das Fußteil des Förderbandes kurzzeitig den Bodenkontakt verloren hatte und durch die Reibung auf den Gabelstaplerzinken plötzlich nach vorne rutschte. Diesen Ablauf haben die Zeugen Nee und Springfeld glaubhaft bekundet und dessen Wahrscheinlichkeit hat auch der Sachverständige H bestätigt.
Soweit der Kläger behauptet, die Mitarbeiter der Beklagten hätten erkennen müssen, dass die Achtertaue zum Unfallzeitpunkt noch neu belegt werden mussten, vermag dies das Gericht nicht zu überzeugen. Statt die Achterleinen zu belegen, bevor das Förderband an seine Ladeposition versetzt wird, wäre es genauso sinnvoll gewesen, zunächst die Positionierung des Bandes abzuwarten, um dann zu entscheiden, ob eine erneute Verholung des Schiffes erforderlich sein würde oder das Schiff nunmehr endgültig festgemacht werden könnte. Wenn der Kläger - wie von den Zeugen der Beklagten bekundet - tatsächlich außerhalb des Gefahrenbereiches stehengeblieben ist, so konnten die Zeugen von letzterer Möglichkeit ausgehen, da das Schiff durch Belegen der Vorleine und der Vorspring sowie durch Andrücken des Hecks mittels Motor- und Ruderdruck in einer stabilen Position lag.
Eine schuldhafte Pflichtverletzung der Mitarbeiter der Beklagten ist nach alledem mit der für eine Verurteilung notwendigen Sicherheit nicht festzustellen.
Auch der geltend gemachte Schmerzensgeldanspruch nach den Grundsätzen der unerlaubten Handlung gemäß §§ 823, 847 BGB a. F. scheitert nach dem oben Gesagten daran, dass nicht bewiesen ist, dass die Zeugen N und S den Unfall schuldhaft verursacht haben, so dass es letztlich auf einen eventuellen Haftungsausschluss nach den §§ 106 ff. SGB VII und eine eventuelle Verjährung nach § 439 HGB nicht mehr ankam.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO; die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht nach § 709 S. 1 und 2 ZPO.