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358 Z - 7/97 - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 25.04.1997
Aktenzeichen: 358 Z - 7/97
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt

vom 25. April 1997

358 Z – 7/97

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Folgen eines Schiffsunfalls, der sich am 3.2.1993 gegen 17.25 Uhr auf dem Rheinstrom bei km 737,1 - Ortslage Straßenbrücke Neuss - Hamm - ereignet hat und bei dem die Schiffe beider Parteien beschädigt worden sind. Zur Unfallzeit herrschte unsichtiges Wetter. Die unfallbeteiligten Schiffe fuhren mit Hilfen von Radar.

Die Klägerin ist der Versicherer des MS V (84,38 m lang; 9,99 m breit; 1425,017 t groß; 2 x 585 PS stark), das zur Unfallzeit von Schiffsführer S verantwortlich geführt hat. Sie klagte aus übergangenem Recht.

Die Beklagte ist Eignerin des MS H (105 m lang; 9,50 m breit, 1.913,737 t groß; 1060 PS stark), das zur Zeit nachbeschriebener Ereignisse von Schiffsführer K verantwortlich geführt worden ist.

Zu der angegebenen Zeit näherte sich das mit 1750 t Kohle beladene und in der Bergfahrt befindliche MS H der Straßenbrücke Neuss-Hamm. Vor MS H befand sich mit einem Abstand von ca. 800 Metern MS J in der Bergfahrt. Beide Schiffe fuhren im rechtsrheinischen Teil der Fahrrinne.

Zur gleichen Zeit fuhr das mit 1.420 t Ton beladene MS V zunächst linksrheinisch zu Tal. MS V begegnete dem MS J Steuerbord an Steuerbord. MS V verlegte dann seinen Kurs in Richtung auf das rechtsrheinische Fahrwasser, um mit MS H Backbord an Backbord zu begegnen. Unmittelbar vor der Kollision verlangte der Bergfahrer von dem Talfahrer über Funk eine Begegnung Steuerbord an Steuerbord. Dicht unterhalb der Brücke etwa bei km 737,1 kam es im rechtsrheinischen Teil der Fahrrinne zur Kollision beider Schiffe. Vor der Kollision sind von keinem Schiff Schallsignale gegeben worden.

Die Beklagte hat in Kenntnis des Unfalls und seiner Folgen ihr Schiff zu weiteren Reisen ausgesandt.

Aus Anlaß des Unfalls ist das Verklarungsverfahren 5 II 2/93 Schiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort durchgeführt worden. Die Wasserschutzpolizei hat nach dem Unfall Ermittlungen durchgeführt. Ein Strafverfahren ist nicht eingeleitet worden.

Die Klägerin hat behauptet, Schiffsführer S habe auf seinem Radarschirm das MS H erstmals bemerkt, als MS V etwa 1.200 Meter oberhalb der Straßenbrücke Neuss-Hamm gewesen sei. Zu dieser Zeit habe sich MS H linksrheinisch noch etwa 500 bis 600 Meter unterhalb der Brücke befunden. Auf Anfrage habe er dann die Weisung zur Begegnung Backbord an Backbord erhalten und deshalb seinen Kurs in Richtung auf das rechtsrheinische Fahrwasser verlegt. MS H habe eine Kurve durchfahren müssen, wenn es seine Position im linken Teil der Fahrrinne hätte beibehalten wollen. Tatsächlich sei MS H aber geradeaus gefahren und dadurch in den Kurs des MS V geraten. Wegen der unklaren Lage habe Schiffsführer S seine Maschine auf « zurück » gestellt. Als die Schiffe noch etwa 150 Meter voneinander entfernt gewesen seien, habe der Schiffsführer des MS H plötzlich die Kursweisung zur Begegnung Steuerbord an Steuerbord gegeben. Schiffsführer S habe das Ruder seines Schiffes herumgeworfen und die Maschine wieder auf « voraus » gesetzt. Hierdurch habe er den Unfall nicht mehr verhindern können.

Die Klägerin hat den auf sie übergangenen Schaden näher auf 399.767,87 DM beziffert und die Voraussetzungen des Zahlungsverzuges dargetan.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 399.767,87 DM nebst 4% Zinsen seit dem 15.12.1993 zu zahlen, und zwar im Rahmen des Binnenschiffahrtsgesetzes sowohl persönlich haftend als auch bei Vermeidung der Zwangsvollstreckung in das MS H.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen, MS H sei rechtsrheinisch gefahren. Als Schiffsführer Krüger MS V auf eine Entfernung von 1.200 m auf dem Radarschirm bemerkt habe, habe er sofort über Funk eine Begegnung Steuerbord an Steuerbord verlangt. Der Beklagte habe diese Kursweisung ausdrücklich bestätigt. Anschließend habe Krüger die Begegnung zwischen MS J und MS V auf dem Radarschirm
beobachtet und keinen Anlaß gesehen, daß sich an dem vereinbarten Begegnungskurs etwas ändern könne. Als MS V linksrheinisch fahrend sich auf ca. 250 m genähert habe, sei dieses Schiff plötzlich und unvermittelt in eine Steuerbordschräglage geraten. Seine Kurslinie sei direkt auf das Vorschiff von MS H gerichtet gewesen. Obwohl Schiffsführer Krüger sofort mit der Maschine voll zurückgeschlagen und noch einmal eine Begegnung Steuerbord an Steuerbord verlangt habe, habe er nicht verhindern können, daß MS V in Steuerbordschräglage sein nach wie vor dicht am rechtsrheinischen Ufer in stromrechter Lage befindliche Schiff an der Steuerbordseite des Bugs gerammt habe.

Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage abgewiesen. Hierzu hat es näher ausgeführt Die Besatzung des MS H habe den Unfall nicht verschuldet.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, daß Schiffsführer van Strien mit MS V vor der Kollision einen Kurswechsel von links- nach rechtsrheinisch vorgenommen. Ferner habe er nicht den Kurs genommen, den ihm die Schiffsführung von MS H vorgegeben habe. MS H sei schon geraume Zeit vor der Kollision im rechtsrheinischen Teil des Fahrwassers gefahren und habe wiederholt, auch rechtzeitig vor der Begegnung mit MS V, über Funk eine Begegnung Steuerbord an Steuerbord verlangt.

Ein Verschulden des Zeugen Krüger von MS H wegen eines Unterlassens des nach § 6.32 Nr. RheinSchPV vorgeschriebenen Schallsignals könne nicht angenommen werden, weil nicht feststehe, daß der Zeuge Krüger den bedrohlichen Kurswechsel des MS V rechtzeitig hätte wahrnehmen können.

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt. Mit der Berufung strebt sie eine Verurteilung der Beklagten dem Grunde nach zum Ersatz der Hälfte ihrer Klageansprüche an.

Sie wendet sich gegen die Beweiswürdigung in dem angefochtenen Urteil, die sich nach ihrer Ansicht nicht an den Fahrregeln des § 6.32 RheinSchPV orientiere.

Auch Schiffsführer van Strien selbst habe nicht den hohen Anforderungen entsprochen, die für den Radartalfahrer gelten. Nach § 6.32 Nr. 4 RheinSchPVO wäre er verpflichtet gewesen, das Dreitonsignal zu geben und dieses Schallzeichen so lange wie notwendig zu wiederholen. Weil die sichere Begegnung zweifelhaft gewesen sei, hätte er auch seine Fahrt einstellen und, falls nötig, Bug zu Tal anhalten müssen. Das Dreitonzeichen hätte den Bergfahrer im Zweifel aufmerksam gemacht und ihn veranlaßt, die Kursweisung zu geben oder wenigstens zu wiederholen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.


Entscheidungsgründe:


Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin konnte keinen Erfolg haben.

Der Klägerin stehen gegen die Beklagte keine Schadensersatzansprüche aus dem Unfallereignis vom 3.2.1993 nach den §§ 3, 4, 92 ff., 114 BinSchG, 67 VVG, 398 BGB zu, denn dieser Unfall ist von den Besatzungsmitgliedern der Beklagten nicht verschuldet worden. Diese Überzeugung stützt die Berufungskammer auf folgende Erwägungen:

1. MS H fuhr schon vor der Annäherung an die spätere Unfallstelle in unmittelbarer Nähe des rechten Ufers und hielt seinen Kurs bis zur Kollision unverändert bei. Das entnimmt die Berufungskammer den Aussagen von Schiffsführer F, der mit dem von ihm geführten MTS J dem MS H in einem Abstand von ca. 1.500 m gefolgt ist. Auch Schiffsführer M, der mit seinem SB N 10 Meter aus den rechtsrheinischen Kribben bei Rhein-km 737,3 vor Anker gelegen hat, hat nach dem Unfall das MS H in einem seitlichen Abstand von 50 m-60 m in gestreckter Lage gesehen.

2. MS H hat sich wiederholt über Funk unter Positions- und Namensangabe gemeldet, sowie eine Begegnung Steuerbord an Steuerbord verlangt. Die Kursweisung hat MS V bestätigt.

Die Meldungen des MS H und die Kursverständigung hat der unbeteiligte Zeuge F gehört und die diesbezüglichen Bekundungen des Zeugen K bestätigt. Nach seinen Angaben hat der Zeuge F die Antwort des MS V sinngemäß so verstanden: « Wir machen Steuerbord an Steuerbord ». Alle Gespräche, einschließlich des letzten vor der Kollision und auch die Antwort, seien alle deutlich zu hören gewesen.

3. Ob Schiffsführer Krüger von MS H rechtzeitig die entgegen der bestätigten Kursverständigung erfolgte Kursänderung des MS V hätte wahrnehmen und hierauf noch hätte reagieren können, um einen Zusammenstoß der Fahrzeuge abzuwenden, vermochte die Berufungskammer aufgrund des Ergebnisses des von dem Schiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort durchgeführten Verklarungsverfahren und der erstinstanzlichen Beweisaufnahme nicht festzustellen.

Insbesondere kann nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden, daß MS V bereits in geraumer Entfernung oberhalb der Straßenbrücke den Übergang von links- nach rechtsrheinisch gemacht hat. Einen solchen Übergang hat nicht einmal Schiffsführer S bei seiner Vernehmung als Zeuge im Verklarungsverfahren angegeben.

Zwar hat der Zeuge V, der Schiffsführer des MS J gewesen ist, ausgesagt, nach der dem Unfall vorangegangenen Begegnung seines Schiffes mit MS V in einem seitlichen Abstand von 50 m sei dieses Schiff stark zum rechtsrheinischen Ufer herübergegangen, sichere Feststellungen können auf diese Aussage aber nicht gestützt werden. Einerseits hat der Zeuge V auf dem Radarschirm den weiteren Kurs von MS V nicht verfolgt, wie er ausdrücklich angemerkt hat. Andererseits hat Schiffsführer S bei seiner Vernehmung im Verklarungsverfahren nicht ausgesagt, daß er nach der geschilderten Begegnung mit MS J Kurs nach rechtsrheinisch genommen hat. Er will nach einer Kursverständigung mit MS H « Backbord an Backbord » « etwas zur Mitte hinausgewichen » sein, um die Begegnung Backbord an Backbord vorzubereiten. Auch diese Angaben lassen keine sicheren Schlüsse darüber zu, wann Schiffsführer K von MS H aus dem Kurs des MS V bei der Annäherung der unfallbeteiligten Schiffe auf eine Gefahrenlage hätte schließen können.
Auch im übrigen läßt sich dem Beweisergebnis nicht sicher entnehmen, bei welchem Abstand der Schiffe die der Kursverständigung zuwiderlaufende Kursänderung des MS V erfolgt ist. Der Sachverständige Dr. E hat zwar in seiner abschließenden Beurteilung in 1. Instanz den Aufprallwinkel beider Schiffe aufgrund der fotographisch festgehalten Beschädigungen der Schiffe mit 17 bis 20 Grad eingeschätzt, dieser Aufprallwinkel läßt aber keine sicheren Rückschlüsse auf den Kurs des MS V vor dem Zusammenstoß zu, weil Schiffsführer S nach seiner Aussage im Verklarungsverfahren sein Schiff unmittelbar vor der Kollision durch Maschinen- und Rudermanöver aufgestreckt haben will. Durch diese Manöver kann er den Anprallwinkel verkleinert haben.

Schließlich läßt sich aus den eigenen Angaben von Schiffsführer Krüger im Verklarungsverfahren kein unfallursächliches Versagen entnehmen. Nach seinen Bekundungen hat er den Kurs des MS V auf dem Radarschirm verfolgt. Zunächst soll dieses Schiff einen gefahrlosen Kurs gesteuert haben. Erst auf ca. 250 m will er die gefährliche Kursänderung des Talfahrers optisch festgestellt haben. Das kann ihm mangels gegenteiliger Anhaltspunkte nicht widerlegt werden. Es kann durchaus so gewesen sein, daß MS V aus nicht näher feststellbaren Gründen unmittelbar vor dem Eintritt in den Radarschatten der Straßenbrücke seinen Kurs plötzlich und unvermittelt geändert und nach rechtsrheinisch gehalten hat. Stellte aber K erst auf ca. 250 m Abstand die Kursänderung fest, war es sachgerecht, wenn er, wie er ausgesagt hat, sofort seine Maschine abstoppte und « auf zurück » stellte, seine Besatzung warnte und über Funk noch einmal die früher erteilte Kursweisung Steuerbord an Steuerbord wiederholte. Zwar hat Schiffsführer K es unterlassen, in der von ihm festgestellten Gefahrenlage auch das in 6.32 Nr. 5 RheinSchPV 1983 vorschriebene Schallzeichen zu geben und eine über die Kursweisung hinausgehende Ansage zu machen, nach der Überzeugung der Berufungskammer haben sich diese unterbliebenen Maßnahmen aber nicht unfallursächlich ausgewirkt, weil Schiffsführer S den Bergfahrer auf dem Radarschirm gesehen und auch die erneute Kursweisung unmittelbar vor dem Unfall gehört hatte. Nach Lage der Sache läßt sich nicht annehmen, daß sich Schiffsführer van Strien bei strikter Beachtung der Regeln des § 6.32 Nr. 5 RheinSchPV 1983 durch die Schiffsführung des MS H anders verhalten und rechtzeitig einen gefahrlosen Kurs gesteuert hätte, wenn er schon, wie er selbst ausgesagt hat, MS H in seiner Kurslinie auf dem Radarschirm sah und erneut auf die Kursweisung Steuerbord an Steuerbord angesprochen wurde.

4. Aus den dargelegten Gründen wird für Recht erkannt:

a) Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 18. Dezember 1995 wird als unbegründet zurückgewiesen.

b) Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. Deren Festsetzung gemäß Art. 39 der Revidierten Rheinschiffahrtsakte erfolgt durch das Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort.