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446 P - 2/09 - Berufungskammer der Zentralkommission (-)
Entscheidungsdatum: 30.03.2009
Aktenzeichen: 446 P - 2/09
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Abteilung: -

Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt

vom 30.März 2009

446 P - 2/09

(ergangen auf Berufung gegen ein Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Straßburg vom 26. März 2007 - 07/314 -)

I. Sachverhalt und Verfahren vor den Berufungserklärungen

Am 31. Dezember 2004 um 2.15 Uhr stieß der unter Führung von „JVDH“ stehende Verband, bestehend aus dem Schubmotorschiff „I“  und seinen zwei Leichtern „M“  und „V“ gegen das Obertor der großen Kammer der Schleusen von GERSTHEIM.

Der Schiffsführer, Patentinhaber und 60 Jahre alt, erklärte, er habe OTTMARSHEIM mit Ziel ANTWERPEN, Belgien,  verlassen und sei in die Turbulenzen des Kielwassers der TMS „Z“  geraten, die unmittelbar vor ihm in die kleine Kammer eingefahren sei. Am Leichter „M“  wurde die Schiffshülle auf etwa einen Meter vorne rechts aufgeschlitzt, ohne leck zu schlagen, wohingegen die Schleuseninfrastruktur beschädigt wurde, d.h., die Schutzpanzerung an der Ecke des oberen Tores wurde teilweise abgerissen. Die Schleuse war dadurch, dass sich ein Eisenteil in der Mechanik verklemmt hatte, bis 16 Uhr außer Betrieb.

Die Gendarmen stellten zum einen fest, dass die Angaben im Bordbuch nicht dem aktuellen Stand der Fahrt entsprachen (noch keine Eintragungen für den 31. Dezember) und zum andern, dass eine Nichtbeachtung der allgemeinen Sorgfaltspflicht vorlag, die zur  Beschädigung eines Bauwerkes durch riskantes Manöver (zu großer Anfahrwinkel) geführt hatte.

Die Gendarmen wiesen die These von „JVDH“ wegen der Tatsache zurück, dass die Einfahrten durch eine Mole von 140 m voneinander getrennt waren, wegen der sehr niedrigen Geschwindigkeit beim Heranfahren, wegen der im Verhältnis zu einem Verband aus drei beladenen Schiffen schwachen Wasserverdrängung eines leeren Schiffes und wegen der nur geringen Hebelwirkung des Hecks des Motorschiffes. Die Schäden an dem Bauwerk der EDF wurden auf 21.000 € geschätzt.

„JVDH“, wohnhaft in den Niederlanden, wurde am 19. Dezember 2006 durch beim Staatsanwalt bewirkte gerichtliche Aufforderung (Empfangsbescheinigung unterschrieben am 25. Januar 2007 in MILLINGEN) vorgeladen. Er ist nicht erschienen.

„JVDH“ wurde durch das Schifffahrtsgericht Straßburg mit Urteil vom 26. März 2007 wegen Nichtbefolgung der Sorgfaltspflicht zur Zahlung eines Bußgeldes von 200 € und wegen nicht ordnungsgemäß ausgefülltem Bordbuch von 200 € verurteilt, die an den Staat zu zahlenden Prozesskosten wurden ebenfalls zu seinen Lasten entschieden. Bezüglich der Nebenklage wurde „JVDH“ zur Zahlung von 21.731 € ohne Steuer als Ersatz für den erlittenen Schaden an „EDF“  zu zahlen.

Am 18.  Juli 2007 wurde von „JVDH“ durch seinen Rechtsanwalt vor der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt gegen die Straf- und Zivilmaßnahmen dieses am 22. Juni 2007 erwirkten Urteils Berufung eingelegt. Am 23. Juli 2007 wurde von der Staatsanwaltschaft bezüglich der Strafmaßnahmen Anschlussberufung erklärt.

II.  Standpunkt der Parteien

 Der Rechtsanwalt von „JVDH“ verweist auf die in Artikel 117 und 118 Binnenschifffahrtsgesetz vorgesehene einjährige Verjährungsfrist, macht geltend, dass die öffentliche Anklage wegen Fristversäumnis ausgeschlossen ist und fordert somit, dass sein Klient bezüglich des Verstoßes gegen die allgemeine Sorgfaltspflicht freigesprochen und die Nebenklage von „EDF“ für unzulässig erklärt wird.

