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334 Z - 4 /95 - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 10.05.1995
Aktenzeichen: 334 Z - 4 /95
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt

vom 10. Mai 1995

334 Z - 4 /95

(auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort
vom 6. Mai 1994 - 5 C 32/93 BSch -)

Tatbestand:

Die Parteien streiten über eine Schiffskollision, die sich am 22.04.1993 gegen 3.30 Uhr auf dem Rhein bei Strom-km 834,5 ereignet hat.
Die Klägerin ist Kaskoversicherer des MS «X». Dieses Schiff (84,98 m lang ; 9,50 m breit; 2 x 455 PS ; 1600 t; beladen mit 1450 t Waschberge) fuhr zum Unfallzeitpunkt auf dem Rhein zu Tal. Wegen dichten Nebels hatte es das Radargerät eingeschaltet. Es wollte bei Strom-km 835,2 in ein rechtsrheinisch hegendes Baggerloch einfahren. Entgegen kam das dem Beklagten gehörende und von ihm geführte MS «T» (79,94 m lang ; 8,21 m breit ; 800 PS ; 1232 t ; beladen mit 1198 t Magnesit). Auf dem Bergfahrer war ebenfalls das Radargerät eingeschaltet. Er gab Weisung zu einer Begegnung Steuerbord an Steuerbord. Bei der Vorbeifahrt stießen die Schiffe rechtsrheinisch zusammen. Beide erlitten starke Schäden.

Die Klägerin verlangt aus abgetretenem Recht den der Eigentümerin des MS «X» entstandenen Unfallschaden von dem Beklagten ersetzt. Sie wirft ihm vor, die Kollision verschuldet zu haben. Sein Schiff sei aufgetaucht, als MS «X» den rechtsrheinischen Grund bei Strom-km 833 freigefahren habe. Der Kurs des Bergfahrers sei etwa 100 m aus dem linken Ufer verlaufen. Plötzlich habe er auf eine Entfernung von ca. 300 - 400 m von MS «X» verlangt, Steuerbord an Steuerbord zu begegnen, und seinerseits den Kurs nach Backbord geändert. Für eine Steuerbordbegegnung sei es jedoch zu spät gewesen. MS «X» habe nur noch mit beiden Motoren zurückmachen, den Zusammenstoß der beiden Schiffe aber nicht mehr vermeiden können. MS «T» selbst sei querhegend von links- nach rechtsrheinisch herübergeschossen.
Die Klägerin hat beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an sie 130.141 DM nebst Zinsen zu zahlen, und zwar nicht nur dinglich mit MS «T», sondern im Rahmen des Binnenschiffahrtsgesetzes auch persönlich haftend.
 
Der Beklagte hat Klagabweisung beantragt. Nicht er, sondern der Schiffsführer des MS «X» habe den Zusammenstoß verschuldet. Dieser habe sich in einer Entfernung von rund 500 m als talfahrendes Schiff gemeldet. Da MS «X» weiter linksrheinisch als MS «T» gefahren sei und kaum Vorausgang gehabt habe, habe er von dem Talfahrer eine Begegnung Steuerbord an Steuerbord verlangt. Dies habe der Schiffsführer des MS «X» bestätigt, kurz darauf aber sein Einverständnis widerrufen und eine Begegnung Backbord an Backbord gefordert. Inzwischen sei er jedoch mit MS «T» bereits nach rechtsrheinisch ausgewichen. Dort sei es, da auch MS «X» nach rechtsrheinisch gehalten habe, zum Zusammenstoß gekommen.

Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage abgewiesen: Nach dem Ergebnis der im Verklarungsverfahren durchgeführten Beweisaufnahme sei der Unfallhergang ungeklärt gebheben ; auch komme die Anwendung von Beweislastregeln zugunsten eines der unfallbeteiligten Schiffe nicht in Betracht.

Die Klägerin verfolgt mit ihrer - form- und fristgerecht eingelegten - Berufung den Klageanspruch weiter.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist begründet.

