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4 C 2140/14 - Amtsgericht (-)
Entscheidungsdatum: 07.04.2022
Aktenzeichen: 4 C 2140/14
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Amtsgericht Regensburg
Abteilung: -

Leitsätze:

Die Verkehrssicherungspflicht für ein Gewässer begründet keine Garantiehaftung dafür, dass Schiffe nicht beschädigt werden, sondern bezieht nur auf die Verhinderung konkreter Gefahrensituationen für die Schifffahrt.

Der Verkehrssicherungspflichtige hat unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten, wie Fließgeschwindigkeit und Beschaffenheit des Flussbettes sowie Verkehr, diejenigen Vorkehrungen zu treffen, die im Rahmen des wirtschaftlich Zumutbaren aus der Sicht eines umsichtigen und verständigen, in vernünftigen Grenzen vorsichtigen Menschen notwendig und ausreichend sowie geeignet erscheinen Gefahren von Dritten abzuwenden. Der Umfang der Verkehrssicherungspflicht hängt von der Größe des drohenden Schadens und der Wahrscheinlichkeit seines Eintritts sowie davon ab, mit welchem Aufwand ein solcher Schaden verhindert werden kann.

Eine konkrete Regelung insbesondere für Peilmaßnahmen im Rahmen der Verkehrssicherungspflicht existiert nicht, die Rechtsprechung diskutiert je nach Ausganslage eine Peilverpflichtung in einem Zeitraum von sechs bis zwölf Monaten.

Der Pachtvertrag über eine Hafenfläche, der eine Peilverpflichtung des Pächters regelt, entfaltet keine Schutzwirkung zugunsten der Schifffahrt, die den Hafen anläuft. Zwar besteht eine Leistungsnähe, aber keine Gläubigernähe, denn der Verpächter hat kein besonderes berechtigtes Interesse an der Einbeziehung der Schifffahrtstreibenden in den Schutzbereich des Vertrages.

Die Beweislast für eine Verkehrssicherungspflicht und die Kausalität für den eingetretenen Schaden trägt der Anspruchsteller. Bestehen Untersuchungspflichten (Peilpflichten), dann begründet dies keinen Beweis des ersten Anscheines dafür, dass die Vernachlässigung der Pflicht zum Schaden geführt hat.

Urteil des Schiffahrtsgerichtes Regensburg
vom 7. April 2022
Az.: 4 C 2140/14 BSch
rechtskräftig

Aus dem Tatbestand:

Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche wegen Anweisung eines Ladeplatzes, der nicht ungefährdet angelaufen werden konnte, bzw. mittelbar Verkehrssicherungspflichtverletzung.

Die Klägerin zu 1 ist Eignerin, die Klägerin zu 2 Kaskoversicherer des Binnenschiffs MS Ursula Klaus.

Die Beklagte hat mit der Klägerin zu 1 einen Frachtvertrag abgeschlossen; ihr oblag somit die Benennung eines sicheren Ladeplatzes (OLG Hamburg, Urteil vom 11.12.1986, Az.: 6 U 130/86 [VersR 1987, 255, zit. bei juris]). Sie benannte den von der Streithelferin zu 1 betriebenen Hafen an der Donau in Deggendorf als Ladeplatz. Die Streithelferin zu 2 ist – jedenfalls außerhalb des Bereichs des Hafens der Streithelferin zu 1 – Verkehrssicherungspflichtige für die Wasserstraße Donau.
Die Ursula Klaus hatte den Leichter auf Backbordseite gekoppelt und wollte ihn an die Ladestelle vorlegen.

Das Schiff erlitt sodann einen erheblichen Wassereinbruch aufgrund eines Schadens des Schiffskaskos und musste nach Taxierung des Schadens durch einen Sachverständigen und Hellingnahme repariert werden.

Nach der Havarie wurde im Bereich des Hafens der Streithelferin zu 1 nahe an der Grenze zur Fahrrinne (der Streithelferin zu 2) ein Objekt gepeilt und später gehoben, welches aus mit Baustahl verbundenen Betonbrocken bestand …

Aus den Gründen:

II. Soweit die Klage zulässig ist, ist sie unbegründet. Die Klägerinnen haben keine Schadensersatzansprüche wegen Anweisens eines unsicheren Ladeplatzes bzw. aus Verkehrssicherungspflichtverletzung.

1. Das Gericht konnte sich bereits keine sichere Überzeugung davon verschaffen, dass die Ursula Klaus tatsächlich von dem aufgefundenen Beton-Armierungseisen- Konglomerat beschädigt worden ist …

2. Der Vollständigkeit halber sei klargestellt, dass die Feststellung einer konkreten Ursache für den klägerseits vorgetragenen Schadenseintritt nicht entbehrlich ist (wie auch klägerseits gar nicht behauptet). Die Verkehrssicherungspflicht begründet nämlich keine Garantiehaftung dafür, dass das Schiff im verkehrssicherungspflichtigen Bereich nicht beschädigt wird, sondern bezieht sich auf konkrete Gefahrensituationen, die unter bestimmten Bedingungen vom Verkehrssicherungspflichtigen zu verhindern sind.

3. Selbst wenn sich das Gericht die hinreichend sichere Überzeugung davon hätte verschaffen können, dass eine Kollision mit dem anschließend gehobenen Betonbrocken- Konglomerat schadensursächlich gewesen wäre, bestünde kein Anspruch wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht, die sich die Beklagte als schuldhafte Anweisung einer unsicheren Ladestelle zurechnen lassen müsste.

a.) Die Streithelferin zu 1 (insoweit als Erfüllungsgehilfin der Beklagten) war im Rahmen ihrer Verkehrssicherungspflicht nicht verpflichtet, Sicherungsmaßnahmen zu ergreifen, aufgrund derer der Betonbrocken erkannt worden wäre.

aa) Konkrete Regelungen, was im Rahmen der Verkehrssicherungspflicht genau geschuldet wird, existieren nicht.

bb) Auch die zitierten schifffahrtsobergerichflichen Entscheidungen haben keine entsprechenden Regelungen fest- (oder gar auf-) gestellt:

1.) Das OLG Köln (Urt. v. 19.04.1996, Az.: 3 U 123/95 BSch, ZfB 1996, Sammlung Seite1614 f.) hat lediglich darauf abgestellt, dasseine einmal jährliche Kontrolle der Wassertiefeeines Hafens zur Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht ausreicht. Ob eine einmal jährliche Kontrolle auch notwendig sein soll, lässt sich der Entscheidung nicht entnehmen.

2.) Das OLG Karlsruhe (Urt. v. 15.04.1997, Az.: U 5/96 BSch [juris]) hat lediglich erwähnt, dass die dort im Streit stehende Schleusenkammer in sechsmonatigen Abständen, und zwar zuletzt nur wenige Tage vor dem Ereignis, untersucht worden sei. Nachdem eine Untersuchung kurz vor dem Ereignis feststand, hatte das Gericht über- haupt keine Veranlassung, eine Entschei- dung über ein zeitliches Intervall zu treffen. Das Urteil erwähnt dabei auch obiter mit keinem Wort, dass das Gericht eine Untersuchung alle sechs Monate für erforderlich gehalten hätte.

cc) Im Pachtvertrag zwischen der Streithelferin zu 1 und der Streithelferin zu 2 wird der Streithelferin zu 1 unter § 8 Abs. 3 auf- erlegt, die Wasserflächen einmal jährlich zu untersuchen. Dies mag zwar als Indiz für eine entsprechende Erforderlichkeit und Verkehrserwartung dienen, vermag aber im Verhältnis zu Dritten keinen solchen Zeitraum verbindlich festzulegen. Insbesondere entfaltet der Vertrag keine Schutzwirkung für Dritte. Zwar besteht bei Schifffahrtstreibenden unbestreitbar eine »Leistungsnähe« bezüglich der vertraglichen Vereinbarungen zur Verkehrssicherungspflicht. Es besteht dagegen keine »Gläubigernähe« als weitere Voraussetzung der Annahme eines Vertrags mit Schutzwirkung. Die Streithelferin zu 2 hat kein besonderes berechtigtes Interesse an der Einbeziehung der Schifffahrtstreibenden in den Schutzbereich …

dd) Es verbleibt in Ansehung der Verkehrssicherungspflicht der Streithelferin zu 1 gegenüber der Klägerin zu 1 somit bei den allgemeinen Regeln. Diese hat das OLG Düsseldorf (Urteil vom 10. Mai 2017, Az.: 1–21 U 201/15 [juris, Rz. 40 f.]) treffend wie folgt zusammengefasst:
»Der Inhalt der Verkehrssicherungspflicht richtet sich allgemein nach den Sicherheitserwartungen des jeweiligen Verkehrs. Der Sinn der Verkehrssicherungspflicht besteht nicht darin, das Publikum schlechthin vor jeder erdenklichen Gefahr zu schützen. Vielmehr hat der Verkehrssicherungspflichtige nur diejenige Sicherheit zu schaffen und zu bieten, die man bei Berücksichtigung der jeweils gegebenen Verhältnisse und der Art und Weise des in Frage kommenden Publikumsverkehrs allgemein erwarten darf und muss (vgl. BGH, Urteil vom 03.06.2008, VI ZR 223/07, NJW 2008, 3775, 3776, Rz. 9 f.; OLG Hamm, Urteil vom 28.10.1999, 6 U 29/99, NJW-RR 2000, 695 m.w.N) … Haftungsbegründend wird eine Gefahr erst dann, wenn sich für einen sachkundigen Betrachter die naheliegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt wer- den (vgl. BGH, Urteil vom 03.06.2008, VI ZR 223/07, juris RZ. 9 f. = NJW, 2008, 3775, 3776; Urteil vom 08.11.2005 ‚VI ZR 332/04, juris RZ. 10 = NJW 2006, 610; Urteil vom 06.02.2007, VI ZR 274/05, juris Rz. 15 = NJW 2007, 1683). Deshalb muss nicht für alle denkbaren Möglichkeiten eines Schadense intritts Vorsorge getroffen werden. Es sind diejenigen Vorkehrungen zu treffen, die im Rahmen des wirtschaftlich Zumutbaren aus der Sicht eines umsichtigen und verständigen, in vernünftigen Grenzen vorsichtigen Menschen notwendig und ausreichend sowie geeignet erscheinen, Gefahren von Dritten tunlichst abzuwenden, die bei bestimmungsgemäßem oder bei nicht ganz fernliegender bestimmungswidriger Benutzung drohen (BGH, Urteil vom 03.06.2008, VI ZR 223/07, juris RZ. 9 f. = NJW 2008, 3775, 3776; OLG Koblenz, Beschluss vom 10.4.2013, 3 U 1493/12, MDR 2013, 783, zitiert nach juris TZ 34f).

Der Umfang einer Verkehrssicherungspflicht hängt zum einen von der Größe des drohenden Schadens und von der Wahrscheinlichkeit seines Eintritts und andererseits auch davon ab, mit welchem Aufwand ein solcher Schaden verhindert werden kann. Dabei müssen umso eher Schutzmaßnahmen getroffen werden, je wahrscheinlicher die Verwirklichung einer Gefahr ist, je größer ein möglicher drohen- der Schaden ist und je einfacher die Verhütung dieses Schadens ist (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 23.12.2004, 27 U 215/00, NJW-RR 2005, 675, 676). Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt ist dann genügt, wenn derjenige Sicherheitsgrad erreicht wird, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält. Dieses Schutzniveau ist dann erreicht, wenn diejenigen zumutbaren Sicherungsvorkehrungen getroffen werden, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren (vgl. BGH, Urteil vom 03.06.2008, VI ZR 223/07, juris RZ. 9 f. = NJW 2008, 3775‚ 3776; OLG Saarbrücken, Urteil vom 11.9.2012 –4 U 193/11, NJW-RR 2013, 28, 29; OLG Koblenz, Beschluss vom 10.4.2013, 3 U 1493/12, MDR 2013, 783, zitiert nach juris TZ 34f).«

