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459 Z - 5/10 - Berufungskammer der Zentralkommission (Schiffahrtsgericht)
Entscheidungsdatum: 26.01.2012
Aktenzeichen: 459 Z - 5/10
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Abteilung: Schiffahrtsgericht

Leitsätze:

1) Auch im dichten Nebel darf bei geregelter Begegnung ein bergfahrendes Fahrgastschiff einen Schubverband mit 40 m Seitenabstand überholen, wenn der 23 m breite Schubverband in einem 250 m breiten Fahrwasser 70 m Abstand zum linksrheinischen Rand des Fahrwassers hält. Ist der Überholer mit dem Heck auf Höhe des vorderen Schubleichters, ist der Überholvorgang noch nicht abgeschlossen. Der Überholer muss weder den Überholvorgang abbrechen noch den Abstand zum überholten Schiff verringern, wenn in dieser Situation ein Talfahrer auf dem Radarbild erscheint, dem eine Fahrwasserbreite von mehr als 100 m rechtsrheinisch zur Begegnung zur Verfügung steht.

2) Hat der bergfahrende Überholer gegen § 6.32 Nr. 2 lit a und d RheinSchPV verstoßen und bei geregelter Begegnung weder Funkkontakt mit dem Entgegenkommer noch Schallsignale abgegeben, so obliegt es dem geschädigten Talfahrer die Ursächlichkeit der unterlassenen Funkmeldung für den Unfall darzulegen.

3) Eine Kursänderung des Talfahrers nach backbord zwischen beiden Bergfahrer ist jedenfalls dann als Notmanöver unzulässig, wenn der Talfahrer rechtsrheinisch Raum für eine problemlose Begegnung backbord/backbord zur Verfügung hat.

Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt

Aktenzeichen 459 Z - 5/10

(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg- Ruhrort, Aktenzeichen 5 C 21/09 BSch)

Tatbestand:

Die Klägerin macht als Kaskoversicherer des FGS »P« aus übergegangenem bzw. abgetretenem Recht Schadensersatzansprüche gegen die Beklagten aus einer Schiffskollision geltend. Die Beklagte zu 1 war zum Unfallzeitpunkt Eignerin des MS »T«, das von dem Beklagten zu 2 verantwortlich geführt wurde.
Am 23.12.2008 befand sich das FGS »P« (80,09 m lang, 9,50 m breit, 921 t, Maschinenleistung 2 x 660 PS), das von dem Zeugen A geführt wurde, in der Bergfahrt auf dem Rhein. Es herrschte dichter Nebel. Etwa bei Rheinkilometer 818 begann das FGS »P«, den linksrheinisch zu Berg fahrenden SV »V«, bestehend aus dem MS »V« und vier vorgespannten Schubleichtern (196 m lang, 23 m breit), an dessen Backbordseite zu überholen. Gegen 14.15 Uhr bei Rheinkilometer 817 kollidierte das FGS »P« mit dem zu Tal kommenden MS »T« (104,71 m lang, 9,51 m breit, 2.308 t, Maschinenleistung 1.380 PS) steuerbordseitig Kopf auf Kopf. Anschließend geriet das MS »T« quer vor den Kopf des SV »V«.