Hilfsweise besteht er darauf, dass die Umstände, die zu dem Unfall geführt haben ausschließlich auf das Verhalten eines Dritten zurück zu führen seien, d.h., die Wellen, die durch das Einfahren der TMS „Z“  in die kleinere Parallelschleuse entstanden waren. Er ist der Auffassung, dass es sich um einen Haftung ausschließenden Umstand handelt, wie in Artikel 122-2 Strafprozessordnung vorgesehen, demzufolge niemand strafrechtlich verfolgt werden kann, wenn er unter Gewalt oder Zwang, ohne sich widersetzen zu können, handelt. Hinsichtlich der zweiten Anklage behält er sich vor, erst Stellung zu nehmen, nachdem er die Prozessakte des Strafverfahrens erhalten hat.

Am 22. August 2008 beantragte die Staatsanwaltschaft die Zulässigkeit der Berufung und die Bestätigung des Urteils.

EDF forderte in ihren Anträgen vom 4. Februar 2009 die Unzulässigkeit der Berufung und hilfsweise die Bestätigung des Urteils und verlangte eine Verfahrensentschädigung von 2.500 €.  In einem späteren Antrag vom 11. Februar 2009 hat EDF, nachdem sie die von der Staatsanwaltschaft vertretene Auffassung zur Kenntnis genommen hatte, erneut auf der Unzulässigkeit der Berufung bestanden und zwar gestützt auf die Absätze 2 und 3 des Artikels 37 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte.

III. Rechtliche Würdigung und Begründung der Entscheidung

1) Zulässigkeit der Berufung:

In Artikel 37, Abs. 2 der Revidierten Schifffahrtsakte heißt es, dass eine vor der Zentralkommission eingelegte Berufung ‘bei dem Gericht, das das erstinstanzliche Urteil gesprochen hat, innerhalb von 30 Tagen ab der gesetzmäßig in der im jeweiligen Staat gültigen Form erfolgten Zustellung des selben angemeldet so wie an die gegnerische Partei am in ersten Instanz erwählten Wohnort oder, in Ermangelung dessen, ebenfalls an das Gericht zugestellt werden muss. Es wird präzisiert, dass die Anmeldung beim Gericht nach Maßgabe der Landesgesetze zu erfolgen hat’.

Die derzeitige Rechtsprechung betrachtet die Berufung als gültig, wenn sie entweder in obiger Form (ordnungsgemäße Anmeldung bei Gericht und Zustellung an die Gegenpartei) oder nach der Landesgesetzgebung wie z. B. in Frankreich durch Berufungsanmeldung in der Gerichtskanzlei. (s. Urteil Nr. 261 P – 10/92 vom 10. Dezember 1992) erfolgt ist.

Im vorliegenden Fall wurde das Urteil am 22. Juni 2007 bewirkt und die Berufung innerhalb von 30 Tagen am 18. Juli 2007 entsprechend der in Frankreich vorgeschriebenen Form durch Anmeldung in der Gerichtskanzlei ohne Zustellung an die Gegenpartei erklärt. Sie ist demnach ordnungsgemäß.

Die schriftliche Begründung des Rechtsmittels, die innerhalb von 30 Tagen nach Berufungsanmeldung zu erfolgen hat, ist zwar an die Kommission statt an das erstinstanzliche Gericht gegangen, dort aber laut Eingangsstempel am 10. August 2007 erhalten worden, d.h., vor dem 18. August 2007, und erfüllt damit Absatz 3 des oben genannten Artikels 37.

Folglich ist die Berufung zulässig.

2) Verjährung:

Artikel 117 des lokalen Gesetzes vom 15. Juni 1895 regelt nicht die dem nationalen allgemeinen Recht unterliegende Verjährung von Strafhandlungen. Laut Artikel 9 der französischen Strafprozessordnung beträgt die Verjährung der öffentlichen Anklage bei Verstößen ein vollendetes Jahr.

Im vorliegenden Fall wurde die Zuwiderhandlung am 31. Dezember 2004 festgestellt, der Vertreter von EDF am 17. Februar 2005 gehört und das Protokoll, das am 25. Februar 2005 abgeschlossen wurde, ging am 10. März 2005 bei der Staatsanwaltschaft Straßburg ein.

