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Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
Urteil
vom 22. November 2000
395 Z – 5/00
(auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 7. Dezember 1998 - 5 C 39/96 BSch -)
Tatbestand:
Die Parteien streiten um die Folgen eines Schiffsunfalls, der sich am 7.4.1995 gegen 22.00 Uhr bei Dunkelheit und klarer Sicht auf dem Rheinstrom bei Km 764,6 – Ortslage Duisburg – Mündelheim – ereignet hat. Bei diesem Unfall ist MS O gesunken. Die beiden Kinder des Schiffers sind hierbei ertrunken.
Die Klägerin ist der Versicherer des MS O (516 ts groß; 350 KW stark; 57 m lang; 6 m breit und 2,47 m tief). Sie klagt aus übergegangenem und abgetretenem Recht des Schiffers R aus Zwijndrecht.
Die Beklagte zu 2 ist die Eigentümerin des MS A (1.356 ts groß; 800 PS stark; 86 m lang; 9 m breit und 2,60 m tief), das der Beklagte zu 1 zur Unfallzeit verantwortlich geführt hat.
Zu der genannten Zeit befand sich MS O unter Führung von Schiffsführer Rijfers mit einer Ladung von insgesamt 494 ts Aluminium auf dem Rhein in der Bergfahrt von Rotterdam nach Wallersheim. In der Ortslage Duisburg – Mündelheim hielt sich das Schiff rechtsrheinisch. Bei Rhein-km 765 setzte MS O zum Überholen des vorausfahrenden MS A an dessen Steuerbordseite mit normalem Seitenabstand an. Als sich das Achterschiff von MS O auf Höhe des Vorschiffes von MS A befand, verringerte sich der Seitenabstand der beiden Schiffe. Es kam zu einer Anfahrung, bei der das Steuerbordvorschiff des MS A gegen das Backbordachterschiff des MS O geriet. In der Folge drehte MS O nach Backbord, stieß mit seiner Backbordseite gegen den Steven des MS A, wurde unter Wasser gedrückt und sank innerhalb weniger Sekunden. Hierbei ertranken die beiden Schifferkinder.
Aus Anlaß des Unfalls ist das Verklarungsverfahren 5 II 6/95 Schiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort durchgeführt worden.
Gegen den Beklagten zu 1 hat die Staatsanwaltschaft Duisburg das Ermittlungsverfahren
16 Js 881/95 eingeleitet. Durch Beschluß vom 23.10.1997 – 5 Ds 81/96 BSch - hat das Schiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen den Beklagten zu 1 wegen eines Vergehens, strafbar nach den §§ 222, 230, 324, 52 StGB, abgelehnt.
Die Klägerin hat behauptet, der Beklagte zu 1 habe wenig oberhalb der Unfallstelle in den linksrheinisch gelegenen Hafen Krefeld einfahren wollen. Er sei deshalb nicht der aus der Sicht der beiden Schiffsführer im Bereich der Unfallstelle vorhandenen Linkskrümmung des Stromes bis zur vollständigen Beendigung des Überholmanövers des MS O gefolgt, sondern habe stattdessen in „Geradeausfahrt“ einen Kurs in Richtung des auf der anderen Rheinseite gelegenen Hafens Krefeld eingeschlagen. Ferner habe der Beklagte zu 1 während des Überholmanövers nicht die Geschwindigkeit seines Schiffes in dem erforderlichen Maße herabgesetzt. Schließlich hätte es der Wasserstand auch zugelassen, wenn er MS A weiter zum rechtsrheinischen Ufer gesteuert hätte.
Den Unfallschaden hat die Klägerin näher auf 1.195.839,60 DM beziffert und die Voraussetzungen des Verzuges behauptet. Für den Schaden hafte die Beklagte zu 2 außer dinglich mit MS A im Rahmen des Binnenschiffahrtsgesetzes auch persönlich, weil sie in Kenntnis des Unfalls und seiner Folgen ihr Schiff zu neuen Reisen ausgesandt habe.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 1.195.839,60 DM nebst 4% Zinsen seit dem 10.6.1996 zu zahlen und zwar die Beklagte zu 2 außer dinglich haftend mit dem MS A im Rahmen des Binnenschiffahrtsgesetzes auch persönlich haftend.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagten haben vorgetragen, der Beklagte zu 1 habe langsamer gemacht und die Geschwindigkeit seines Schiffes auf ca. 3,5 bis 4 km/h reduziert, um MS O das Überholen zu erleichtern. Statt das Überholmanöver ordnungsgemäß zu beenden, habe Schiffsführer R von MS O zu früh nach Backbord gesteuert und habe den Kurs von MS A geschnitten. Hierdurch sei das Heck von O gegen den Bug von A geraten. Wegen seiner größeren Masse sei MS A kursstabiler gewesen, während das kleinere MS O in Sogwirkung geraten sei. MS A habe seinen Kurs nicht geändert. Schiffsführer R habe durch sein nautisches Fehlverhalten den Unfall verschuldet.
