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Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt
vom 7. Januar 2008
443 Z - 8/07
Tatbestand:
Die Klägerin ist Versicherer des TMS “G“ (82,84 m lang, 7,02 m breit, Tragfähigkeit 1045 t, Maschinenleistung 730 PS), das am 25.9.2003 gegen 6 Uhr morgens bei einer Kollision mit dem aus MS „H“ (95,5 x 11,45 m, 2114 t, 2 x 1521 PS) und SL “H“ (76,5 x 11,5 m, 1978 t) bestehenden Schubverband auf dem Rhein in der Nähe der Lahnmündung beschädigt wurde. Aufgrund übergangenen bzw. abgetretenen Rechts nimmt sie die Beklagte zu 1 als Schiffseignerin des Schubverbandes und den Beklagten 2 als dessen verantwortlichen Schiffsführer auf Ersatz der den Interessenten des TMS “G“ entstandenen Schäden in Anspruch.
Zur Unfallzeit fuhr das aufgrund extremen Niedrigwassers mit nur 430 to Gasöl beladene TMS „G“ zu Berg. Der Schiffsführer „M“, der nicht im Besitz des Radarpatentes war, hatte die Schiffsführung kurz zuvor von dem anderen Schiffsführer „A“ übernommen. Das von diesem zuvor benutzte Radargerät war weiterhin in Betrieb. Zu Tal kam der von dem Beklagten zu 2 verantwortlich geführte, wegen des Niedrigwassers auf einen Tiefgang von nur 1,35 m abgeladene Schubverband "H" in der Radarfahrt. Obwohl beide Schiffsführer jeweils das entgegenkommende Fahrzeug erkannt hatten, kam es zu einer Kollision, bei der das Tankmotorschiff mit dem Vorschiff unter die Steuerbordseite des Vierkantbugs des entgegenkommenden Schubleichters geriet. Beide Fahrzeuge wurden dabei beschädigt.
Die Klägerin hat vorgetragen: TMS "G" sei an den grünen Tonnen entlang zu Berg gefahren, wobei es jeweils die Begegnung Backbord an Backbord verlangt habe. Linksrheinisch sei die Sicht noch gut gewesen, während auf der rechten Rheinseite Nebel geherrscht habe. Der Schiffsführer des Tankmotorschiffs habe den Schubverband, der aus dem Nebel von der rechten Rheinseite her gekommen sei, erst gesehen, als dieser nur noch ca. 120 bis 130 m entfernt gewesen sei. Zuvor habe er sich jeweils ordnungsgemäß als Bergfahrer über Funk gemeldet gehabt und die Begegnung Backbord an Backbord verlangt. Der Schiffsführer des Schubverbands habe sich hingegen nicht gemeldet und seinen Kurs auch nicht entsprechend der Forderung des weisungsberechtigten Bergfahrers geändert. Schiffsführer „M“ habe sofort, nachdem er die Gefahr der Kollision erkannt gehabt habe, zurückgemacht und sein Schiff auch weitgehend abstoppen können. Wie sich aus der Verlaufsaufzeichnung des Radargerätes ergebe, habe der mit unveränderter Geschwindigkeit weiter zu Tal fahrende Schubverband TMS "G" erfasst und mit zu Tal gedrückt, bevor das Tankmotorschiff sich habe lösen und die Fahrt zu Berg habe fortsetzen können.
Durch den Zusammenstoß seien an dem Tankmotorschiff Schäden in Höhe von 27.680,49 € entstanden. Das Fahrzeug habe 12 Tage lang nicht genutzt werden können, wodurch ein Schaden in Höhe von (12 x 876,02 €) 10.512,29 € entstanden sei. An Expertisekosten habe man 3.118,00 € verauslagt.
Die Klägerin hat beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von 41.310,78 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 01. April 2004 zu verurteilen.
Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie haben vorgetragen: Der Beklagte zu 2 sei auf dem für die Talfahrt schifffahrtsüblichen Kurs in der Strommitte gefahren. Dabei habe er sich jeweils an den üblichen Stellen als talfahrender Schubverband gemeldet. Rechtsrheinisch seien ihm eine Reihe von Bergfahrern entgegengekommen, die alle einen klaren Kurs gefahren seien, weshalb die Begegnung - wie an dieser Stelle üblich - mit blauer Tafel Steuerbord an Steuerbord stattgefunden habe. Dabei habe es einer Absprache über Funk nicht bedurft.
