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Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
Urteil
vom 2. Juni 1976
(auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichtes Mainz vom 23. April 1975 - 19 Cs P 89/74 -)
Die Berufungskammer hat erwogen:
I.
Die Berufung des Betroffenen gegen das seinen Verteidigern ausweislich der Postzustellungsurkunde am 14. Mai 1975 zugestellte Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Mainz vom 23. April 1975 ist form- und fristgerecht eingelegt. Zwar waren im Zeitpunkt des Eingangs der schriftlichen Berufungsbegründung (12.6.1975) mehr als 4 Wochen seit Anmeldung der Berufung (28.4.1975) verstrichen und somit formell die in Artikel 37 Abs. 3 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte von 1868 vorgeschriebene Berufungsbegründungsfrist überschritten; jedoch erfolgte die Anmeldung der Berufung bereits unmittelbar nach Verkündung des erstinstanzlichen Urteils und zeitlich vor dessen Zustellung. Da in der Revidierten Rheinschifffahrtsakte die Rechtsmittelfrist des Artikels 37 ausschließlich an die Zustellung des Urteils anknüpft, ist davon auszugehen, dass dem Berufungsführer während der gesamten Dauer der Berufungsfrist die schriftliche Ausfertigung des Urteils zur Verfügung stehen soll. Die Berufungskammer erachtet deshalb die innerhalb der Frist von 30 Tagen nach Urteilszustellung gemäß Artikel 37 Absatz 2 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte bei Gericht eingekommene Berufungsbegründung als eine zulässige und fristgerecht Wiederholung der vor Zustellung erfolgten Berufungsanmeldung, mit der zugleich auch deren schriftliche Rechtfertigung erfolgte.
II.
Entgegen dem erstinstanzlichen Gericht sieht es die Berufungskammer jedoch nicht mit einer zu einer Verurteilung ausreichenden Sicherheit als erwiesen an, dass der Schiffsführer des talfahrenden Motortankschiffes "E" noch innerhalb der durch Anordnung der zuständigen Wasser- und Schifffahrtsdirektion Mainz festgelegten und entsprechend gekennzeichneten Überholverbotsstrecke am Neckenheimer Werth das ihm vorausfahrende polnische Motorschiff "B" an dessen Steuerbordseite Überholt hat. Nicht nur die als Zeugen gehörte Ehefrau des betroffenen Schiffsführers V. (B. V.) und der Matrose B. des MTS "E" stellten in Abrede, dass die Überholung noch innerhalb der Verbotsstrecke begonnen worden sei, auch der als Lotse auf MS "B" fahrende Zeuge E, der ursprünglich eine Überholung völlig verneinte, hat in der Verhandlung vor dem erstinstanzlichen Gericht auf nachhaltiges Befragen nur die Möglichkeit eingeräumt, dass wenige Meter (50-80 m) vor dem Schild, das das Ende der Überholverbotsstrecke anzeigte, mit dem Überholvorgang begonnen worden sein kann, ohne aber die Überholung mit Bestimmtheit zu bestätigen. Berücksichtigt man andererseits noch die Tatsache, dass die bei dem in der Hauptverhandlung als Zeugen gehörten Beamten der Wasserschutzpolizei die herankommenden Schiffe nur aus größerer Entfernung in der Hauptrichtung beobachtet haben, wobei die Möglichkeit eines Beobachtungsfehlers nicht auszuschließen ist, so bleiben der Berufungskammer in solchem Umfange Zweifel an Zeitpunkt und genauem Ort des Überholungsbeginns, dass der Betroffene in Anwendung des Grundsatzes "in dubio pro reo" freizusprechen ist.
Aus diesen Erwägungen wird für Recht erkannt:
1. Auf die Berufung des Betroffenen wird das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Mainz vom 23. April 1975 dahin aufgehoben, dass der Betroffene von der gegen ihn erhobenen Anklage freigesprochen wird.
2. Die Kostenentscheidung ist unter Berücksichtigung des Freispruches und Artikel 39 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte vom Rheinschifffahrtsgericht Mainz festzusetzen.
Der Gerichtskanzler: Der Vorsitzende:
(gez.) Doerflinger (gez.) S. Royer