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Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
vom 20. November 1995
339 Z - 11/95
(auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 18. November 1994 - 5C8/94BSch -)
Tatbestand:
Die Parteien streiten über Hergang und Folgen einer Schiffskollision. Diese hat sich am 27.04.1993 gegen 22 Uhr - es war dunkel, die Sicht aber klar - auf dem Rhein in der Ortslage Baerl zwischen dem Containerschiff «F», dem Fahrgastschiff «L» und dem Güterschiff «T» ereignet. Hierbei sind alle drei Fahrzeuge beschädigt, außerdem eine Anzahl von Fahrgästen des FGS «L» verletzt worden.
MS «F» (100 m lang; 10,50 m breit; 2.327 t; 1.465 PS; beladen) fuhr zu Tal. Nach dem Passieren der Baerler Brücke und einer unmittelbar danach befindlichen starken Rechtskrümmung des Stromes stieß es auf dem sich anschließenden geraden Strombereich mit dem Steven gegen das Backbordvorschiff des bergwärts kommenden FGS «L» (105 m lang; 10 m breit; 3 x 400 PS). Dieses hatte kurz zuvor das nahe der linksrheinischen Kribben fahrende MS «T» (66,75 m lang; 7,90 m breit; 667 t; 350 PS; beladen) an dessen Backbordseite überholt. Im Zusammenhang mit der Kollision geriet FGS «L» in Steuerbordschräglage zum linken Ufer, versperrte dadurch dem nachfolgenden MS «T» den Weg, so daß auch dieses Fahrzeug gegen FGS «L» stieß.
Die Klägerin hat MS «F» gegen die Gefahren der Schiffahrt versichert. Sie nimmt aus übergegangenem Recht die Beklagte zu 1 als Eignerin des FGS «L» und den Beklagten zu 2 als den zum Unfallzeitpunkt für dieses Fahrzeug verantwortlichen Schiffsführer wegen der Unfallschäden der Interessenten des MS «Felicitas» in Anspruch. Dieser habe die Kollision verschuldet:
Entgegen der für den Unfallbereich vorgeschriebenen geregelten Begegnung sei FGS «L» nicht linksrheinisch, sondern rechtsrheinisch zu Berg gekommen, während MS «F» im üblichen Weg der Talfahrt rechtsrheinisch zu Tal gefahren sei; dabei habe sich der Bergfahrer Steuerbords der Kurslinie des Talfahrers stark rechtsrheinisch gehalten. Deshalb habe der Schiffsführer des MS «F» das FGS «L» in einem Abstand von 600-700 m über Funk angesprochen. Er habe jedoch keine Antwort erhalten. Erst auf eine weitere Anfrage habe der Bergfahrer «backbord an backbord» geantwortet und gleichzeitig hart Kurs zum linken Ufer genommen. Indessen sei der Abstand der beiden Schiffe nunmehr schon so gering gewesen, daß der Kurswechsel nicht mehr habe gelingen können. Darauf habe der Schiffsführer des MS «F» noch über Funk hingewiesen. Infolge des die Kurslinie der Talfahrt kreuzenden Kurses durch die Schräglage des FGS «L» sei es zur Kollision gekommen, zumal MS «F» bei einem Ausweichen nach Steuerbord außerhalb des Fahrwassers geraten wäre. Hingegen wäre der Zusammenstoß ohne weiteres vermieden worden, wenn FGS «L» auf seinem hart rechtsrheinischen Kurs verbheben wäre, der auf eine Begegnung Steuerbord an Steuerbord in einem Seitenabstand von 30 - 50 m mit dem Talfahrer angelegt gewesen sei.
Die Klägerin hat beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von 70.529,44 DM nebst Zinsen zu verurteilen, die Beklagte zu 1 außer dinglich mit FGS «L» auch persönlich im Rahmen des Binnenschiffahrtsgesetzes haftend, den Beklagten zu 2 unbeschränkt haftend.