Als der Beklagte zu 2 im Radarbild des vorderen Gerätes TMS "G" erstmals gesehen habe, sei das Tankmotorschiff in der Reihe der anderen Bergfahrer am rechten Ufer gefahren, wobei zwischen den einzelnen Schiffen ein Abstand von 800 bis 1.000 m bestanden habe. Als TMS "G" sich dem Schubverband dann bis auf 1.400 bis 1.600 m genähert gehabt habe, habe der Schiffsführer des Tankmotorschiffs dessen Kurs nach Steuerbord gelegt, ohne einen Übergang anzukündigen. Der Beklagte zu 2 habe dann zwei- oder dreimal vergeblich versucht, den Schiffsführer des Tankmotorschiffs über Funk anzusprechen. Als beide Schiffe etwa 600 m voneinander entfernt gewesen seien, hätten sie auf direktem Kollisionskurs gelegen, wobei der Kurs von TMS "G" noch immer leicht auf das linke Rheinufer hin gerichtet gewesen sei. Erst jetzt habe sich der Schiffsführer des Tankmotorschiffs über Funk gemeldet und die Begegnung Backbord an Backbord gefordert, wobei er darauf hingewiesen habe, dass er weder blaue Tafel noch Funkellicht gesetzt habe. Daraufhin habe der Beklagte zu 2 den Kurs des Schubverbandes nach Steuerbord gelegt.
Als beide Schiffe dann nur noch 100 m bis 200 m auseinander gewesen seien, sei TMS "G" wieder nach rechtsrheinisch gelenkt worden, so dass beide Fahrzeuge zusammengestoßen seien.
Das Rheinschifffahrtsgericht hat nach Beweiserhebung mit Urteil vom 23.10.2006 der Klage in Höhe von 13.770,26 € nebst Zinsen stattgegeben. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
Die Schiffsführer beider Fahrzeuge hätten den Unfall verschuldet. Den Schiffsführer „M“ treffe ein Verschulden, weil er bei unsichtigem Wetter die Fahrt seines Schiffes fortgesetzt, die Talfahrt nicht rechtzeitig erkannt und dieser keinen geeigneten Weg zur Vorbeifahrt angezeigt habe. Der Beklagte zu 2 indes hätte den Unfall durch rechtzeitiges Ständigmachen des Verbandes sowie dadurch verhindern können, dass er der Weisung des Schiffsführers der Bergfahrt gefolgt und den Kurs seines Schubverbands nach Steuerbord gelegt hätte. Dabei sei das Verschulden der Führung des TMS „G“ doppelt so hoch einzuschätzen wie das des Beklagten zu 2.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei davon auszugehen, dass der Schiffsführer „M“, der bei unsichtigem Wetter ohne Radarpatent mit TMS "G" bergwärts gefahren sei, infolge mangelnder Sichtmöglichkeit den Schubverband zu spät erkannt habe. Zwar habe er erklärt, er sei auf der linken Rheinseite zu Berg gefahren und habe dort ausreichend Sicht gehabt, während die rechte Rheinseite in Nebel getaucht gewesen sei. Seine Angaben seien insoweit jedoch nicht frei von Widersprüchen und stünden den Angaben von Zeugen entgegen. So habe er auch angegeben, er sei bis zur Lahnmündung rechtsrheinisch geblieben und habe erst dann den Übergang gemacht. TMS "G" könne deshalb nicht längere Zeit linksrheinisch gefahren sein, denn der Unfall habe sich etwa bei Rhein km 585,100 ereignet, also nur 800 m bergwärts der Lahnmündung. Dies ergebe sich auch aus der Radaraufzeichnung der Fahrt von TMS "G", welche die Klägerin selbst zu den Akten gereicht habe. Dort sei auch zu ersehen, dass TMS "G" zum Zeitpunkt des Unfalls sich nicht auf der linken Rheinseite befunden habe, vielmehr in der Mitte des Fahrwassers gefahren sei und seinen Kurs leicht nach linksrheinisch gerichtet gehabt habe. Dies entspreche der Aussage des unbeteiligten Zeugen „W“, der bekundet habe, TMS "G" habe zum Zeitpunkt der Havarie seinen Kurs leicht nach Steuerbord gelegt gehabt und sei von rechtsrheinisch kommend zur linken Rheinseite hin gefahren.
