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318 Z - 18/94 - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 10.02.1995
Aktenzeichen: 318 Z - 18/94
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsätze:

1) Lassen sich die Ursachen eines Zusammenstoßes von Schiffen nach dem Ergebnis eines Verklarungsverfahrens, nach den Zeugenaussagen und den von den Parteien vorgelegten Privatgutachten nicht hinreichend sicherfeststellen und können auch aus den örtlichen Gegebenheiten und Maschinenmanövern unmittelbar vor der Kollision nicht sichere Schlußfolgerungen gezogen werden und gibt es keine sonstigen überzeugenden Anhaltspunkte für die Richtigkeit der einen oder der anderen Darstellung, die in einem unvereinbaren Gegensatz gegenüberstehen, ist nach § 92a BinSchG ein Schadensersatz ausgeschlossen.

2) Die Aussagen von Zeugen zu würdigen und die für die Entscheidung eines Rechtsstreits rechtlich verbindlichen Feststellungen zu treffen, ist allein Sache des Gerichts, nicht die von Sachverständigen.

Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt

vom 10.2.1995

318 Z - 18/94

(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort)

Zum Tatbestand:
 
Die Klägerin ist Versicherer des MTS R, das, von Schiffsführer P geführt, am 16.11.1991 gegen 20.00 Uhr bei Dunkelheit und Nebel auf dem Rhein zu Tal fahrend, mit dem zu Berg kommenden MS "Maria" der Beklagten zu 1, geführt vom Beklagten zu 2, im Revier bei Grieth zusammengestoßen ist. Beide Schiffe fuhren mit Radar. Am linksrheinischen Fahrwasserrand lagen 3 Stillieger. MS M folgte zunächst dem linksrheinisch vorausfahrenden Schubverband "K" und dem MTS "S". Nach vorausgegangenen Absprachen überholte M zunächst "K" und setzte dann zur Überholung von „S“ an.
Als sich M querab von "S"" befand, kam es zur Kollision mit R, wobei beide Schiffe erheblich beschädigt wurden.
 
Die Klägerin hat behauptet, MS M sei ausgesprochen "breit" gefahren. Es habe gerade MTS "S" mit einem Abstand von ca. 40 bis 50 m überholt. Dieses Schiff habe seinerseits zu den linksrheinisch befindlichen Stilliegern einen Abstand von ca. 50 m gehabt. MTS R sei rechtsrheinisch am äußersten Rande der Fahrrinne zu Tal gefahren und hätte MS M mit einem Abstand von ca. 50 m passieren können, wenn nicht MS M in einem Längsabstand von ca. 100 m plötzlich stark nach Backbord gehalten und das gestreckt fahrende MTS R bei Rhein-km 844,7 gerammt habe.
 
Weiter hat die Klägerin ausgeführt, der Beklagte zu 2 sei nicht so weit wie möglich linksrheinisch gefahren und habe mit MS M in einem gefahrenträchtigen Teil des Reviers fehlerhaft überholt. Die Beklagten seien deshalb für die Zulässigkeit des Überholmanövers beweispflichtig.
Die Maschinen des MS M hätten beim Überholen eine erhebliche Sogwirkung ausüben können. Die typische Gefahr des Ansaugens mit der Folge eines Ausscherens nach Backbord habe sich hier verwirklicht. Das M zweimal gegen R angekommen sei, spreche dafür, daß sich R in keiner Steuerbordschräglage und M sich nicht in gestreckter Lage befunden habe, weil sonst M mit seinem Vorschiff in R steckengeblieben oder im günstigsten Falle an diesem Schiff entlanggeschrammt, nicht aber erneut mit diesem Schiff kollidiert wäre.
 
Die Beklagten haben vorgetragen, der Beklagte zu 2 habe sein Überholmanöver mit den vorausfahrenden Schiffen abgesprochen. Der Schiffsführer des Schubbootes "K" habe erwidert, er werde langsamer machen und dann selbst MTS "S"  überholen. Während des Überholmanövers sei auf dem Radarschirm des MS M ein Echo erschienen, das sich als MTS R herausgestellt habe. Dieses Schiff habe sich ziemlich linksrheinisch gehalten. Der Beklagte zu 2 sei davon ausgegangen, daß MTS R rechtzeitig wieder zum rechten Ufer hinübergehen werde, wie es dem Verlauf des Fahrwassers entsprochen habe. Als das nicht geschehen sei, habe er zurückgeschlagen und nach Steuerbord auf MTS "S" zugehalten, in dessen Höhe er sich befunden habe. MTS R habe dann zwar noch versucht, seinen Kurs wieder nach rechtsrheinisch zu verlegen, dies sei aber zu spät gewesen, so daß es zur Kollision der Backbordvorschiffe gekommen sei.
 
