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5 C 4/12 BSch - - (Schiffahrtsgericht)
Entscheidungsdatum: 02.04.2012
Aktenzeichen: 5 C 4/12 BSch
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: - Duisburg-Ruhrort
Abteilung: Schiffahrtsgericht

Leitsätze:

 

Ein Umschlagsvertrag zwischen dem Absender und einem Umschlagsbetrieb entfaltet Schutzwirkung zu Gunsten des Frachtführers.

Kann der Frachtführer/Schiffsführer bemerken, dass unsachgemäß beladen wird, kann es einen Verstoß gegen die Schadenminderungspflicht darstellen, wenn er nicht einschreitet.

Eine kontradiktorische Schadentaxe kann auch in zwei einzelnen Gutachten beider Seiten zustande kommen, wenn diese eine rechtliche Einheit bilden. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn zum Beispiel hinsichtlich der Schadenhöhe auf die Reparaturkosten des anderen Gutachtens Bezug genommen wird.

Eine Reparatur darf auch bei geringfügigen Schäden jedenfalls dann sofort ausgeführt werden, wenn der Geschädigte mit Problemen bei folgenden Transporten rechnen muss.


Urteil des Schifffahrtsgerichtes Duisburg- Ruhrort

vom 02. April 2012

Az.: 5 C 4/12 BSch 

rechtskräftig

Die Klägerin ist Kaskoversicherer des im Eigentum der J, stehenden MS »Dreamboat «. MS »Dreamboat« wurde 1999 gebaut. Die Tonnage von MS »Dreamboat« beträgt 2.170,03 Tonnen. Die Klägerin gewährte wegen des nachstehend beschriebenen Vorfalls Deckung und verlangt aus übergegangenem und abgetretenem Recht Schadensersatz von der Beklagten. D
ie Beklagte ist ein Umschlagbetrieb und löschte am 19./20. August 2010 in Krefeld das MS »Dreamboat«, das mit Weizen beladen war. Die Beklagte löschte mit dem Materialumschlaggerät 870 M Serie C, green Line mit einer Reichweite bis 21 m und einer Motorleistung bis 300 kW. Die Reparatur des MS »Dreamboat« wurde an 5 Tagen durchgeführt.
Es wurden nach Beseitigung der Schäden zwei Gutachten erstellt, einerseits von SV V, auf Klägerseite (vom 13.09.2010) und SV W, auf Beklagtenseite (vom 15.09.2010) Die Gutachter besichtigen MS »Dreamboat« am 3.09.2010. In den Gutachten werden von beiden Experten übereinstimmend Reparaturkosten in Höhe von 16.000,00 €, ein Überstundenzuschlag von 756,00 € sowie eine Reparaturdauer von 5 Tagen als für die Beseitigung der entstandenen Schäden notwendig festgestellt. Die Schäden behinderten die Fahrt bis auf zwei Risse in der Schweißnaht zwischen Trimmblech und Dennebaum nicht. Lediglich diese hätten nach Auffassung des SV W unverzüglich verschweißt werden müssen. Der Sachverständige setzte hierfür 1/2 Arbeitstag an.
Die Beklagte wurde mit Schreiben vom 11.4.2011 unter Fristsetzung zum 26.04.2011 erfolglos aufgefordert, den entstandenen Schaden zu regulieren.
Die Klägerin behauptet, vor dem Löschen sei das Schiff in einwandfreiem Zustand gewesen.
Die Schäden seien so zu erklären, dass der Greifer bei dem Löschen mehrfach an den Dennebaum gestoßen und mehrfach hart und unsanft auf den Boden des Schiffes aufgesetzt worden sei. Dadurch seien die geltend gemachten Schäden an der Strau des Laderaums entstanden. Expertenkosten seien in Höhe von 1.027,00 € angefallen. Die Klägerin ist der Meinung, durch die kontradiktorische Schadenstaxe sei der Schaden bindend einschließlich der Anzahl der Reparaturtage taxiert. Aus der Tonnage sei der abstrakte Nutzungsverlust pro Tag mit 1.104,57 € (869,19 X 108,4/85,3) zu berechnen, ein konkreter Nachweis sei nicht erforderlich. Außergerichtliche Kosten seien in Höhe von 911,80 € entstanden und bezahlt worden.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 23.305,85 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 27.04.2011 zu zahlen. Die Beklagte wird weiter verurteilt, an die Klägerin vorprozessuale Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 911,80 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 06.08.2011 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie behauptet, ihr mit dem Löschen beschäftigter Mitarbeiter habe die streitgegenständlichen Schäden nicht verursacht. Insbesondere sei der Greifer beim Entladen nicht gegen die oberen Trimmbleche geraten und habe sich beim Schließen nicht zwischen dem Boden und den oberen Trimmblechen verklemmt. Eine sofortige Reparatur der Schäden sei nicht erforderlich gewesen.
