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Amtsgericht St. Goar Rheinschifffahrtsgericht
im Namen des Volkes
Urteil
vom 31.Oktober 2005
Tatbestand:
Die Parteien streiten um die Verantwortlichkeit für einen Schiffzusammenstoß, der sich am 24. Mai 2002 gegen 22.25 Uhr auf dem Rhein bei Rheinkilometer 550,9 zwischen dem Koppelverband "UF" (185 m lang, 11,40 m breit, 3019,049 t) und MTS "P" (100 m lang, 9 m breit, 1791 t) zugetragen hat.
Die Beklagte zu 1. ist Eigentümerin des Koppelverbandes, der zur fraglichen Zeit in Spargelformation von dem Beklagten zu 2, Schiffsführer H., leer zu Tal geführt wurde. Der Klägerin gehört MTS "P", das der Zeuge S., beladen mit 1.750 t Kerosin zur fraglichen Zeit zu Berg steuerte. Der Beklagte zu 2. meldete sich als Talfahrer im Bereich des Oberweseler Hafens und am Kauber Rossstein und fuhr alsdann in den Oberweseler Bogen ein. Wegen Baggerarbeiten im Bereich des Jungferngrundes hatte das Wasser- und Schifffahrtsamt Bingen unter dem 17. Mai 2002 für diesen Bereich eine schifffahrtspolizeiliche Anordnung getroffen. Kurz oberhalb des Tauberwerthes kam es zur Begegnung der beiden Schiffe, bei der das TMS mit dem backbordseitigen Bug gegen den Kopf des schiebenden GMS "U F" stieß. An beiden Fahrzeugen entstand Sachschaden.
Die Klägerin verlangt von den Beklagten als Gesamtschuldnern den Ausgleich des an ihrem Schiff entstandenen Schadens, den sie mit insgesamt 21.830,26 Euro beziffert und trägt vor:
Bei der Unfallstelle im Bereich des Oberweseler Bogens handele es sich nicht um eine Engstelle im Sinne des Gesetzes. Die Erfahrung habe gezeigt, dass sich dort Schiffe problemlos begegnen könnten, sofern beide Schiffe ihren guten Wall anhielten. Das von dem Wasser- und Schiffahrtsamt Bingen angeordnete Begegnungsverbot habe nur für die Zeit, zu der dort tatsächlich Baggerarbeiten durchgeführt worden seien, gegolten. Nach Feierabend seien die entsprechenden Schiffahrtszeichen hingegen abgedeckt worden und seien zur Unfallzeit nicht zu beachten gewesen. Entgegen der Behauptung der Beklagten habe sich der Zeuge S. auch auf die Funkmeldungen des Schiffsführers H. als Bergfahrer im Bereich des Geisenrückens gemeldet. Schiffsführer S. sei dann entlang den grünen Tonnen zu Berg gefahren, wobei er sich oberhalb des Tauberwerthes nach Steuerbord orientiert habe, soweit ihm dies wegen des dort liegenden Wahrschaubootes möglich gewesen sei. Der Koppelverband sei jedoch so breit gefahren, dass er den Unfall nicht habe vermeiden können. Er habe den Unfall sogar erwartet und deshalb über Funk die Beamten des Nautischen Informationsdienstes, welche die Unfallstelle von ihrer Dienststelle aus hätten einsehen können, auf die Fahrweise des Koppelverbandes aufmerksam gemacht. Dass er soweit wie möglich die grünen Tonnen angehalten habe, ergäbe sich auch daraus, dass nach der Anfahrung die bei Stromkilometer 550,900 ausliegende Boje mit ihrer Ankerkette in die Schraube geraten sei, so dass er die Fahrt zunächst nicht habe fortsetzen können.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von 21.830,26 Euro nebst Zinsen in Höhe von 8 % über dem Basiszinssatz seit dem 15. Dez. 2002 zu verurteilen.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Sie tragen vor:
Bei der Unfallstelle habe es sich um enges Fahrwasser im Sinne des § 6.07 Abs. 1 RhSchPVO gehandelt, zumal zu der fraglichen Zeit in diesem Bereich am rechten Fahrwasserrand Baggerarbeiten durchgeführt worden seien. Aus diesem Grunde seien die roten Bojen bei Stromkilometer 550,750 und 550,900 zur Fahrwassermitte hin versetzt und die der Schifffahrt zur Verfügung stehende Fahrrinne verengt worden. Deshalb sei mit der schifffahrtspolizeilichen Anordnung vom 17. Mai 2002 für diesen Bereich auch ein allgemeines Überhol- und Begegnungsverbot angeordnet worden. Gleichwohl habe der Schiffsführer des TMS "P" auf die Funkmeldungen des Schiffsführers von KV "UF" nicht geantwortet, weshalb der Beklagte zu 2. in den Oberweseler Bogen eingefahren sei, ohne mit Bergfahrt zu rechnen. Erst nach dem Passieren der roten Tonne bei Stromkilometer 550,500 habe er TMS "P" als Bergfahrer wahrgenommen. Er habe mit dem Kopf des Verbandes die roten Tonnen jeweils so eng wie möglich angehalten, habe den Zusammenstoß mit dem in der Mitte der Fahrrinne entgegenkommenden TMS "P" aber nicht vermeiden können.
Wegen des Sachvortrages der Parteien im einzelnen wird auf den vorgetragenen Inhalt der zu den Akten gereichten Schriftsätze und Urkunden verwiesen.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Schiffsführers S., Anhörung des Beklagten zu 2. sowie Vernehmung des Zeugen Sch. von der Nautischen Informationszentrale und der Zeugin Bauoberrätin SN. vom Wasser- und Schifffahrtsamt Bingen. Der WSP-Beamte Polizeikommissar B. hat sich schriftlich geäußert und von dem Wasser- und Schifffahrtsamt Bingen wurde eine amtliche Auskunft eingeholt. Es hat bei Dunkelheit eine Ortsbesichtigung stattgefunden und darüber hinaus wurde ein Gutachten des Sachverständigen BR. vom Entwicklungszentrum für Schiffstechnik und Transportsysteme in Duisburg eingeholt. Die amtlichen Ermittlungsakten der WSP St. Goar waren Gegenstand der Verhandlung.
Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die bei den Akten befindlichen Schriftstücke und Protokolle sowie das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist nur zum Teil begründet. Die Führer beider an dem Unfall beteiligten Schiffe sind für den Zusammenstoß verantwortlich. Dabei kann jedoch unter Berücksichtigung des Tatsachenvortrags der Parteien und des Ergebnisses der Beweisaufnahme nicht festgestellt werden, dass das Verschulden der einen oder der anderen Seite überwiegt, weshalb die in § 92c Abs. 1 Satz 2 BSchG enthaltene Regelung zur Anwendung kommt.
I.
1. Nach der Beweisaufnahme ist davon auszugehen, dass zur Unfallzeit das von dem Wasser- und Schifffahrtsamt Bingen für die Zeit vom 21. Mai 2002 an im Bereich des Jungferngrundes angeordnete allgemeine Überhol- und Begegnungsverbot aufgehoben war. Dies ergibt sich aus der Auskunft des Wasser- und Schifffahrtsamtes Bingen vom 20. Oktober 2004 sowie der Aussage der Zeugin SN. Die Zeugin hat bestätigt, das Begegnungsverbot sei am Unfalltag nach Beendigung der Baggerarbeiten aufgehoben und die entsprechenden Schifffahrtszeichen seien verdeckt worden. Nach den Angaben der Zeugin galt zur Unfallzeit aber nach wie vor das Ankerverbot sowie das Gebot besonderer Vorsicht.
2. Auch nach dem Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. BR. vom 14. April 2005 kann unter Berücksichtigung der Ergänzungen in der mündlichen Verhandlung vom 11. Juli 2005 nicht angenommen werden, es habe sich bei der Unfallstelle um eine Fahrwasserenge im Sinne des § 6.07 Nr. 1 BSchG gehandelt. Die Berechnungen des Sachverständigen in dem Gutachten haben zwar ergeben, dass es dem KV "UF" nicht möglich war, die Unfallstelle ohne Inanspruchnahme der für die Bergfahrt vorbehaltenen Fahrrinnenhälfte zu durchfahren. Diese Feststellungen hat er jedoch bei der Erläuterung seines Gutachtens dahingehend relativiert, die Talfahrt müsse dann mit größeren Risiko in den Bogen einfahren. Dass eine entsprechende Begegnung möglich ist, wurde auch im Rahmen der richterlichen Augenscheinseinnahme im Termin vom 28. September 2004 festgestellt.
