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Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
Urteil
vom 10. Juni 1998
385 B - 10/98
(auf Berufung gegen den Beschluß des Rheinschiffahrtsgerichts St. Goar vom 19. November 1997 - 2109 Js 18596/96 – 4 OWBSchRh)
Tatbestand:
Am 24.10.1995 belegte die Wasser- und Schiffahrtsdirektion Südwest in Mainz den Betroffenen mit einem Bußgeld von 350 DM, weil er mit dem von ihm am 19.02.1995 auf dem Rhein verantwortlich geführten GMS C (106 m lang; 9,05 m breit; Tiefgang 2,82 m; 1.785 t; leer; 1.240 PS) die Strecke von Bingen (km 528,2) bis Niederheimbach (km 538,7) zwischen 10.03 h und 10.27 h mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 24,99 km/h befahren hat, obwohl die Geschwindigkeit wegen Hochwassers (Überschreiten der Hochwassermarke I am Pegel Bingen – Richtpegel: 3,50 m – tatsächlicher Wasserstand: 3,51 m) für die Talfahrt auf 20 km/h beschränkt war. Zuwiderhandlungen gegen § 10.01 Nr. 1 d) RheinSchPV i.V.m. Art. 4 Abs. 3 Nr. 17 r) RheinSchPEV.
Gegen den Bußgeldbescheid hat der Betroffene form- und fristgerecht Einspruch eingelegt, weil nach seiner Ansicht, MS C beim Einhalten der vorgeschriebenen Geschwindigkeit von 20 km/h nicht mehr steuerungsfähig gewesen wäre.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat in dem angefochtenen Urteil wegen der vorstehend aufgeführten Zuwiderhandlungen gegen den Betroffenen eine Geldbuße von 200 DM festgesetzt. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, daß es für den Betroffenen möglich gewesen wäre, die bei der Hochwassermarke I (Pegel Bingen: 3,50 m) geltende Höchstgeschwindigkeit von 20 km/h gegenüber dem Ufer einzuhalten. Außerdem sei das Gericht überzeugt, daß allenfalls bei außergewöhnlichen Umständen eine Überschreitung der zugelassenen Geschwindigkeit notwendig ist. „Diese Notwendigkeit berührt nicht die Wirksamkeit des entsprechenden Gebots: § 1.05 RheinSchPV läßt eine derartige Abweichung von der Verordnung bei drohender Gefahr ausdrücklich zu“.
Mit seiner form- und fristgerechten Berufung erstrebt der Betroffene seinen Freispruch.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung kann keinen Erfolg haben.
1. § 10.01 RheinSchPV regelt die „Beschränkung der Schiffahrt bei Hochwasser oberhalb der Spyck‘schen Fähre“. Nach Nr. 1 der Vorschrift ist die Schiffahrt zwischen den Schleusen Iffezheim (km 334,00) und der Spyck‘schen Fähre (km 857,40) bei Hochwasserständen zwischen den Marken I und II bestimmten Beschränkungen unterworfen. Nach Nr. 1 d) darf die Höchstgeschwindigkeit der Fahrzeuge gegenüber dem Ufer 20 km in der Stunde nicht überschreiten. Nach Nr. 1 e) dürfen innerhalb des entsprechenden Streckenabschnitts nur solche Fahrzeuge die Fahrt fortsetzen, die mit einer Sprechfunkanlage ausgerüstet sind; sie müssen den Verkehrskreis Nautische Information auf Empfang geschaltet haben.
2. Der Betroffene hat den objektiven Tatbestand einer Verletzung von § 10.01 Nr. 1 d) RheinSchPV eingeräumt. Jedoch ist er der Meinung, daß ihm das Durchfahren der Meßstrecke mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 24 km/h nicht vorgeworfen werden könne, weil die von der Wasserschutzpolizei festgestellte Geschwindigkeit erforderlich gewesen sei, um GMS C steuerfähig zu halten. Ansonsten hätte er der hart begegnenden Bergfahrt nicht mehr ausweichen können, so daß schwere Kopf-auf-Kopf-Havarien zu befürchten gewesen wären. Zu beachten sei, daß eine von Rhein-km 527,7 bis etwa Rhein-km 530,4 sich linksrheinisch befindende Längskrippe vorhanden sei, die etwa 1994/1995 „in Dienst gestellt“ worden sei. Durch diese neue Längskrippe habe sich die Fahrsituation für die Berg- und Talfahrt gravierend verändert. Etwa 50% aller Bergfahrer müßten nunmehr auf Grund einer einschneidenden Erhöhung der ohnehin schon hohen Fließgeschwindigkeit unterhalb Bingen Vorspann nehmen; die Talfahrt ihrerseits sei gezwungen – auch und gerade bei Hochwasser – eine bestimmte Eigengeschwindigkeit des Schiffes nicht zu unterschreiten, um bei der enormen Fließgeschwindigkeit von ca. 8 km/h über Grund die Steuerungsfähigkeit des Schiffes zu erhalten. Hinzu komme, daß die Talfahrt auf Höhe des Nahegrundes eine starke Tendenz habe, nach Backbord auszubrechen, wogegen die Bergfahrt wegen der linksrheinisch höchsten Fließgeschwindigkeit bestrebt sei, trotz des herrschenden Rechtsfahrgebotes soweit als möglich auf die rechtsrheinische, also von der Fließgeschwindigkeit günstigere Seite herüberzugehen, was in den vergangenen Jahren zu mehreren Beinah-Unfällen geführt habe. Die wesentliche Erhöhung der Fließgeschwindigkeit auf dem gesamten Streckenabschnitt zwischen ca. Rhein-km 530,0 und Rhein-km 540,0, der zudem kurvenreich und damit gefährlich ist, habe einzelne Talfahrer veranlaßt auf Höhe des Clemensgrundes (Rhein-km 534,0) jenseits der roten Tonnen, also außerhalb der Fahrrinne zu fahren, um gerade der schwach motorisierten Bergfahrt einen Kurs möglichst weit rechtsrheinisch, also auf der fließschwachen Seite, zu erlauben. Schließlich herrsche unterhalb Bingen ein für die Talfahrt problematisches Überholverbot, wenn ein schwach motorisiertes Schiff vorausfahre und das nachfolgende Fahrzeug zu einer Reduzierung der Geschwindigkeit und damit der Steuerungsfähigkeit führe. Zu Gunsten des Betroffenen sei außerdem zu berücksichtigen, daß das leere GMS C auf der Fahrt durch die Meßstrecke zusätzlich starken Winden ausgesetzt gewesen sei. Überdies seien während der Messungen durch die Wasserschutzpolizei sämtliche leere Talfahrer genötigt gewesen, die Geschwindigkeitsbegrenzung zur Erhaltung der Manövrierfähigkeit zu überschreiten.