Die Klägerin hat vorgetragen: Der Beklagte zu 2 habe als Schiffsführer des MS »T« den Unfall verschuldet. Als das FGS »P« den Überholvorgang eingeleitet habe, sei keine sonstige Schifffahrt zu sehen gewesen. Der Rhein verlaufe in diesem Bereich nahezu gerade. Wegen des seinerzeit hohen Wasserstandes habe die Fahrwasserbreite ca. 250 m betragen. Das FGS »P« habe den SV »V« mit deutlich höherer Geschwindigkeit überholt und sich mit dem Steuerhaus schon in Höhe der vorderen Schubleichter befunden, als das MS »T« etwa 2 km oberhalb auf dem Radarschirm erschienen sei. Da das MS »T« auf normalem Kurs rechtsrheinisch gefahren sei, sei eine problemlose Begegnung Backbord an Backbord zu erwarten gewesen. Dafür habe das MS »T« auch ausreichend Platz gehabt, denn der Abstand zwischen der Backbordseite des FGS »P« und dem rechtsrheinischen Ufer habe bestimmt 100 m betragen. Als das FGS »P« gerade an dem Schubverband vorbei gewesen sei und seinen Kurs schon etwas nach Steuerbord gelegt habe, sei das MS »T«, zwischenzeitlich auf 100 bis 150 m herangekommen, seinen bis dahin unbedenklichen Kurs nach Backbord geändert. Dadurch sei die Havarie für das FGS »P« unvermeidbar geworden. Um eine Anfahrung gegen die Backbordseite und die damit verbundene Gefährdung seiner Fahrgäste zu vermeiden, habe der Schiffsführer des FGS »P« im letzten Moment Backbordruder gelegt und die Maschinen auf Rückwärts gesetzt, so dass der Anstoß an der Steuerbordseite des Kopfs erfolgt sei. Die Kollision habe sich im Fahrwasser der Bergfahrt ereignet. Rechtsrheinisch seifür MS »T« genügend Platz für die geregelte Begegnung Backbord an Backbord gewesen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 437.248,80 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 432.147,80 € seit 21.6.2009 und aus weiteren 5.101,00 € seit 31.7.2009 zu zahlen und den Beklagten auch die Kosten des Verklarungsverfahrens (25 II 1/09 BSch- Schifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort) aufzuerlegen.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie haben ein Verschulden des Beklagten zu 2 bestritten und vorgetragen: Der Schiffsführer des FGS »P« habe den Unfall allein verschuldet. Er habe an ungeeigneter Stelle, auf der falschen Seite, mit zu großem seitlichem Abstand und im dichten Nebel überholt, ohne den Überholvorgang über Funk anzukündigen und mit dem zu überholenden Schubverband abzusprechen. Er habe den Überholvorgang nicht abgebrochen, als er das zu Tal fahrende MS »T« auf eine Entfernung von fast 2 km bemerkt habe, obwohl zu erkennen gewesen sei, dass die Begegnung mit dem Talfahrer genau zu dem Zeitpunkt erfolgen würde, zu dem sich alle drei Fahrzeuge auf gleicher Höhe befinden würden. Zu der Kollision sei es gekommen, weil das FGS »P« während des Überholvorgangs sämtliche Vorsichtsmaßnahmen außer Acht gelassen habe, rechtsrheinisch im Kurs der Talfahrt auf Kollisionskurs gefahren sei und auf wiederholte Funkanrufe seitens des MS »T« nicht reagiert habe. Unmittelbar vor der Kollision habe MS »T« noch als Notmanöver eine Begegnung Steuerbord an Steuerbord angekündigt und seinen Kurs deutlich nach Backbord verlegt. Statt dieses Notmanöver zu unterstützen, sei das FGS »P« im letzten Moment nach Steuerbord in den Kurs des MS »T« gefahren.
Das Rheinschifffahrtsgericht hat die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Der Klägerin stünden aus abgetretenem bzw. übergegangenem Recht gegen die Beklagte zu 1 aus §§ 3, 92 ff. BinSchG, gegen den Beklagten zu 2 aus § 823 BGB Ansprüche auf Ersatz des den Interessenten des FGS »P« entstandenen Schadens zu. Nach dem Ergebnis der im Verklarungsverfahren durchgeführten Beweisaufnahme stehe fest, dass der Beklagte zu 2 den Unfall verschuldet habe. Die Beklagte zu 1 müsse sich dieses Verschulden zurechnen lassen.