Die Beklagten haben Klagabweisung beantragt. Nicht der Beklagte zu 2, sondern der Schiffsführer des MS «F» habe den Schiffszusammenstoß verschuldet. FGS «L» sei während der Annäherung des MS «F» ordnungsgemäß mit linksrheinischem Kurs zu Berg gefahren, wogegen MS «F» immer mehr in den linksrheinischen Kurs der Bergfahrt geraten und schließlich im linksrheinischen Fahrwasser mit dem Steven gegen die Backbord-Vorschiffsseite des FGS «L» gestoßen sei. Schon zuvor habe Schiffsführer Li. von MS «L» den Talfahrer auf etwa 400-500 m über Funk angesprochen und bestätigt, «was ohnehin vorgeschrieben war : 'Die Talfahrt an der Baerler Brücke : backbord/backbord'». Außerdem habe Lienhard in einem Abstand von 300-400 m Typhonsignal gegeben und die Talfahrt auf 200-300 m nochmals über Funk angesprochen, auch hierauf aber keine Antwort erhalten.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat den Klageanspruch dem Grunde nach zur Hälfte für gerechtfertigt erklärt; im übrigen hat es ihn abgewiesen. Nach seiner Ansicht steht nach dem Beweisergebnis fest, daß FGS «L» nicht links-, sondern eindeutig rechtsrheinisch mit einem Kurs gefahren sei, der der Talfahrt eine Zwischendurchfahrt zwischen MS « Timo » und FGS « Liberte » nahegelegt habe; damit sei der Beklagte zu 2 krass von dem Rechtsfahrgebot abgewichen, wofür es keinen rechtfertigenden Grund gegeben habe. Allerdings treffe auch die Führung des MS «F» ein gleich schwer zu bewertendes Verschulden an dem Schiffsunfall. FGS «L» sei nämlich nicht so weit rechtsrheinisch gefahren, daß von vornherein eine Backbordbegegnung ausgeschlossen gewesen wäre, sofern man sich auf MS «F» darauf rechtzeitig eingestellt hätte; das sei geboten gewesen, weil der Bergfahrer weder die blaue Seitenflagge noch das weiße Blinklicht gezeigt habe und die im Unfallbereich vorhandene Fahrwasserbreite von mindestens 225 m trotz des rechtsrheinischen Kurses des FGS «L» hinreichend Raum für eine Backbordbegegnung gelassen habe.
Die Klägerin erstrebt mit ihrer Berufung, daß der Klageanspruch in vollem Umfang für gerechtfertigt erklärt wird. Die Beklagten beantragen mit ihrem Rechtsmittel die vollständige Abweisung der Klage. Jede der Parteien beantragt außerdem, die Berufung der Gegenseite zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe:
1. Nach § 9.02 Nr. lb RheinSchPV ist für den Unfallbereich «Geregelte Begegnung» vorgeschrieben. Danach müssen dort - abweichend von § 6.04 - die Bergfahrer und die Talfahrer beim Begegnen ihren Kurs so weit nach Steuerbord richten, daß die Vorbeifahrt ohne Gefahr Backbord an Backbord stattfinden kann (§ 9.02 Nr. 2 RheinSchPV).
