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Leitsatz:
Der bei der Anfahrung einer Steigeranlage für ein Verschulden des Schiffsführers sprechende Beweis des ersten Anscheins kann zwar mit der Darlegung eines Ruderversagens erschüttert werden, was aber nicht zu einer Entlastung des Schiffsführers führt, wenn er nach vorherigen Reparaturarbeiten an der elektrischen Ruderanlage auf eine Überprüfung der Funktionstüchtigkeit durch eine Probefahrt verzichtet hat.
Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
vom 10.5.2001
- 404 Z - 3/01 -
(Rheinschiffahrtsgericht Mannheim)
Zum Tatbestand:
Aufgrund von Transportabschlüssen zwischen der mit Chemierohstoffen handelnden Klägerin und der Reederei J wurde von dieser das TMS „L" eingesetzt, dessen Eigner und Schiffsführer der Beklagte ist, um Ladungspartien von Antwerpen und Rotterdam zu der bei Rhein-km 420,6 befindlichen Steigeranlage der R in Ludwigshafen zu transportieren. Nach dem Löschen der Ladung legte der Beklagte am 18.5.1999 gegen 20.30 Uhr ab. Es herrschte Hochwasser.
Der Beklagte fuhr zunächst ein Stück bergwärts zum geographisch rechten Rheinufer, von dem er einen seitlichen Abstand von ca. 30 - 40 m hielt, und leitete dann ein Wendemanöver über Steuerbord ein, in dessen Verlauf er in einem Winkel von ca. 45° in die Steigeranlage der R fuhr, die hierdurch beschädigt wurde.
Im Verklarungsverfahren wurde von dem Sachverständigen H bei Überprüfung der Ruderanlage festgestellt, dass die Verbindungsleitung zwischen Ruderlagenrückmelder und Kombipilot nicht in Ordnung war. In einer in der Achterpiek der Schiffes unter der Decke installierten Abzweigdose, die mit einer silikonartigen feuchten und teilweise schon bröckeligen Masse ausgespritzt war, wurde ein Kabel vorgefunden, das auf einer Seite keine feste Verbindung mehr mit dem Quetschverbinder hatte.
Die Klägerin, an die von der R deren Schadensersatzansprüche abgetreten worden sind, hat den Beklagten erstinstanzlich auf Feststellung seiner Schadensersatzverpflichtung in Anspruch genommen und vorgetragen, das Ausmaß der ihr durch Betriebsverluste infolge Beschädigung der Steigeranlage entstandenen Schäden stehe noch nicht fest, was gleichermaßen für die der R entstandenen Schäden gelte. Insoweit könne sie die entstandenen Schäden noch nicht abschließend beziffern, weshalb sie lediglich auf Feststellung der Ersatzverpflichtung klagen könne. Der Beklagte habe auf ihre mehrfache Aufforderung, die Schadensersatzpflicht anzuerkennen, nicht reagiert. Unbeschadet der Frage, ob die von dem Beklagten vorgelegten Verlade- und Transportbedingungen Anwendung fänden, sei die darin enthaltene 6-monatige Verjährungsfrist noch nicht verstrichen.
Der Unfall selbst sei auf ein Verschulden des Beklagten zurückzuführen; den ihm obliegenden Entlastungsbeweis könne er nicht führen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Feststellungsklage für unzulässig erachtet, weil die Höhe des eingetretenen Sachschadens schon feststehen müsste und Leistungsklage hätte erhoben werden können.
Im übrigen hat er vorsorglich geltend gemacht, dass ihn kein Verschulden treffe. Das von ihm eingeleitete Wendemanöver in der von ihm im Verklarungsverfahren beschriebenen Weise sei zulässig gewesen. Im Zuge des unter Bugstrahl- und Hauptmaschineneinsatz eingeleiteten Wendemanövers sei das über die Wegesteuerung betätigte Ruder hart nach Steuerbord gelegt worden, was der Ruderlagenanzeiger im Kornbipiloten auch angezeigt habe. Sein Fahrzeug habe bis zur Querlage im Strom ohne Auffälligkeiten gedreht, dann habe plötzlich und unerwartet eine Vorwärtsbewegung in Richtung auf das linke Ufer eingesetzt. Als dies erkennbar geworden sei, habe sich der Kopf seines Schiffes etwa 40 m vom linken Ufer entfernt - bezogen auf die Steigeranlage - befunden. Obwohl das Schiff weiter gedreht habe, sei er etwa in einem Winkel von 45° mit dem Kopf in die Steigeranlage gefahren.
In dem entscheidenden Moment habe sich das Ruder in Hartlage Backbord befunden, obwohl der Ruderlagenanzeiger hart Steuerbord angezeigt habe. Ursache dafür sei die Mangelhafte Kabelverbindung in der Verteilerdose der Achterpiek gewesen. Diese sei durch die Erschütterungen im Zusammenhang mit dem Wendemanöver unterbrochen worden mit der Folge, dass das Ruder nach hart Backbord ausgelaufen sei. Dies könne ihm jedoch nicht angelastet werden.
Das Schiff sei von der SUK abgenommen worden, und erforderliche Kontroll- und Wartungsarbeiten seien durch ein Fachunternehmen durchgeführt worden. Auf die auf der Reise zwischen Antwerpen und Rotterdam aufgetretenen Ungenauigkeiten der Autopilotanlage habe er sofort reagiert und ein dafür spezialisiertes Fachunternehmen zugezogen. Nach ausdrücklicher Bestätigung, dass alles in Ordnung sei, habe er im Vertrauen auf die Zuverlässigkeit der Autopilotanlage die Reise fortgesetzt. Bis zum Zeitpunkt des unerwartet auftretenden Ruderversagens habe er keine Veranlassung gehabt, an der Funktionstüchtigkeit zu zweifeln.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin den Schaden zu ersetzen, der der R durch die Anfahrung ihrer Steigeranlage durch das TMS „L entstanden ist. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Feststellungsklage sei zulässig. Sie habe aber nur insoweit Erfolg, als die Klägerin die ihr von der R abgetretenen Schadensersatzansprüche geltend mache.
Die Berufung des Beklagten hatte keinen Erfolg. Die Anschlussberufung der Klägerin, mit der sie Zahlung von Schadensersatz und Feststellung der Verpflichtung des Beklagten zum Ersatz des Zinsaufwands für die durch Bankkredit vorfinanzierte Reparatur der Steigeranlage verlangt, hatte im wesentlichen Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
„Die Berufung des Beklagten ist zulässig. Auch die Anschlussberufung der Klä- gerin ist, die hier nach Art. 30 der Verfahrensordnung der Berufungskammer nach deutschem Recht zu beurteilen ist, in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Entgegen der Auffassung des Beklagten ist sie nicht unzulässig. Allerdings wendet sich die Klägerin nicht gegen die Abweisung der Feststellungsklage hinsichtlich ihrer eigenen Betriebsunterbrechungsschäden, sondern sie hat die Anschlussberufung lediglich zum Zwecke der Klageerweiterung eingelegt. Eine Berufung ist zwar grundsätzlich unzulässig, wenn der Berufungskläger nicht wenigstens teilweise die Beseitigung einer in dem angefochtenen Urteil liegenden Beschwer, sondern nur die Erweiterung oder Änderung der Klage in 2. Instanz erstrebt (vgl. Zöller-Gummer, ZPO 22. Aufl., Vor § 511 Rd.Nr. 8 ff.; BGH NJW 88, 827 und BGH-Report 2001, 26 ff. M.w.N.).
Dies gilt aber nicht für eine Anschlussberufung. Da diese nach herrschender Meinung als Zulassungsvoraussetzung eine Beschwer nicht erfordert, kann sie auch allein zum Zwecke der Klageerweiterung eingelegt werden, insbesondere um vom ursprünglichen Feststellungsanspruch zum Zahlungsanspruch überzugehen (vgl. Zöller-Gummer, ZPO § 521 Rd. Nr. 20,22; BGHZ 4, 229 (234) und KG Versicherungsrecht 69, 190). Die Anschlussberufung der Klägerin begegnet daher keinen Zulässigkeitsbedenken.
Die Berufung des Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Das Rheinschifffahrtsgericht hat dem Feststellungsbegehren der Klägerin hinsichtlich der dem R durch die Anfahrung ihrer Steigeranlage entstandenen Schäden zu Recht stattgegeben. Der Klägerin steht aus abgetretenem Recht der R ein Schadensersatzanspruch gern. §§ 823 BGB, 3 BSchG dem Grunde nach zu.
Wie das Rheinschiffahrtsgericht zutreffend ausgeführt hat, spricht bei der Anfahrung einer Steigeranlage der Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden des Schiffsführers (vgl. Bemm/v. Waldstein, RhSchPVO, 3. Aufl. Einf. Rd.Nr. 120). Dem Beklagten ist es nach dem Ergebnis des Verklarungsverfahrens nicht gelungen, diesen gegen ihn sprechenden Anscheinsbeweis zu entkräften. Dabei kann offen bleiben, ob dem Beklagten bereits deshalb ein Verstoß gegen die allgemeine nautische Sorgfaltspflicht i. S. v. § 1.04 b RhSchPVO vorzuwerfen ist, weil er das Wendemanöver etwas oberhalb der Steigeranlage der R über Steuerbord durchgeführt hat. Die Berufungskammer teilt jedenfalls die Auffassuhg des Rheinschiffahrtsgerichts, dass dies gerade im Hinblick auf das zur Unfallzeit herrschende Hochwasser riskant war, weil sich die Gefahr nicht ausschließen ließ, dass das Schiff infolge der starken Strömung im Hang beim Drehen weiter und schneller nach linksrheinisch versetzt wurde, als dies normalerweise der Fall gewesen wäre. Das Manöver erforderte daher die äußerste Sorgfalt des Beklagten. Dass er diese hätte walten lassen, hat der Beklagte nicht dargetan.
Auch mit dem von ihm vorgelegten Privatgutachten des Sachverständigen W hat er die Annahme des Rheinschifffahrtsgerichts nicht ausgeräumt, dass er zu schnell gefahren sei. Allerdings sieht die Berufungskammer keinen Anlass, an der Richtigkeit der von dem Sachverständigen anlässlich der von ihm am 29.3.2000 durchgeführten Versuchsfahrt getroffenen Feststellungen zu zweifeln, dass TMS „L" mit intakter Ruderanlage grundsätzlich in der Lage ist, bei Ruderlage hart Steuerbord, vollem Hauptmaschineneinsatz und Bugstrahlschub nach Backbord mit einem Wendekreisdurchmesser von ca. 95 m bezogen auf die Strombreite zu drehen. Die Versuchsfahrt hat aber unter anderen Bedingungen stattgefunden, so dass sich die hierbei gewonnenen Erkenntnisse nicht ohne weiteres auf das streitige Wendemanöver des Beklagten übertragen lassen.
So hat die Versuchsfahrt nicht an der Unfallstelle, sondern bei Rhein-km 433 unterhalb der Frankenthaler Autobahnbrücke stattgefunden, wo der Rhein zwar auch bergwärts gesehen eine leichte Linkskrümmung macht, gleichwohl aber nicht dieselben Strömungsverhältnisse wie auf dem Stromabschnitt bei der R-Steigeranlage vorliegen können, wo es sich um einen Prallhang handelt. Zudem herrschte bei dem Versuchsmanöver vergleichsweise niedriges Wasser (Mannheimer Pegel 328 cm), während am Unfalltag Hochwasser war (Mannheimer Pegel 726 cm). Dass die hochwasserbedingte starke Strömung Einfluss auf die Lage des Schiffs im Strom bei Durchführung des Drehmanövers haben muss, liegt auf der Hand.
Allerdings hat die Berufungskammer im Hinblick auf die Feststellungen des Sachverständigen zur Größe des Wendekreises von TMS „L" Zweifel, ob den theoretischen, physikalischen Berechnungen und Schlussfolgerungen des Rheinschiffahrtsgerichts bezüglich der sich steigernden Vorausfahrt des Schiffs beim Drehen gefolgt werden kann; denn das Rheinschiffahrtsgericht hat keinerlei Feststellungen dazu getroffen, ob überhaupt und in welchem Maße bei vollem Hauptmaschineneinsatz TMS „L" Vorausfahrt macht, wenn das Ruder auf hart Steuerbord gelegt ist. Wenn aber - wie der Beklagte behauptet - TMS „L" mit intakter Ruderanlage praktisch „auf dem Teller" zu drehen vermag, ist die Möglichkeit nicht von der Hand zu weisen, dass tatsächlich ein Ruderversagen infolge des Wackelkontakts in der Verteilerdose zu der erhöhten Vorausfahrt geführt hat.
Nach dem Gutachten des Sachverständigen H vom 24.5.1999 steht fest, dass in der Abzweigdose an der Decke der Achterpiek ein Kabel keine feste Verbindung mehr mit dem Quetschverbinder hatte. Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass die Achterpiek bis zur Überprüfung der Ruderanlage durch den Sachverständigen am 20.5.1999 nicht versiegelt worden war. Die Berufungskammer hält es für ausgeschlossen, dass der Beklagte den vorgefundenen Defekt nach dem Unfall manipuliert hat. Nach dem Gutachten des Sachverständigen H und dem Einsatzbericht der Wasserschutzpolizei vom 20.5.1999 im Beweissicherungsvorgang der WSP Ludwigshafen zeigte sich nach dem Öffnen der Verteilerdose zunächst eine kompakte Schicht einer blauen, silikonartigen Masse. Die darunter befindliche Masse, in der die mit Quetschverbindern verbundenen Kabel steckten, war total bröckelig und feucht. Beim Anfassen der Kabelverbindung kam dem Sachverständigen das lose Kabel entgegen, das an der Verbindungsseite Grünspan aufwies. Dieses auch aus den dem Gutachten des Sachverständigen H beigefügten Lichtbildern ersichtliche Schadensbild lässt darauf schließen, dass es sich nur über einen längeren Zeitraum Beklagten oder einen Dritten in der kurzen Zeit zwischen dem Unfall und dem Eintreffen des Sachverständigen hergestellt worden sein kann.
Nach den weiteren Feststellungen des Sachverständigen hat die Kabelunterbrechung zu Folge, dass das Ruder dann, wenn es voll Steuerbord steht und dies vom Ruderlagenanzeiger im Kombipiloten auch so angezeigt wird, nach Backbord ausläuft. Diese Feststellungen stimmen überein mit denjenigen der Experten W und B in dem vom Beklagten vorgelegten Privatgutachten, wonach beim Abzug eines Rückmeldekabels im Ruderlagengeber das Ruderblatt nach Backbord auf Vollausschlag lief, während der Ruderlagenzeiger im Kombipiloten auf Steuerbord stehen blieb. Nach ihren einleuchtenden Ausführungen kommt es beim Ausfall des Rückmeldekabels vom Potentiometer im Ruderlagengeber zum Sollwertgeber im Kombipiloten zwangsläufig dazu, dass das Ruder in die entgegengesetzte Richtung auf Vollausschlag läuft, der Kombipilot sich also praktisch von der nicht mehr vorhandenen Rückmeldung „täuschen" lässt.
Dass TMS „L" überhaupt noch - wenn auch mit einem größeren Wendekreis - gedreht hat, erscheint unter der Annahme plausibel, dass der Rückmelder nicht endgültig ausgefallen war, sondern es sich um einen Wackelkontakt handelte, mit der Folge, dass sich die Kabelverbindung durch die starken Vibrationen des Schiffs beim Wendemanöver löste, das Kabel aber immer zwischendurch Kontakt bekam, das Ruder dann also wieder nach Steuerbord laufen konnte.
Aber auch dann, wenn man davon ausgehen wollte, dass der Beklagte den für sein Verschulden sprechenden Anscheinsbeweis mit der Darlegung eines Ruderversagens infolge des zuvor erörterten Wackelkontakts in der Verteilerdose erschüttert hat, hat er sich nicht genügend entlastet. Der Schiffsführer muss sich nach herrschender Meinung dahin entlasten, dass
a) eine elektrische Ruderanlage nach Konstruktion und Einbau tauglich war,
b) sie sich auch in der Zeit vor der Havarie in einem Zustand befunden hat, der es erlaubte, sie in Betrieb zu nehmen,
c) bei ihrer Bedienung unmittelbar vor der Havarie keine Fehler gemacht worden sind, die zu ihrem Ausfall geführt haben, und
d) nach dem Ausfall der Anlage das Ruder so schnell wie möglich auf das Notrudersystem umgestellt und in geeigneter Weise versucht worden ist, hiermit die Havarie abzuwenden (vgl. Vortisch/Bemm., Binnenschiffahrtsrecht, 4. Aufl. § 92 a Rd.Nr. 9; Bemm/v. Waldstein RhSchPVO, 3. Aufl. § 1.08 Rd.Nr. 12; RhSchOG Köln ZfB 97, 1623).
Diesen Entlastungsbeweis hat der Beklagte nicht geführt.
Entgegen der Auffassung der Klägerin ist zwar davon auszugehen, dass TMS „L" zur Unfallzeit über ein gültiges Schiffsattest verfügte. Nach dem im Beweissicherungsvorgang der WS P Ludwigshafen enthaltenen Kopien war das Schiffsattest durch die SUK Mannheim am 28.2.1992 bis zum 27.2.2000 verlängert worden....
Der Beklagte muss sich jedenfalls vorwerfen lassen, dass er nach den Reparaturarbeiten keine Probefahrt durchgeführt hat. Wie der Zeuge M bekundet hat, hat er den Beklagten ausdrücklich gefragt, ob eine Probefahrt durchgeführt werden solle. Der Beklagte habe erwidert, das sei nicht erforderlich. Dies hat der Beklagte auch eingeräumt. In Anbetracht dessen, dass die erste, am 7.5.1999 von der Streithelferin durchgeführte Reparatur nicht zum Erfolg geführt hatte, der Autopilot vielmehr bei der Fahrt von Antwerpen nach Rotterdam wieder nicht richtig funktionierte, wie der Beklagte bei seiner Vernehmung im Verklarungsverfahren selbst angegeben hat, war nicht auszuschließen, dass die bei der zweiten Reparatur von dem Zeugen M vorgenommenen Einregulierung des Ruderlagenanzeigers auf den Nullstand nicht den für die aufgetretenen Unregelmäßigkeiten tatsächlich ursächlichen Mangel beseitigt hatte. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung deutet der Umstand, dass eine elektrische Anlage zeitweise richtig funktioniert, zeitweise aber auch Ausfälle oder sonstige Unzuverlässigkeiten zeigt, darauf hin, dass irgendwo im System ein Wackelkontakt vorhanden ist. Einen solchen hatte der Zeuge M nicht gefunden und repariert. Wenn der im Verhältnis zum Beklagten „sachverständige" Zeuge unten diesen Umständen die Durchführung einer Probefahrt vorschlug, hätte der Beklagte darauf eingehen müssen; denn die Testfahrt war geeignet, einen etwa nach der Reparatur noch verbliebenen Mangel zu offenbaren. Dass der Zeuge auf dem Rapportzettel nach Durchführung der Reparatur vermerkt hatte, die Anlage sei in Ordnung, konnte sich naturgemäß nur auf deren Überprüfung am stilliegenden Schiff beziehen. Gerade ein Wackelkontakt hätte sich aber möglicherweise erst bei einer Probefahrt auswirken können, wenn durch die stärkeren Vibrationen des Schiffes - insbesondere bei einem zu Testzwecken durchgeführten Drehmanöver unter voller Hauptmaschinenleistung - der elektrische Kontakt unterbrochen worden wäre. Dass bei der Weiterfahrt nach Ludwigshafen angeblich keine Probleme mit der Autopilotanlage mehr aufgetreten sind, besagt nicht, dass der Defekt unter den besonderen Testbedingungen einer Probefahrt mit starken Vibrationen des Fahrzeugs unentdeckt geblieben wäre.
Der Beklagte hat sich somit hinsichtlich des Zustands seines Schiffes vor der Havarie nicht entlastet. Des weiteren hat er auch nicht die Vermutung eines schuldhaften Navigationsfehlers nach dem möglichen Auftreten des Ruderversagens entkräftet.
Gerade dann wenn man den Vortrag des Beklagten als richtig unterstellt, TMS „L" habe bis auf den Unfalltag stets praktisch „auf dem Teller" mit einem Wendekreisdurchmesser von ca. 95 m bei Hartlage Steuerbord, Vollast der Hauptmaschine und Einsatz des Bugstrahlruders im Rheinstrom zu drehen vermocht, hätte dem Beklagten frühzeitig auffallen müssen, dass dies bei dem streitigen Wendemanöver nicht der Fall war. Wie das Rheinschiffahrtsgericht zutreffend ausgeführt hat, stand dem Beklagten bei Einleitung des Drehmanövers bei einem Abstand von 30 - 40 m vom rechtsrheinischen Ufer und einer Breite des Rheins in Höhe der Steigeranlage von ca. 210 m eine nutzbare Strombreite von 170 - 180 m zur Verfügung. Hätte das Schiff wie üblich reagiert, so hätte die Wende um 180° bei einem Abstand von 125 - 135 m vom rechtsrheinischen und 75 - 85 m vom linksrheinischen Ufer vollzogen sein müssen. Der Beklagte will das Ruderversagen jedoch erst bei einem Abstand von ca. 40 m vom linken Ufer bemerkt haben. Es kann offen bleiben, ob er zu diesem Zeitpunkt die Anfahrung der Steigeranlage noch hätte verhindern können. Der Beklagte muss sich nämlich vorwerfen lassen, dass er nicht schon vorher, als der zu erwartende Abstand von 75 - 85 m zum linken Rheinufer unterschritten wurde, bemerkte, dass TMS „L" nicht wie üblich „auf dem Teller" drehte, sondern Vorausfahrt quer zum Strom machte. Dies lässt sich nur damit erklären, dass es der Beklagte an der besonderen Sorgfalt und Aufmerksamkeit hat fehlen lassen, die bei dem angesichts der Hochwasserlage nicht ungefährlichen Wendemanöver geboten war.
Die Berufungskammer geht davon aus, dass der Beklagte die Anfahrung der Steigeranlage noch hätte verhindern können, wenn er frühzeitig bei Unterschreiten des Sicherheitsabstands zum linken Ufer den Ruderausfall bemerkt hätte. Er hätte dann nämlich sofort das Notrudersystem in Betrieb nehmen müssen. Das in 6.02 RhSchUO vorgeschriebene, der Sicherheit des Schiffsverkehrs auf dem Rhein dienende zweite unabhängige Rudersystem, das bei Ausfall des Hauptruders binnen 5 sec. betriebsbereit sein muss, hat nur dann einen Sinn, wenn es im Ernstfall bei Feststellung des Ruderversagens auch benutzt wird, und zwar unverzüglich (vgl. RhSchOG Köln, ZfB 97, 1623).
Der Beklagte hat bei seiner Vernehmung im Verklarungsverfahren bestätigt, dass das Notrudersystem in der vorgeschriebenen Zeit durch Betätigung des Hauptschalters und Umstellung der Pumpe in Betrieb gesetzt und mit ihm sodann über den Joystick hätte gefahren werden können. Dass der Beklagte seinen Angaben zufolge nicht wusste, wie das Notruder technisch genau funktioniert, entlastet ihn nicht. Als Schiffsführer war er verpflichtet, sich mit dessen Funktionsweise vertraut zu machen. Selbst wenn das Schiff in den wenigen Sekunden bis zum Ansprechen des Notruders noch Vorausfahrt bis zu einem Uferabstand von 40 - 50 m gemacht hätte, hätte es noch gelingen müssen, die Steigeranlage frei zu fahren; denn das Schiff hatte nach der Aussage des Zeugen T bereits eine Lage von ca. 45° mit dem Kopf talwärts zum linken Ufer erreicht. Unter Zugrundelegung des Drehversuchsprotokolls des Sachverständigen W hätte es aus dieser Position heraus mit einem funktionsfähigen Ruder bis zur Vollendung des Wendemanövers nur noch einen weiteren Raum von ca. 25 m benötigt.
Nach alledem ist dem Beklagten der ihm obliegende Entlastungsbeweis nicht gelungen mit der Folge, dass er den der R entstandenen Schaden zu ersetzen hat.