Demnach könne sich TMS "G" nicht außerhalb des Nebels befunden haben. Nach Angaben des Beklagten zu 2 habe auf dem Rhein unterhalb Bacharach Nebel geherrscht, der im Bereich Lahnstein sehr dicht gewesen sei. Dem entsprächen die Angaben der Zeugen „W“ und „Go“ , aber auch des Zeugen van den Abbeele, des Mitgesellschafters der Schiffseignerin des TMS „G“, der bei seiner Vernehmung eingeräumt habe, es sei ein wenig neblig gewesen, als sich die auf Kollisionskurs liegenden Schiffe einander genähert hätten. Der Schiffsführer „M“ habe demgemäß den ihm entgegenkommenden Schubverband erst erkennen können, als er sich diesem bereits auf wenige hundert Meter genähert gehabt habe. Demgemäß sei davon auszugehen, dass die Schiffsführung des TMS "G" weitgehend orientierungslos gewesen sei. Schiffsführer „M“ sei nach eigenen Angaben von dem plötzlich aus dem Nebel auftauchenden Schubverband überrascht worden. Demgegenüber habe der Zeuge „W“ sehr wohl gewusst, dass sich ein Schubverband als Talfahrer Lahnstein nähere und eine Begegnung alsbald bevorstehe. Er habe sich deshalb veranlasst gesehen, den vor ihm fahrenden Bergfahrer über Funk zu fragen, welche Begegnung er denn mit dem Schubverband würde machen wollen. Der Schiffsführer des TMS "G" indes habe weder dem Zeugen geantwortet noch habe er mit dem ihm entgegenkommenden Schubverband Funkkontakt gehabt, obgleich hierzu im Hinblick auf die Lage seines Schiffes im Strom aller Anlass bestanden hätte. Denn der Schubverband sei etwa in der Mitte des Fahrwassers gefahren, während TMS "G" von eher rechtsrheinisch kommend sich langsam auf das linke Rheinufer zu bewegt habe. Es liege auf der Hand, dass in einer solchen Situation eine frühzeitige Absprache über die Begegnung hätte erfolgen müssen.
Aber auch der Schiffsführer des Schubverbands habe nicht alles getan, um den Zusammenstoß mit dem Tankmotorschiff zu vermeiden. Die Beklagten hätten insbesondere nicht nachzuweisen vermocht, dass eine Begegnung Backbord an Backbord nicht mehr möglich gewesen sei. Der Beklagte zu 2 habe bei seiner Vernehmung ausgesagt, beide Schiffe hätten sich auf Kollisionskurs befunden, als sie noch 600 m auseinander gewesen seien. Bei einem Abstand von immerhin noch 400 m habe TMS "G" dann die Begegnung Backbord an Backbord verlangt, was der Schubverband angeblich auch habe machen wollen. Nach den Angaben des Beklagten zu 2 sei es dann aber dadurch zu dem Unfall gekommen, dass TMS "G" ohne Erklärung seinen Kurs wieder nach Backbord gelegt habe. Diese Behauptung stehe dem sonstigen Beweisergebnis entgegen. Der unbeteiligte Zeuge „W“ habe die Behauptung des Beklagten zu 2 insoweit nicht bestätigt, vielmehr ausgesagt, TMS "G" habe sich stetig und langsam zum linken Rheinufer hin bewegt. Dies ergebe sich auch aus der Verlaufsaufzeichnung. Dort sei zu erkennen, dass die Kurslinie des TMS "G" bis Strom-km 585,3 etwa in der Mitte des Fahrwassers verlaufen sei, sich dann allmählich nach linksrheinisch und bei Strom-km 585,100 wieder zu Tal gerichtet habe. Daraus sei zu ersehen, dass TMS "G" bei Strom-km 585,1 von dem Schubverband erfasst worden sei, in gerader Linie 100 m weit zu Tal geschleppt worden sei und sich dann habe lösen können, um zügig zur linken Rheinseite hin zu fahren. Der Verlauf der Kurslinie spreche dafür, dass der Schubverband seinen Kurs keineswegs nach Steuerbord gerichtet habe und auch noch volle Fahrt gehabt habe, als er mit dem Tankmotorschiff zusammengestoßen sei. Auch wenn § 6.32 RheinSchPV nur den Bergfahrer verpflichte, bei Gefahr einer Kollision aufzustoppen, so habe § 1.04 RheinSchPV auch dem Beklagten zu 2 geboten, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um den Zusammenstoß zu vermeiden.