Dem Beklagten zu 2 sei ein schuldhafter Verstoß gegen § 6.03 Nr. 3 RheinSchPVO anzulasten. Danach dürften beim Begegnen Fahrzeuge, deren Kurse jede Gefahr eines Zusammenstoßes ausschlössen, ihren Kurs nicht in einer Weise ändern, die die Gefahr eines Zusammenstoßes herbeiführen könnte. Die unmittelbar vor der Kollision eingeleitete Kursänderung des MS »T« in Richtung auf das linksrheinische Ufer sei hiernach unzulässig gewesen....
Nach dem festgestellten Sachverhalt sei dem Beklagten zu 2 darüber hinaus ein schuldhafter Verstoß gegen § 9.04 Nr. 2 RheinSchPVO anzulasten. Denn im Bereich der Unfallstelle habe gemäß § 9.04 Nr. 1 b RheinSchPVO geregelte Begegnung gegolten, was gemäß § 9.04 Nr. 2 RheinSchPVO bedeute, dass die Bergfahrer und die Talfahrer ihren Kurs so weit nach Steuerbord hätten richten müssen, dass die Vorbeifahrt ohne Gefahr Backbord an Backbord hätte stattfinden können. Dem entgegen habe der Beklagte zu 2 seinen Kurs unmittelbar vor der Begegnung aber nach Backbord ausgerichtet.
Ein Mitverschulden des Schiffsführers des FGS »P« könne nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme nicht festgestellt werden.
Ein Verstoß des Schiffsführers des FGS »P« gegen § 6.09 Nr. 1 RheinSchPVO sei nicht gegeben. Nach dieser Vorschrift sei das Überholen nur gestattet, nachdem sich der Überholende vergewissert habe, dass dieses Manöver ohne Gefahr ausgeführt werden könne. Nach den übereinstimmenden Aussagen der Zeugen B und C sei bei Beginn des Überholmanövers keine sonstige Schifffahrt zu sehen gewesen; der Rhein sei breit genug gewesen, so dass nichts gegen das Überholmanöver gesprochen habe.
Gegen § 6.04 Nr. 1 RheinSchPVO, wonach die Bergfahrer beim Begegnen den Talfahrern einen geeigneten Weg freihalten müssen, habe der Schiffsführer des FGS »P« nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ebenfalls nicht verstoßen.
Auch ein Verstoß gegen § 6.32 Nr. 2 a RheinSchPVO sei dem Schiffsführer des FGS »P« nicht anzulasten. Zwar habe er die dort vorgesehene Absprache über Sprechfunk nicht herbeigeführt. Ein schuldhafter Verstoß gegen die genannte Vorschrift sei daraus aber nicht herzuleiten. Denn die Vorschrift diene der Kursabsprache in der Radarfahrt. Einer solchen habe es aber nicht bedurft, weil eine andere als die anstehende Begegnung Backbord an Backbord nach § 9.04 Nr. 2 RheinSchPVO wegen der geregelten Begegnung gar nicht zulässig gewesen sei. Eine Gefahrenlage, die eine Begegnungsabsprache nach § 1.05 RheinSchPVO hätte erfordern können, habe nach den durch die Aussagen der Besatzungsmitglieder des FGS »P« gestützten Angaben der unbeteiligten Zeugen B und C nicht bestanden; vielmehr hätten die Kurse der Schiffe eine problemlose Begegnung Backbord an Backbord erwarten lassen.
Dem Schiffsführer des FGS »P« sei auch kein schuldhafter Verstoß gegen § 6.32 Nr. 2 c RheinSchPVO vorzuwerfen. In Anbetracht der Angaben der unbeteiligten Zeugen B und C könne nicht festgestellt werden, dass die Darstellung des Beklagten zu 2 und der Zeugin D zutreffe, die Zeugin habe das FGS »P« vor der Kollision dreimal vergeblich über Funk angerufen. Feststellbar sei nur ein unmittelbar vor der Kollision geführter Funkspruch der Zeugin D, mit dem eine Begegnung Steuerbord an Steuerbord verlangt worden sei. Auf diesen Funkspruch habe der Schiffsführer des FGS »P« nicht mehr reagieren können, weil er damit ausgelastet gewesen sei, die besonders gefährlich erscheinende Kollision gegen die Backbordseite seines Schiffs abzuwenden.