3. Es ist aber davon auszugehen, dass die Begegnung zwischen dem KV "UF" und TMS "P" im Bereich des Jungferngrundes besondere Schwierigkeiten barg und es somit erhöhter Aufmerksamkeit sowie einer sorgfältigen Vorbereitung beider sich begegnender Schiffe bedurfte. Der Oberweseler Bogen ist dem Gericht als besonders unfallträchtig bekannt: Zu Tal fahrende Schiffe werden durch die in den Hang fallende Strömung mit dem Heck stark nach linksrheinisch versetzt. Dies gilt in besonderem Maße für Verbände mit einer Länge des hier zu Tal fahrenden Koppelverbandes "UF", der zudem noch unbeladen war. Zu Berg fahrende Schiffe erfahren unterhalb des Tauberwerthes eine Strömung von rechts, so dass die Gefahr besteht, nach Backbord abzutriften. Dies führt bereits bei normalem Fahrwasser zu Schwierigkeiten und nicht selten zu Zusammenstößen. Im vorliegenden Fall kam noch hinzu, dass infolge der Baggerarbeiten das Fahrwasser um ca. 20 m durch eine zur Fahrwassermitte hin ausgelegte rote Tonne eingeengt war und somit erhöhte Vorsicht erforderte. Dies setzte aber, wie auch die Klägerin gesteht, voraus, dass beide Fahrzeuge "ihren guten Wall" anhielten. Nach den vorhandenen Schifffahrtszeichen war demgemäß auch besondere Vorsicht geboten. Es ist deshalb davon auszugehen, dass Begegnungen im fraglichen Bereich durch Funkabsprachen vorzubereiten waren, wie es zur Vermeidung von Gefahren auch der Üblichkeit entspricht.
4. Entgegen der Behauptung der Klägerin hat der Schiffsführer S. auf die Meldung des Schiffsführers H. vom KV "UF" nicht reagiert und zu erkennen gegeben, dass er sich ebenfalls dem Bereich des Oberweseler Bogens nähere, so dass dort eine Begegnung zu erwarten sei. Dies steht zur Überzeugung des Gerichtes fest: Zwar hat der Zeuge S. ausgesagt, mit entsprechenden Funkdurchsagen auf die Meldung des Beklagten zu 2. reagiert zu haben. Dem stehen jedoch die klaren und durch weitere Anzeichen bestätigten Angaben des Beklagten zu 2. entgegen: Das polizeiliche Ermittlungsergebnis stützt die Aussage des Zeugen S. entgegen seinen Angaben nicht. Der ermittelnde Beamte hat in seinem Bericht wiedergegeben, es habe nicht festgestellt werden können, inwieweit sich das zu Berg fahrende TMS in der Gebirgsstrecke über Kanal 10 gemeldet habe. Aus der von den Beklagten vorgelegten Tonbandaufzeichnung ergibt sich indes ohne Zweifel, dass Schiffsführer H. entsprechende Funkmeldungen abgegeben hat. Der Umstand, dass auf dem Band Antworten nicht aufgezeichnet sind, belegt zwar alleine nicht, dass derartige Meldungen auch nicht erfolgt sind. Aus den weiteren Aufzeichnungen des Bandes ergibt sich jedoch, dass Schiffsführer H. jeweils entsprechend reagiert und den Empfang einer Meldung bestätigt hat. Dies war hier aber nicht der Fall. Zudem hat der Beklagte zu 2. schon damals über Funk die Auffassung geäußert, der Zeuge S. habe auf seine Meldung hin nicht geantwortet und hat zeitnah bei dem weiteren Schiffsverkehr um Bestätigung gebeten, auch wenn seine Bitte ohne Ergebnis geblieben ist.
5. Die Behauptung der Beklagten, der Bergfahrer sei dem Koppelverband in der Mitte des Fahrwassers fahrend entgegengekommen, kann indes nicht als zutreffend angenommen werden. Dies hat der Beklagte zu 2. zwar auch so angegeben. Der Zeuge S. hat dagegen dargelegt, dass er am grünen Tonnenstrich entlanggefahren und infolge des Zusammenstoßes mit dem Koppelverband sogar außerhalb des Tonnenstriches geraten sei, weshalb sich die bei Stromkilometer 550,900 ausgelegte grüne Tonne in seinem Propeller verfangen habe. Die Darstellung des Zeugen erfährt eine Bestätigung durch die Aussage des unbeteiligten Zeugen Sch., der bei seiner Bekundung vor der Polizei, die er zum Gegenstand seiner Vernehmung durch das Gericht gemacht hat, ausgesagt hat, der Bergfahrer sei ordnungsgemäß am linksrheinischen Ufer gefahren. Der Zeuge, der von dem Zeugen S. auf die Fahrweise des Koppelverbandes aufmerksam gemacht worden war, hat darüber hinaus ausgesagt, der Koppelverband sei bereits beim Einfahren in die Engstelle so weit zur Mitte hingefahren, dass schon jetzt zu erkennen gewesen sei, es werde für die Bergfahrt sehr eng. Entgegen der Auffassung der Beklagten konnte der Zeuge dies erkennen, wie die Augenscheinseinnahme bei Dunkelheit ergeben hat. Der Zeuge hat von seinem Beobachtungspunkt aus durchaus die Fahrweise des Talfahrers bei der Einfahrt in den Oberweseler Bogen auch in seinem Bezug zur Fahrrinne erkennen und zu bewerten vermocht. Dass der Koppelverband tatsächlich auch nicht eng an den roten Tonnen entlang geführt wurde, entspricht auch den Angaben des Beklagten zu 2. im übrigen: Der Beklagte zu 2. war der Auffassung, an der betreffenden Stelle herrsche ein Begegnungsverbot und war deshalb von dem zu Berg kommenden Tanker überrascht. Es kann deshalb zwanglos angenommen werden, dass er in der irrigen Annahme, mit Gegenverkehr nicht rechnen zu müssen, jedenfalls mit einigem Abstand zu dem entlang des Jungferngrundes ausgelegten roten Tonnen in den Kurvenbereich einfuhr, so dass sein Verband jedenfalls mit dem Heck in das der Bergfahrt vorbehaltene Fahrwasser geriet und deshalb der Zusammenstoß für den Bergfahrer unvermeidlich war. Dabei hätte die Führung des Koppelverbandes anhand der im Bereich des Kauber Rosssteines rechtsrheinisch vorhandenen Beschilderung ohne weiteres erkennen können, dass an der späteren Unfallstelle das Begegnungsverbot aufgehoben war. Der Beklagte zu 2. musste deshalb mit Gegenverkehr rechnen, auch wenn sich dieser entgegen der zur Vermeidung von Gefahren gebotenen Übung nicht als Bergfahrer gemeldet hatte und auch auf seine Funkmeldung hin nicht geantwortet hatte.
6. Hiernach haben sowohl die Führung des zu Berg fahrenden TMS "P" als auch der Beklagte zu 2. den Unfall verschuldet. Schiffsführer S. hat sich als Bergfahrer auch auf die Meldung des Beklagten zu 2. hin nicht zu erkennen gegeben, was zur Vermeidung von Gefahren unbedingt erforderlich gewesen wäre. Es kann zwar davon ausgegangen werden, dass der Beklagte zu 2. bei entsprechender Meldung des TMS "P" alles getan hätte, den Zusammenstoß zu vermeiden und ggfls. sogar oberhalb der Engstelle langsam gemacht hätte, um dem Bergfahrer nicht im Kurvenbereich begegnen zu müssen. Gleichwohl muss der Führung des Koppelverbandes vorgeworfen werden, "zu breit" in die Kurve eingefahren zu sein und somit ebenfalls den Zusammenstoß verschuldet zu haben.
Da nicht festgestellt werden kann, ob das Verschulden der einen oder der anderen Seite überwiegt, sind gemäß § 92c Abs. 1 Satz 2 BSchG die Eigner beider beteiligten Schiffe zu gleichen Teilen ersatzpflichtig, was gemäß § 92f BSchG auch für die beteiligten Schiffsführer gilt.
II.
Die Beklagten haben den von der Klägerin geltend gemachten Schaden der Höhe nach nicht in Abrede gestellt.
Die Berechnung des Nutzungsausfalls gemäß § 4 BinSchLV ergibt jedoch, dass der Klägerin ein Rechenfehler unterlaufen ist und der Nutzungsausfall tatsächlich nur mit 1.940,-- EUR gerechtfertigt ist.
Nach alldem haben die Beklagten der Klägerin als Gesamtschuldner die Hälfte des mit 21.730,26 Euro zu berechnenden Schadens, dies sind 10.865,13 Euro, zu ersetzen.
Hierauf werden gemäß § 286 Satz 1, 288 Abs. 2 BGB Zinsen in Höhe von 8 % über dem Basiszinssatz seit dem 15. Dezember 2002 geschuldet. Die Klägerin hat unwidersprochen vorgetragen, die Beklagten zur Zahlung erfolglos aufgefordert zu haben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO. Gemäß § 709 ZPO war das Urteil gegen Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar zu erklären.
Streitwert: 21.830,26 Euro.
gez. Gerharz