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482 Z - 10/13 - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 12.12.2013
Aktenzeichen: 482 Z - 10/13
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsätze:

1) Vereinbaren die Vertragsparteien, dass ein beladenes Motorgüterschiff mit Hilfe eines Motorschleppers im Strom gedreht wird, um die Talreise antreten zu können, so kommt zwischen den Parteien des Vertrages ein Schleppvertrag zustande, der rechtlich als Werkvertrag im Sinne des § 631 I BGB zu qualifizieren ist.

2) Der Schleppvertrag verpflichtet den Unternehmer, den geschleppten Kahn unversehrt an seinen Bestimmungsort zu bringen; geschuldet ist also ein Erfolg. Die Werkleistung (Schleppleistung) ist deshalb bereits dann mangelhaft und das Verhalten des Unternehmens pflichtwidrig, wenn das geschleppte Schiff nicht wohlbehalten am Zielort ankommt. Dies begründet Schadenersatzansprüche nach § 633 II Satz 2 Nr. 1 BGB und § 280 I Satz 1 BGB.

3) Gemäß § 280 I Satz 2 BGB wird aufgrund der feststehenden Pflichtverletzung vermutet, dass der Schuldner die Pflichtverletzung zu vertreten, also schuldhaft gehandelt hat. Der Schuldner kann sich aber entlasten, wenn er beweist, dass die Pflichtverletzung weder auf eigenes Verschulden noch auf das Verschulden von Erfüllungsgehilfen zurückzuführen ist.

4) Ein Mitverschulden des Anhangschiffers (Auftraggebers) kommt in Betracht, wenn er den Schleppvorgang nicht durch geeignete Maßnahmen unterstützt, wie es in §1.02 Nr. 5 RheinSchPV auch ausdrücklich normiert ist.

5) Eigene Sachkunde eines Rheinschifffahrtsgerichtes macht die Einholung eines Sachverständigengutachtens nur dann entbehrlich, wenn der Richter die eigene Sachkunde, die die Einholung eines Sachverständigengutachtens entbehrlich macht, den Parteien bekanntgibt und im Urteil im Einzelnen darlegt. Dies ist in der Regel nicht der Fall, wenn die Beurteilung einer nautischen Frage eine schwierige physikalische Berechnung unter sachkundiger Berücksichtigung der Gegebenheiten des konkreten Einzelfalles voraussetzt.

 

Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt

vom 12. Dezember 2013, Az.: 482 Z - 10/13

(Rheinschifffahrtsgericht St. Goar, Az.: 4 C - 14/11 BSchRh)

Anmerkung der Redaktion:

Das vorliegende Urteil beschäftigt sich neben der prozessualen Frage der Sachkunde des Richters materiellrechtlich mit den wechselseitigen Verpflichtungen aus Schleppvertrag und dessen rechtlicher Qualifizierung. Ob ein Schubvertrag oder ein Schleppvertrag rechtlich als Frachtvertrag im Sinne der §§ 407 ff HGB anzusehen ist, als Werkvertrag im Sinne des § 631 BGB oder als Vertrag sui generis, also eigener Art, ist streitig, seit es Schleppschifffahrt und Schubschifffahrt gibt.

Die Schleppschifffahrt hat an Bedeutung verloren. Schleppschifffahrt kommt heute nur noch im Bereich starker Stromströmungen (zum Beispiel im Gebirge des Rheines) in Betracht oder als Manövrierhilfe oder Turnhilfe in schwierigen nautischen Situationen oder nach Festfahrungen. Die klassische Schleppschifffahrt, Anhangschleppschifffahrt, ist inzwischen in Europa fast vollständig verschwunden. Sehr weit verbreitet ist aber die Schubschifffahrt, also der Transport eines oder mehrerer vorgespannter Schubleichter durch ein Schubboot oder ein Motorschiff. Der vorliegende Fall beschäftigt sich nicht mit einem klassischen Schubvertrag oder klassischen Schleppvertrag alter Prägung, also der Verschiebung oder Verschleppung eines leeren oder beladenen Schiffes oder Leichters von einem Ort zum anderen über eine längere Distanz, sondern mit einer zeitlich und örtlich beschränkten Unterstützung eines motorisierten Schiffes mit Hilfe eines Schleppbootes.