2. Diese Regelung hat die Führung des FGS «L» mißachtet. Unbestritten hat das Schiff vor der Kollision zunächst das MS «C» und sodann das diesem etwa 500 m vorausfahrende MS «T» überholt. Beim Passieren des MS «C», das etwa 50 m vom linken Ufer entfernt war, verlief der Kurs des FGS «L» nach den Angaben der an dem Unfall unbeteiligten Besatzung von MS «C» im rechtsrheinischen Bereich (Schiffsführer Lo.) bzw. ziemlich weit zum rechtsrheinischen Ufer (Ehefrau LA.), was den Schiffsführer zu der Bemerkung veranlaßte, «hoffentlich läßt er genug Platz für die Talfahrt». Weiter rechtsrheinisch fahrend (Schiffsführer Lam. von «C», Steuermann Z. von MS «T», Zeugin W. von MS «T», vgl. ferner Schiffsführer W. von MS «T») hat FGS «L» das etwa 10 m aus den linken Kribben laufende MS «T» überholt. Dabei hat es nach den weiteren Bekundungen des Schiffsführers W., der Ehefrau desselben und des Steuermanns Z. zu diesem Fahrzeug einen Seitenabstand von etwa 100 m eingehalten. Mit diesem Kurs ist FGS «L» nach dem Überholen des MS «T» zunächst weiter zu Berg gefahren (Zeugen Z., Lam. und Zeugin W.). Statt dessen hätte es zumindest jetzt wegen des gegenkommenden und von dem Beklagten zu 2 nach seinen Angaben im Verklarungsverfahren bereits auf 800 m ausgemachten Talfahrers sofort Steuerbordkurs einschlagen müssen, damit es mit diesem, wie in § 9.02 Nr. lb RheinSchPV vorgeschrieben, ohne Gefahr Backbord an Backbord hätte begegnen können. Diesen Kurs hat FGS «L» erst gewählt, als der Beklagte zu 2 auf etwa 400 bis 500 m dem Talfahrer über Funk mitteilte « Backbord an Backbord» (Aussage des Beklagten zu 2 und des Schiffsführers Krieger, ebenfalls von FGS «L»). Im Zeitpunkt der Backbordweisung war aber eine gefahrlose Backbordbegegnung zwischen FGS «L» und MS «F» nicht mehr möglich, wie neben der Besatzung des letztgenannten Fahrzeugs (Schiffsführer J., Zeugin Jo.) auch die Zeugen W. und Zwanziger von MS «T» ausgesagt haben. Demgemäß hat der Beklagte zu 2 durch seinen fehlerhaften Kurs und die verspätete Kursangabe den Schiffszusammenstoß verschuldet. Dagegen kann die Berufung der Beklagten nicht einwenden, FGS «L» habe einen ordnungsgemäßen linksrheinischen Kurs gehabt, der die vorgeschriebene Backbordbegegnung problemlos zugelassen hätte. Richtig ist allerdings, daß der Passagier Ls. des FGS «L» im Verklarungsverfahren bekundet hat, «auch unser Schiff war nicht weit vom Ufer auf unserer rechten Seite in Fahrtrichtung gesehen entfernt ». Die Bekundung kann sich aber nur auf einen Zeitpunkt kurz vor der Kollision bezogen haben, also nachdem FGS «L» bereits den Kurs zum linken Ufer geändert hatte, und zwar mit einem Winkel von 45° (Schiffsführer K. von FGS "L"). Ohne Erfolg berufen sich die Beklagten außerdem auf die Entfernungsangaben des Schiffsführers Wittig (MS «T») beim Überholen seines Fahrzeugs durch FGS «L». Nach seiner Aussage fuhr er etwa 10 m aus den linksrheinischen Kribben, während FGS «L» sein Fahrzeug mit einem Seitenabstand von etwa 100 m passierte. Nimmt man hierzu die Breite des MS «T» (7,8 m) und die Länge der Kribben im Überholbereich mit mindestens 10 m, so ergibt das eine Entfernung des FGS «L» vom linken Ufer von mindestens rund 130 m bei einer Fahrwasserbreite von etwa 225-230 m. Schon danach kann nicht angenommen werden, daß sich FGS «L» linksrheinisch in der Bergfahrt befunden hat.
3. Neben dem Beklagten zu 2 trifft auch den Schiffsführer de Jong des MS «F» ein Verschulden an dem Unfall.
Allerdings läßt sich nicht feststellen, daß er bei der Annäherung des FGS «L» im (linksrheinischen) Kurs der Bergfahrt zu Tal gefahren ist. Das haben zwar die Schiffsführer Li. und K. (beide FGS «L») bekundet. Demgegenüber hat Schiffsführer J. (MS «F») ausgesagt, er sei nach dem Passieren der Baerler Brücke und der anschließenden Kurve im nachfolgenden geraden Teil des Stromes «über die Mitte des Reviers hinaus im rechtsrheinischen Bereich gefahren». Außerdem hat Schiffsführer W. (MS «T») erklärt, er könne nicht sagen, wie weit der Talfahrer aus dem rechtsrheinischen Ufer gewesen sei, er würde seinen Kurs aber als ganz normal für die Talfahrt bezeichnen. Ferner hat sich Schiffsführer Lo. (MS «C») dahin geäußert, daß der Talfahrer «wie dort normalerweise» gefahren sei. Danach gibt es keinen hinreichenden Beweis für einen fehlerhaften linksrheinischen Kurs des MS «F».
