Rechtsprechungsdatenbank
Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
vom 16. April 2010
456 B - 2/10
(auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Mannheim vom 30. März 2009 - 51 OWi 802 Js 297/09 AK 1/09 -)
Tatbestand:
Die Betroffene ist Eigentümerin des TMS „M“, Heimathafen Krems, amtliche Schiffsnummer 8546002. Bei einer gefahrgutrechtlichen Kontrolle am 21.4.2008 im Ölhafen Karlsruhe wurde im Bereich des Ladetanks 2 an der Steuerbordseite des Fahrzeugs, das mit 1050 t Benzin beladen werden sollte, eine ca. 8 m lange Beschädigung festgestellt. Nach Auskunft des verantwortlichen Schiffsführers Axinte hatte der Ehemann der Klägerin am 21.3.2008 im Hafen Rotterdam einen Ponton angefahren, wodurch eine Eindellung und ein Riss in der Außenhaut entstanden waren. Dadurch war die Klasse (Zulassung für die Beförderung gefährlicher Güter) des Fahrzeugs erloschen. Da die Beschädigung nur provisorisch durch Dopplung und nicht unter Aufsicht einer anerkannten Klassifikationsgesellschaft repariert worden war, wurde die Klasse nicht aufrechterhalten. Gleichwohl wurden mit dem Fahrzeug nach der Havarie weiterhin gefährliche Güter (Biodiesel, Benzin, MTBE) transportiert.
Das Rheinschifffahrtsgericht Mannheim hat mit Beschluss vom 30.3.2009 gegen die Betroffene eine Geldbuße von 1.000 Euro verhängt, weil sie als Eigentümerin des TMS „M“ entgegen § 7 Abs. 12 Nr. 7 GGVBinSch fahrlässig nicht dafür gesorgt habe, dass bei der Beförderung gefährlicher Güter die Klasse nach Unterabschnitt 7.2.2.8 aufrechterhalten wird. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
Die Einlassung der Betroffenen, sie habe weder von der Havarie noch von dem Erlöschen der Klasse Kenntnis gehabt, entbinde sie nicht von dem zugrunde liegenden Schuldvorwurf. Ihr werde nicht vorgeworfen, dass sie vorsätzlich gehandelt und es trotz Kenntnis von der Havarie unterlassen habe, sich um die Neuerteilung der Klasse zu kümmern. Kenntnis von der Havarie sei nicht Voraussetzung für die Erfüllung des Tatbestands. Vielmehr werde ihr zum Vorwurf gemacht, dass sie bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt von der massiven Beschädigung des Schiffs und der lediglich provisorischen Reparatur hätte Kenntnis nehmen können. Ihr hätte bewusst sein müssen, dass dadurch die Zulassung erloschen gewesen sei. Als Eigentümerin des TMS „M“ treffe sie die Pflicht, bei der Beförderung gefährlicher Güter für die Aufrechterhaltung der Klasse zu sorgen. Das setze voraus, dass sie geeignete Vorkehrungen treffe, um jederzeit die technisch einwandfreie, sicherheitsrelevante Beschaffenheit des Schiffs jeweils vor Fahrtantritt sicherzustellen. Dies sei nach der Überzeugung des Gerichts unterblieben. Denn seit der Havarie habe das TMS „M“ weitere drei Fahrten teilweise mit gefährlichen Gütern unternommen, und am 21.4.2008 habe gerade ein vierter Ladevorgang stattgefunden. Dies zeige, dass die Betroffene keinerlei Anstalten unternommen habe, um die ständige Sicherheit des TMS „M“ durch Einrichtung eines entsprechenden Kontrollsystems zu gewährleisten.
Unter Berücksichtigung aller Umstände erscheine eine Geldbuße in Höhe von 1.000 Euro tat- und schuldangemessen.
Gegen diesen ihr am 2.4.2009 zugestellten Beschluss hat die Betroffene durch ihren Verteidiger mit Schriftsatz vom 20.4.2009, bei Gericht eingegangen am 22.4.2009, Berufung mit der Erklärung eingelegt, dass die Entscheidung der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt verlangt werde, und das Rechtsmittel zugleich begründet.