Die Berufungskammer der Zentralkommission hat entschieden, dass diese Art Schleppvertrag nicht als Frachtvertrag im Sinne der §§ 407 ff HGB zu qualifizieren sei, sondern als klassischer Werkvertrag nach § 631 BGB. Dies ist deshalb interessant, weil international und national eine Tendenz festzustellen ist, mindestens den Schubvertrag über die Verbringung von Schubleichtern als Frachtvertrag und nicht als Werkvertrag anzusehen. So ist in der grundlegenden Entscheidung des Schifffahrtobergerichtes Nürnberg vom 20. Dezember 2007, Az.: 11 U - 1017/07 BSch, ZfB 2009, Sammlung Seite 2024 ff., der Schubvertrag als Frachtvertrag qualifiziert worden mit dem Argument, es mache keinen Unterschied, ob ein Gegenstand an Bord eines Schiffes (klassischer Gütertransport) oder außenbords eines Schiffes (Transporte eines vorgespannten Leichters) transportiert werde. Sieht man den Schlepp- oder Schubvertrag mit dem Schifffahrtsobergericht Nürnberg als Frachtvertrag an, so hat dies massive rechtliche Konsequenzen. Anders als der Werkvertrag ist der Frachtvertrag von einer Obhutshaftung einerseits und einer Haftungsbeschränkung andererseits geprägt. Der Schubunternehmer würde also für jeden Schaden am Schubleichter oder geschleppten Schiff haften, solange er nicht nachweist, dass der Eintritt dieses Schadens unvermeidbar war. Im Gegenzug hat er die Privilegien der Haftungsbeschränkung und Haftungsbegrenzung des HGB. Er haftet maximal bis zum Wert der transportierten Güter, Folgeschäden sind von der Haftung ausgeschlossen. Mit der vorliegenden Entscheidung hat die Berufungskammer aber den Unterschied zwischen Frachtvertrag und Werkvertrag hinsichtlich des Grundes der Haftung stark nivelliert. Mit der Argumentation, die Verbringung von A nach B sei der geschuldete Erfolg, kommt die Berufungskammer zu einer Pflichtwidrigkeit des Schleppers in jedem Falle, wenn das verschleppte Schiff beschädigt wird. Es ist nun Sache des Schleppers zu beweisen, dass ihn kein Verschulden trifft. Dies kommt der frachtvertraglichen Obhutshaftung sehr nahe. Würde man die Hauptleistung so definieren, dass nur die Unterstützung des zu drehenden Schiffes geschuldet war und nicht die erfolgreiche Durchführung des gesamten Manövers, wäre auch bei einer Havarie der Erfolg erbracht und eine Pflichtwidrigkeit nicht erwiesen. Dies würde zu einer vollständigen Beweislast für Pflichtwidrigkeit und Verschulden auf Seiten des geschädigten Schiffes führen. Diesen Weg ist die Berufungskammer aber nicht gegangen.

Rechtsanwalt Dr. Martin Fischer,

Frankfurt am Main

Aus dem Tatbestand:

Die Klägerin ist Schiffseignerin des MS »Waalkade«. Sie nimmt die Beklagten auf Schadensersatz aufgrund des nachstehend beschriebenen Schiffsunfalls in Anspruch. Die Beklagte zu 1 ist Eigentümerin des Motorschleppers »Rheinland« und war von der Klägerin beauftragt worden, MS »Waalkade« am 4. Januar 2011 auf dem Rhein zu drehen. Der Beklagte zu 2 war am Unfalltag verantwortlicher Schiffsführer des Motorschleppers »Rheinland«. Der Schiffsunfall ereignete sich am 4. Januar 2011 in den frühen Morgenstunden bei Rheinkilometer 537,0 in der Nähe der Steinverladung »Sooneck«. Die Fahrrinnenbreite des Rheins beträgt dort 120 m. Zum Unfallzeitpunkt führte der Rhein viel Wasser und es herrschte eine starke Strömung. MS »Waalkade« ist 109 m lang, 11,40 m breit und hat eine Tragfähigkeit von 2. 945 t bei einer Maschinenleistung von 1.180 PS. Zudem ist das Schiff mit einem Bugstrahlruder ausgerüstet. Der Motorschlepper »Rheinland« ist 30,82 m lang und 6,45 m breit. Er verfügt über eine Maschinenleistung von rund 1. 000 PS. Die Klägerin hatte die Beklagte zu 1 beauftragt, MS »Waalkade« am 4. Januar 2011 auf dem Rhein zu drehen. MS »Waalkade« war an der Steinverladung »Sooneck« bei Trechtingshausen mit 1. 800 t Grauwacke beladen worden und sollte diese Fracht nach Kekerdom in den Niederlanden bringen. Zu diesem Zweck sollte es von dem Motorschlepper »Rheinland« auf dem Rhein gedreht werden. Dazu entsandte die Beklagte zu 1 ihren von dem Beklagten zu 2 verantwortlich geführten Motorschlepper »Rheinland«. Der Schlepper traf zu der vereinbarten Zeit gegen 7:30 Uhr des 4. Januar 2011 beiMS »Waalkade« ein. MS »Waalkade« hatte zu diesem Zeitpunkt unter der verantwortlichen Schiffsführung des Schiffsführers V bereits von der Verladeanlage losgemacht und war ein Stück zu Berg gefahren, um die für das Wendemanöver günstigste Position einzunehmen. Dort hielt er mit langsam auf vorauslaufender Maschine das Schiff ständig, als der Motorschlepper »Rheinland« eintraf. Dieser wurde mit einem 30 m langen Schleppdraht am vorderen Backbordpoller von MS »Waalkade« festgemacht. Dabei vereinbarten Schiffsführer V und der Beklagte zu 2, dass fortan Funkkontakt auf Kanal 12 miteinander gehalten werden sollte. Danach zog der Motorschlepper »Rheinland« an, bis der Schleppdraht auf Spannung war, hielt aber danach zunächst einmal an, um die Passage eines Talfahrers abzuwarten. Sodann zog der Beklagte zu 2 zur Querung des Rheins nach Backbord und sodann zur Durchführung des Wendemanövers weiter zu Tal. Während MS »Waalkade« in etwa quer zur Stromrichtung im Wasser lag, schoss es hinter dem Schleppboot vorbei ins rechtsrheinische Ufer und riss sich dabei den Schiffsboden derart auf, dass es zu erheblichem Wassereintritt kam. Der Beklagte zu 2 wurde darüber sofort über Funk informiert. Beide Schiffsführer beschlossen gemeinsam, dass MS »Waalkade« zunächst einmal aus der Fahrrinne gezogen werden müsse. Zu diesem Zweck wurde es im Bereich des Lorcher Werthes neben der eigentlichen Fahrrinne zunächst gesichert, auf Schäden untersucht und eintretendes Wasser abgepumpt. Im weiteren Verlauf wurde MS »Waalkade« in Bingen gelöscht und ohne Fremdhilfe zurück in die Niederlande verbracht. Dort wurde MS »Waalkade« entsprechend der kontradiktorischen Schadenstaxe des Sachverständigenbüros P vom 21. Juni 2011 repariert. Insgesamt beziffert die Klägerin den ihr entstandenen Schaden einschließlich Nutzungsverlusts und Sachverständigenkosten auf 347. 281,48 €. Diesen verfolgt sie teilweise aus eigenem, teilweise aus abgetretenem Recht mit vorliegender Klage gegenüber den Beklagten, die jegliche Verantwortlichkeit dafür abgelehnt haben.