Die Beklagten haben der Schiffsführung des MTS R vorgeworfen, die Kursweisung des MS M mißachtet zu haben. Bei einer Strombreite von ca. 330 m habe sich M während des Überholmanövers im linksrheinischen Fahrwasser befunden und die Talfahrt nicht behindert. Das Überholmanöver sei zulässig gewesen.
 
Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Schadensersatzklage abgewiesen. Die Interessenten beider beteiligten Schiffe müßten nach § 92a BinSchG die erlittenen Schäden selbst tragen, weil durch das Ergebnis der Beweisaufnahme nicht geklärt sei, welches der beiden Schiffe die Kollision verursacht habe und Beweislastgrundsätze zu Lasten einer unfallbeteiligten Partei nicht eingriffen. Die Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg.

Aus den Entscheidungsgründen:

"Nach § 92a BinSchG besteht im Falle eines Zusammenstoßes von Schiffen kein Anspruch auf Ersatz des Schadens, der den Schiffen oder den an Bord befindlichen Personen oder Sachen durch Zufall oder höhere Gewalt zugefügt worden ist oder dessen Ursachen ungewiß sind. Entsprechend dieser Vorschrift hat das Rheinschiffahrtgericht mit Recht die Klage abgewiesen. Auch die Berufungskammer sieht die Ursachen des Unfalls vom 18.1 1.1991 bei erneuter Prüfung und Würdigung aller Umstände des Falles als ungeklärt an. Ihre Auffassung stützt die Berufungskammer im einzelnen auf folgende Erwägungen.
 
1. Bei Abwägung aller Umstände des Falles muß das Überholmanöver des MS M als zulässig erachtet werden. Im Revier bei Grieth besteht zwar ein Rechtsfahrgebot (§ 9.02 Ziff. 1 b RheinSchPV), dieses Rechtsfahrgebot verbietet den Fahrzeugen aber nicht, unter Berücksichtigung der sonstigen allgemeinen Bestimmungen (§ 6.09 RheinSchPV) andere Fahrzeuge zu überholen. Auch die örtlichen Verhältnisse, insbesondere die Krümmungen des Stromes und die Fahrwasserverhältnisse im Revier bei Grieth schließen Überholmanöver auch bei Dunkelheit und Nebel nicht aus. Von einem gefahrenträchtigen Revierabschnitt, wie es die Klägerin nennt, kann im Hinblick auf die örtlichen Gegebenheiten nicht die Rede sein, mag es auch infolge der Verkehrsdichte auf diesem Teil des Reviers häufiger zu Unfällen kommen.
 
Nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin über die Lage der 3 Stillieger (etwa 30 - 40 m aus dem linken Ufer), dem Seitenabstand der dem MS M vorausfahrenden Schiffe zu diesen Stilliegern (ca. 50 m) und dem späteren Überholabstand des MS M zu MTS "S" (ca. 40 - 50 m) hätten MS M dem MTS R mit einem Seitenabstand von ca. 40 m begegnen können. Schon diese Darstellung der Klägerin zeigt auf, daß gegen die Zulässigkeit des Überholmanövers des MS M keine Bedenken erhoben werden können, weil schon der von der Klägerin genannte Begegnungsabstand eine gefahrlose Begegnung der Schiffe gestattete. Hinzu kommt, daß das rechtsrheinische Fahrwasser frei war und der Beklagte zu 2 davon ausgehen durfte, daß MTS R dem an dieser Stelle des Reviers geltenden Rechtsfahrgebot folgen und bei der Annäherung an die spätere Unfallstelle nach rechtsrheinisch beigehen werde, wo ausreichend Platz zur Verfügung stand und woran es durch nichts gehindert war. Schließlich haben auch die Schiffsführer der vom Beklagten zu 2 überholten Schiffe, die Zeugen D und P keine Bedenken gegen die Einleitung des Überholmanövers erhoben. Beide Zeugen haben auch zum Ausdruck gebracht, sie hätten erwartet, daß MTS R rechtzeitig nach Steuerbord zum rechten Ufer beigehen werde.
 
2. Die Ursachen der Kollision der unfallbeteiligten Schiffe lassen sich nach dem Ergebnis des in dieser Sache durchgeführten Verklarungsverfahrens und der beiden von den Parteien vorgelegten Privatgutachten nicht hinreichend sicher feststellen. Schiffsführer P und dessen Vater, der Zeuge K P, haben den Unfallhergang im wesentlichen so beschrieben, wie das dem Klagevortrag entspricht. Danach soll MS M auf ca. 100 m Abstand zu MTS R plötzlich nach Backbord ausgeschert sein und so das Motortankschiff gerammt haben. Ihre Angaben werden durch die der unbeteiligten Zeugen N und H bestätigt, während die Zeugen F und L, die ebenfalls an Bord des MTS R gewesen sind, zum eigentlichen Unfallhergang keine Wahrnehmungen gemacht haben.
 