Sie trägt vor:
Die Tathandlung des Verstoßes gegen § 7 Abs. 12 Nr. 7 GGVBinSch, für etwas „nicht gesorgt zu haben“, setze Kenntnis des Erlöschens des Attestes voraus, denn ohne Kenntnis könne man nicht für etwas sorgen. Kenntnis, nicht bloß „kennen müssen“ sei entgegen der Auffassung des Rheinschifffahrtsgerichts Tatbestandsmerkmal der Vorschrift. Die Vorschrift fordere auch nicht, dass der Schiffseigentümer vor jedem Fahrtantritt durch geeignete Vorkehrungen sicherstelle, dass das Schiff jeweils in einem technisch einwandfreien Zustand sei. Der Schiffseigentümer könne keine eigenen Vorkehrungen treffen und müsse sich auf Berichte und Erklärungen der Schiffsführung verlassen können. Teile die Schiffsführung dem Schiffseigentümer – wie hier – eine Beschädigung, die zum Erlöschen des Attestes führe, nicht mit, könne der Eigentümer nichts veranlassen und müsse er deshalb auch nichts veranlassen. Es gehe vorliegend nicht um das ordnungswidrige Handeln der Schiffsführung, die ohne Zweifel verpflichtet gewesen sei, den zum Attestverlust führenden Unfall mit einhergehender Schiffsbeschädigung dem Eigentümer zu melden.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist gemäß Art. 37 Abs. 1 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte statthaft. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (Art. 37 Abs. 2, 3 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte) und damit zulässig.
In der Sache bleibt das Rechtsmittel indes ohne Erfolg. Zu Recht hat das Rheinschifffahrtsgericht einen fahrlässigen Verstoß der Betroffenen gegen die in § 7 Abs. 12 Nr. 7 GGVBinSch normierte Pflicht bejaht, als Eigentümerin des TMS „M“ dafür zu sorgen, dass bei der Beförderung gefährlicher Güter die Klasse nach Unterabschnitt 7.2.2.8 aufrechterhalten wird. Dies stellt gemäß § 8 Abs. 12 Nr. 5 GGVBinSch, § 10 Abs. 1 Nr. 1 GGBefG eine Ordnungswidrigkeit dar.
Die Betroffene zieht nicht in Zweifel, dass durch die Beschädigung der Außenhaut des Tankmotorschiffs bei der Havarie am 21.3.2008 die Klasse (Zulassung für die Beförderung gefährlicher Güter) nach Unterabschnitt 7.2.2.8 ADNR erloschen ist und dass die provisorische Reparatur durch Dopplung im Bereich der Beschädigung, die nicht unter Aufsicht einer anerkannten Klassifikationsgesellschaft ausgeführt wurde, nicht zur Aufrechterhaltung der Klasse geführt hat. Daraus folgt ohne Weiteres, dass die Betroffene als Eigentümerin des Schiffs gemäß § 7 Abs. 12 Nr. 7 GGVBinSch dafür zu sorgen hatte, dass vor einer weiteren Beförderung gefährlicher Güter die Klasse nach Unterabschnitt 7.2.2.8 aufrechterhalten, das heißt neu erteilt wird. Diese Pflicht besteht, anders als die Betroffene meint, unabhängig davon, ob, wann und auf welchem Wege die Betroffene Kenntnis von der Beschädigung des Fahrzeugs und dem Erlöschen der Klasse erlangt hat. Die Verpflichtung des Eigentümers eines Binnenschiffs, das zur Beförderung gefährlicher Güter eingesetzt wird, für die Aufrechterhaltung der Klasse und damit für die Sicherheit beim Gefahrguttransport zu sorgen, trifft den Schiffseigentümer auf Dauer. Sie konkretisiert sich in Gestalt bestimmter Handlungspflichten, sobald Umstände eintreten, die zur Folge haben, dass die Klasse erlischt oder zu erlöschen droht. Dabei ist allein der objektive Eintritt derartiger Umstände maßgeblich; denn das Interesse der Allgemeinheit, Risiken bei der Beförderung gefährlicher Güter nach Möglichkeit auszuschließen, verlangt bei Auftreten einer Gefahrenlage das sofortige Einschreiten des verantwortlichen Schiffseigentümers und kann keine Rücksicht darauf nehmen, ob und wann der Eigentümer vom Erlöschen der Klasse Kenntnis erlangt. Es ist daher Sache des Eigentümers eines Binnenschiffs, das zur Beförderung gefährlicher Güter eingesetzt wird, Vorkehrungen zu treffen, die sicherstellen, dass ihm Umstände, die zum Erlöschen der Klasse führen (können), unverzüglich zur Kenntnis gelangen. Fehlt es daran oder werden entsprechende Weisungen des Schiffseigentümers von der Schiffsführung nicht beachtet, so ändert das nichts an dem Bestehen der Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass bei der Beförderung gefährlicher Güter die Klasse nach Unterabschnitt 7.2.2.8 aufrechterhalten wird, mit der Folge, dass der Schiffseigentümer die Pflicht objektiv verletzt, wenn er – wie die Betroffene – nach einer Beschädigung, die zum Erlöschen der Klasse geführt hat, keine geeigneten Maßnahmen zur Aufrechterhaltung/Neuerteilung der Klasse ergreift.
Das Rheinschifffahrtsgericht hat auch zu Recht angenommen, dass der Betroffenen Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist. Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Diese Sorgfalt erfordert es, dass der Eigentümer eines Binnenschiffs, das zur Beförderung gefährlicher Güter eingesetzt wird, Vorkehrungen dafür trifft, dass das Fahrzeug vor jedem Fahrtantritt die sicherheitstechnischen Voraussetzungen erfüllt, von deren Fortbestand die Aufrechterhaltung der Klasse abhängt. Soweit er sich nicht unmittelbar selbst vom ordnungsgemäßen Zustand seines Schiffs überzeugt, muss er geeignete Vorkehrungen dafür treffen, dass er über Umstände, die zum Erlöschen der Klasse führen (können), zuverlässig und unverzüglich unterrichtet wird.
Die Berufungskammer ist ebenso wie das Rheinschifffahrtsgericht davon überzeugt, dass die Betroffene derartige Vorkehrungen nicht getroffen hat. Unmittelbare eigene Kenntnis vom Zustand ihres Schiffs hat sich die Betroffene, wie aus ihrer Einlassung hervorgeht, nicht verschafft. Sie vertritt vielmehr die Auffassung, der Schiffseigentümer müsse sich auf Berichte und Erklärungen der Schiffsführung verlassen können. Dies setzt jedoch zumindest voraus, dass der Eigentümer der Schiffsführungen dahin gehende Weisungen erteilt und sich jedenfalls stichprobenartig davon überzeugt, dass diese Weisungen beachtet werden. Dass sie derartige Vorkehrungen getroffen habe, macht die Betroffene nicht geltend. Auch die festgestellten Umstände sprechen dagegen. Denn wenn die Betroffene ein funktionierendes Kontrollsystem unterhielte, hätte es nicht dazu kommen können, dass ihr Tankmotorschiff nach der Havarie vom 21.3.2008 noch einen vollen Monat Fahrten durchführte, bei denen teilweise gefährliche Güter befördert wurden, obwohl die Klasse nach Unterabschnitt 7.2.2.8 erloschen war. Die Tatsache, dass dies geschehen konnte, lässt auch die Berufungskammer zu der Überzeugung gelangen, dass die Betroffene keine Vorkehrungen dafür getroffen hat, ihrer gesetzlichen Verpflichtung nachkommen zu können, als Eigentümerin des TMS „M“ dafür zu sorgen, dass bei der Beförderung gefährlicher Güter die Klasse nach Unterabschnitt 7.2.2.8 aufrechterhalten wird. Dies begründet den Vorwurf der Fahrlässigkeit.
Unter Berücksichtigung aller Umstände hält auch die Berufungskammer eine Geldbuße von 1.000 Euro für tat- und schuldangemessen.
Aus den dargelegten Gründen wird deshalb für Recht erkannt:
Die Berufung der Betroffenen gegen den Beschluss des Rheinschifffahrtsgericht Mannheim vom 30.3.2009 – 51 OWi 802 Js 297/09 AK 1/09 – wird zurückgewiesen.
Die Betroffene hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.