Das Rheinschifffahrtsgericht hat nach Beiziehung der genannten Verklarungs- und Strafakten durch das am 7.12.1998 verkündete Urteil die Klage abgewiesen. Zur näheren Begründung seiner Entscheidung hat das Rheinschifffahrtsgericht ausgeführt, ein Verschulden des Beklagten zu 1 an dem Unfall sei nicht bewiesen. Weder sei bewiesen, daß der Beklagte zu 1 während des Überholvorgangs seinen Kurs nach Backbord geändert habe, noch sei bewiesen, daß er die Geschwindigkeit seines Schiffes nicht in dem gebotenem Maße verringert habe, um MS O das Überholen zu erleichtern. Die Aussagen der beteiligten Schiffsführer widersprächen einander. Die Ehefrauen beider Schiffsführer hätten sich unter Deck befunden und hätten zu dem Unfallhergang keine Einzelheiten bekunden können. Soweit es ihnen möglich gewesen sei, hätten sie die Darstellung ihrer Ehemänner bestätigt. Objektive Umstände oder geeignete neutrale Zeugen gebe es nicht, die die eine oder andere Darstellung hätten bestätigen können. Auch die Angaben von Zeugen zu dem Funkverkehr zur Unfallzeit beweise nicht die Richtigkeit der einen oder anderen Darstellung. Schließlich lasse sich aus dem Gutachten des Sachverständigen E weder eine Kursänderung des MS A noch eine zu hohe Geschwindigkeit dieses Schiffes während des Überholmanövers entnehmen. Auch der Sachverständige H komme zu dem Ergebnis, daß die Kurssteuerung beider Schiffsführer einen Fehler nicht erkennen lasse. Der im Strafverfahren beauftragte Sachverständige Knechten habe zwar angenommen, der Unfall beruhe auf dem Fehlverhalten eines der beiden Schiffsführer, ohne sich aber dazu zu äußern, welchem der beiden Schiffsführer ein Fehlverhalten anzulasten sei.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt und die Entscheidung der Berufungskammer der Zentralkommission erbeten. Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihren Klageanspruch weiter.
Zur Begründung ihrer Berufung hat die Klägerin vorgetragen, der Überholabstand des MS O von 20 m sei ausreichend und schiffahrtsüblich gewesen. Weil es bei der Überholung zu einer Anfahrung gekommen sei, müßten während des Überholvorgangs Fehler gemacht worden sein. Bei der Beurteilung des Ergebnisses der Beweisaufnahme müsse berücksichtigt werden, daß die Dauer des Überholvorgangs maßgeblich von der Geschwindigkeitsdifferenz der Schiffe bestimmt sei. Die Kursverlagerung des überholten Schiffes werde umso gefährlicher, je länger sich der Überholvorgang hinziehe. Wenn MS A den Parallelkurs zum Ufer durch Einstellung des Wendeanzeigers auf 0 während des Überholvorgangs oder vorher verlassen habe, habe es sich notwendigerweise der Kurslinie des MS O nähern müssen. Die Kursverlagerung habe sich vorwiegend in der letzten Phase des Unfallvorgangs besonders stark auswirken müssen.
Für die Beurteilung des Unfallgeschehens sei es von entscheidender Bedeutung, wann MS A seine Geschwindigkeit vermindert habe. Schiffsführer R sei vollan gefahren und habe seine Geschwindigkeit mit 10 km/h angegeben. Der Beklagte zu 1 habe die Geschwindigkeit des MS O bestätigt und seine eigene Geschwindigkeit mit 3,5 bis 4 km/h angegeben, was 290 Upm seiner Maschine entsprochen habe. Auf diese Geschwindigkeit wolle er seine Fahrt bereits reduziert haben, als er bei Mündelheim das MS O habe aufkommen sehen. Diese Angabe sei durch die des Zeugen K von MTS G widerlegt, dessen Schiff oberhalb von Huckingen mit 8 km/h fahrend von MS A mit deutlich höherer Geschwindigkeit überholt worden sei. Dieser Zeuge habe ferner ausgesagt, daß sich A und O gleichmäßig von ihm entfernt hätten.
MS O sei mit Hilfe des Autopiloten gefahren. In der Linkskrümmung des Stromes sei Backbordkurs gehalten worden. Der Wendeanzeiger habe entsprechend auf 5 bis 7 Grad bb gestanden. Hingegen habe der Wendeanzeiger des MS A im Zuge des Überholmanövers auf 0 gestanden. Dadurch sei dieses Schiff in einen seitlichen Versatz zur Uferlinie geraten und habe seinen Kurs geändert. Dafür spreche auch, daß Schiffsführer R die Annäherung des Vorschiffes von A beobachtet und beanstandet habe.
Die Ausführungen des Beklagten zu 1 über die Kursänderung des MS O seien bloße Vermutungen.
Der Beklagte zu 1 habe nach Feststellung der Annäherung seines Schiffes an MS O die Möglichkeit gehabt, die Geschwindigkeit seines Schiffes weiter zu reduzieren, da das Manöver bereits zu ¾ abgeschlossen gewesen sei. In diesem Falle wäre A problemlos hinter O vorbeigekommen. Es sei unverständlich, weshalb der Beklagte zu 1 nicht leicht Backbordruder gegeben habe, als er die Annäherung der Schiffe bemerkt habe. Er habe seinen verhängnisvollen Geradeauskurs fortgesetzt. Hingegen hätte ein Steuerbordkurs des MS O den Annäherungseffekt begünstigt.
