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393 Z - 6/99 - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 10.06.1999
Aktenzeichen: 393 Z - 6/99
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt

Urteil

vom 10. Juni 1999

393 Z – 6/99

(auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 24. August 1998)

- 5 C 3/97 BSch -

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Folgen eines Schiffsunfalls, der sich am 22. August 1995 gegen 21.15 Uhr auf dem Rheinstrom bei Km 814,3 – Ortslage Wesel – ereignet hat. Der Kläger ist der Versicherer des MS E (1.177 t groß; 80 m lang; 9,60 m breit; Leertiefgang 1,3 m; 560 PS stark). Er klagt aus übergegangenem und abgetretenen Recht des Schiffseigners und Schiffsführers Lothar Jarzombek in Haren/Ems. Der Beklagte ist der Eigner und Schiffsführer des MS S (376 t groß; 350 PS stark), das zur Unfallzeit mit ca. 299 t Extrazit beladen war. Zu der genannten Zeit verließ das leere MS E den Wesel-Datteln-Kanal, um die Talfahrt auf dem Rhein fortzusetzen. MS E folgte dem langsam vorausfahrenden MS S. Der Beklagte beabsichtigte, mit MS S die Nacht an der nur wenig unterhalb befindlichen Kaimauer von Wesel zu verbringen. MS E lief MS S etwas versetzt zur Strommitte hin schnell auf und wollte dieses Schiff überholen. Dabei stieß E mit seinem Steuerbordvorschiff gegen das Heck des MS S. Der Aufprall erfolgte zwischen Mitschiff und Backbordaußenseite von S. Der Kläger hat behauptet, MS E habe sich ca. 15 m seitwärts der Backbordseite des MS S befunden, als dieses Schiff plötzlich über Steuerbord aufgedreht habe. Hierdurch sei das Heck dieses Schiffes in die Kurslinie des MS E geraten. Schiffsführer J von MS E habe vergeblich versucht, nach Backbord auszuweichen. Durch dieses unzulässige Aufdrehmanöver habe MS S den Unfall verursacht.

Der Kläger hat den Unfallschaden näher auf 43.617,65 DM beziffert und die Voraussetzungen des Zahlungsverzuges dargetan.

Der Beklagte hat sein Schiff in Kenntnis des Unfalls und seiner Folgen zu weiteren Reisen ausgesandt.

Der Kläger hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, außer dinglich haftend mit dem MS S im Rahmen des Binnenschiffahrtsgesetzes auch persönlich haftend an den Kläger 43.617,65 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 1.9.1995 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat vorgetragen, er habe seine Fahrt verlangsamt, um aufzudrehen. Zunächst habe er aber noch das von hinten herankommende MS E überholen lassen wollen. Als sich E auf ca. 100 m genähert habe, habe er festgestellt, daß E nicht nach Backbord gehalten habe, sondern auf Kollisionskurs geblieben sei. Er habe deshalb Achtung-Signal gegeben. E habe darauf seinen Kurs zu Strommitte hin geändert. Er, der Beklagte, habe noch versucht, die Geschwindigkeit seines Schiffes zu erhöhen, um eine Anfahrung zu vermeiden. E sei auf sein gestreckt im Strom liegendes Schiff aufgefahren. Er habe keine Kursänderung mehr vorgenommen, weder nach Backbord noch nach Steuerbord, weil ein Ausweichen nicht mehr möglich gewesen sei. Der Unfall beruhe darauf, daß E mit einem zu knappen Seitenabstand überholt habe.

Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Verklarungsakten 5 II 7/95 Schiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort und die Bußgeldakten 5 OWi 16 Js 1062/95 (276/95) BSch Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort beigezogen und nach Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen E durch das am 24. August 1998 verkündete Urteil die Klage abgewiesen.

Zur näheren Begründung seiner Entscheidung hat das Rheinschiffahrtsgericht ausgeführt, der Kläger habe nicht bewiesen, daß der Beklagte den Unfall durch ein unzulässiges Aufdrehmanöver verschuldet habe. Die verbleibenden Zweifel gingen zu Lasten des beweispflichtigen Klägers.

Die Angaben der unfallbeteiligten Schiffsführer und von Frau Blondeau über die Manöver der beteiligen Schiffe widersprächen sich. Die Angaben des Zeugen Wattjes in Verbindung mit denen von Schiffsführer Jarzombek ließen zwar ein bereit eingeleitetes Wendemanöver als möglich erscheinen, es blieben jedoch erheblich Zweifel. Nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. Emmig müsse MS „Saint Vaast II“ im Zeitpunkt der Anfahrung eine Schräglage nach Steuerbord von 10 bis 30 Grad gehabt haben. Gehe man aber zu Gunsten dieses Schiffes von 10 Grad aus könne ein bereits eingeleitetes Wendemanöver nicht festgestellt werden, weil „Saint Vaast II“ möglicherweise nur noch mit der Strömung getrieben sei und diese leichte Steuerbordschräglage hierauf und nicht auf ein Rudermanöver zurückzuführen sei. Auch sei es möglich, daß der Beklagte im letzten Moment noch nach Steuerbord gehalten habe, um „Egesi“ noch auszuweichen. Da das stark motorisierte MS „Saint Vaast II“ nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. Emmig sehr schnell habe drehen können, habe dieses Schiff eine Schräglage von 10 Grad in kurzer Zeit erreichen können.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt und die Entscheidung der Berufungskammer der Zentralkommission erbeten. Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger seinen Klageanspruch weiter.

Zur Begründung seiner Berufung trägt der Kläger vor, der Unfall sei durch das unklare Verhalten der Schiffsführung des MS S beim Aufdrehen verursacht worden. MS S habe die Absicht gehabt, auf Höhe des Hafens Wesel auszudrehen, um hier zu übernachten. Dieses Manöver habe er nicht rechtzeitig durch Signale oder über Funk angekündigt. So sei es zu der Anfrage über Funk gekommen, was MS S beabsichtige. MS E habe vor dem Erreichen des MS S Backbordkurs genommen. Durch diese scharfe Kursänderung wäre eine Freifahrung des MS S gelungen, wenn dieses Schiff seine Lage unverändert beibehalten hätte. MS S habe jedoch gedreht. Durch dieses Manöver sei sein Heck zur Strommitte hin ausgewandert und der Abstand zu dem Vorschiff von E sei verkürzt worden. Das Manöver des MS S könne nicht als ein solches des letzten Augenblicks entschuldigt werden.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach ihrem erstinstanzlichen Schlußantrag zu erkennen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und tritt den Ausführungen des Klägers entgegen.

Entscheidungsgründe:

Die in formeller Hinsicht bedenkenfreie Berufung des Klägers konnte in der Sache keinen Erfolg haben.

Das Rheinschiffahrtsgericht hat mit Recht ein unfallursächliches Verschulden des Beklagten an dem Unfall vom 22. August 1995 im Revier bei Wesel nicht als erwiesen erachtet. Der Beweiswürdigung in dem angefochtenen Urteil tritt die Berufungskammer bei.

1. Schiffsführer J von MS E hat bei seiner Vernehmung im Verklarungsverfahren als Zeuge angegeben, daß er mit einem Seitenabstand von ca. 15 Meter zum Überholen des mit minimaler Geschwindigkeit vor ihm zu Tal fahrenden MS S auf dessen Backbordseite angesetzt habe. Plötzlich habe MS S über Steuerbord gedreht und dessen Heck sei in seinen Kurs geschwenkt. Diesen Angaben steht die Aussage des Beklagten im Verklarungsverfahren entgegen, wonach MS S in gestreckter Lage zu Tal getrieben und MS E seinem Schiff mit deutlich höherer Geschwindigkeit aufgelaufen ist, ohne zwecks Überholung zur Strommitte hin auszuweichen. Er habe ein Warnsignal gegeben und versucht, die Geschwindigkeit seines Schiffes zu erhöhen, um den Unfall zu vermeiden. Er habe jedoch weder Manöver nach Backbord noch nach Steuerbord hin gemacht.

Die Zeugin B. hat die Angaben ihres Ehemannes bestätigt.

Diese Aussagen lassen für sich gesehen nicht die Feststellung zu, daß der Beklagte überhaupt bei Annäherung des MS E versucht hat, über Steuerbord aufzudrehen. Hiergegen spricht, daß Schiffsführer B das mit höherer Geschwindigkeit leer zu Tal auflaufende MS E gesehen und noch ein Schallsignal gegeben hat, um E zu warnen, weil E zwar nicht direkt in Kiellinie, sondern ein wenig zur Steuerbordseite hin versetzt gefahren ist, wie er weiter im Verklarungsverfahren ausgesagt hat. Erst nachdem er zwei Warntöne gegeben habe, so hat der Beklagte weiter angegeben, sei das hinter ihm fahrende Schiff nach Backbord gewechselt.

2. Aus den Bekundungen des im Verklarungsverfahren vernommenen Zeugen W von MS M vermag auch die Berufungskammer keine zweifelsfreie und eindeutige Bestätigung der Angaben von Schiffsführer J zu entnehmen.

 Die Angaben des Zeugen W geben keine sicheren Aufschlüsse darüber, ob MS S unmittelbar vor MS E über Steuerbord zu wenden versucht hat. Denn der Zeuge W hat den Zusammenprall der unfallbeteiligten Schiffe als solchen nicht gesehen. Daß MS S durch den Zusammenprall sich um 180 Grad gedreht hat, was W wahrgenommen und bezeugt hat, besagt nichts über die Lage der Schiffe im Strom vor ihrem Zusammenprall. Ebensowenig kann aus der Frage von Schiffsführer J über Funk kurz vor dem Zusammenprall : „Was machst Du da ?“ eindeutig geschlossen werden, daß der Beklagte ein in der gegebenen Situation gefährliches Wendemanöver begonnen hatte.

3. Die Berufungskammer vermochte auch keine anderen Feststellungen als das Rheinschiffahrtsgericht aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen E zu treffen.

 Wenn der Sachverständige aus den beiderseitigen Unfallschäden auf eine Schräglage des MS S im Zeitpunkt der Anfahrung von 10 bis 30 Grad geschlossen hat, war es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, wenn das Rheinschiffahrtsgericht von der dem Beklagten günstigsten Schräglage von 10 Grad für die weitere Beurteilung ausgegangen ist; denn der Kläger trägt die Beweislast für seine im Streit stehende Behauptung, daß der Beklagte im Zusammenhang mit einem Überholmanöver des MS E ein Wendemanöver – hier zudem ohne vorherige Ankündigung – eingeleitet hat. Das ergibt sich aus dem allgemeinen Grundsatz, daß ein Kläger seine klagebegründenden Behauptung zu beweisen hat.

Aus einer Schräglage des MS S von 10 Grad im Zeitpunkt der Anfahrung kann, wie das Rheinschiffahrtsgericht mit Recht angenommen hat, nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit auf ein bereits begonnenes Wendemanöver dieses Schiffes geschlossen werden, denn diese Schräglage kann darauf zurückzuführen sein, daß MS S ohne nennenswerten Vorausgang der Maschine im Strom trieb. Ein treibendes Schiff wie MS S konnte im Revier bei Wesel schon deshalb eine leichte Schräglage nach Steuerbord einnehmen, weil der Rhein in diesem Teil des Reviers eine Linkskrümmung beschreibt, wodurch ein treibendes Schiff beeinflußt und eine Schräglage nach Steuerbord hin einnehmen kann.

 Daß der Beklagte im Verklarungsverfahren bei seiner Aussage die Lage seines Schiffes im Strom als gestreckt bezeichnet hat, steht der Annahme einer Schräglage von 10 Grad nicht entgegen, da eine Abweichung des Kurses von 10 Grad von der Stromachse unerheblich ist und bei einem treibenden Schiff von dem verantwortlichen Schiffsführer nicht als ungewöhnlich erachtet wird.

 Soweit das Rheinschiffahrtsgericht ein Rudermanöver des Beklagten im letzten Teil der Geschehnisse erörtert hat und der Frage nachgegangen ist, ob darin ein Manöver des letzten Augenblicks liegt, kann diese Frage auf sich beruhen, da der Beklagte selbst sich auf kein derartiges Manöver berufen hat. Er hat vielmehr seinen Angaben im Verklarungsverfahren zufolge, keinerlei Rudermanöver vorgenommen und nur versucht, durch Einsatz seiner Maschinenkraft den Unfall zu vermeiden.

4. Da nicht festgestellt werden kann, daß der Beklagte vor dem aufgelaufenen MS E ein Wendemanöver eingeleitet hat, kommt es nicht darauf an, welche Pflichten ein Schiffsführer vor dem Beginn eines solchen Manövers zu beachten hat. Die Absicht, demnächst ein solches Wendemanöver einzuleiten, zwingen noch nicht dazu, ein solches Manöver anderen Verkehrsteilnehmern anzukündigen. Ein Schiffsführer darf vielmehr ein solches Manöver solange zurückstellen, bis er dies ohne jede Gefahr für das eigene Schiff und für Dritte ausführen kann. Er durfte insbesondere auch einen Überholer zunächst vorbeifahren lassen. Indem der Beklagte sein Schiff treiben ließ und abwartete, bis er sein beabsichtigtes Wendemanöver in Angriff nahm, behinderte und gefährdete er die durchgehende Schiffahrt nicht, da das Revier frei war. Ihm können deshalb auch insoweit keine Vorwürfe gemacht werden. MS E hätte ohne Schwierigkeiten in dem im übrigen freien Revier einen erheblichen Abstand von dem beladenen und kleinen MS S zur Strommitte hin halten können, auch wenn in diesem Teil des Reviers nach § 9.04 RheinSchPV nach den Grundsätzen der geregelten Begegnung zu fahren ist.

Nach alledem mußte es bei der Entscheidung in dem angefochtenen Urteil sein Bewenden haben.

5. Die Kosten des Berufungsverfahrens waren dem Kläger gemäß § 97 Abs. 1 ZPO aufzuerlegen.

6. Aus den dargelegten Gründen wird für Recht erkannt :

Die Berufung des Klägers gegen das am 24. August 1998 verkündete Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort – 5 C 3/97 BSch – wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.

Die Festsetzung dieser Kosten gemäß Artikel 39 der Revidierten Rheinschiffahrtsakte erfolgt durch das Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort.