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36 P - 9/75 - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 15.09.1975
Aktenzeichen: 36 P - 9/75
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt

vom 15. September 1975
 
(auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts St. Goar vom 16. Oktober 1974 - 4 Cs (P) 459/70 BSchRh -)

Tatbestand:

Gegen den Angeklagten erging am 10. September 1970 eine richterliche Strafverfügung des Rheinschifffahrtsgerichts St. Goar über eine Geldstrafe von 90,-- DM -im Unbeibringlichkeitsfalle eine Freiheitsstrafe von 6 Tagen- unter der Beschuldigung, er habe am 31.5.1970 gegen 00,50 Uhr als verantwortlicher Schiffsführer des auf der Bergfahrt befindlichen Schubverbandes "R", bestehend aus den Schubbooten "Rl" und "W" und den Tankschubleichtern "MI" und "MII" dadurch einen Schiffsunfall verursacht, dass er durch nautisches Fehlverhalten bei der Durchfahrung des rechten Fahrwassers des Ehrenthaler Werthes mit dem Schubverband gegen, das Längswerk des Wertlines geriet. Dadurch sei der Schubverband vor der Werthspitze verfallen, und quer im Strom liegen geblieben. Wegen der Lage des Schubverbandes sei. die übrige Schiffahrt erheblich behindert worden. Das linke Fahrwasser habe für die Schiffahrt gesperrt werden müssen und das rechte Fahrwasser sei nur mit grösster Vorsicht befahrbar gewesen (Zuwiderhandlung gegen § 2 Absatz 3 und 4 der Rheinschifffahrtspolizeiverordnung).

Gegen diese Strafverfügung, die dem Angeklagten unter Vermittlung der Staatsanwaltschaft Basel dort am 10.10.1971 zugestellt wurde, hat er mit Schreiben vom 10.10.1971 das am 13.10.1971 beim Rheinschifffahrtsgericht einging, Einspruch eingelegt und diesen damit begründet, dass er zur Unfallzeit nicht der verantwortliche Schiffsführer des Schubverbandes gewesen sei, da ihm für die Führung des mit Radar fahrenden Verbandes zu dieser Zeit das erforderliche Radarschiffsführerpatent gefehlt habe. Ausserdem sei er sich keines nautischen Fehlverhaltens bewusst. Der Unfall sei vielmehr auf Übermüdungserscheinungen zurückzuführen, da der Schubverband nicht ausreichend besetzt gewesen sei.

Ein auf den 24.10.1973 anberaumter Hauptverhandlungstermin wurde vom Rheinschifffahrtsgericht St. Goar aufgehoben, da für diesen Zeitpunkt der Angeklagte eine Ferienreise gebucht hatte. Auch ein auf den 19.9.1973 vorverlegter Termin musste vertagt werden, da die Ladung dem Angeklagten, der sich nach Mitteilung seiner Ehefrau bereits auf Ferienreise befand, nicht zugestellt werden konnte. Das Rheinschifffahrtsgericht hat erneut Hauptverhandlungstermin anberaumt auf den 16.10.1974. Die Ladung hierzu wurde dem Angeklagten unter Vermittlung der Staatsanwaltschaft Basel-Stadt über die zuständige Polizeidienststelle am 3.9.1974 in Basel zugestellt.

Mit Schreiben vom. 20.9.1974 teilte der Angeklagte dem Gericht mit, dass er zu dem Hauptverhandlungstermin am 16.10.1974 nicht erscheinen werde; durch seine Heirat sei er dem jüdischen Glauben beigetreten und er könne somit sich und seinen Verwandten in Israel eine Reise nach Deutschland nicht zumuten, da von seiner Familie Angehörige im Dritten Reich umgebracht worden seien.

Da der Angeklagte in dem Hauptverhandlungstermin vom 16.10.1974 nicht anwesend war, hat das Rheinschifffahrtsgericht St. Goar durch Urteil den Einspruch des Angeklagten gegen die Strafverfügung vom 10.9.1970 verworfen und dem Angeklagten die Auslagen des Verfahrens auferlegt. Zur Begründung dieses Urteils führte das Rheinschifffahrtsgericht aus:

Der Angeklagte habe gegen die Strafverfügung des Rheinschifffahrtsgerichts vom 10.9.1970 zwar richtig Einspruch erhoben, er sei aber trotz ordnungsgemässer Ladung ohne genügende Entschuldigung nicht zur Hauptverhandlung erschienen und auch nicht durch einen mit schriftlicher Vollmacht versehenen Verteidiger vertreten gewesen. Die in seinem Schreiben vom 20.9.1974 vorgebrachten Gründe konnten nicht als ausreichende Entschuldigung angesehen werden; denn der Angeklagte habe sich früher auf deutschem Gebiet aufgehalten, ohne moralische Bedenken zu haben.

Gegen dieses ihm unter Vermittlung der Staatsanwaltschaft Basel-Stadt durch den zuständigen Polizeibeamten am 1.1.1975 zugestellte Urteil hat der Angegklagte mit Schreiben vom 7.1.1975 das am 9.1.1975 beim Rheinschifffahrtsgericht einging, "Einspruch gegen das Urteil vom 16.10.1974" erhoben mit der Begründung, er mochte vor einem neutralen Gericht behandelt werden. Als Jude fühle er sich von einem deutschen Gericht einfach nicht gerecht behandelt.

Das Rheinschifffahrtsgericht sah dieses Einspruchschreiben vom 7.1.1975 als eine auf dem nationalen Rechtsweg eingelegte Rechtsbeschwerde gegen das Urteil vom 16.10.1974 an. Mit Beschluss vom 7.2.1975, der  dem Angeklagten am 13.3.1975 zugestellt wurde, hat das Rheinschifffahtsgericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft Koblenz die Rechtsbeschwerde als unzulässig verworfen, da sie nicht innerhalb der einwöchigen Rechtsmittelfrist beim Gericht eingelegt worden sei. Hiergegen richtet sich das erneute Einspruchschreiben des Angeklagten vom 13.03.1975 in dem er erklärt, "ich mochte Ihnen nochmals mitteilen, dass ich vor ein internationales Gericht möchte aus Gewissensgründen".Das Rheinschifffahrtsgericht St. Goar legte das Verfahren nunmehr der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt vor, da bei der gegebenen Sachlage als das vom Angeklagten nachgesuchte internationale Gericht nur die Rheinzentralkommission in Betracht kommen könne.

Entscheidungsgründe:

I.
Die Berufungskammer sieht bereits das Schreiben des Angeklagten vom 7.1.1975, mit dem er "Einspruch" gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts St. Goar vom 16.10.1974 einlegte, als Berufung an die Zentralkommission an. Zwar ist in Artikel 37 Absatz 2 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte für die Berufungseinlegung bei der Zentralkommission vorgeschrieben, dass die Berufung mit dem ausdrücklichen Bemerken, dass die Entscheidung der Zentralkommission verlangt werde, beim Gericht erster Instanz anzumelden sei. Wenn auch das Schreiben des Angeklagten vom 7.1.1975 ein solches ausdrückliches Verlangen nicht enthält, so geht doch aus dem Text des Schreibens mit hinreichender Deutlichkeit hervor, dass er die Entscheidung eines ausserdeutschen Gerichts wünscht. Somit gab der Angeklagte klar zu erkennen, dass er von beiden zur Verfügung gestellten Rechtsmittelwegen nicht denjenigen an das nationale Obergericht, also an das deutsche Oberlandesgericht, sondern denjenigen an die international besetzte Zentralkommission für die Rheinschifffahrt beschreiten wollte. Da die Vorschrift des Artikels 37 Absatz 2 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte lediglich den Sinn hat, den vom Angeklagten gewählten Berufungsweg zu klären und dies in dem vorliegenden Falle eindeutig aus dem Text des Einspruchschreibens hervorging, erscheint die Zulässigkeitsbestimmung des Artikels 37 Absatz 2 erfüllt. Auch die Berufungsfrist von 30 Tagen ist gewahrt, da das Urteil dem Angeklagten am 1.1.1975 zugestellt wurde und sein Einspruchschreiben am 9.1.1975 beim Rheinschifffahrtsgericht erster Instanz einging.

II.
Die von dem Angeklagten vorgebrachten Gründe für sein Nichterscheinen in der Hauptverhandlung vom 16.10.1974, zu der er ordnungsgemäss und fristgerecht vorgeladen worden war, können nicht als ausreichende Entschuldigung angesehen werden. Der Angeklagte trug keine moralischen Bedenken, sich in früherer Zeit -insbesondere während der Unfallreise- auf deutschem Staatsgebiet aufzuhalten. Wenn er aber deutsches Staatsgebiet betrat, so unterstellte er sich auch der deutschen Gerichtsbarkeit für alle während dessen Aufenthalts etwa begangenen Zuwiderhandlungen gegen bestehende Rechtsvorschriften. Die Berufungskammer wertet die nunmehr von dem Angeklagten vorgebrachte Weigerung, vor dem erstinstanzlichen Rheinschifffahrtsgericht zu erscheinen, lediglich als Schutzvorbringen, um sich der Verantwortung für eine etwaige Zuwiderhandlung gegen schifffahrtspolizeiliche Vorschriften zu entziehen, zumal der Angeklagte auch keinen Gebrauch von der rechtlich Möglichkeit gemacht hat, sich durch einen mit schriftlicher Vollmacht versehenen Verteidiger vertreten zu lassen. Das erstinstanzliche Rheinschiff-fahrtsgericht hat deshalb zu Recht entsprechend der Bestimmungen  der §§ 413 Absatz 4, 412 der deutschen Strafprozessordnung den Einspruch gegen die richterliche Strafverfügung vom 10.9.1970 ohne Beweisaufnahme verworfen. Die vom Angeklagten gegen dieses Urteil eingelegte Berufung war deshalb unter Bestätigung der vom Gericht erster Instanz verhängten Geldbusse zurückzuweisen.

Der Beschluss des Rheinschifffahrtsgerichts St.Goar vom 7.2.1975, mit dem das als Rechtsbeschwerde aufgefasste Rechtsmittel des Angeklagten vom 7.1.1975 als unzulässig verworfen wurde, war aufzuheben, da nach der von der Berufungskammer vertretenen Auffassung das vom Angeklagten mit Schreiben vom 7.1.1975 eingelegte Rechtsmittel -wie oben dargelegt- als Berufung an die Zentralkommission für die Rheinschifffahrt auszulegen war, so dass für den allein nationalen Rechtsweg in Frage kommenden Beschluss des erstinstanzlichen Gerichts vom 7.2.2975 kein Raum war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 der deutschen Strafprozessordnung in Verbindung mit Artikel. 39 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte.

Es wird deshalb für Recht erkannt:

1. Die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts St. Goar vom 16.Oktober 1974 wird unter Aufhebung des Beschlusses dieses Gerichts vom 7. Februar 1975 zurückgewiesen und die richterliche Strafverfügung vom 10. September 1970 bestätigt.

2. Die Auslagen des Verfahrens einschliesslich der Berufungsinstanz fallen dem Angeklagten zur Last.

3. Die Festsetzung der Auslagen entsprechend Artikel 39 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte erfolgt durch das Rheinschifffahrtsgericht St. Goar.

Der Gerichtskanzler:                                     Der Vorsitzende:
 
(gez.) Doerflinger                                        (gez.) S. Royer