Schließlich sei dem Schiffsführer des FGS »P« auch kein schuldhafter Verstoß gegen § 6.32 Nr. 2 d RheinSchPVO anzulasten, weil er mangels Zustandekommens eines Sprechfunkkontakts kein Achtungssignal gegeben habe. Denn ein Sprechfunkkontakt sei aus der Sicht des Schiffsführer des FGS »P« zunächst nicht erforderlich und die Gefahrensituation zu spät erkennbar gewesen.
Gegen dieses Urteil haben die Beklagten form- und fristgerecht Berufung mit dem Antrag auf Entscheidung durch die Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt eingelegt und diese fristgerecht begründet.
Sie wiederholen und vertiefen im Wesentlichen ihr erstinstanzliches Vorbringen und machen insbesondere geltend: Der Überholvorgang des FGS »P« sei im Zeitpunkt der Kollision noch nicht abgeschlossen gewesen und hätte angesichts einer Differenzgeschwindigkeit von nur 2,5 bis 3 km/h ohne die Havarie erst in Höhe der Ortschaft Wesel abgeschlossen werden können. In Anbetracht der Örtlichkeit und des dichten Nebels hätte der Überholvorgang unterbleiben, jedenfalls aber beim Bemerken der Talfahrt abgebrochen werden müssen. Wegen der Örtlichkeit und der Sichtbedingungen, aber auch deswegen, weil sowohl der SV »V« als auch das FGS »P« jeweils ohne Not sehr breit gefahren seien, sei das Überholen nicht absolut gefahrlos möglich und somit nach § 6.09 RheinSchPVO verboten gewesen. Die Beweislast für die Zulässigkeit des Überholens trage der Über-holende. Dieser Entlastungsbeweis könne der Partei FGS »P« nicht gelingen. Das Rheinschifffahrtsgericht habe ferner verkannt, dass die Funkabsprachepflicht nach § 6.32 Nr. 2 lit. d RheinSchPVO auch bei geregelter Begegnung bestehe. Die danach zwingend vorgeschriebene Funkdurchsage habe die Schiffsführung des FGS »P« ebenso unterlassen wie die gemäß § 6.04 RheinSchPVO vorgeschriebene akustische Klarstellung der Begegnungsweise. Schließlich hätte die Schiffsführung des FGS »P« auch im Rahmen des § 1.04 RheinSchPVO die möglichen und zumutbaren Maßnahmen zur Erleichterung der Begegnung und zur Verringerung des Risikos ergreifen müssen. Dazu hätte die Schiffsführung des FGS »P« den Schubverband über Funk auffordern können, dichter ans linke Ufer zu fahren, und selbst den Abstand zum Schubverband verringern können. Unter Berücksichtigung all dessen treffe das Alleinverschulden an der Havarie die Schiffsführung des FGS »P«.
Die Beklagten beantragen,
das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 22. Februar 2010 zu ändern und die Klage abzuweisen sowie der Klägerin auch die Kosten des Verklarungsverfahrens (25 II 1/09 BSch-Schifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort) aufzuerlegen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie erachtet das erstinstanzliche Urteil für zutreffend und führt im Einzelnen aus, dass die Darstellung der Beklagten im Berufungsrechtszug nicht dem Ergebnis der Beweisaufnahme im Verklarungsverfahren entspreche. Entgegen der Darstellung der Berufung sei das Überholen im Bereich der Unfallstelle problemlos möglich und daher zulässig gewesen, wobei der Talfahrt im rechtsrheinischen Fahrwasser mehr als ausreichend Platz für eine gefahrlose Begegnung Backbord an Backbord zur Verfügung gestanden habe. Unter diesen Umständen seien weder Schallzeichen noch Funkdurchsagen der Bergfahrt zur Absprache der Begegnung, die ohnedies nur Backbord an Backbord habe stattfinden können, erforderlich gewesen. Erst durch die unvertretbare und unvorherseh bare Kursänderung des MS »T« in der Absicht, zwischen der Steuerbordseite des FGS »P« und der Backbordseite des SV »V« hindurch zu fahren, sei eine zuvor nicht vorhandene Gefahrenlage geschaffen worden. Allein auf diese unzulässige Kursänderung, durch die die Schiffsführung des MS »T« sowohl gegen § 6.03 als auch gegen § 6.09 Nr. 2 RheinSchPVO verstoßen habe, sei die Kollision, die der Schiffsführer des FGS »P« auch durch das sofort eingeleitete Notmanöver des letzten Augenblicks nicht habe abwenden können, zurückzuführen.


Entscheidungsgründe

Die Berufungskammer entscheidet gemäß Art. 45bis der Mannheimer Akte und Art. 1 und 9 der Verfahrensordnung mit vier Richtern, weil sowohl der Richter als auch der stellvertretende Richter Frankreichs verhindert sind.
Die Berufung der Beklagten ist zulässig, bleibt in der Sache jedoch ohne Erfolg. Zu Recht hat das Rheinschifffahrtsgericht den festgestellten Sachverhalt dahin gewürdigt, dass der von der Klägerin geltend gemachte Schaden allein durch ein schuldhaftes Verhalten des Beklagten zu 2 verursacht worden ist.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist die Kollision darauf zurückzuführen, dass die Schiffsführung des MS »T« bei der Begegnung mit dem FGS »P« ihren Kurs unter Verstoß gegen § 9.04 Nr. 1 lit. b, Nr. 2 RheinSchPVO nicht so weit nach Steuerbord gerichtet hat, dass die Vorbeifahrt ohne Gefahr Backbord an Backbord hätte stattfinden können, ihren Kurs vielmehr unter Verstoß gegen § 6.03 Nr. 3 Rhein- SchPVO in einer Weise geändert hat, die die Gefahr eines Zusammenstoßes herbeigeführt hat. Dass die Schiffsführung des MS »T« bei der Begegnung mit dem FGS »P« ihren Kurs unmittelbar vor der Begegnung nach Backbord geändert hat, um die Begegnung mit dem FGS »P« Steuerbord an Steuerbord durchzuführen und zwischen dem Fahrgastschiff und dem Schubverband hindurch zu fahren, bestreiten die Beklagten nicht. Dass diese gegen die genannten Bestimmungen verstoßende Kursänderung als Notmanöver [§ 1.05 Rhein- SchPVO] geboten gewesen wäre, ist schon nach den eigenen Angaben der Besatzungsmitglieder des MS »T«, des Beklagten zu 2 und der Zeugin D, auszuschließen. Nach deren Angaben fuhr das MS »T« vor der Kursänderung nach Backbord mit einem seitlichen Abstand von ca. 60 m zu der rechtsrheinischen Kribbenlinie in leichter Backbordschräglage zu Tal, während in seiner Kurslinie das FGS »P« in leichter Steuerbordschräglage entgegen kam. Bei dieser Ausgangslage bestand keinerlei Veranlassung für eine Kursänderung nach Backbord; vielmehr hatte das MS »T« an seiner Steuerbordseite ausreichend Raum, um dem FGS »P« auszuweichen. Denn angesichts der nur leichten Krümmung des Rheins auf der Strecke zwischen Rheinkilometer 816 und 818 ist auszuschließen, dass ein derart großer Abstand von 60 m zu den rechtsrheinischen Kribben erforderlich gewesen sein könnte, um das Heck des MS »T« frei zu fahren. Erst recht kann von einer Notwendigkeit, den Kurs des MS »T« nach Backbord zu ändern, keine Rede sein, wenn die Angaben der Beklagten zum Abstand des Schubverbands zum linksrheinischen Ufer und zum Abstand zwischen dem Schubverband und dem FGS »P« während des Überholvorgangs zugrunde gelegt werden. Denn danach stand der Talfahrt, wie noch auszuführen sein wird, rechtsrheinisch sogar eine Fahrwasserbreite von mehr als 100 m für eine problemlose Begegnung Backbord an Backbord zur Verfügung.
Ein Mitverschulden der Schiffsführung des FGS »P« hat das Rheinschifffahrtsgericht zu Recht als nicht erwiesen angesehen. Dem Rheinschifffahrtsgericht ist darin beizupflichten, dass ein schuldhafter Verstoß des Schiffsführers des FGS »P« gegen die Vorschrift des § 6.09 Nr. 1 RheinSchPVO, der zufolge das Überholen nur gestattet ist, nachdem sich der Überholende vergewissert hat, dass dieses Manöver ohne Gefahr ausgeführt werden kann, nicht feststellbar ist. Nach den vom Rheinschifffahrtsgericht getroffenen, durch die von den Parteien vorgelegten Kartenausschnitte und Luftbilder gestützten Feststellungen verläuft der Rhein in dem Abschnitt zwischen Rheinkilometer 816 und 818 nahezu gerade, so dass sich dieser Streckenabschnitt für ein Überholmanöver eignet. Nach den übereinstimmenden Aussagen der Zeugen B und C im Verklarungsverfahren, denen das Rheinschifffahrtsgericht zu Recht besonderes Gewicht beigemessen hat, weil die Zeugen zum einen das Geschehen, insbesondere den Überholvorgang, aus einer guten Beobachtungsposition verfolgt haben und zum anderen am Ausgang des Rechtsstreits nicht interessiert sind, war bei Einleitung des Überholmanövers keine sonstige Schifffahrt zu sehen und der Rhein zum Überholen breit genug. Bei einer Fahrwasserbreite von ca. 250 m war auch ausreichend Platz für eine etwaige Begegnung mit Talfahrern während des Überholvorgangs.
Für die Schiffsführung des FGS »P« bestand daher entgegen der Auffassung der Berufung auch keinerlei Veranlassung, den Überholvorgang abzubrechen, als das zu Tal fahrende MS »T« auf dem Radarschirm in Sicht kam. Denn der Talfahrt standen für eine Begegnung Backbord an Backbord rechtsrheinisch mindestens 100 m Fahrwasserbreite zur Verfügung. Das ergibt sich bereits aus den eigenen Angaben der Beklagten zu den von den beteiligten Fahrzeugen eingehaltenen seitlichen Abstän-den. Denn bei einem seitlichen Abstand des Schubverbands vom linksrheinischen Rand des Fahrwassers von 70 m und einem Abstand von 40 m zwischen dem Schubverband und dem FGS »P« verblieb unter Berücksichtigung der Fahrzeugbreite des Schubverbands von 23 m und des Fahrgastschiffs von 9,50 m rechtsrheinisch eine Fahrwasserbreite von mehr als 100 m, was selbst bei einer allenfalls erforderlichen leichten Schräglage im Bereich der Unfallstelle für eine Begegnung Backbord an Backbord mehr als ausreichend war. Die Berufung hält die Einleitung des Überholmanövers bei Rheinkilometer 818 auch deswegen für vorschriftswidrig, weil das FGS »P« den Überholvorgang angesichts einer nur geringen Differenzgeschwindigkeit von 2,5 bis 3 km/h erst etwa in der Mitte der geographischen Linkskrümmung des Rheins in Höhe der Ortschaft Wesel hätte abschließen können. Dem ist nicht zu folgen. Nach den Aussagen aller im Verklarungsverfahren gehörten Zeugen befand sich das FGS »P« im Zeitpunkt der Kollision zumindest bereits mit dem Heck in Höhe der vorderen Schubleichter des SV »V«, nach den Angaben des Beklagten zu 2 sogar bereits eine Schiffslänge oberhalb der Köpfe der vorderen Schubleichter, so dass der Überholvorgang im Kollisionszeitpunkt zwar noch nicht vollständig abgeschlossen war, aber alsbald oberhalb von Rheinkilometer 817 noch auf der nahezu gerade verlaufenden Strecke - und nicht erst in Höhe der Ortschaft Wesel, das heißt bei Rheinkilometer 815 - hätte abgeschlossen werden können.
Zu Recht hat das Rheinschifffahrtsgericht auch einen Verstoß der Schiffsführung des FGS »P« gegen die Vorschrift des § 6.04 Nr. 1 RheinSchPVO verneint, der zufolge die Bergfahrer den Talfahrern beim Begegnen einen geeigneten Weg frei lassen müssen. Denn wie bereits ausgeführt wurde, stand der Talfahrt für eine Begegnung bei Rheinkilometer 817 zwischen der Backbordseite des FGS »P« und dem rechtsrheinischen Rand des Fahrwassers eine Fahrwasserbreite von mehr als 100 m zur Verfügung. Berücksichtigt man die Lage der Fahrrinne, die bei Rheinkilometer 817 zum überwiegenden Teil im rechtsrheinischen Fahrwasser verläuft, so ergibt sich aus den Angaben der Zeugen B und C, dass die Kollision in der linksrheinischen Hälfte der Fahrrinne stattgefunden hat. Denn nach der Aussage des Zeugen C fuhr der Schubverband im Bereich der Unfallstelle am äußersten rechten Rand der Fahrrinne; daraus folgt, dass das FGS »P« sich mit seiner Steuerbordseite ca. 63 m vom linksrheinischen Fahrrinnenrand entfernt und damit insgesamt noch in der linksrheinischen Hälfte der 150 m breiten Fahrrinne befand.
Vergeblich will die Berufung eine schuldhafte Unfallverursachung seitens der Schiffsführung des FGS »P« weiter daraus herleiten, dass diese während der Annäherung der Talfahrt unter Verstoß gegen § 6.32 Nr. 2 lit. a und d RheinSchPVO weder Funkkontakt mit dem MS »T« aufgenommen noch Schallsignale gegeben hat. Das Rheinschifffahrtsgericht hat eine schuldhafte Verletzung der in § 6.32 Nr. 2 lit. a RheinSchPVO normierten Pflicht, in der Radarfahrt zu Berg entgegenkommenden Fahrzeugen über Sprechfunk Fahrzeugart, Namen, Fahrtrichtung und Standort mitzuteilen und die Vorbeifahrt abzusprechen, mit der Begründung verneint, die Vorschrift diene (allein) der Kursabsprache in der Radarfahrt; eine solche Absprache sei hier nicht erforderlich gewesen. Eine andere als die anstehende Begegnung Backbord an Backbord wäre wegen der für den Unfallbereich geregelten Begegnung gar nicht zulässig gewesen, weil die Voraussetzungen, unter denen die Bergfahrt nach § 9.04 Nr. 3 RheinSchPVO ausnahmsweise eine Begegnung Steuerbord an Steuerbord verlangen könne, nicht vorgelegen hätten.
Ob diese Sichtweise der Bedeutung und dem Schutzzweck des § 6.32 Nr. 2 lit. a RheinSchPVO in jeder Hinsicht gerecht wird, bedarf keiner Entscheidung. Denn ein etwaiger Verstoß der Schiffsführung des FGS »P« gegen § 6.32 Nr. 2 lit. a Rhein- SchPVO war jedenfalls für die Kollision mit dem MS »T« nicht ursächlich. Einer Begegnungsabsprache bedurfte es, wie das Rheinschifffahrtsgericht richtig gesehen hat, angesichts der nach § 9.04 Nr. 1 lit. b, Nr. 2 RheinSchPVO vorgeschriebenen Begegnung Backbord an Backbord nicht. Der Schiffsführung des MS »T« war auch aufgrund der Auswertung des Radarbildes bekannt, dass die Begegnung mit Bergfahrern bevorstand, zwischen denen ein Überholvorgang stattfand, und ebenso deren Position und Fahrtrichtung. Die zunächst fehlende Kenntnis der Schiffsführung des MS »T« der Fahrzeugart und des Namens des Bergfahrers, die bei einer Funkdurchsage nach § 6.32 Nr. 2 lit. a RheinSchPVO darüber hinaus anzugeben sind, kann für den Unfall nicht ursächlich gewesen sein. Auch die Berufung vermag nicht aufzuzeigen, inwiefern eine Funkdurchsage des FGS »P« mit dem nach § 6.32 Nr. 2 lit. a RheinSchPVO vorgeschriebenen Inhalt zur Vermeidung der Kollision hätte beitragen können. Dasselbe gilt für die nach § 6.32 Nr. 2 lit. d Rhein- SchPVO vorgeschriebenen Schallsignale. Einen Verstoß des Schiffsführers des FGS »P« gegen § 6.32 Nr. 2 lit. c RheinSchPVO, wonach alle Fahrzeuge in der Radarfahrt, die über Sprechfunk angerufen werden, über Sprechfunk antworten und - unter anderem - mit den entgegenkommenden Fahrzeugen die Vorbeifahrt absprechen müssen, hat das Rheinschifffahrtsgericht verneint, weil es sich auf der Grundlage der Beweisaufnahme im Verklarungsverfahren nicht davon hat überzeugen können, dass die von dem Beklagten zu 2 und der Zeugin D bestätigte Behauptung der Beklagten, die Zeugin D habe vor der Kollision das FGS »P« wiederholt vergeblich über Funk angesprochen, der Wahrheit entspricht. Gegen diese Beweiswürdigung ist nichts einzuwenden. Gegen die Richtigkeit der Behauptung der Beklagten sprechen insbesondere die Aussagen der unbeteiligten Zeugen B und C, die übereinstimmend nur von einer - beide Zeugen überraschenden - Funkdurchsage unmittelbar vor der Kollision berichtet haben, mit der eine Frauenstimme eine Begegnung Steuerbord an Steuerbord verlangt habe. Angesichts dieser Beweislage vermag auch die Berufungskammer sich nicht davon zu überzeugen, dass es vorausgegangene Funkdurchsagen seitens des MS »T« gegeben hat.
Schließlich erweist sich auch der weitere Angriff der Berufung als unbegründet, den Schiffsführer des FGS »P« treffe deshalb ein Verschulden an der Kollision, weil er unnötigerweise die Gefahrenlage im dichten Nebel provoziert und es sodann pflichtwidrig unterlassen habe, das dadurch erforderlich gewordene Notmanöver des MS »T« in Gestalt einer Kursänderung nach Backbord seinerseits durch eine Kursänderung nach Backbord zu unterstützen, um den Weg für eine Durchfahrt des MS »T« zwischen dem FGS »P« und dem SV »V« frei zu machen, und statt dessen den Kurs des FGS »P« nach Steuerbord in den Kurs des MS »T« gelegt habe. Denn eine Kursänderung des MS »T« nach Backbord in der Absicht, das FGS »P« an dessen Steuerbordseite zu passieren, kommt, wie bereits ausgeführt wurde, schon nach dem eigenen Vortrag der Beklagten nicht als Notmanöver in Frage.
Aus den dargelegten Gründen wird daher für Recht erkannt:
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts -Rheinschifffahrtsgerichts - Duisburg-Ruhrort vom 22. Februar 2010 - 5 C 21/09 BSch - wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagten haben die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2011 - Nr.3 (Sammlung Seite 2122 ff.); ZfB 2011, 2122 ff.