1. Die Kollision ist zwischen dem Bergfahrer und dem Talfahrer bei Rhein-km 834,5 im rechten Teil des Fahrwassers erfolgt. Sie hat sich innerhalb einer Strecke zugetragen, für die nach § 9.02 Nr. 1 b RheinSchPV 1983 (jetzt § 9.04 Nr. 1 b RheinSchPV 1995) « Geregelte Begegnung » vorgeschrieben ist. Innerhalb einer solchen Strecke « müssen abweichend von § 6.04 die Bergfahrer und die Talfahrer beim Begegnen ihren Kurs soweit nach Steuerbord richten, daß die Vorbeifahrt ohne Gefahr Backbord an Backbord stattfinden kann » (§ 9.02 Nr. 2 RheinSchPV 1983 - jetzt § 9.04 Nr. 2 RheinSchPV 1995). Die Bergfahrer können allerdings nach § 9.02 Nr. 3 RheinSchPV 1983 (jetzt § 9.04 Nr. 3 RheinSchPV 1995) «verlangen, daß die Vorbeifahrt nach den Regeln des § 6.04 Steuerbord an Steuerbord stattfindet, wenn sie zu einer Nebenwasserstraße, einem Hafen, einem Lade- oder Löschplatz, einer Landebrücke oder einem Liegeplatz am rechten Ufer fahren wollen ».

2. Unstreitig wollte der Bergfahrer keines der in § 9.02 Nr. 3 RheinSchPV 1983 beschriebenen Manöver durchfuhren. Ihm stand daher ein Kursweisungsrecht nach § 6.04 RheinSchPV nicht zu. Vielmehr hätte er mit dem Talfahrer, wie in § 9.02 Nr. 2 RheinSchPV 1983 vorgeschrieben, Backbord an Backbord begegnen und, falls erforderlich, den Kurs nach Steuerbord richten müssen. Es war deshalb falsch, daß er von dem Talfahrer eine Begegnung Steuerbord an Steuerbord verlangte, selbst mit Backbordkurs nach rechtsrheinisch fuhr, wo es, wie den Angaben des Beklagten und seiner Ehefrau im Verklarungsverfahren zu entnehmen ist, bei einem Landabstand von etwa 50 m zur Kollision gekommen ist. Dabei ist der Talfahrer mit dem Steuerbordvorschiff gegen die Steuerbordseite des Bergfahrers etwa zwischen dem vorderen und dem Mittelpoller geraten.
 
3. Nach § 1.05 RheinSchPV 1983 (jetzt § 1.05 RheinSchPV 1995) müssen die Schiffsfuhrer
bei unmittelbar drohender Gefahr alle Maßnahmen treffen, die die Umstände gebieten, auch
wenn sie dadurch gezwungen sind, von dieser Verordnung abzuweichen. Daß hier derartige
Umstände vorgelegen haben, hat der Beklagte nicht vortragen können. Auch kann er sein
Verhalten nicht mit der Behauptung entschuldigen, daß der Talfahrer weiter linksrheinisch als sein eigenes Schiff gefahren sei, außerdem seinem Vorschlag, Steuerbord an Steuerbord zu begegnen, zunächst zugestimmt habe. Beides läßt sich nicht feststellen :

a) Nach dem Beweisergebnis läßt sich nicht annehmen, daß der Kurs des Talfahrers nach dem Radarbild näher am linken Ufer verlaufen ist als der des Bergfahrers. Zwar hat der Beklagte im Verklarungsverfahren ausgesagt, daß das Radarecho des Talfahrers, den er zunächst für einen linksrheinischen Stillieger gehalten habe, näher zum linken Ufer gelegen habe als sein eigenes Fahrzeug, weshalb er dem Talfahrer eine Steuerbordbegegnung vorgeschlagen habe. Diese Aussage steht jedoch im Widerspruch zu den Angaben des Schiffsführers S. und des Zeugen M., beide MS «X» (sonstige Bekundungen zu den Kursen der Fahrzeuge gibt es nicht).
Danach hat sich ihr Fahrzeug in Strommitte befunden, als der Bergfahrer auf dem Radarschirm ihres Schiffes aufgetaucht sei. Dieser sei weit genug linksrheinisch gefahren ; der Abstand ihres Fahrzeugs zum rechten Ufer habe ca. 100-120 m betragen. Die Kurslinie ihres MS «X» sei nach Umfahren eines bei Rhein-km 833 endenden rechtsrheinischen Grundes auf einen rechtsrheinischen Stillieger gerichtet gewesen, der etwas oberhalb einer den Rhein (bei km 834,4) überquerenden Starkstromleitung etwa 3-4 Schiffsbreiten aus dem rechten Ufer geankert habe. Diese Kurslinie bietet sich übrigens der Talfahrt an, da -ausweislich der Strom- und Schiffahrtskarte des Rheins - das Fahrwasser nach dem Ende des rechtsrheinischen Grundes von der linksrheinischen zur rechtsrheinischen Stromseite wechselt.