Im übrigen hat die Klägerin ausgeführt, solange die Schiffe auf Parallelkurs gelegen hätten, habe sich der Sog nicht schädlich auswirken können. Der Sog habe eine zusätzliche Kraft erst entfalten können bei Annäherung des Vorschiffes von A an das Achterschiff des MS O. Bei seinem Geradeauskurs sei A einer stärkeren Anströmung an seiner Backbordseite ausgesetzt gewesen. Hierdurch habe sich der seitliche Versatz in Richtung auf die Kurslinie des MS O noch verstärkt.
Zusammenfassend ist die Klägerin der Ansicht, daß sich ein Verschulden des Beklagten zu 1 aus der Kursänderung seines Schiffes ableiten lasse.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach ihren Schlußanträgen 1. Instanz zu erkennen.
Die Beklagten betragen,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Die Beklagten treten den Ausführungen der Klägerin entgegen und verteidigen das angefochtene Urteil. Sie meinen, Schiffsführer R habe zu früh ein Backbordmanöver zur Umfahrung des in der Nähe der Unfallstelle befindlichen Grundes eingeleitet, also ehe sein Vorschiff aus dem Sog des MS A heraus und das Überholmanöver beendet gewesen sei. Dabei sei sein Vorschiff bereits über die Kurslinie des MS A versetzt gewesen. Nur so habe MS O von dem einfallenden Strom auf Backbordseite derartig erfaßt werden können, daß es umschlug. Dieses Geschehen werde durch die Lage des MS O nach dem Sinken bestätigt. Das Schiff habe sich hinter dem dortigen Tonnenstrich rechtsrheinisch außerhalb des Fahrwassers befunden.
Im übrigen führen die Beklagten aus, es könne nicht darauf abgestellt werden, daß der Beklagte zu 1 bei seiner Anhörung im Verklarungsverfahren angegeben habe, sein Wendeanzeiger habe 0 gezeigt. Daraus folge nicht, daß er über längere Zeit einen solchen Kurs gefahren sei.
Es sei unerheblich, wann A die Geschwindigkeit vermindert habe, um das Überholmanöver zu unterstützen. Daß eine solche Unterstützung erfolgt sei, sei durch die Angaben der Beklagten zu 2 bewiesen.
Durch die Beobachtung des Beklagten zu 1, wonach das Hecklicht des MS O zu ihm herübergekommen sei, werde die Kursänderung des MS O belegt.
Schließlich meinen die Beklagten, eine weitere Geschwindigkeitsreduzierung sei A nicht möglich gewesen, weil ihr Schiff infolge des herrschenden Hochwassers anderenfalls ständig geworden sei. In der gegebenen Situation hätte Schiffsführer R sofort nach Steuerbord halten müssen. In diesem Falle wäre nur eine Streifberührung der Schiffe erfolgt und das Sinken des MS O wäre vermieden worden.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. In der Sache mußte ihre Berufung einen wesentlichen Teilerfolg haben.
Die Beklagten schulden der Klägerin zu 2/3 Ersatz des bei dem Unfall vom 7. April 1995 bei Rhein-km 764,6 – Ortslage Duisburg-Mündelheim – entstandenen Schadens gemäß den §§ 823, 249 BGB, 3, 4, 92, 92c, 114 BinnSchG, 104 RheinSchPV. In Höhe von 1/3 muss sich die Klägerin ein Mitverschulden von Schiffsführer Rijfers nach §§ 92c BinnSchG, 254 BGB schadensmindernd anrechnen lassen. Beide beteiligten Schiffsführer haben in dem angegebenen Umfang den Unfall vom 7. April 1995 verschuldet.
Diese Überzeugung stützt die Berufungskammer auf folgende Erwägungen:
1. Die gegenseitigen Pflichten der Beteiligten bei einem Überholmanöver auf dem Rhein sind in § 6.09 RheinSchPV bestimmt.
a) Die Zulässigkeit eines Überholmanövers ist in Nr. 1 geregelt. Nach dieser Vorschrift ist das Überholen nur gestattet, nachdem sich der Überholende vergewissert hat, dass dieses Manöver ohne Gefahr ausgeführt werden kann.
Hier bestanden an der Zulässigkeit eines Überholmanövers zwischen MS A und MS O aufgrund der genannten Vorschrift keine Zweifel. Auch die Beklagen haben in diesem Rechtsstreit keine Bedenken gegen die Einleitung eines solchen Manövers vorgetragen. Denn das Revier war frei und die Strombreite war in keiner Hinsicht eingeschränkt. Es bestand ausreichender Raum für das beabsichtigte Überholmanöver der Schiffe.
b) Bei der Einleitung eines Überholmanövers obliegt dem Überholer nach § 1.04 RheinSchPV die Pflicht, einen ausreichenden Seitenabstand der Schiffe zu wählen, da hierauf der Überholte zunächst keinen Einfluss hat.