Sei der Schaden somit auf das Verschulden der Besatzungen beider beteiligten Schiffe zurückzuführen, so hafte jedes Schiff nach seinem Verschuldensanteil (§ 92c BinSchG). Bei der Gewichtung des beiderseitigen Verschuldens sei vor allem zu beachten gewesen, dass TMS "G" durch seine unklare Fahrweise, die wohl auf die mangelnde Eignung des Schiffsführers für die Fahrt bei unsichtigem Wetter zurückzuführen sei, die größere Schuld treffe. Zwar habe die Führung des Talfahrers die Weisung des Bergfahrers nicht beachtet. Insoweit sei aber andererseits zu berücksichtigen, dass die Kursweisung recht spät erfolgt sei, mehrere Funkansprachen erfolglos geblieben seien und wegen des extrem niedrigen Wasserstandes die Fahrrinne stark eingeengt gewesen sei. Hinzu komme noch, dass TMS "G" sich zunächst rechtsrheinisch in einer Reihe von Bergfahrern befunden habe und als einziges Schiff die Begegnung Backbord an Backbord verlangt habe. Dies sei nicht nur für den zu Tal fahrenden Schubverband, sondern auch für das TMS "G" folgende TMS "B " unbequem, wenn nicht gar gefährlich gewesen. Das Verschulden der Führung von TMS "G" sei deshalb doppelt so hoch einzuschätzen wie das der Führung des Schubverbandes.
Gegen diese Entscheidung richten sich die mit dem Antrag auf Entscheidung durch die Berufungskammer form- und fristgerecht angebrachten und begründeten Berufungen beider Parteien, mit denen sie jeweils ihre erstinstanzlich gestellten Anträge weiterverfolgen.
Die Klägerin wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen zum Unfallhergang und beanstandet sowohl die Beweiswürdigung des Rheinschifffahrtsgerichts als auch die dem Urteil zugrunde liegende Beweislastverteilung. Entgegen der Ansicht des Rheinschifffahrtsgerichts sei die Bergfahrt seinerzeit ohne Radar möglich gewesen. Die optische Sichtweite sei zwar wechselhaft, im Unfallbereich nach Aussage der Besatzung des TMS „G“ mit 500 bis 800 m aber ausreichend gewesen. Nur auf der Lahnsteiner Seite, wo das Tankmotorschiff jedoch nicht gefahren sei, sei die Sichtweite geringer gewesen. Dies entspreche auch den Angaben des Schiffsführers „Go“. Den gegenteiligen Angaben des Schiffsführers „W“ sei nicht zu folgen, weil dieser sich mit seinem MS „B “ nicht unmittelbar hinter dem TMS „G“ befunden haben könne. Ferner sei aus den Ausdrucken der GPS-Aufzeichnung zu entnehmen, dass die Bergfahrt in deutlich wahrnehmbarer Schräglage nach linksrheinisch in der linken Fahrwasserhälfte gefahren sei. Damit sei die Behauptung des Beklagten zu 2 widerlegt, wonach die Bergfahrt beim Insichtkommen rechtsrheinisch gefahren sei und dann erst den Kurs langsam nach Steuerbord gerichtet habe.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Amtsgerichts – Rheinschifffahrtsgerichts – St. Goar vom 23.10.2006 – 4 C 4/05 BSchRh – zu ändern und die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 41.310,78 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit 1.4.2006 zu zahlen.
Die Beklagten beantragen, die Berufung der Klägerin zurückzuweisen, ferner, unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Sie wenden sich dagegen, dass das Rheinschifffahrtsgericht ein Mitverschulden des Beklagten zu 2 an dem Unfall für gegeben erachtet hat, und verweisen dazu auf ihr erstinstanzliches Vorbringen. Insbesondere sei davon auszugehen, dass die Schiffsführung des Tankmotorschiffs die Forderung zur Begegnung Backbord an Backbord erst erteilt habe, als sie den Talfahrer optisch auf einen Abstand von 120 bis 130 m erkannt habe. Die Kursweisung sei zu spät erfolgt. Gleichwohl habe der Beklagte zu 2 noch versucht, sie durch Maßnahmen des letzten Augenblicks zu befolgen. Aus der von der Klägerin vorgelegten GPS-Aufzeichnung könne nicht gefolgert werden, dass der Schubverband seinen Kurs nicht nach Steuerbord gerichtet, sondern das Tankmotorschiff in voller Fahrt erfasst und in gerader Linie 100 m zu Tal geschleppt habe. Aufgezeichnet sei nur die Kurslinie des Tankmotorschiffs, die nichts über die Fahrbewegungen des Schubverbands und dessen Geschwindigkeit aussage. Dadurch, dass TMS „G“ sich ebenso wie die zu Berg fahrenden MS „B “ und MS „L“ ursprünglich im üblichen Kurs der Bergfahrt befunden habe, sei ein klarer Kurs zur Begegnung Steuerbord an Steuerbord vorgegeben gewesen. Erst durch den gefährlichen Übergang in dichtem Nebel habe die Schiffsführung des TMS „G“ die Gefahrenlage geschaffen. In dieser Lage hätte Schiffsführer „M“ eine klare Kursweisung geben müssen; ob und wann dies geschehen sei, habe zwei Jahre nach dem Unfall nicht eindeutig geklärt werden können. Weil Schiffsführer „M“ nicht im Besitz des Radarschifferzeugnisses gewesen sei, spreche der Beweis des ersten Anscheins für eine schuldhafte Unfallverursachung.
Die Klägerin beantragt, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Sie tritt den Ausführungen der Beklagten unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens und unter Verweis auf die eigene Berufungsbegründung entgegen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufungskammer entscheidet gemäß Art. 45bis der Mannheimer Akte und Art. 1 und 9 der Verfahrensordnung mit vier Richtern, weil sowohl der Richter als auch der stellvertretende Richter Frankreichs verhindert sind.
Die Berufung der Klägerin ist ebenso wie diejenige der Beklagten unbegründet. Zu Recht hat das Rheinschifffahrtsgericht den festgestellten Sachverhalt dahin gewürdigt, dass der den Interessenten des TMS „G“ entstandene Schaden durch das Verschulden der Schiffsführer beider beteiligten Fahrzeuge herbeigeführt worden ist und dass das Verschulden des Schiffsführers des TMS „G“ doppelt so schwer wiegt wie dasjenige des Schiffsführers des Schubverbands „H“.
I.
Dem Schiffsführer des TMS „G“ ist anzulasten, dass er bei unsichtigem Wetter, nämlich im Nebel, das Tankmotorschiff zu Berg führte, ohne im Besitz eines Radarpatents zu sein, was zur Folge hatte, dass er mangels ausreichender optischer Sicht auf Kollisionskurs zu dem zu Tal kommenden Schubverband geriet und diesen zu spät erkannte.
Zu Recht hat es das Rheinschifffahrtsgericht als erwiesen angesehen, dass die Sicht im Bereich der Unfallstelle durch Nebel erheblich eingeschränkt und für die Fahrt auf optische Sicht nicht mehr ausreichend war. Dem Berufungsvorbringen der Klägerin, die Sichtweite sei zur Unfallzeit zwar wechselhaft gewesen, sie habe im Bereich der Lahnmündung aber 500 bis 600 m betragen und daher eine Fahrt ohne Radar erlaubt, vermag die Berufungskammer nicht zu folgen.
Sie steht schon in Widerspruch zu den eigenen Angaben des Schiffsführers des TMS „G“, der Schubverband sei aus dem Nebel kommend optisch erst auf eine Entfernung von 120 bis 130 m zu erkennen gewesen. Danach kann die Sichtweite unter Berücksichtigung der Schiffslänge des Tankmotorschiffs nur bei etwa 200 m gelegen haben. Dies deckt sich mit den Angaben des Beklagten zu 2. Dass im Bereich der Lahnmündung die Sicht durch dichten Nebel eingeschränkt war, haben auch der Zeuge „Go“ und insbesondere der Zeuge „W“ bekundet, die hinter TMS „G“ mit Radar zu Berg fuhren.
Schon hieraus wird deutlich, dass infolge des Nebels seinerzeit für den Schiffsführer des TMS „G“ keine hinreichende, einen vollständigen Überblick über das vor ihm liegende Revier ermöglichende Voraussicht vorhanden war, die eine gefahrlose Fahrt nach Sicht erlaubt hätte, wie dies bereits das Rheinschifffahrtsgericht unter zutreffender Würdigung der Aussagen der Zeugen und des Beklagten zu 2 dargelegt hat. Es liegen auch keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass der Zeuge „W“ mit seinem MS „B “ seinerzeit nicht hinter dem TMS „G“ bergwärts fuhr, wie dies die Klägerin darzulegen versucht. Die Angaben des Zeugen „Go“ geben dafür nichts her. Auch sonst sind keine Tatsachen ersichtlich, die für die Behauptung der Klägerin streiten könnten. Bei ihrem Hinweis auf die von Schiffsführer „M“ angegebene Geschwindigkeit des Tankmotorschiffs von 13 km/h lässt die Klägerin die von ihr selbst vorgelegten Ausdrucke der GPS-Aufzeichnung unberücksichtigt. Aus diesen ist bereits zu entnehmen, dass TMS „G“ im vorgelegten Aufzeichnungszeitraum selbst nur mit etwa 10 km/h (über Grund) gefahren ist und dass zu keinem Zeitpunkt eine Geschwindigkeit von mehr als 10,9 km/h (über Grund) erzielt wurde. Das entspricht der von dem Zeugen „W“ berichteten Geschwindigkeit des eigenen Schiffs von etwa 10 km/h über Grund, mit der er – nach Lichten des Ankers während der Vorbeifahrt des TMS „G“ – diesem im Abstand von ca. 600 bis 800m gefolgt ist.