Auf den vorliegenden Fall bezogen ist zunächst zu differenzieren:

(1.) Was Veränderungen der Wassertiefe durch natürliche Veränderungen des Flussbetts (Sedimente, Sediment-/Geschiebetransport anbelangt, sind regelmäßige Kontrollen erforderlich und werden von den beteiligten Verkehrskreisen erwartet. Die Zeitabstände richten sich dabei nach den jeweiligen örtlichen Gegebenheiten wie Fließgeschwindigkeit und Beschaffenheit des Flussbetts. Auch mag berücksichtigt werden, ob der Verkehrssicherungspflichtige deutlich unter das vorzuhaltende Fahrwassertiefenniveau ausgebaggert (und sich dadurch »Ruhe verschafft«) hat. Diesbezüglich genügen regelmäßig großflächige Übersichtspeilungen, weil durch natürliche Veränderungen keine punktuellen Hindernisse entstehen, die nur auf hoch aufgelösten Peildatendarstellungen zu erkennen sind.
Eine solche Peilung wurde von der Streithelferin zu 2 nur wenige Wochen vor der Havarie durchgeführt, wobei sich aus der kartographischen Darstellung keine Fehltiefe ersehen ließ. Dies zeigt, dass ein Unterlassen dieser Verkehrssicherungsmaßnahme durch die Streithelferin zu 1 jedenfalls nicht ursächlich für die Havarie ist …

b) Selbst wenn man dies – wie nicht – anders sehen wollte und eine Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht annehmen wollte, so ist der Nachweis der Schadenskausalität nicht geführt. Ein Schadensersatzanspruch bestünde nämlich nur, wenn der Schaden auch auf der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht beruht, wenn also bei gehöriger Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht das Schadensereignis nicht eingetreten wäre.

aa) Diese haftungsbegründende Kausalität ist vom Anspruchsteller vorzutragen und zu beweisen …

bb) Entgegen der Auffassung der Klagepartei besteht insoweit bei den hier in Rede stehenden Untersuchungspflichten kein Beweis des ersten Anscheins für diese Kausalität …

Dies ist bei Kontrollpflichten (die hier von der Klagepartei angenommen wird) gerade nicht der Fall: Wollte man (wie nicht) eine anlasslose Kontrollpflicht einmal pro Jahr annehmen, so müsste man einen Er- fahrungssatz aufstellen können: »Wenn sich ein Betonbrocken im Flussbett befindet, so befindet er sich dort nach allgemeiner Lebenserfahrung stets über ein Jahr«. Dies ist selbstverständlich Unsinn, denn er könnte genauso gut am Tag vor dem Unfallereignis ins Wasser gefallen sein. Daher kann mangels eines entsprechenden Erfahrungssatz kein Anscheinsbeweis dafür angenommen werden, dass der Brocken im Zeitpunkt der Pflichtverletzung (Unterlassen der Kontrolle) bereits an Ort und Stelle war und somit entdeckt worden wäre.

Bestünde die Verkehrssicherungspflicht also lediglich darin, in bestimmten Zeitabständen zu kontrollieren und zwischenzeitlich aufgetretene Gefahren zu beseitigen, so verbietet sich ein Schluss vom Schadenseintritt auf die Kausalität der Pflichtverletzung und somit die Annahme eines Anscheinsbeweises (so auch OLG Düsseldorf, Urteil vom 10.05.2017, Az.: 21 U 201/15 [juris, Rz. 52]) …

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2022 - Nr. 11 (Sammlung Seite 2783 f.); ZfB 2022, 2783 f.