Hier hat Schiffsführer R nach den insoweit im wesentlichen übereinstimmenden Angaben beider beteiligten Schiffsführer einen Abstand von ca. 20 m als ausreichend erachtet, was zunächst auch die Beklagten in diesem Rechtsstreit bis zur Vorlage des Gutachtens des Privatsachverständigen Glansdorp nicht als bedenklich angesehen haben.
Der gerichtliche Sachverständige H hat in seinem Gutachten einen Abstand von 20 m als ausreichend angesehen, um den bei einem Überholmanöver auftretenden Sog- und Druckkräften zu begegnen.
Der Sachverständige G hat hingegen angenommen, ein Überholabstand von 20 m sei in einer Stromkrümmung, wie hier, zu gering. Schiffe müssten mit 30 m Seitenabstand überholen, um den Gefahren durch Sog und Druck und einer möglichen Schwankung der Kurse zu begegnen.
Diese Ansicht des Sachverständigen G steht mit den Erfahrungen der Schifffahrt auf dem Rhein nicht in Einklang. Selbst die durchaus schifffahrtskundigen Parteien und ihre Versicherer haben in diesem Rechtsstreit bis zur Vorlage des Privatgutachtens einen Seitenabstand der Schiffe von 20 m nicht als unfallursächlich angesehen.
Auch in der Rechtsprechung der Rheinschifffahrtsgerichte sind gegen einen so bemessenen Seitenabstand bei normalen Fahrwasserverhältnissen keine Bedenken erhoben worden, wie die Ausführungen von Wassermeyer (Der Kollisionsprozess in der Binnenschifffahrt, 4. Aufl. S. 206) ergeben.
Die Berufungskammer ist deshalb und unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles der Überzeugung, dass unter normalen Verhältnissen, wie sie hier vorlagen, ein Seitenabstand von 20 m für eine gefahrlose Überholung als ausreichend anzusehen ist.
Auch in einem Kurvenbereich braucht, wenn der Überholer auf der Aussenbahn fährt, wegen der Zentrifugalkräfte und wegen der gegenseitigen Sog- und Druckbeeinflussung der Schiffe kein größerer Überholabstand eingehalten zu werden. Das Bernouillische – Gesetz, das der Sachverständige Prof. H seiner Beurteilung zugrunde gelegt hat, ist nicht auf lineare Strömungsverhältnisse beschränkt, wie die Beklagten meinen.
Der gerichtliche Sachverständige H hat zur Überzeugung der Berufungskammer in seinem Gutachten dargelegt, dass das Bernouillische – Gesetz immer entlang einer Stromlinie gilt und, falls keine Wirbel (irrationale Strömungen) auftreten, auch in jedem Bereich einer Strömung als Ausdruck für das Gesetz der Energieerhaltung gilt. Hier haben die Parteien auch keine irrationalen Strömungen behauptet. Wenn die Berufungskammer einen Seitenabstand der Schiffe von 20 m als ausreichend erachtet hat, so war dafür auch die Erwägung maßgeblich, dass die Einwirkungen des strömenden Wassers in einer Stromkrümmung allen Schiffern vertraut ist. In diesem Zusammenhang durfte die Berufungskammer auch nicht das allgemeine Prinzip der Zentrifugalkraft übersehen: in einem Kurvenbereich fällt der schnellere Überholer stärker in den Hang als der langsamere Überholte. Daraus folgt hier, dass durch die Linkskurve das schnellere MS O den Überholabstand der Schiffe allenfalls erhöhte, jedenfalls nicht verringerte. Da im Unfallrevier nach linksrheinisch genügend Raum vorhanden war, kann einer geringen Erhöhung des Überholabstandes keine Bedeutung beigemessen werden. Im übrigen ist die Berufungskammer der Ansicht, dass jeder Schiffsführer kraft seiner beruflichen Erfahrung in der Lage ist, zur Aufrechterhaltung seines Überholabstandes seinen Kurs den Stromverhältnissen und der Lage im Revier anzupassen und Kursschwankungen entgegenzuwirken. In diese Richtung weisen alle Erfahrungen der Berufungskammer. Die Berufungskammer nimmt auch hier an, dass der Beklagte zu 1 als erfahrener Schiffsführer über entsprechende Erfahrungen verfügte und in der Lage gewesen ist, entsprechend seinen Verpflichtungen aus § 6.10 Nr 4 RheinSchPV erforderlichenfalls nach Backbord auszuweichen, wenn der Überholabstand ihm zu gering erschien oder sich verringerte.
Letztlich vermochte die Berufungskammer in diesem Zusammenhang auch dem Umstand keine Bedeutung beizumessen, dass es Schiffsführer R von vornherein möglich gewesen ist, einen erheblich größeren Überholabstand zu MS A als 20 m zu wählen. Auch wenn das Revier frei war, musste Rijfers mit entgegenkommenden Talfahrern rechnen, denen er als Bergfahrer einen geeigneten Weg für eine gefahrlose Begegnung freihalten musste. Er genügte insoweit seinen nautischen Pflichten, wenn er den Vorausfahrenden beim Überholen mit ausreichendem Abstand anhielt.
3. Bei der Durchführung des Überholmanövers sind beiden Parteien Fehler unterlaufen, die zum Unfall geführt haben.
a) Bei der Durchführung eines Überholmanövers hat der Überholte das Manöver durch Verringerung seiner Geschwindigkeit zu unterstützen. Dass dem Beklagten zu 1 insoweit Fehler unterlaufen sind, kann dem Beweisergebnis nicht entnommen werden.
b) Der Beklagte zu 1 hat bei dem Überholmanöver des MS O die ihm als Schiffsführer des MS A obliegende nautische Sorgfalt (§ 1.04 RheinSchPV) verletzt.
Der Beklagte zu 1 ist mit Hilfe seines Autopiloten gefahren. Sein Wendeanzeiger zeigte ihm null Grad an. Er beachtete nicht, dass sich der Seitenabstand zu dem Überholer ständig verringerte, bis es zu einem seitlichen Anstoß der Schiffe kam, der letztlich zum Sinken von MS O führte. Das entnimmt die Berufungskammer seiner eigenen Aussage im Verklarungsverfahren. Danach betrug der Abstand der Schiffe zur Zeit des ersten Funkkontakts 20 m. Als er gemerkt habe, so hat der Beklagte zu 1 angegeben, dass O in Höhe seines Vorschiffs gewesen sei, habe Schiffsführer R ihn angerufen und erklärt : „Du rennst mir in die Roef“. Zu dieser Zeit habe sein Wendeanzeiger null Grad angezeigt. O habe dann begonnen, eine Kurve nach Backbord zu machen, weil der Rheinverlauf eine solche Biegung mache. Rijfers habe wohl nicht abgewartet, bis er A endgültig überholt gehabt habe.
Aus dieser Aussage des Beklagten zu 1 ist zu entnehmen, dass er seinen Kurs nicht der Linkskrümmung des Stromes angepasst hat, was aber nach der Überzeugung der Berufungskammer erforderlich gewesen wäre, um nicht den Abstand zu dem Überholer zu verringern. Wenn sein Wendeanzeiger auf null Grad stand, lief sein Schiff geradeaus und infolge der Stromkrümmung geriet sein Schiff also weiter nach linksrheinisch. Der Beklagte zu 1 verringerte hierdurch den Überholabstand. Bei Beachtung nautischer Sorgfalt hätte er seinen Kurs nach Backbord hin berichtigen müssen, um den zuvor bestehenden Abstand beizubehalten. Hierzu war er auch verpflichtet. Der Beklagte zu 1 hätte seinen Verpflichtungen aus § 6.10 Nr. 4 und 5 RheinSchPVO Rechnung tragen, und, nachdem MS O ein Überholmanöver an der Steuerbordseite des MS A gewählt hatte, genügend Raum an derjenigen Seite müssen lassen, an der das Überholen stattfinden sollte. Erforderlichenfalls hätte er nach der anderen Seite ausweichen müssen.
Den aufgezeigten Pflichten hat der Beklagte zu 1 nicht genügt und hierdurch, wie der Sachverständige zur Überzeugung der Berufungskammer errechnet hat, im Kurvenverlauf den Seitenabstand der Schiffe laufend soweit verringert, bis der Abstand der Schiffe so gering geworden war, dass MS O nicht mehr steuerfähig war und in eine gefährliche Schleuderbewegung geriet, die zum Untergang des Schiffes führte.
Der Sachverständige H hat näher erklärt, dass die Sogwirkung, die beim Überholen von Schiffen entsteht, in zwei Zonen einzuteilen sei und zwar in eine Fernzone und in eine Nahzone.
In der Fernzone sei die Anziehungskraft der Sogwirkung schwach und abstandsunabhängig. Der Seitenabstand nehme quadratisch mit der Zeit ab.
In der Nahzone, in der der Seitenabstand im Vergleich zu dem Breitenparameter klein sei, sei die Sogkraft von der jeweiligen Schiffsgeschwindigkeit unabhängig. Man könne also die Stärke des Sogs nicht durch eine Änderung der Schiffsgeschwindigkeit beeinflussen. Die Sogkraft nehme in dem engen Kanal zwischen zwei einander im strömenden Wasser zu Berg überholenden Schiffen quadratisch mit der Strömungsgeschwindigkeit zu. Das bedeute, dass die Sogkraft umgekehrt quadratisch zu einer Abnahme des Seitenabstandes der Schiffe führe.
Weiter hat der Sachverständige H aufgrund des physikalisch – technischen Wissenstandes erläutert, dass durch die Verringerung des Seitenabstandes der Schiffe infolge des zwischen den Fahrzeugen strömenden Wassers ein sich laufend erhöhender Sog aufgebaut wurde, der in der Endphase zum Zusammenprall der jetzt manövrierunfähigen Schiffe geführt hat. Durch die Sogkräfte, so hat der Sachverständige weiter ausgeführt, sei MS O in eine Schräglage mit folgender Schlingerbewegung geraten. Diese Schlingerbewegung um die Längsachse der Schiffe sei verstärkt worden, weil O, um ein Ankommen an A zu vermeiden, Steuerbordruder gelegt habe. Soweit der Sachverständige in diesem Zusammenhang von einer „Wahrscheinlichkeit“ gesprochen hat, bezieht sich diese Bewertung auf die im gleichen Satz angesprochene „angefachte Resonanz mit einer Rollbewegung“, nicht aber auf die Schlingerbewegung. Denn die Feststellung der Schlingerbewegung beruht auf dem Ankommen der Schiffe. O hat mit dem Schanzkleid das MS A tief an der Schiffswand gestreift, was aus den beiderseitigen Schiffsschäden folgt. Die Wirkung einer Resonanz lässt sich hingegen nicht sicher feststellen, mag dafür auch eine gewisse Wahrscheinlichkeit sprechen.
Der auf O einwirkende Sog wurde, wie der Sachverständige H zur Überzeugung der Berufungskammer weiter ausgeführt hat, durch das erste Ankommen an MS A zunächst beendet. Indem sich O aber von A löste, wurde eine neue Sogwirkung aufgebaut, die zu einem zweiten Ankommen von A an das schlingernde O führte. O erhielt einen solchen Stoß, dass dieses Schiff unter Wasser gedrückt wurde und sank. Der Sachverständige hat so das zweimalige Ankommen des MS O an MS A überzeugend erklärt. Auf ein zweimaliges Ankommen deuten auch die Schäden an beiden Fahrzeugen.
Soweit der Sachverständige H technisch – physikalische Probleme des Haftens der Strömung an den Schiffswänden, eine zusätzliche Trift der Schiffe in Form einer Querströmung von aussen nach innen unterhalb der Schiffsböden und eine Reduzierung des Innen- und Aussendrucks durch eine Querströmung erörtert hat, erklären diese physikalischen Gründe zwar die Herabsetzung der Sogwirkung zweier Schiffe im Bereich von 2 m Seitenabstand, diese Fragen sind aber hier für die Beurteilung des Rechtsstreits ohne Bedeutung, weil es zu einem so geringen Seitenabstand erst gar nicht kommen durfte.
Für die Beurteilung des hier in Rede stehenden Unfalls ergibt sich daraus folgendes :
Der Beklagte zu 1 konnte zwar, als der Abstand der Schiffe kritisch geworden war, die Sogkräfte beider Schiffe nicht mehr durch die Maschinenkraft seines Schiffes beeinflussen. Bevor aber der Abstand der Schiffe überhaupt geringer wurde, hätte er durch geeignete Ruderbewegungen seinen Kurs im Kurvenbereich so korrigieren müssen, dass der ursprünglich eingehaltene Seitenabstand der Schiffe sich nicht verringerte. Das hätte er von vornherein in Rechnung stellen müssen. Schiffsführer Rijfers hat seinen Angaben zufolge seinen Kurs, den er mit Hilfe eines Autopiloten steuerte, laufend korrigiert. Ebenso hätte Schiffsführer M verfahren müssen, um seinen Sorgfaltspflichten bei der Durchführung des Überholmanövers zu genügen. Seinen Kurs hat er nach seiner eigenen Aussage jedoch nicht korrigiert, sondern ist mit Hilfe des Autopiloten geradeaus weitergefahren und hat dabei den Überholabstand der Schiffe laufend verringert, bis es zum Zusammenstoß kam. Im Rahmen seiner nautischen Sorgfaltspflichten war Schiffsführer M demgegenüber gehalten, ständig den Abstand zwischen den einander überholenden Schiffen im Auge zu halten, um bei der geringsten Verringerung des Abstandes zu reagieren. Das hat Schiffsführer van Maaren schuldhaft unterlassen.
c) Die Beklagten meinen im Rahmen ihrer Ausführungen zu dem Gutachten des Sachverständigen H, der Beklagte zu 1 habe von seinem Standort im Ruderhaus des MS A den sich verringernden Seitenabstand der Schiffe infolge der zur Unfallzeit herrschenden Dunkelheit nicht sehen können. Dieses Vorbringen vermag die Beklagten nicht zu entlasten.
Die Sichtverhältnisse zur Unfallzeit schlossen nach der Überzeugung der Berufungskammer eine ausreichende Einschätzung des Überholabstandes während des ganzen Verlaufs des Überholmanövers durch den Beklagten zu 1 nicht aus. Auch wenn zur Unfallzeit Dunkelheit herrschte, war die Sicht zur Unfallzeit klar, wie zwischen den Parteien unstreitig ist. Gegen die Beleuchtung der Brücke bei Krefeld und die Uferbeleuchtung im Revier bei Krefeld – Uerdingen hatte der Beklagte zu 1 die Möglichkeit, den Überholer ständig im Blick zu haben und den Abstand der Schiffe laufend zu überwachen. MS O war für die Nachtfahrt hinreichend ausgerüstet und musste das nach § 3.08 Nr. 2 lit. c RheinSchPV vorgeschriebene Hecklicht führen, das nach Anlage 3 zur Rheinschifffahrtspolizeiverordnung (Bild 1) über einen Horizontbogen von 135 Grad sichtbar sein musste. Zwar mag vom Standpunkt der praktischen Psychologie aus, wie der Privatsachverständige Glansdorp angenommen hat, eine zutreffende Beurteilung des Abstandes zweier Schiffe in der hier gegebenen Situation und unter den hier gegebenen Bedingungen Schwierigkeiten bereiten und zu Fehlbeurteilungen führen. Eine Fehleinschätzung dieser Art kann nach der Überzeugung der Berufungskammer aber nur unerfahrenen Personen unterlaufen. Erfahrenen Schiffsführern unterläuft eine solche Fehlbeurteilung nicht, weil sie aufgrund ihrer beruflichen Erfahrung mögliche Fehlerquellen von vornherein in Rechnung stellen und ausschließen. Ein Schiffsführer kann im Unfallrevier gegen die Straßen- und Uferbeleuchtung sein Schiff bis zum Bug deutlich überblicken und an dem Schiffskörper des Überholers, insbesondere an dessen Hecklicht, den Abstand der Schiffe hinreichend deutlich einschätzen, so dass er in der Lage ist, eine Verringerung des Seitenabstandes rechtzeitig wahrzunehmen und dieser entgegenzuwirken.
4. Weitere Vorwürfe sind dem Beklagten zu 1 nicht zu machen. Insbesondere kann ihm nicht vorgeworfen werden, die Geschwindigkeit seines Schiffes nicht weiter reduziert zu haben, um MS O im letzten Teil der Geschehnisse den Abschluss des Überholmanövers zu erleichtern. Hierzu hat der Sachverständige H zur Überzeugung der Berufungskammer ausgeführt, dass eine zusätzliche Reduzierung der Geschwindigkeit das MS A ständig und damit manövrierunfähig gemacht hätte.
5. Auch Schiffsführer R trifft der Vorwurf eines mitwirkenden Verschuldens an dem Unfall.
a) Ein Überholer ist bei Durchführung dieses Manövers im Rahmen seiner nautischen Sorgfaltspflichten gehalten, jeglichen Gefährdungen des eigenen Schiffes und anderer Verkehrsteilnehmer vorzubeugen. Hier war Schiffsführer R verpflichtet, den Überholabstand ständig zu kontrollieren, um Gefahren vorzubeugen. Das aber hat er schuldhaft unterlassen.
Der Sachverständige H hat berechnet, dass die Verringerung des Überholabstandes anfänglich nicht im wesentlichen durch die wechselseitige Sogwirkung hervorgerufen sein kann, sondern auf eine falsche Kurseinstellung des Autopiloten des MS A zurückzuführen ist, die je nach der Fehleinstellung der momentanen Winkelgeschwindigkeit und der wirkenden Zeitspanne einige Meter betragen könne. Hinzu komme, so hat der Sachverständige ausgeführt, eine Verschiebung des MS A nach Steuerbord durch das backbordseitig flach anströmende Wasser, das je nach der Fehleinstellung des Steuerbordruders relativ schwach wirke, dessen Strömungsgeschwindigkeit jedoch mehr als doppelt so hoch wie die Geschwindigkeit des MS A gewesen sei.
Die von dem Sachverständigen H festgestellte Verringerung des Überholabstandes der Schiffe hätte auch Schiffsführer R bei der gebotenen Sorgfalt im Rahmen eines Überholmanövers feststellen können. Schließlich fuhren beide Schiffe mit geringem Abstand nebeneinander bei dem Überholvorgang und Schiffsführer R konnte von seinem Steuerhaus das MS A ohne Schwierigkeiten sehen.
Auch die Dunkelheit hinderte ihn daran nicht. Bei der notwendigen Beobachtung des überholten Schiffes musste er auch ständig den Überholabstand im Auge halten und seinen Kurs danach einrichten. Verringerte sich dieser Abstand, gleichviel aus welchen Gründen, hätte er sofort nach Steuerbord hin ausweichen können und müssen, wo hinreichend Raum vorhanden war. Bei den herrschenden Beleuchtungsverhältnissen wäre er dazu auch in der Lage gewesen, wenn er den Überholabstand ständig im Auge gehalten und überwacht hätte. Hätte Schiffsführer R seinen Sorgfaltspflichten entsprochen, wäre ihm nach der Überzeugung der Berufungskammer die Verringerung des Überholabstandes nicht entgangen und er hätte rechtzeitig gegengesteuert und so den Unfall verhindert. Hierin liegt sein Mitverschulden.
b) Soweit Schiffsführer R vorgeworfen worden ist, mit einem fahruntüchtigen Schiff gefahren zu sein und hierdurch den Unfall verschuldet zu haben, reichen die getroffenen Feststellungen zur Annahme von Vorwürfen in diese Richtung nicht aus.
Der Sachverständige H hat den Verdacht geäussert, dass MS O nicht die zur Fahrt auf dem Rheinstrom erforderliche Stabilität gehabt habe. Diesem Verdacht konnte der Sachverständige nicht nachgehen, weil die zur rechnerischen Überprüfung der Stabilität des MS O notwendigen Baupläne von den Parteien nicht vorgelegt werden konnten. Insoweit bedurfte es nach der Überzeugung der Berufungskammer keiner weiteren Sachaufklärung, weil MS O ein gültiges Schiffsattest hatte und Schiffsführer R annehmen durfte, über ein fahrtaugliches Schiff zu verfügen. Ehe ein Rheinschiff in Fahrt gesetzt wird, prüft die Rheinschiffsuntersuchungskommission die Stabilität eines Schiffes aufgrund der vorzulegenden Baupläne. Erst dann wird das Schiffsattest erteilt. Darauf darf sich ein Schiffsführer, der, wie hier Schiffsführer R, im Besitz eines solchen Attestes war, ohne fahrlässig zu handeln, verlassen.
Auch wenn MS O im technischen Sinne schlank und rank gewesen sein sollte, besagt das für sich nichts, weil schmale Schiffe mit einem hoch liegenden Gewichtsschwerpunkt durchaus einen ausreichenden Stabilitätsumfang haben können (Claviez, Seemänisches Wörterbuch, 3. Aufl. S. 291, Stichwort: rank). Wäre MS O durch seine Bauart stabilitätsgefährdet gewesen, wäre das nach der Überzeugung der Berufungskammer der Rheinschiffsuntersuchungskommission bei der Ausstellung des Schiffsattestes nicht entgangen.
Es kann auch nicht angenommen werden, dass Schiffsführer R die Fahruntüchtigkeit seines Fahrzeugs gekannt hat oder sich ihm die Fahrtuntüchtigkeit mindestens hätte aufdrängen müssen.
Zwar ist zwischen den Parteien ausser Streit, dass MS O am 28.1994 bei Neckar – km 48 einmal gesunken war. Nach dem zu den Akten gereichten Interventionsbericht des Experten G vom 23.2.1994 beruhte dieser Unfall des MS O darauf, dass plötzlich die Ladung ins Rutschen kam. Dieser Unfall brauchte Schiffsführer R nicht die Überzeugung zu vermitteln, sein Schiff sei fahruntüchtig; denn sein Schiff blieb weiterhin in Fahrt. Nach jedem Unfall muss die zuständige Schiffsuntersuchungskommission eine Sonderuntersuchung des Schiffs vornehmen (§ 2.08 RheinSchUO 1995). Hätte sich ergeben, dass MS O erhebliche Mängel aufgewiesen hätte und durch diese Mängel die Sicherheit der an Bord befindlichen Personen und die Schifffahrt gefährdet war, hätte das Schiffsattest zurückbehalten und das Fahrzeug stillgelegt werden müssen. Dass MS O weiter in Fahrt blieb und über ein gültiges Schiffsattest verfügte, zeigt der Berufungskammer, dass die Schiffsuntersuchungskommission seinerzeit keine Bedenken gegen die Stabilität des MS O hatte. Unter diesen Umständen durfte Schiffsführer R auf die Fahrtüchtigkeit seines Fahrzeugs, ohne fahrlässig zu handeln, vertrauen.
6. Da der Unfall auf dem gemeinsamen Verschulden der beiden beteiligten Schiffe beruht, hatte die Berufungskammer im Rahmen des § 92 c BinnSchG nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Gesetzes eine Schadensverteilung nach dem Verhältnis der Schwere des auf jeder Seite obwaltenden Verschuldens vorzunehmen. Das Maß der Verursachung war dabei nicht zu berücksichtigen. In diesem Rahmen hat die Berufungskammer berücksichtigt, dass das Primärverschulden bei dem Beklagten zu 1 liegt. Der Beklagte zu 1 hat durch die unterbliebene Korrektur seines mit Hilfe des Autopiloten gesteuerten Kurses die maßgebliche Unfallursache bewirkt. Denn sein Kurs musste zwangsläufig den des Überholers in der Linkskrümmung des Stromes schneiden. Sodann hat er durch die unterbliebene genaue Beobachtung des Überholabstandes beider Schiffe ebensowenig wie Schiffsführer R die Verringerung des Abstandes wahrgenommen, so dass es zu Schlingerbewegungen des MS O mit der Folge des Sinken dieses Schiffes kam. Diese Feststellungen rechtfertigen es, den Schaden zu 2/3 den Beklagten und zu 1/3 der Klägerin aufzuerlegen.
7. Zur Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens entsprechend den Anträgen der Beklagten sah die Berufungskammer keine Veranlassung.
Die technisch-physikalischen Fragen hat der Sachverständige H geklärt. Gegen dessen Berechnungen haben die Parteien nichts erinnert.
Die verbliebenen nautischen Fragen vermochte die Berufungskammer aus eigenem Wissen zu beantworten.
8. Bei dieser Sachlage konnte das angefochtene Urteil keinen Bestand haben. Auf die Berufung der Klägerin musste das angefochtene Urteil teilweise abgeändert werden. Zu 2/3 war die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt zu erklären und im übrigen abzuweisen. Soweit die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt worden ist, war der Rechtsstreit zur weiteren Verhandlung und Entscheidung über die Höhe des Klageanspruchs an das Rheinschifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort zurückzuverweisen, dem auch die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens zu übertragen war.
9. Aus den dargelegten Gründen wird für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 7. Dezember 1998 verkündete Urteil des Rheinschifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort – 5 C 39/96 BSch – wie folgt teilweise abgeändert:
Die Klage ist dem Grunde nach zu 2/3 gerechtfertigt.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Zur weiteren Verhandlung und Entscheidung über die Höhe des Klageanspruchs wird der Rechtsstreit an das Rheinschifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort zurückverwiesen, dem auch die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens übertragen wird.
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2001 - Nr.3 (Sammlung Seite 1818 ff.); ZfB 2001, 1818 ff.