Auf einen Haftungsausschluss nach den Verlade- und Transportbedingungen der Firma J kann sich der Beklagte nicht berufen. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des Rheinschifffahrtsgerichts in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen. Soweit der Beklagte geltend macht, die Tankschifftransportbedingungen enthielten einen Haftungsausschluss für die Fälle höherer Gewalt, ist ihm entgegenzuhalten, dass hier gerade kein Fall höherer Gewalt vorliegt, der Beklagte vielmehr den Unfall schuldhaft verursacht hat. Im übrigen sind vertragliche Vereinbarungen zu Lasten eines am Vertrag nicht beteiligten Dritten - hier der R - unzulässig (vgl. Palandt-Heinrichs, BGB 60. Aufl. Vor § 328 Rd.Nr. 10; Vortisch/ Bemm a.a.O. § 58 Rd.Nr. 17).
Die Berufung des Beklagten unterliegt daher der Zurückweisung.
Dagegen ist die Anschlussberufung der Klägerin im Wesentlichen begründet. Soweit sie nunmehr den Schaden der R beziffert hat und Zahlung verlangt, war schiffahrtsüblich ein Grundurteil zu erlassen und die Sache zur weiteren Verhandlung und Entscheidung über die Höhe des Klageanspruchs an das Rheinschiffahrtsgericht zurückzuverweisen; denn die Schadenshöhe ist hinsichtlich einzelner Positionen noch streitig und bedarf weiterer Aufklärung. Der weiterhin geltend gemachte Feststellungsanspruch hinsichtlich des der R nach dem 1.4.2000 entstandenen Zinsaufwands ist zulässig und begründet, da die Schadensentwicklung diesbezüglich noch nicht abgeschlossen ist.
Allerdings ist die von der Klägerin begehrte Feststellung, dass der Beklagte mit TMS „L" gern. § 102 Nr. 4 BSchG dinglich hafte, nicht in den Tenor mit aufzunehmen. Das Rheinschiffahrtsgericht verweist zutreffend darauf, dass die beschränkt-dingliche Haftung des Schiffseigners nach § 4 BSchG a.F. durch die Änderung des BSchG aufgehoben worden ist, und er seither unbeschränkt persönlich - also nicht nur mit Schiff und Fracht, sondern auch mit seinem übrigen Vermögen - haftet; hierbei kann er allerdings seine Haftung gern. § 4 BSchG n.F. beschränken.
§ 102 Nr. 4 BSchG gewährt der Klägerin lediglich ein Schiffsgläubigerrecht. Für einen entsprechenden Ausspruch im Rahmen einer Feststellungsklage ist ein Rechtsschutzinteresse nicht erkennbar, da ihm nur deklaratorische Wirkung zukäme; denn das Schiffsgläubigerrecht entsteht kraft Gesetzes mit der Begründung der in § 102 BSchG genannten Forderungen (vgl. Vortisch/Bemm a.a.O. § 102 Rd.Nr. 9). Die Befriedigung aus dem mit ihm einhergehenden Pfandrecht kann gern. § 103 BSchG nur aufgrund eines Vollstreckungstitels erfolgen, der auf die Duldung der Zwangsvollstreckung in das Schiff gerichtet ist (vgl. Vortisch/Bemm a.a.O. § 103 Rd.Nr, 15 ff., 19). Ein Feststellungsurteil reicht insoweit nicht aus.
Aus den dargelegten Gründen wird für Recht erkannt:
Die Berufung des Beklagten gegen das am 9.3.2000 verkündete Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts Mannheim - 31 C 1/99 - wird zurückgewiesen.
Auf die Anschlussberufung der Klägerin wird das genannte Urteil wie folgt teilweise abgeändert:
1. Die Klage ist hinsichtlich des Zahlungsantrags dem Grunde nach gerechtfertigt
2. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin den Zinsaufwand zu ersetzen, der der R ab dem 1.4.2000 dadurch entsteht, dass die Firma R die Reparatur der am 18.5.1999 durch TMS „L" angefahrenen Steigeranlage .... durch Bankkredit vorfinanziert hat.
Im übrigen wird die Anschlussberufung zurückgewiesen...."
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2001 - Nr.8 (Sammlung Seite 1831 ff.); ZfB 2001, 1831 ff.