Aus den Entscheidungsgründen:

Auf der Grundlage des Vorbringens der Klägerin kann zunächst eine vertragliche Haftung der Beklagten zu 1 gemäß den §§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1 BGB nicht ausgeschlossen werden.

a) Der zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 1 zustandegekommene Schleppvertrag ist rechtlich als Werkvertrag im Sinne des § 631 Abs. 1 BGB einzuordnen. Der Schleppvertrag verpflichtet den Unternehmer, den geschleppten Kahn unversehrt an seinen Bestimmungsort zu bringen (vgl. BGHZ 27, 36; Bemm/von Waldstein, Rheinschifffahrtspolizeiverordnung, 3. Aufl. 2006, §1.02 Rdn. 15). Dies hat zur Folge, dass der Schleppbootunternehmer einen Erfolg schuldet. Seine Werkleistung ist deshalb bereits dann mangelhaft im Sinne des § 633 Abs. 2 Satz 2, Nr. 1 BGB und stellt zugleich eine Pflichtverletzung im Sinne des § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB dar, wenn der von dem Schleppunternehmer geschuldete Erfolg nicht eintritt. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn bei dem Transport ein Schaden auftritt. Ebenso wie bei einem Personenbeförderungsvertrag der Unternehmer sicherstellen muss, dass die zu befördernde Person wohlbehalten am Bestimmungsort angelangt, muss ein Schleppzugführer sicherstellen, dass das von ihm geschleppte Schiff wohlbehalten am Zielort ankommt. Hieran fehlt es vorliegend, weil MS »Waalkade« bei dem Schleppvorgang beschädigt worden ist. Damit steht zugleich fest, dass die Beklagte zu 1 ihre Pflichten gegenüber der Klägerin objektiv verletzt hat.

b) Gemäß § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB wird aufgrund einer feststehenden Pflichtverletzung vermutet, dass der Schuldner – hier die Beklagte zu 1 – die Pflichtverletzung zu vertreten hat. Der Schuldner muss deshalb beweisen, dass die Pflichtverletzung weder auf einem eigenen Verschulden noch auf einem Verschulden seiner Organe (§§ 276, 31 BGB) oder seiner Erfüllungsgehilfen (§ 278 Abs. 1 BGB) beruht. Entgegen der Auffassung des Rheinschifffahrtsgerichts in dem angegriffenen Urteil war die Klägerin deshalb nicht gehalten, ein Verschulden des Beklagten zu 2 als Schleppzugführer, dessen Verhalten sich die Beklagte zu 1 gemäß § 278 Abs. 1 BGB zurechnen lassen muss, näher darzulegen. Vielmehr genügt bereits der Umstand, dass das Schiff der Klägerin bei dem Schleppvorgang unstreitig beschädigt worden ist. Abgesehen davon hat die Klägerin aber auch vorgetragen, worin ihrer Auffassung nach ein mögliches Verschulden des Beklagten zu 2 liege. Er habe nämlich bei dem Wendemanöver zu weit zum rechten Ufer gezogen; außerdem habe es keine insoweit erforderliche Absprache mit dem Schiffsführer Verweij gegeben. Entgegen der Auffassung des Rheinschifffahrtsgerichts kann dieses Vorbringen nicht als unsubstantiiert angesehen werden. Auf der Grundlage der Feststellungen des Rheinschifffahrtsgerichts kann der der Beklagten zu 1 hiernach obliegende Entlastungsbeweis nicht als geführt angesehen werden.

Aus den dargelegten Gründen wird daher für Recht erkannt:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts – Rheinschifffahrtsgerichts – St. Goar vom 15. März 2012 – 4 C - 14/11 BSchRh – aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Berufungsverfahrens, an das Rheinschifffahrtsgericht zurückverwiesen.

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2014 - Nr.5 (Sammlung Seite 2270 ff.); ZfB 2014, 2270 ff.