Die Berufungskammer vermag der Darstellung der Klägerin auch insofern nicht zu folgen, als behauptet wird, der im Bereich der Lahnmündung herrschende Nebel habe die Sicht für die Schiffsführung des TMS „G“ deswegen nicht beeinträchtigt, weil nur rechtsrheinisch Nebel geherrscht habe, das Tankmotorschiff aber bereits ab Strom-km 585,6 – 500 m unterhalb der Unfallstelle – linksrheinisch gefahren sei.
Dass letzteres nicht zutrifft, ergibt sich wiederum aus den von der Klägerin selbst vorgelegten Ausdrucken der GPS-Aufzeichnung. Den Ausdrucken der elektronischen Flusskarte mit den darin fortlaufend ausgewiesen jeweiligen Standorten des Fahrzeuges (genauer: vom Aufstellungsort der Antenne des GPS-Empfängers an Bord des Tankmotorschiffs) sind allerdings nur die Positionen während der Fahrt auf den letzten 200 m bis zur Kollision zu entnehmen. Daraus ergibt sich indessen zunächst, dass das Tankmotorschiff noch in Höhe von Strom-km 585,3 geringfügig rechtsrheinisch von der Mitte des dort insgesamt etwas mehr linksrheinisch verlaufenden Fahrwassers fuhr und erst nachfolgend bis zum Kollisionspunkt bei Strom-km 585,1 noch geringfügig weiter nach linksrheinisch hinübergegangen ist. Damit sind aber die Angaben des Zeugen „M“ nicht zu vereinbaren, wonach er mit dem Tankmotorschiff bereits in Höhe von Strom-km 585,6 den Übergang zum linken Ufer abgeschlossen gehabt habe und der Abstand zum linksrheinischen Ufer 20 bis 25 m betragen habe. Vielmehr bestätigen die Verlaufsaufzeichnungen die Angaben des Zeugen „W“ und des Beklagten zu 2 zur Fahrweise des Tankmotorschiffs.
Es bedarf daher keiner Auseinandersetzung mit dem Vorbringen der Klägerin im Berufungsrechtszug, wonach im Bereich der Lahnmündung im linksrheinischen Teil des Stromes die optische Sichtweite größer gewesen sei als rechtsrheinisch. Denn wie die eigene Aussage des Schiffsführers des Tankmotorschiffs zeigt, hat er die ankommende, auf dem Radarschirm erstmals auf einen Abstand von 200 bis 300 m ausgemachte Talfahrt optisch erst auf einen Abstand von etwa 120 bis130 m wahrgenommen. Das zeigt in aller Deutlichkeit, dass die Sicht im Unfallbereich stark eingeschränkt war und dass dies dazu führte, dass - wie es das Rheinschifffahrtsgericht ausgedrückt hat - „die Schiffsführung von TMS „G“ weitgehend orientierungslos war“, das heißt, dass im Hinblick auf das unsichtige Wetter - den Nebel - eine Fortsetzung der Fahrt nach optischer Sicht so nicht mehr möglich war.
