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Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
Urteil
vom 3. März 1999
389 Z – 2/99
(auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 18. Mai 1998 - 5 C 26/97 BSch -)
Tatbestand:
Die Parteien streiten um die Folgen eines Schiffsunfalls, der sich am 31.7.1995 gegen 2.30 Uhr auf dem Rheinstrom bei km 643 - Ortslage Nonnenwerth - ereignet hat. Die Klägerin ist der führende Versicherer des 2.222 ts großen und 1.124 KW starken MTS M (109,90 m lang, 9,04 breit, 3,13 m tief), das zur Zeit nachbeschriebener Ereignisse von dem Zeugen B verantwortlich geführt worden ist. Die Beklagte zu 1 ist Eigentümerin des 964 ts großen und 576 KW starken MTS S (79,75 m lang, 9,49 m breit, 2,52 m tief), dessen Schiffsführer der Beklagte zu 2 gewesen ist.
Zu der angegebenen Zeit befand sich das mit 665.264 kg Ammoniak beladene MTS S bei einem Tiefgang von 2,25 m in der Talfahrt von Ludwigshafen nach Antwerpen. Es herrschte Dunkelheit mit guter Sicht. MTS S fuhr rechtsrheinisch. Linksrheinisch kam das zu Berg fahrende MTS M entgegen. Die Kurse beider Schiffe lagen so, daß eine Begegnung Backbord an Backbord problemfrei möglich war. Die Schiffe hatten weder ein Blinklicht gesetzt, noch wurden zwischen den beteiligten Schiffsführern Absprachen über Funk getroffen. Es wurden auch keine Schallsignale abgegeben. Bei einem Abstand der Schiffe von 100 - 200 m wurden die Kurse geändert und es kam zu einer Kollision, wobei das Backbordvorschiff von MTS M mit dem Backbordachterschiff von MTS S kollidierte.
Bei dem Unfall wurden beide Schiffe beschädigt. Die Beklagte zu 1 hat ihr Schiff in Kenntnis des Unfalls und seiner Folgen zu neuen Reisen ausgesandt.
Aus Anlaß des Unfalls hat die Wasserschutzpolizei in Bonn gegen Schiffsführer Brand ein Bußgeldverfahren durchgeführt (A 5 - 21/627 - 95 WSP-Wache Bonn).
Die Klägerin hat behauptet, TMS M habe bei der Annäherung der Schiffe keine Kursänderung vorgenommen. Plötzlich habe MTS S Backbordkurs genommen und sei auf MTS M zugekommen. TMS M habe noch vergeblich versucht, nach Steuerbord hin auszuweichen. TMS S habe seinen Kurs zu spät korrigiert.
Die Klägerin hat ihren Schaden näher auf 45.922,80 DM beziffert und die Voraussetzungen des Zahlungsverzuges behauptet.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 45.944,80 DM nebst 4% Zinsen seit dem 1.6.1996 zu zahlen und zwar die Beklagte zu 1 sowohl dinglich haftend mit dem ihr gehörenden TMS S als auch persönlich haftend im Rahmen des Binnenschiffahrtsgesetzes.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagten haben vorgetragen, MTS M sei plötzlich in den Kurs des MTS S gefahren. Um den Anfahrungswinkel zu verringern, habe Schiffsführer RBackbordruder gegeben und habe hierdurch sein Achterschiff wegfahren können. Statt mittschiffs sei MTS S infolge dieses Manövers in einem flachen Winkel in Höhe des letzten Backbordtanks angefahren worden. Der Kollisionsort habe etwa 40 m aus dem rechten Ufer gelegen.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat nach Vernehmung des Zeugen B und unter Verwertung der Aussage des Zeugen D aus dem Rechtsstreit 5 C 58/96 BSch Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort im Wege des Urkundsbeweises durch das am 18. Mai 1998 verkündete Urteil die Klage abgewiesen. Das Rheinschiffahrtsgericht hat nicht als erwiesen erachtet, daß der Beklagte zu 2 durch eine Kursänderung die Kollision der Schiffe verschuldet habe.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie geltend macht, TMS S habe vor der Begegnung Backbordkurs genommen. Durch diesen Kurs sei TMS S in das Fahrwasser des TMS M gekommen. Den Beklagten obliege die Beweislast dafür, daß der Beklagte zu 2 zu diesem Kurs durch die Fahrweise des TMS M gezwungen worden sei. Sie sieht deshalb ein Verschulden des Beklagten zu 2 als erwiesen an.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach ihrem erstinstanzlichen Klageantrag zu erkennen.
Die Beklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagten verteidigen das angefochtene Urteil und treten den Ausführungen der Klägerin entgegen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin konnte keinen Erfolg haben.
1. Die Klägerin hat nicht den ihr obliegenden Nachweis für ein Verschulden des Beklagten zu 2 an dem Unfall vom 31.7.1995 geführt.
In Übereinstimmung mit dem Rheinschiffahrtsgericht vermochte auch die Berufungskammer bei erneuter Würdigung des erstinstanzlichen Beweisergebnisses unter Abwägung aller Umstände des Falles kein unfallursächliches Verschulden des Beklagten zu 2 festzustellen. Dem Beklagten zu 2 als verantwortlicher Schiffsführer des zu Tal fahrenden TMS S kann entgegen der Ansicht der Klägerin nicht vorgeworfen werden, den ihm von dem zu Berg fahrenden TMS M gewiesenen geeigneten Weg nicht genommen und seinen Kurs in einer Weise geändert zu haben, daß hierauf der Zusammenstoß der beiden Tankmotorschiffe zurückgeführt werden kann.
2. Es kann auf sich beruhen, ob das Rheinschiffahrtsgericht im Wege des Urkundsbeweises auch die vorliegende Aussage des Beklagten zu 2 aus dem Parallelrechtsstreit 5 C 58/96 BSch Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort im Rahmen seiner Beweiswürdigung hätte heranziehen und verwerten müssen, nachdem sich die Beklagten in ihrer Klagebeantwortung vom 22.8.1997 ausdrücklich auf den Inhalt und das Beweiserbieten in der Klageschrift dieses Rechtsstreits bezogen hatten; denn die Beklagten haben auf den möglichen Urkundenbeweis nicht ausdrücklich hingewiesen und in der Berufungsinstanz vor der Berufungskammer das Verfahren des Rheinschiffahrtsgerichts nicht beanstandet. Sie haben auch jetzt nicht unter Hinweis auf das vorliegende Sitzungsprotokoll vom 17.7.1998 den Urkundenbeweis geführt. Die Berufungskammer hatte deshalb keine Veranlassung, von sich aus die Vernehmung des Beklagten zu 2 aus dem Parallelprozess in den Rechtsstreit einzuführen und bei der erneuten Beweiswürdigung zu berücksichtigen.
3. Auch wenn in diesem Rechtsstreit die Aussage des Beklagten zu 2 im Parallelprozess nicht im Wege des Urkundenbeweises berücksichtigt werden konnte, hingegen die Aussagen des Zeugen B gegen die des Zeugen D nach allgemeinen Beweisgrundsätzen abzuwägen waren, vermochte die Berufungskammer im wesentlichen zu keinen anderen Feststellungen als im Urteil vom 3. März 1999 (380 Z - 12/98) zu gelangen:
Auszugehen hatte die Berufungskammer von der Erwägung, daß beide Zeugen nicht als völlig neutrale Zeugen angesehen werden können, weil Drobben Mitglied der Besatzung des Talfahrers und B der Schiffsführer des Bergfahrers gewesen ist. Unter diesen Umständen ist gegenüber beiden Zeugenaussagen eine gewisse Zurückhaltung geboten. Gleichwohl lassen die Zeugenbekundungen sichere Feststellungen zu.
Der Zeuge D hat seinen Angaben zufolge wahrgenommen, daß TMS S etwa 30 - 50 m aus dem rechten Ufer zu Tal gefahren ist und seinen Kurs wegen rechtsrheinisch befindlicher Kribben nicht weiter nach Steuerbord hätte verlegen können. TMS M sei in der Mitte des Fahrwassers gefahren. Drobben hat weiter angegeben, das zu Berg fahrende TMS M habe seinen Kurs auf eine Schiffslänge Abstand beider Schiffe nach Backbord hin geändert und in den des TMS S verlegt. Ob der Beklagte zu 2 noch versucht hat, den Unfall abzuwenden, will Drobben nicht mehr gesehen haben. Nach dem Unfall soll TMS S eine Backbordschräglage gehabt haben, woraus D geschlossen hat, daß der Beklagte zu 2 noch seinen Kurs nach Backbord hin gerichtet habe.