Hingegen ist dem Führer des MS «F» folgender Vorwurf zu machen : Nach seinen Angaben im Verklarungsverfahren ist er mit seinem Fahrzeug mit 20 km/st zu Tal gefahren. Diese Geschwindigkeit hat er erst reduziert, als er auf eine Entfernung von etwa 300 m von dem Bergfahrer über Funk die Worte «backbord an backbord» hörte und dessen gleichzeitige harte Steuerbordkursänderung bemerkte. Indessen war dem Führer des MS «F» der (fehlerhafte) rechtsrheinische Kurs des Bergfahrers schon aufgefallen, als die Schiffe noch 600-700 m voneinander entfernt waren. Bereits damit bestand für ihn eine unklare Lage, zumal er schon auf diese Entfernung den Bergfahrer über Funk mit den Worten «Bergfahrer, was machen Sie?» angesprochen haben will, jedoch keine Antwort erhalten habe. Diese Unklarheit gebot ein sofortiges Aufstoppen seines Fahrzeugs, um hinreichend Zeit für eine gefahrlose Begegnung zwischen den beiden Fahrzeugen zu ermöglichen. Das Unterlassen eines solchen Manövers gereicht deshalb der Führung des MS «F» zum (Mit-) Verschulden an dem Schiffsunfall.
4. Bei der in § 92c Abs. 1 BinSchG vorgeschriebenen Abwägung des beiderseitigen
Verschuldens der Führungen des FGS «L» und MS «F» hat das Rheinschiffahrtsgericht lediglich ausgeführt, es halte das Verschulden beider Schiffsführer für gleich hoch. Dem vermag die Berufungskammer nicht zu folgen. Nach ihrer Ansicht wiegt das Verschulden des Beklagten zu 2 wesentlich schwerer als das des Schiffsführers J. Entscheidend hierfür ist, daß der Beklagte zu 2 nach dem Überholen des MS «C» und des MS «T» beim Insichtkommen des Talfahrers nicht unverzüglich den für die Begegnung vorgeschriebenen linksrheinischen Kurs eingeschlagen hat, sondern zunächst weiter rechtsrheinisch geblieben ist. Dadurch hat er die für den Talfahrer unklare und damit gefährliche Lage geschaffen, in der dieser sich dann - allerdings nicht entschuldbar - falsch verhalten hat. Mit Rücksicht auf diese Umstände hält es die Berufungskammer für angemessen, daß die Beklagten 3/4 und die Interessenten des MS «F» 1/4 des streitigen Unfallschadens zu tragen haben.
5. Im gleichen Verhältnis waren die Kosten des Berufungsverfahrens zwischen den Parteien aufzuteilen (vgl. § 92 Abs. 1 ZPO).
6. Aus den dargelegten Gründen wird für Recht erkannt:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 18.11.1994 wird zurückgewiesen.
Auf die Berufung der Klägerin wird - unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels - das genannte Urteil teilweise geändert und wie folgt gefaßt:
Der Klageanspruch wird dem Grunde nach zu 3/4 für gerechtfertigt erklärt. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Betragsverfahren vorbehalten.
Die Kosten des Berufungsverfahrens haben die Beklagten als Gesamtschuldner zu 3/4 und die Klägerin zu 1/4 zu tragen.
Die Festsetzung dieser Kosten gemäß Artikel 39 der Revidierten Rheinschiffahrtsakte erfolgt durch das Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort.