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32 Z - 2/75 - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 21.04.1975
Aktenzeichen: 32 Z - 2/75
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsätze:

1) Zur Verhaltenspflicht begegnender Schiffe bei Kollisionsgefahr.

2) Das Kursweisungsrecht des Bergfahrers gehört als eine der wichtigsten Normen der Rheinschiffahrtspolizeiverordnung zu den Grundregeln des Verkehrs auf dem Rhein.

Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt

vom 21. April 1975 - 32 Z - 2/75

(Rheinschiffahrtsgericht Mannheim).

Zum Tatbestand:

Das beladene MS O fuhr bei Dunkelheit, aber klarer Sicht, im Raum Mannheim im linksrheinischen Fahrwasser ohne Kursweisungssignal zu Berg. In seinem Kurs lag der Taucherschacht K mit rot-weißem Licht zur Mannheimer Seite, auf der ihn die durchgehende Schiffahrt passieren sollte. Rechtsrheinisch kamen hintereinander mehrere Schiffe, darunter R, mit der Kursweisung zur Steuerbordbegegnung zu Berg. Das zu Tal kommende, der Beklagten gehörige, vom Beklagten geführte MS W, das die Signale in der vorgeschriebenen Weise erwidert hatte, stieß mit MS O Kopf an Kopf zusammen. Die Klägerin als Rechtsnachfolgerin der früheren Eignerin von MS O verlangt Ersatz der an diesem Schiff entstandenen Schäden einschließlich Nutzungsverlust von insgesamt ca. 46 000,-- DM. MS W habe ohne Beachtung der Kursweisung von MS O (Backbordbegegnung) Kurs auf dieses Schiff genommen und trotz akustischen Signals beibehalten. Zur Vermeidung einer Kollision sei auf MS O in einer Entfernung von 150-200 m nochmals ein akustisches Signal gegeben, gleichzeitig durch optisches Signal die Steuerbordbegegnung verlangt und der Kurs nach Backbord verlegt worden. Da MS W seinen Kurs nach Steuerbord gerichtet habe, sei es zur Kollision gekommen. Die Beklagten haben behauptet, die gegebene Kursweisung korrekt befolgt zu haben. Die Kursänderung von MS O sei wegen Verstoßes gegen § 6.03 Abs. 3 RhSchPoIVO 1970 unzulässig gewesen. Hinter dem Taucherschacht habe MS O wegen der dort entstandenen Stromenge die Vorbeifahrt des Talfahrers abwarten müssen. Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage dem Grunde nach zu 2/3 für gerechtfertigt erklärt. Die Berufung beider Parteien wurde von der Berufungskammer der Rheinzentralkommission als unbegründet abgewiesen.


Aus den Entscheidungsgründen:

Es ist davon auszugehen, daß die vom MS O gegebene Weisung zu einer Begegnung Backbord auf Backbord auf dem MS W rechtzeitig erkannt worden ist. Es spricht nichts dafür, daß die Kursweisung dem Talfahrer keinen geeigneten Weg frei ließ. Sie war deshalb nach § 6.04 Abs. 5, 1. Halbsatz RhSchPVO 1970 zu befolgen. Mit dem Rheinschiffahrtsgericht ist die Berufungskammer der Ansicht, daß die Führung des MS W die Verpflichtung, den gewiesenen Kurs zu fahren, nicht erfüllt hat. Von allen an der Kollision nicht beteiligten Schiffen war das zu Berg fahrende MTS R den entscheidenden Ereignissen am nächsten. Den Abstand beider Schiffe haben die damaligen Matrosen S. und K. von R bei ihren Vernehmungen durch die Wasserschutzpolizei am Tage nach der Kollision mit „ca. 300 m" angegeben. Der Schiffsführer B. meinte bei seiner Anhörung im Verklarungsverfahren, es seien 100-150 m gewesen. Es kann dahingestellt bleiben, welche Schätzung die bessere ist, denn in jedem Falle waren sich die beiden Schiffe so nahe, daß man von R aus den Kurs von O und des ihm entgegenkommenden W gut beobachten konnte. Das ist dann auch geschehen, wie die bereits erwähnten Aussagen bei ihrer weiteren Auswertung zeigen. Alle genannten Zeugen haben erklärt, daß die Kurse der später zusammengestoßenen Schiffe aufeinander zugeführt hätten, so daß Kollisionsgefahr bestanden habe. Die Zeugen haben sich deshalb spontan Gedanken darüber gemacht, wie eine so gefährliche Verhaltensweise zu erklären sei. Sie sind übereinstimmend zu dem Ergebnis gekommen, das MS W müsse - wahrscheinlich irritiert durch den Taucherschacht K und dessen Beleuchtung - das MS O übersehen haben. Fast völlig übereinstimmend haben 2 der genannten Zeugen auch die weiteren Ereignisse geschildert. In einer Entfernung zueinander, die der Matrose S. auf „ca. 150 m" und der Matrose K. auf „50 m" geschätzt haben, änderten beide Schiffe ihren Kurs in der Weise, daß MS O ihn nach Backbord und das MS W ihn nach Steuerbord verlegte. Diese Aussagen stammen von Zeugen, die kein Interesse am Ausgang des Rechtsstreits haben. Alle Zeugen sind erfahrene Schiffer, von denen eine objektiv zuverlässige Beobachtung der Ereignisse auf dem Strom erwartet werden kann. Geht man aber von der Richtigkeit der erörterten Aussagen aus, so steht fest, daß die Führung des MS W eine ihr gegebene Kursweisung des MS O nicht befolgt, sondern Kurs auf dieses Schiff zu genommen hat, so daß Kollisionsgefahr entstand. Sie hat also gegen § 6.04 Abs. 5, 1. Halbsatz RhSchPVO 1970 verstoßen. Der Versuch, diesen Fehler durch eine Kursänderung zu korrigieren, erfolgte zu spät und war erfolglos, weil er mit einer entsprechenden Kursänderung des MS O zusammenfiel, die von dem Bestreben geleitet war, die durch MS W heraufbeschworene Kollisionsgefahr abzuwenden. Die geschilderte Fahrweise des MS W mußte auf MS O die Befürchtung hervorrufen, die gegebene Kursweisung sei nicht verstanden worden. Es war deshalb ein Signal gemäß § 6.04 Abs. 4, 1. Alternative („einen kurzen Ton") zu geben. Dies ist nicht geschehen, denn ein solches Signal hat kein unbeteiligter Zeuge gehört, wenn der Schiffsführer Z. des MS O es auch gegeben haben will. Der Zeuge S. hat ein Signal des MS O gehört, als das Schiff von dem MS W etwa 150 m entfernt war. Er konnte aber nicht sagen, welches Signal es gewesen sei. Der Zeuge K. hat bei der gleichen Entfernung einen langen Ton gehört, ohne sagen zu können, welches Schiff das Signal gegeben habe. Im Zusammenhang gewertet erlauben diese Aussagen lediglich die Schlußfolgerung, das MS O habe ein Signal in Gestalt eines langen Tones gegeben, als es von dem MS W etwa 150 m entfernt war. Trifft man mit dem Rheinschiffahrtsgericht diese Feststellung, was die Berufungskammer für richtig hält, so hat die Führung des MS O ihre sich aus § 6.04 Abs. 4 1. Alternative ergebende Pflicht, ein Signal in Gestalt eines kurzen Tones zu geben, nicht erfüllt. Das gegebene Lang-Ton-Signal - das sogenannte Achtungssignal - war aber ebenfalls geeignet, die Führung des MS W auf die bestehende Kollisionsgefahr aufmerksam zu machen und sie zu einer zweckmäßigen Reaktion zu veranlassen. Es ist auch richtig, daß er sicher auf das MS O als signalgebendes Schiff hinwies. Der gegebene lange Ton konnte aber angesichts der Gesamtsituation im Revier erkennbar auch nur von diesem Schiff stammen, denn nur seine Situation war mit Rücksicht auf den Kurs von MS W gefahrvoll. Im übrigen bestand keinerlei Gefahr, so daß kein anderes Schiff Anlaß hatte, ein akustisches Signal zu geben. Es ist deshalb zumindest nicht erkennbar, daß der Charakter des gegebenen akustischen Signals auf den Unfall von Einfluß gewesen ist, da die zu ihm führenden Ereignisse den gleichen Verlauf genommen hätten, wenn das spezielle Signal - ein kurzer Ton - statt des allgemeinen Achtungssignals gegeben worden wäre. Die für objektiv zuverlässig erklärten Zeugenaussagen zeigen auch, daß das MS O seinen Kurs nach Backbord verlegt hat, als es weniger als 150 m von dem MS W entfernt war. Geht man davon aus, daß diese Maßnahme erfolgte, bevor das MS W seinen Kurs änderte, so war sie objektiv zweckmäßig. Die Kursverlegung nach Backbord machte nämlich dem MS W den Talweg frei, ohne daß es eine Kursänderung vorzunehmen brauchte. Trotz der bisherigen Darlegungen hat aber das Rheinschiffahrtsgericht eine Mitverantwortung der Führung des MS O für die Kollision festgestellt. Sie liegt in einem Verstoß gegen die allgemeine nautische Sorgfaltspflicht (§ 1.04 RhSchPVO 1970). Diese Pflicht gebietet es u. a. notwendige Schallzeichen so rechtzeitig vorzunehmen, daß sie ihren Zweck erfüllen können. Auf dem MS O sind beide Maßnahmen zweifellos zu spät getroffen worden. (wird ausgeführt). Von den festgestellten Fehlern wiegt der auf MS W begangene am schwersten. Das Kursweisungsrecht des Bergfahrers gehört zu den wichtigsten Normen der Rheinschiffahrtspolizeiverordnung. Es ist eine der Grundregeln des Verkehrs auf dem Rhein. Entsprechend bedeutend ist die Pflicht des Talfahrers, eine erhaltene korrekte Kursweisung zu befolgen. Ein Verstoß gegen diese Pflicht wiegt sehr schwer. Weniger bedeutungsvoll ist demgegenüber eine zwar zweckmäßige, aber verspätete Reaktion des Bergfahrers auf die Mißachtung seiner Kursweisung.