3. Dem ist entgegenzuhalten:
a) Weder der Ordnungswidrigkeiten-Anzeige der Wasserschutzpolizei vom 23.05.1995 noch deren Meßprotokoll vom 19.02.1995 läßt sich entnehmen, daß an diesem Tag im Meßbereich starke Winde geherrscht haben. Selbst hierzu hat sich auch der Beklagte in dem ihm von der Wasserschutzpolizei überlassenen Anhörungsbogen nicht geäußert, obwohl das bei Vorliegen einer solchen Besonderheit nahe gelegen hätte. Im übrigen hätte, wenn die von dem Betroffenen behaupteten starken Winde den Kurs seines Schiffes gefährdet hätten, er dieses notfalls abstoppen müssen, anstatt die Meßstrecke mit unzulässiger Geschwindigkeit zu durchfahren.
b) Nach dem polizeilichen Meßprotokoll vom 28.02.1995 in der Paralellsache 386 B (Günter Bauer) S. 40 ff. haben die meisten leeren Talfahrer die zulässige Geschwindigkeit von 20 km/h überschritten, wobei deren Durchschnittsgeschwindigkeit zumeist unter der von GMS C eingehaltenen Geschwindigkeit gelegen hat. Indes vermag die Berufungskammer daraus allein nicht zu entnehmen, daß es nautische Gründe gewesen sein sollen, um schneller als erlaubt zu fahren.
c) Nach § 9.04 Nr. 1 a) und 2 RheinSchPV („Geregelte Begegnung“) müssen auf der Strecke zwischen der Neckarmündung (km 428,20) und Lorch (km 540,2) die Bergfahrer und die Talfahrer beim Begegnen ihren Kurs so weit nach Steuerbord richten, daß die Vorbeifahrt ohne Gefahr Backbord an Backbord stattfinden kann. Diese Regelung gilt nicht nur bei normalem Wasserstand, sondern auch bei Hochwasserständen, wie sich aus § 10.01 Nr. 1 c) Satz 1 („§ 9.04 bleibt unberührt“) RheinSchPV ergibt. Danach ist es nicht einsichtig, daß bei Begegnungen schwere Kopf-auf-Kopf-Havarien zu befürchten wären. Hinzu kommt, daß bei der auch im Meßbereich 80 m breiten Fahrrinne Berg- und Talfahrt über einen genügenden Begegnungsabstand verfügen und sich mittels der vorgeschriebenen Sprechfunkverbindung auf etwaige Schwierigkeiten hinweisen können. Keinesfalls kann hingenommen werden, daß die Talfahrer und die Bergfahrer die Vorschriften für die vorgeschriebene geregelte Begegnung mißachten, um in der für sie günstigsten Strömung fahren zu können.
d) Zuzustimmen ist dem Betroffenen, wenn er meint, daß die Talfahrt eine bestimmte Eigengeschwindigkeit benötigt, um die Steuerungsfähigkeit der Fahrzeuge zu erhalten. Beträgt wie hier nach den Angaben des Betroffenen die Fließgeschwindigkeit ca. 8 km/h, so verbleiben für die Eigengeschwindigkeit des Schiffes ca. 12 km/h bis zu der erlaubten Geschwindigkeit von 20 km/h gegenüber dem Ufer. Diese 12 km/h genügen zur Erhaltung einer noch ausreichenden Steuerfähigkeit, wie dem Schreiben der Wasser- und Schiffahrtsdirektion Südwest vom 21.07.1987 an das Wasserschutzpolizeiamt Rheinland-Pfalz Station Bingen zu entnehmen ist und den Erfahrungen der Berufungskammer entspricht, zumal GMS C mit zwei 628-PS-Motoren ausgerüstet ist, die für die Navigation des Fahrzeugs von wesentlicher Bedeutung sind.
4. Aus den dargelegten Gründen wird für Recht erkannt:
Die Berufung des Betroffenen gegen das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts St. Goar vom 19.11.1997 wird zurückgewiesen.
Der Betroffene hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Deren Festsetzung gemäß Art. 39 der Revidierten (Mannheimer) Rheinschiffahrtsakte erfolgt durch das Rheinschiffahrtsgericht St. Goar.