Demgegenüber hat der Zeuge Brand angegeben, TMS S sei in dem üblichen Kurs der Talfahrt, etwa in Strommitte, zu Tal gefahren. Als sich die Schiffe auf etwa 300 m genähert gehabt hätten, sei S mit Backbordkurs auf ihn zugekommen. Er selbst habe nicht nach Steuerbord hin ausweichen können, weil er wegen seines Tiefgangs befürchtet habe, auf Grund zu laufen. Beide Schiffe hätten dann Steuerbordkurs genommen. Beim Erkennen der gefährlichen Situation habe er noch etwas Steuerbordruder gegeben und sogar noch vom Autopiloten auf die Handsteuerung umgestellt, damit das Ruder schneller reagierte. Das habe aber nicht mehr ganz gereicht. Im Moment der Kollision habe sein Schiff eine leichte Backbordschräglage von 15 Grad gehabt. Der Talfahrer habe hingegen gestreckt gelegen.
Bei dieser Sachlage läßt sich nicht verkennen, daß beide Zeugenaussagen einander in der Frage widersprechen, wer seinen Kurs in den des Gegenfahrers verlegt hat. Wenn die Berufungskammer glaubte in dieser entscheidenden Frage den Bekundungen des Zeugen D folgen zu können, so war dafür ausschlaggebend, daß der Zeuge Brand von einer Backbordschräglage seines Schiffes im Moment der Kollision gesprochen hat. Hatte aber TMS M im Zeitpunkt der Kollision eine Backbordschräglage, muß dieses Schiff zuvor auch Backbordkurs gehabt haben und in den Kurs des TMS S gelaufen sein, wie das der Zeuge D ausgesagt hat. Durch den Anstoß des Bergfahrers gegen das Backbordachterschiff des Talfahrers konnte der Bergfahrer nicht nach Backbord hin abgewiesen worden sein. Allenfalls kann TMS M seine Backbordschräglage vermindert haben. Diese Backbordschräglage des TMS M hält die Berufungskammer für unverständlich, wenn dieses Schiff zuvor ordnungsgemäß mit gleichbleibenden Kurs und mit Hilfe des Autopiloten zu Berg gefahren wäre. Für die Backbordschräglage seines Schiffes hat B auch keine Erklärung abgegeben. Er will vielmehr versucht haben, Steuerbordkurs zu nehmen. Zudem ist ohne eine Kursänderung des Bergfahrers nach Backbord die Kollision nicht erklärlich, wenn TMS S im Zeitpunkt der Kollision gestreckt lag, wie der Zeuge B weiter angegeben hat.
Hiernach ist die Berufungskammer der Überzeugung, daß den Angaben des Zeugen D über die Kursänderung des MTS M zu folgen ist.
Wenn der Beklagte zu 2 unmittelbar vor dem Unfall nach durch eine Ruderlegung versucht hat, den Unfall abzuwenden, was die Berufungskammer den weiteren Angaben des Zeugen D entnimmt, der auch eine Backbordschräglage des TMS S gesehen haben will, läßt sich hieraus nicht auf einen fehlerhaften und unfallursächlichen Kurs dieses Schiffes schließen, weil D bei der Annäherung der Schiffe bis unmittelbar vor der Kollision noch keine Kursänderung wahrgenommen hat. Als Erklärung für diese Schräglage bietet sich an, daß der Beklagte zu 2 sein Achterschiff soweit wie möglich vor einem Anstoß freifahren und die Schäden gering halten wollte, wie die Beklagten vorgetragen haben.
Zusammenfassend ist festzustellen, daß der Beklagte zu 2 den Unfall nicht verschuldet hat. Das Rheinschiffahrtsgericht hat deshalb die Klage mit Recht abgewiesen.
4. Aufgrund der vorstehenden Ausführungen hat die Berufungskammer wie folgt erkannt:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 18. Mai 1998 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufungsinstanz trägt die Klägerin.
Die Festsetzung dieser Kosten gemäß Artikel 39 der Revidierten Rheinschiffahrtsakte erfolgt durch das Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort.
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1999 - Nr.5 (Sammlung Seite 1736 f.); ZfB 1999, 1736 f.