Demgegenüber hat der Beklagte zu 2 im Verklarungsverfahren bekundet, MTS R sei ca. 70 m aus dem linken Ufer gefahren und habe bei der Annäherung der Schiffe seinen Kurs beibehalten. Erst in der letzten Phase der Geschehnisse habe der Talfahrer stark nach Steuerbord gehalten, ohne den Unfall damit noch abwenden zu können. Ebenso haben die Zeugin A B, die Ehefrau des Beklagten zu 2, und die unbeteiligten Zeugen D und P den Kurs des MTS R geschildert. Nach ihren Angaben kann von einem Ausscheren des MS M nach Backbord in den Kurs des Talfahrers keine Rede sein.
Hiernach kann es so gewesen sein, daß MTS M in kurzem Abstand auf MTS R zugefahren ist. Möglich ist aber auch ein fehlerhafter Kurs des Talfahrers, der zu spät korrigiert wurde. Welche Darstellung richtig ist, läßt sich auch nicht aus sonstigen Anhaltspunkten oder Umständen entnehmen. Das Rheinschiffahrtsgericht hat bereits mit überzeugender Begründung ausgeführt, daß weder aus den örtlichen Gegebenheiten und den Maschinenmanövern des MS M unmittelbar vor der Kollision sichere Schlußfolgerungen gezogen werden können und Hinweise auf Sogwirkungen nicht sicher festzustellen sind. Hierauf nimmt die Berufungskammer zur Vermeidung von Wiederholungen bezug. Es gibt keine sonstigen überzeugenden Anhaltspunkte für die Richtigkeit der einen oder anderen Darstellung, die in einem unvereinbaren Gegensatz gegenüberstehen. Soweit die von den Parteien zur Erstattung von Privatgutachten hinzugezogenen Sachverständigen H und K die die Aussagen der Zeugen im Verklarungsverfahren auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft haben, um eine tatsächliche Grundlage für das jeweils erstattete Gutachten zu erlangen, wird verkannt, daß es allein Sache des Gerichts ist, die Aussagen von Zeugen zu würdigen und die für die Entscheidung eines Rechtsstreits rechtlich verbindlichen Feststellungen zu treffen. Soweit die Sachverständigen aufgrund der Schäden an den unfallbeteiligten Schiffen Ausführungen zu dem Antoßwinkel der Kollisionsgegner gemacht haben, widersprechen sich ihre Darstellungen. 
 
Im übrigen können auch die Erkenntnisse der Sachverständigen zu dem Anstoßwinkel der Kollisionsgegner keine sicheren Aufschlüsse über den Kurs des MS M und des MTS R geben, weil der Anstoßwinkel über den Kurs des MS M und des MTS R geben, weil der Anstoßwinkel durch Kursänderungen der beteiligten Schiffe in der letzten Phase vor der Kollision, die hier nicht nur vom Beklagten zu 2, sondern auch von den unbeteiligten Zeugen D und P bezeugt worden sind, entstanden sein kann. Der Anstoßwinkel als solcher kann deshalb die Richtigkeit der einen oder anderen Darstellung der Unfallursache nicht zur Überzeugung der Berufungskammer bestätigen.
Für die Beurteilung der Ergebnisse der Beweisaufnahme konnte es auch nicht auf die Feststellung der genauen Lage der Unfallstelle entscheidend ankommen, die der Zeuge N mit Rheinstrom-km 844,7 - 844,8 und die Zeugen H und P mit Rheinstrom-km 844 angegeben haben, weil aus der Lage der Unfallstelle nichts zu entnehmen ist. Es ist insbesondere nicht ersichtlich, daß der Verlauf der amtlichen Fahrrinne in der 0rtslage Grieth zum rechten Ufer hin einen entscheidenden Einfluß auf das Unfallgeschehen hatte, wenn Schiffsführer P, wie er angegeben hat, hart rechtsrheinisch gefahren  sein  sollte. War er hingegen, wie die Interessenten des MS M behaupten im linksrheinischen Stromdrittel, war ohnehin sein Kurs verfehlt, weil er  sich nicht rechtsrheinisch gehalten hat.
 
Zusammenfassend ist die Berufungskammer der Überzeugung, daß die Ursachen  des Unfalls ungewiß sind, weshalb nach § 92 a BinSchG ein Schadensersatz ausgeschlossen ist. Die Berufung der Klägerin ist deshalb unbegründet.....“

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1995 - Nr.6 (Sammlung Seite 35 f.), ZfB 1995, 35 f.