In Folge eines Übergabebeschlusses vom 23. November 2005 gab der stellvertretende Staatsanwalt dem Kommandanten der Gendarmerie Compagnie fluviale de Strasbourg die Anweisung, zu überprüfen, ob EDF Schadensersatz erhalten habe. Am 20. Januar 2006 vernahm die Gendarmerie den zuständigen Vertreter von EDF, der angab, noch immer auf die Begleichung des Streitfalls zu warten. Am 11. April 2006 unterzeichnete der stellvertretende Staatsanwalt die Vorladung, die am 19. Dezember 2006 für die Verhandlung am 26. März 2007 ausgeliefert wurde.

Der weiter oben zitierte Artikel 117 regelt die Rheinschifffahrt betreffend die Verjährung bei Zivilsachen, und danach kann die Frist gemäß den französischen Prozessregeln unterbrochen werden. Wird die Schadensersatzklage vor das Strafgericht gebracht, haben die die Strafverfolgung unterbrechenden Vorgänge ebenfalls Auswirkung auf die von dem Opfer der Zuwiderhandlung vor dem Strafgericht erhobene Nebenklage.

In Anbetracht dieser Umstände muss festgestellt werden, dass die verschiedenen Handlungen die einjährige Verjährung unterbrochen haben und diese nicht stattgefunden hat.

3)  Haftungsausschlussgrund:

Der Rechtsanwalt von „JVDH“ geht von Zwang oder Notfall aus, indem er die Meinung vertritt, dass ein äußerer Umstand, d.h., die Wellen, seinen Klienten von seiner Haftung befreit.

Die Gendarmen, die die Tatbestände aufgenommen haben, haben jedoch deutlich darauf hingewiesen, dass die These des Schiffsführers des Verbandes aus vier weiter oben dargelegten Gründen nicht glaubhaft ist:

 -  die beiden Kammereinfahrten sind durch eine  Mole von 140m getrennt, 

 -  die Geschwindigkeit beim An- und Einfahren in die Kammer ist reduziert, da die Schiffe dort mit Auslaufgeschwindigkeit fahren, 

 -  ein leeres Schiff hat im Verhältnis zu einem Verband aus drei beladenen Schiffen eine schwache Wasserverdrängung,

-     das Heck des Schubmotorschiffs „I“ , das noch nicht von dem

- Molenkopf geschützt ist, da erst zu ¾ eingefahren, als sich die  Kollision mit

- der Schleusenwand ereignet, besitzt eine nur schwache Hebelwirkung.

Somit kann „JVDH“ vernünftiger Weise nicht einen unumgänglichen externen Umstand vorschieben, um damit den Unfall zu erklären, der nach den Gendarmen in Wirklichkeit auf ein gewagtes Manöver zurück zu führen ist. Der Verstoß der Nichtbefolgung der allgemeinen Sorgfaltspflicht steht demnach durchaus fest.

4)  Unvollständigkeit der Bordbucheintragungen:
 
„JVDH“ hat zugegeben, dass das Bordbuch Nr. 7 auf Seite 74 nicht auf dem letzten Stand war, fügte aber hinzu, dass die aus zwei patentierten Schiffsführern, zwei Steuermännern, einem  Bootsmann und einem Matrosen bestehende Mannschaft kurz vor dem Wachwechsel stand und dass die Eintragungen im Laufe des Vormittags vorgenommen worden wären.

Der Verstoß steht ebenfalls fest, wobei allerdings festgestellt wurde, dass die Tatbestände sich um 2.15 Uhr morgens ereigneten und die fehlenden Nachträge nur den 31. Dezember 2004 betrafen.

In Anbetracht aller dieser Feststellungen ist die Entscheidung des Erstrichters zu bestätigen.

5) Prozessentschädigung:

Aus Billigkeitserwägung und wegen der Streitpunkte sind EDF gemäß Artikel 475-1 französische Strafprozessordnung 1.000 € als Prozessentschädigung zuzusprechen.

Aus diesen Gründen

wird die eingelegte Berufung für zulässig aber nicht begründet erklärt;

wird das Urteil vom 26. März 2007 bestätigt;

wird „JVDH“ in Anwendung von Artikel 475-1 der französischen Strafprozessordnung zur Zahlung eines Betrages von 1.000 € an „EDF“ (EDF) verurteilt;

wird „JVDH“ zur Zahlung der Kosten des Berufungsverfahrens verurteilt, die durch das Rheinschifffahrtsgericht Straßburg gemäß Artikel 39 Revidierte Mannheimer Akte festgesetzt werden.