Deshalb wäre die Schiffsführung des Tankmotorschiffs nach § 6.30 Nr. 5 RheinSchPV (in der am Unfalltage geltenden Fassung) gehalten gewesen, unverzüglich einen Liegeplatz aufzusuchen. Zwar ist in § 6.30 RheinSchPV in der hier anzuwendenden, ab 1.4.2002 geltend Fassung nicht mehr die zuvor geltende Regelung enthalten, dass angehalten werden muss, wenn mit Rücksicht auf die verminderte Sicht, den übrigen Verkehr und die örtlichen Umstände die Fahrt nicht mehr ohne Gefahr fortgesetzt werden kann (§ 6.30 Nr. 3 RheinSchPV a.F.). In der Sache hat sich dadurch indessen nichts geändert. Gemäß § 6.30 Nr. 1 RheinSchPV in der hier maßgeblichen Fassung müssen bei unsichtigem Wetter alle Fahrzeuge Radar benutzen. Nach § 6.30 Nr. 5 RheinSchPV müssen Fahrzeuge und Verbände, die kein Radar benutzen können, bei unsichtigem Wetter unverzüglich einen Liegeplatz aufsuchen. Um im Sinne dieser Bestimmungen Radar benutzen zu „können“, müssen die in § 6.32 Nr. 1 RheinSchPV geregelten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Fahrt mit Radar erfüllt sein. Danach muss sich zumindest eine Person, die das Radarpatent besitzt, ständig im Steuerhaus aufhalten. Diese Voraussetzung war in der Person des Schiffsführers „M“ des TMS „G“, der nicht im Besitz eines Radarpatents war und sich bis kurz vor der Kollision allein im Steuerhaus des Tankmotorschiffs aufgehalten hatte, nicht erfüllt.
Schließlich ist dem Schiffsführer des TMS „G“ anzulasten, dass er dem Funkverkehr nicht die nötige Aufmerksamkeit geschenkt und nicht den in der gegebenen Situation gebotenen Funkkontakt mit dem zu Tal kommenden Schubverband aufgenommen hat. Nach den Feststellungen des Rheinschifffahrtsgerichts, die sich auf die Angaben des Zeugen „W“ sowie des Beklagten zu 2 stützen, hatte der Schubverband sich vor der Kollision mit Funkdurchsagen als Talfahrer gemeldet. Daher war es aus der Sicht des Schiffsführers des Tankmotorschiffs, der beabsichtigte oder bereits im Begriff war, den Übergang zum linksrheinischen Ufer zu machen, dringend geboten, frühzeitig die Begegnung mit dem zu Tal kommenden Schubverband abzusprechen. Nach den Angaben des Schiffsführers „M“ ist dies jedoch erst geschehen, nachdem er den Schubverband erstmals auf eine Distanz von 200 bis 300 m auf dem Radarschirm ausgemacht hatte. Auch zwei vorangegangene Anfragen betreffend die beabsichtigte Art der Begegnung mit der Talfahrt, die der Zeuge „W“ per Funk an die Schiffsführung des TMS „G“ gerichtet hatte, blieben nach den Angaben des Zeugen unbeantwortet. Dies alles spricht dafür, dass der Schiffsführer des Tankmotorschiffs es entweder versäumt hat sicherzustellen, dass Funkdurchsagen auf UKW-Kanal 10 ihm nicht entgehen konnten, oder dass er den Funkdurchsagen keine Aufmerksamkeit geschenkt hat.
II.
Auch den Beklagten zu 2. als Schiffsführer des Schubverbands „H“ trifft ein Verschulden an dem den Interessenten des TMS „G“ entstandenen Schaden. Denn er hat, wie das Rheinschifffahrtsgericht richtig erkannt hat, nicht alles Erforderliche getan, um die – von ihm frühzeitig erkannte – Gefahr einer Kollision mit dem Tankmotorschiff zu bannen.
Nach den Angaben des Beklagten zu 2 soll es deswegen zu der Kollision gekommen sein, weil der Schiffsführer des TMS „G“ die von ihm zuvor geforderte und von dem Schubverband in einer Entfernung von 400 m angeblich bereits eingeleitete Begegnung Backbord an Backbord dadurch vereitelt habe, dass er im letzten Augenblick seinen Kurs wieder nach Backbord gelegt habe. Diese Angaben sind, wie das Rheinschifffahrtsgericht richtig gesehen hat, weder mit der Aussage des Zeugen „W“ noch mit der von der Klägerin vorgelegten Verlaufsaufzeichnung in Einklang zu bringen. Denn wenn es zuträfe, dass der Beklagte zu 2, wie er bei seiner Anhörung durch das Rheinschifffahrtsgericht angegeben hat, den Kurs des Schubverbands bei einem Abstand der Fahrzeuge von 400 m „sehr schnell“ nach Steuerbord gelegt hätte, nachdem er bis dahin etwas links von der Fahrwassermitte mit einem Abstand zum linksrheinischen Ufer von ca. 100 m gefahren war, so hätte sich der Kopf des Schubleichters nicht mehr so weit in der linken Fahrwasserhälfte befinden können, dass der Leichter dort wie geschehen mit dem Steuerbordvorschiff auf den Kopf des Tankmotorschiffs hätte stoßen können.