b) Ohne Beweis ist auch die Behauptung des Beklagten gebheben, der Talfahrer habe zunächst seinem Vorschlag zugestimmt, Steuerbord an Steuerbord zu begegnen, dann aber eine Backbordbegegnung verlangt, der er seinerseits unter Beibehalten des von ihm bereits
eingeschlagenen Backbordkurses widersprochen habe. Dieser von dem Beklagten bereits im Verklarungsverfahren gemachten Angabe steht ebenfalls entgegen, daß er nach den
Bekundungen der Zeugen S. und M. sofort mit seinem Fahrzeug nach seiner plötzlichen Steuerbordkursweisung und ohne auf Antwort zu warten nach Backbord « rübergeschossen » und dem MS «X» fast in Querlage vor den Kopf gefahren sei.
Ferner haben S. und M. ausgesagt, daß für den Begegnungskurs keine Absprache zwischen dem Berg- und dem Talfahrer getroffen worden sei ; auch habe Schiffsführer S. von dem Bergfahrer keine Backbordbegegnung verlangt ; S. sei wegen des plötzlichen Manövers des Beklagten nur Zeit gebheben, ein Aufstoppen seines Fahrzeugs und ein Ausweichen nach Backbord zu versuchen, die Kollision aber nicht vermeiden können.

4. Entgegen der Ansicht des Beklagten trifft den Talfahrer kein Mitverschulden an dem Schiffsunfall.

a) Richtig ist, daß Ziel der Reise des MS «X» ein rechtsrheinisch gelegenes Kiesloch war, wo der Talfahrer seine Ladung verklappen wollte und dessen Einfahrt sich bei Rhein-km 835,2 befunden hat, also noch etwa 700 m unterhalb der Kollisionsstelle. Daraus läßt sich jedoch nicht zwingend schließen, daß sich der Talfahrer bei der Annäherung der beiden Fahrzeuge linksrheinisch gehalten hat, um von dort über Steuerbord in  das Kiesloch einzufahren, da, wie bereits ausgeführt, die Angaben der Besatzungszeugen zum Kurs der Fahrzeuge widersprüchlich sind und es zu diesem Punkt keine Aussagen anderer Zeugen gibt.

b) Richtig ist auch, daß der Talfahrer kein Dreitonzeichen gegeben hat. Hierzu wäre er nach § 6.32 Nr. 4 RheinSchPV 1983, jetzt 6.32 Nr. 3 RheinSchPV 1995, aber nur verpflichtet gewesen, wenn er auf dem Radarschirm bemerkt hätte, daß der Standort oder der Kurs des Gegenkommers eine Gefahrenlage verursachen kann. Das läßt sich aber nicht feststellen, zumal selbst der Beklagte einen linksrheinischen Kurs - also entsprechend der vorgeschriebenen « Geregelten Begegnung » - gefahren haben will und erst wenige hundert Meter vor dem Passieren der Fahrzeuge plötzlich eine Steuerbordbegegnung bei unverzüglicher eigener Kursänderung verlangt hat. Zu diesem Zeitpunkt konnte ein Dreitonzeichen des Talfahrers die Kollision auch nicht mehr verhindern. Im übrigen bedurfte es nunmehr ohnehin keiner besonderen Warnung mehr, da der Bergfahrer schon zuvor den Talfahrer auf dem Radarschirm erkannt hatte.

c) Schließlich ist der Vorwurf des Beklagten nicht bewiesen, der Talfahrer müsse sich mindestens als Verschulden anrechnen lassen, daß er sich mit dem Bergfahrer nicht über Funk verständigt habe. Nach dem Beweisergebnis kann nur angenommen werden, daß sich der Bergfahrer dem Talfahrer bereits auf ca. 300 m genähert hatte, als er entgegen der vorgeschriebenen «Geregelten Begegnung» von dem Talfahrer plötzlich eine Steuerbordbegegnung verlangte und sofort Backbordkurs genommen hat. Daß danach zwischen den beiden Fahrzeugen noch ein gehöriger Abstand für eine Kursabsprache oder wenigstens für eine erfolgversprechende Warnung seitens des Talfahrers an den Bergfahrer bestanden haben soll, läßt sich den Aussagen der beiden Schiffsbesatzungen nicht mit hinreichender Sicherheit entnehmen.

5. Aus den dargelegten Gründen wird für Recht erkannt:

a) Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 06.05.1994 aufgehoben.

b) Der Klageanspruch wird dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.

c) Der Rechtsstreit wird zur Verhandlung und Entscheidung über die Höhe der Klageforderung an das Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort zurückverwiesen.

d) Diesem wird auch die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits vorbehalten.