Die Beklagte ist der Ansicht, es liege keine bindende, kontradiktorische Schadenstaxe vor, da seitens des Gutachters W die Schadenstaxe ohne Präjudiz zur Schuldfrage, Schadensursache und Haftung der Versicherer erklärt worden sei. Darin liege ein Vorbehalt. Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen P, K und G. Auf das Sitzungsprotokoll vom 02.04.2012 wird Bezug genommen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Parteien eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet.
Die Klägerin hat Anspruch auf Schadensersatz gegen die Beklagte aus dem Vorfall vom 19./20.08.2010 gemäß § 278 BGB in Verbindung mit dem Umschlagvertrag. Der Umschlagvertrag zwischen dem Absender der beförderten Ware und der Beklagten ist ein Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte. Dritte ist die Eignerin des an der Verladestelle vorgelegten Schiffs MS »Dreamboat«. Die Beklagte haftet aus schuldhafter Verletzung der sich daraus ergebenden Sorgfaltspflichten in Verbindung mit § 278 BGB für Beschädigungen des Schiffes durch ihre Leute.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Zeuge K, Beschäftigter bei der Beklagten, die Beschädigung des MS »Dreamboat« bei dem Löschvorgang vom 19./20.08.2010 fahrlässig verursacht hat. Die Schäden sind dadurch zustande gekommen, dass sich der Greifer bei dem Löschvorgang mehrfach zwischen der Strau und der Unterseite des Gangbords verklemmt hat.
Dies folgt aus der glaubhaften Aussage des Zeugen und Schiffsführers P.
Der Zeuge hat das mittlerweile 20 Monate zurückliegende Geschehen präzise in Erinnerung gehabt. Seine Bekundungen waren detailreich, in sich schlüssig und nachvollziehbar. Das Gericht verkennt nicht, dass der Zeuge ein Interesse am Ausgang des Rechtsstreits hat, da es sich um sein Schiff handelt. Es haben sich bei seiner Vernehmung aber keinerlei Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Zeuge bereits zuvor vorhandene Schäden zu Unrecht der Beklagten anlasten wollte. Bei der Vernehmung war ihm der Stolz auf sein gepflegtes Schiff deutlich anzumerken. Die Schilderung der Entdeckung der Schäden am Morgen nach dem Löschen und sein Entsetzen darüber, hat er lebensnah bekundet. Auch der Umstand, dass er zum Beleg sofort Fotos von den Schäden am Schiff und ebenfalls von dem eingesetzten Greifer gemacht hat, an dem sich noch rote Farbe des Laderaumunteranstrichs befand, spricht dafür, dass der Schaden in dieser Nacht eingetreten ist. Die in Augenschein genommenen Fotografien dokumentieren die Schäden, die in den beiden Gutachten der Sachverständigen festgehalten sind.
Die Aussage des Zeugen P wird gestützt durch die Aussage der Zeugin G. Sie wurde von dem Zeugen P angerufen und über die Schäden informiert. Sie konnte sich noch deutlich daran erinnern, dass der Schiffsführer, der ihr von der Beschädigung berichtete, »ungehalten« gewesen sei. Diese von der Zeugin geschilderte Gefühlslage des Zeugen P am Morgen nach dem Löschvorgang spricht dafür, dass er tatsächlich deshalb so aufgebracht war, weil die Schäden gerade erst in der betreffenden Nacht bei dem Löschvorgang verursacht worden waren.
Es spricht nach der Beweisaufnahme alles dafür, dass die Schäden durch ein Verklemmen des Greifers zwischen Strau und Unterseite des Gangbords verursacht worden sind, und zwar durch den hohen Druck, den die Greiferschaufel beim Schließen auf die darunter befindliche Ladung ausübte. Wesentliches Indiz hierfür ist, dass Schäden nur im Bereich der beiden Seiten und nicht in der Mitte des Laderaums entstanden sind. Dies entspricht auch den Feststellungen in den beiden Gutachten. Dem Zeugen P sind nach seinem Bekunden weder laute Geräusche noch sonst ungewöhnliche Bewegungen während des Löschens aufgefallen. Ein Verbeulen der Strau durch ein zu festes, womöglich ungebremstes Auftreffen des Greifers auf die Stahlbleche wäre akustisch deutlich wahrnehmbar und auch eher in der Mitte des Laderaums zu erwarten gewesen als ausschließlich entlang der Laderaumseitenwände.
Die Aussage des Zeugen K steht nicht entgegen. Seine Bekundungen waren zunächst sehr vage. Der Zeuge war ersichtlich bemüht, das Geschehen so darzustellen, als ob er mit den Schäden nichts zu tun gehabt habe. Dass er nach dem Löschen ohne weiteres sofort nach Hause gegangen sei, hat er erst auf Nachfrage hin richtiggestellt. Er hat eingeräumt, dass von einer Beschädigung des Schiffes durch ihn die Rede gewesen, die Zeugin G erschienen und Fotos gemacht worden seien. Er bestätigte, dass an dem Greifer abgeschrammte Farbe vorhanden war. Seine Bekundung, dass beim Löschen immer Farbreste des gelöschten Schiffes am Greifer vorhanden seien, weil man an den Wänden entlangschramme und alle Schiffe mit roter Farbe gestrichen seien, erklärt nicht die auf der Oberseite des Greifers anhaftende Farbe. Der Zeuge konnte im Übrigen das Aufnehmen des zu löschenden Ladegutes nicht beobachten, da er nach seiner Aussage keine direkte Sicht in den Laderaum hatte. Eine Kamera war auf dem Greifer, einem Schwerlastgreifer mit 320 bar auf den Schläuchen, nicht vorhanden. Dies erklärt, weshalb es nicht lediglich zu einer, sondern zu einer ganzen Reihe von Beschädigungen im Bereich der Seitenwände des Laderaums gekommen ist, ohne dass der Zeuge K dies wahrgenommen hat.
Der Zeuge K hat auch fahrlässig gehandelt. Bei der gebotenen und von ihm anzuwendenden Sorgfalt hätte er mit dem Greifer nicht an Stellen löschen dürfen, die für ihn nicht einsehbar waren. Er hätte nur in der Mitte des Laderaums den Greifer betätigen dürfen und insoweit auf das Nachrutschen der Ladung oder auf das Zusammenschieben durch den Fahrer des Bobcat warten müssen.
Auf Seiten der Rechtsvorgängerin der Klägerin liegt kein Verstoß gegen die Schadensminderungpflicht vor.
Nach der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Schäden nicht durch ein zu festes Aufsetzen des Greifers entstanden sein können. Wäre dem so gewesen, so hätte der Schiffsführer durch die Erschütterung, bzw. durch das laute Geräusch aufmerksam werden und sich um die Ursache kümmern müssen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass der Beschädigungsvorgang durch Einklemmen des Greifers beim Schließen und den dadurch entstandenen hohen Druck geräuscharm von statten ging. Dem Schiffsführer kann keine Unaufmerksamkeit vorgeworfen werden.
Der geltend gemachte Schadensersatz ist auch der Höhe nach gerechtfertigt. Es liegt eine kontradiktorische Schadenstaxe vor, die die Kaskoschäden in Höhe von 16.756,00 € und eine Reparaturdauer von 5 Tagen feststellt.
Durch eine kontradiktorische Schadenstaxe werden die zur Wiederherstellung des Schiffes erforderlichen Kosten mit für den nachfolgenden Schadensersatzprozess bindender Wirkung festgelegt. Eine kontradiktorische Schadenstaxe ist ein Schadensfeststellungsvertrag der durch ihre Sachverständigen vertretenen Parteien, durch den die Höhe der Reparaturkosten und darüber hinaus auch andere mit dem Schiffsunfall zusammen hängenden Umstände bindend festgelegt werden können. (Rheinschifffahrtsobergericht Karlsruhe, Urteil vom 21.10.2005).
Auch wenn hier zwei Gutachten vorliegen, handelt es sich gleichwohl um eine kontradiktorische Schadenstaxe, da beide eine rechtliche Einheit bilden. Das Schiff wurde von beiden Gutachtern gleichzeitig am 03.09.2010 besichtigt und die Ergebnisse der Gutachten sind identisch, sowohl im Hinblick auf die Anzahl der beschädigten Teile des Schiffs, den dafür benötigten Arbeitsaufwand, die Kosten und die Überstunden. Die kontradiktorische Taxe vom 13./15.09.2010 enthält lediglich den üblichen Vorbehalt hinsichtlich Schuldfrage, Schadensursache und Haftung der Versicherer. Hinsichtlich der Dauer der Reparatur ist kein Vorbehalt gemacht worden. In dem Gutachten des Sachverständigen V ist insbesondere erwähnt, dass der Gutachter W mit den genannten Reparaturkosten übereinstimme. Der Klägerin steht auch Nutzungsverlust in Höhe von 1.100,70 € pro Tag für 5 Tage zu. Dass dem Schiffsführer aufgrund des Vorfalls ein Anspruch auf Nutzungsausfall zusteht, ist zwischen den Parteien unstreitig und ergibt sich ohne weiteres aus § 252 BGB.
Nach dem Gutachten SV W hätte die Reparatur bis auf das Schweißen zweier Risse nicht sofort durchgeführt werden müssen. Hierauf kommt es aber nicht an. Die Auffassung der Beklagten, deshalb sei der Nutzungsausfall in Höhe von 5 Tagen nicht zu erstatten, geht fehl. Angesichts des Umfangs und der Lage der Schäden auf dem Boden der Strau war die Rechtsvorgängerin der Klägerin zur sofortigen Reparatur berechtigt. Der Zeuge P hat überzeugend die Probleme geschildert, die sich hätten ergeben können, wenn die Schäden nicht behoben worden wären. Durch die Schäden war gerade der Boden des Laderaums stark in Mitleidenschaft gezogen. Dadurch konnten bei nachfolgenden Ladungen Gefahren entstehen durch unsicheren Stand der Ladung oder es könnte eine Ablehnung des Schiffes als zum Transport ungeeignet erfolgen. Der Schiffsführer war aus Schadensminderungsgesichtspunkten heraus nicht verpflichtet, solange mit einem beschädigten Schiff zu fahren, bis sich aus anderen Gründen ein Werftaufenthalt ergab. Die Dauer des Nutzungsausfalls ist mit 5 Tagen anzusetzen. Unstreitig befand sich MS »Dreamboat« für 5 Tage zur Reparatur in der Werft und konnte in diesem Zeitraum nicht genutzt werden.
Den Tagessatz für den Nutzungsausfall bemisst das Gericht in Ausübung des ihm gem. § 287 ZPO eingeräumten Ermessens mit 1.100,70 € pro Tag. Dem liegen folgende Erwägungen zugrunde: Zu ersetzen ist gemäß § 252 BGB der nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen mit Wahrscheinlichkeit zu erwartende Gewinn. Bei Schiffsunfällen ist der mutmaßliche Gewinn zu bestimmen, den ein derartiges Schiff wie das beschädigte nach seiner Art und Größe nach den zur Unfallzeit maßgeblichen Sätzen normalerweise gehabt hätte. Nach Schifffahrtsbrauch kann davon ausgegangen werden, dass das Schiff ohne den Unfall gewinnbringend hätte eingesetzt werden können (OLG Köln, Urteil vom 22.01.2008, 3 U 77/06). Es entspricht insoweit jahrzehntelangem Schifffahrtsbrauch, den Nutzungsausfall bei Schiffen abstrakt anhand der entsprechenden Liegegeldsätze zu berechnen. Nach den Entscheidungen OLG Köln, 22.01.2008 (Aktenzeichen 3 U 77/06 BSchRh) und bestätigend BGH, Urteil vom 16.12.2008 (Aktenzeichen VI ZR 48/08) orientiert sich das Gericht an den Liegegeldsätzen nach § 32 BinSchG a.F. von 1994. Damit ergibt sich hier folgende Berechnung:

Verbraucherpreisindex Mai 1994        85,6 (Quelle: stat. Bundesamt Wiesbaden)

Verbraucherpreisindex August 2010  108,4 (Quelle: stat. Bundesamt Wiesbaden)

Nutzungsausfall auf der Basis
§ 32 BinSchG a.E Stand
27.04.1994                                          869,10 €

Entsprechend:
1400 DM+150 DM+ 150 DM

Indexiert:                                              1100,70 €


Die Klägerin hat angesichts der berechtigten Inanspruchnahme der Beklagten auch Anspruch auf Ersatz der ihr entstandenen vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten.

 

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2012 - Nr.8 (Sammlung Seite 2195 f.); ZfB 2012, 2195 f.