Legt man die Darstellung des Beklagten zu 2 zugrunde, der zufolge die Kursweisung gegeben wurde, als die beiden Fahrzeuge noch 400 m voneinander entfernt waren, wäre die Kollision durch rechtzeitige Kursänderung nach Steuerbord vermieden worden. Dass der Abstand von 400 m dafür nicht ausgereicht hätte, hat der Beklagte zu 2 nicht geltend gemacht, die Kollision vielmehr allein damit erklären wollen, dass das Tankmotorschiff in letzter Minute den Kurs nach Backbord geändert habe. Ein Mitverschulden der Schiffsführung des Schubverbands ist unter diesen Umständen folglich darin zu sehen, dass diese den Kurs des Schubverbands nicht so gelegt hat, dass die von TMS „G“ geforderte Begegnung Backbord an Backbord gefahrlos hätte durchgeführt werden können.
Legt man dagegen das Vorbringen der Beklagten in der Berufungsinstanz zugrunde, wonach die Kursweisung der Bergfahrt erst erfolgt sein soll, als der Abstand zwischen den beiden Fahrzeugen nur noch 120 bis 130 m betrug, so ist dem Beklagten zu 2 vorzuwerfen, dass er den nach eigenen Angaben bereits auf eine Distanz von 600 m erkannten Kollisionskurs beibehalten hat. Dies stellt einen schwer wiegenden Verstoß gegen die den Schiffsführer nach § 1.04 RheinSchPV treffende allgemeine Sorgfaltspflicht dar.
III.
Ist der Schaden somit auf das Verschulden der Besatzungen beider beteiligten Schiffe zurückzuführen, so richtet sich die Haftung gemäß § 92c BinnSchG nach der Schwere des beiderseitigen Verschuldens.
Die Berufungskammer teilt die Auffassung des Rheinschifffahrtsgerichts, dass das Verschulden des Schiffsführers des TMS „G“ überwiegt. Er ist bei unsichtigem Wetter ohne ausreichende optische Sicht gefahren und infolge mangelnder Sicht vom Auftauchen des zu Tal fahrenden, erst auf eine Entfernung von 120 bis 130 m optisch wahrnehmbaren Schubverbands überrascht worden. Schon dieser - für die Kollision ursächliche - Verstoß gegen § 6.30 Nr. 5 RheinSchPV wiegt schwer. Der Schiffsführer des TMS „G“ hat zudem eine in erheblichem Maße unfallträchtige Gefahrenlage dadurch herbeigeführt, dass er das Tankmotorschiff trotz unzureichender optischer Sicht in die Mitte des Fahrwassers steuerte, um den Übergang zum linksrheinischen Ufer zu machen, obwohl aufgrund des vorausgegangenen Funkverkehrs die Begegnung mit dem zu Tal kommenden Schubverband zu erwarten war. Schließlich ist ihm als weiterer schuldhafter Verursachungsbeitrag anzulasten, dass er weder Funkdurchsagen anderer Verkehrsteilnehmer beachtet noch von sich aus Funkkontakt mit dem Ziel der Vermeidung einer drohenden Kollision mit dem zu Tal kommenden Schubverband gesucht hat.
Dem Beklagten zu 2 als Schiffsführer des Schubverbands ist dem gegenüber vorzuwerfen, dass er entweder – bei Zugrundelegung seiner eigenen Darstellung des Unfallhergangs – eine noch rechtzeitig erfolgte Kursweisung der Bergfahrt missachtet hat oder – bei Zugrundelegung des Berufungsvorbringens der Beklagten – sehenden Auges bis zuletzt auf Kollisionskurs gefahren ist und keine Maßnahmen zur Verhütung der drohenden Kollision ergriffen hat. Auch diese Verstöße wiegen schwer. Die Berufungskammer ist aber mit dem Rheinschifffahrtsgericht der Ansicht, dass das Verschulden des Schiffsführers des TMS „G“ doppelt so schwer wiegt wie das des Schiffsführers des Schubverbands, so dass die Haftung im Verhältnis 1/3 zu 2/3 zulasten der Klägerin zu verteilen ist.
IV.
Aus den dargelegten Gründen wird deshalb für Recht erkannt:
Die Berufungen der Klägerin und der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts – Rheinschifffahrtsgerichts – St. Goar vom 23.10.2006 – 4 C 5/04 BSchRh – werden zurückgewiesen.
Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben die Klägerin 2/3, die Beklagten 1/3 zu tragen.