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30 Z - 1/75 - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 21.04.1975
Aktenzeichen: 30 Z - 1/75
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsätze:

1) Die Berufung einer klagenden Partei, deren Anträgen im Urteil eines Rheinschiffahrtsgerichtes in vollem Umfang entsprochen worden ist, ist unzulässig, zumal dadurch der beklagten Partei das in der Mannheimer Akte vorgesehene Wahlrecht genommen würde.

2) Zu den Voraussetzungen der in Art. 34 II C der Mannheimer Akte vorgesehenen Zuständigkeit der Rheinschiffahrtsgerichte.

Urteil der Berufungskammer der Rheinzentralkommission

vom 21. April 1975

(Rheinschifffahrtsgericht Straßburg)

Zum Tatbestand:

Die Klägerinnen sind Interessenten des Tankkahnes M, die Beklagten Interessenten des MS V.Beim Umschlag von 895 t Superbenzin von MS V in den Tankkahn M war dieses Schiff durch eine im Straßburger Hafen erfolgte Explosion und den anschließenden Brand vollständig zerstört worden. Da die Beklagten gegenüber der Schadensersatzklage der Klägerinnen auf Ersatz des Schadens von ca. 810000 ffr. die Einrede der Unzuständigkeit des angerufenen Strasbourger Rheinschiffahrtsgerichts erhoben hatten, haben beide Parteien die Beschränkung der Verhandlung auf die Frage der Unzuständigkeit erklärt.

Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Einrede der Unzuständigkeit „ratione materiae" zurückgewiesen.

Gegen dieses Urteil haben die Klägerinnen am 16. 2. 1974 Berufung beim Rheinschiffahrtsobergericht in Colmar eingelegt und das Urteil am 5. 4. 1974 den Beklagten zugestellt.

Nach der Zustellung des Urteils haben die Beklagten am 29. 4. 1974 Berufung bei der Berufungskammer der Rheinzentralkommission eingelegt.

Das Rheinschiffahrtsobergericht hat die Berufung der Klägerin für unzulässig erklärt. Die Berufungskammer der Rheinzentralkommission hat die Berufung der Beklagten als unbegründet zurückgewiesen.

Aus den Entscheidungsgründen:

Die von den Beklagten am 29. 4. 1974 bei der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt eingereichte Berufung ist formgerecht und gemäß Artikel 37 Abs. 2 der Mannheimer Akte eingelegt worden. Nach Artikel 37 bis, Absatz 3 prüft die Berufungskammer von Amtes wegen, ob bereits bei dem nationalen Gericht Berufung eingelegt worden ist.

Die Berufungskammer stellt fest, daß die Klägerinnen tatsächlich am 16. 2. 1974 beim Rheinschiffahrtsobergericht in Colmar gegen dasselbe Urteil Berufung eingelegt haben. Sie hält diese Berufung jedoch für nichtig, da sie gegenstandslos ist. Gegenstand einer jeden Berufung gegen ein Urteil ist der Antrag auf Änderung desselben. Ein solcher Antrag kann daher nur von derjenigen Partei gestellt werden, die nicht mit der Entscheidung des erstinstanzlichen Richters einverstanden ist, was voraussetzt, daß dieser eine Entscheidung getroffen hat, die einem Antrag dieser Partei widerspricht. Im vorliegenden Fall hat der erstinstanzliche Richter mit Urteil vom 6. 2. 1974 nur über die von den Beklagten erhobene Einrede der Unzuständigkeit ratione materiae entschieden. Die Parteien hatten sich bereit erklärt, das Verfahren auf diese Frage zu beschränken.

Der erstinstanzliche Richter hat die von den Beklagten erhobene Einrede der Unzuständigkeit verworfen. Die Klägerinnen obsiegten somit und können nicht mehr eine Änderung der Entscheidung beantragen, die ihrem Antrag, an den sie gebunden sind, entspricht.

Es widerspräche dem Geist der Mannheimer Akte und insbesondere ihres Artikels 37 bis, daß sich die Berufungskammer für die bei ihr am 29. 4. 1974 von den Beklagten eingereichte Berufung nur deshalb für unzuständig erklären sollen, weil die Klägerinnen zuvor, am 16. 2. 1974, eine gegenstandslose Berufung eingelegt haben.

Die Folge dieser Berufung wäre, den Beklagten die Wahl des Berufungsrichters zu nehmen. Gerade dieses Wahlrecht ist aber in der Mannheimer Akte vorgesehen und geschützt.

Das Vorliegen einer früher eingelegten Berufung, die offensichtlich gegenstandslos ist, kann nicht zur Anwendung von Artikel 37bis Abs. 1 führen, so daß die Berufungskammer durch die Berufung der Beklagten vom 29. 4. 1974 ordnungsgemäß angerufen worden ist.

Die Zuständigkeit der Rheinschiffahrtsgerichte in Zivilsachen ist in der Mannheimer Akte, vornehmlich in Artikel 34 und 34bis, nicht unter dem Gesichtspunkt der Begriffe der vertraglichen oder außervertraglichen Haftung der Parteien festgelegt.

Die in Artikel 34 II C vorgesehene Zuständigkeit ist von drei Voraussetzungen abhängig:

- es muß eine Beschädigung vorliegen,
- die Beschädigung muß von einem Schiffs- oder Floßführer verursacht worden sein, und
- sie muß während der Fahrt oder beim Anlanden verursacht worden sein.

Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so kann sich jede Schadensersatzklage sowohl auf eine vertragliche als auch auf eine deliktische Haftung stützen. Dem steht der Wortlaut der maßgeblichen Bestimmungen nicht entgegen.

In manchen Staaten ist die Häufung vertraglicher und außervertraglicher Klagen zulässig. Das Recht anderer Staaten läßt diese Klagenhäufung nicht zu. Um Auseinandersetzungen darüber zu vermeiden und beheben, sieht Artikel 34bis der Mannheimer Akte ausdrücklich vor, daß die Rheinschiffahrtsgerichte gemäß Artikel 34 II C auch zuständig sind, wenn die Parteien in einem Vertragsverhältnis stehen. Eine einzige Ausnahme ist vorgesehen: Die Rheinschiffahrtsgerichte sind selbst dann, wenn die Voraussetzungen von Art. 34 II C erfüllt sind, nicht zuständig, wenn es sich um eine auf einen Vertrag gestützte Klage gegen ein Schiff wegen schuldhaft verursachter Schäden, die an Bord desselben befindliche Personen oder Güter erlitten haben, handelt.

Im vorliegenden Falle sind die in Artikel 34 II C genannten Voraussetzungen zweifelsohne erfüllt, nicht aber die Voraussetzungen für die Ausnahme.

Das Rheinschiffahrtsgericht ist daher zuständig.

Es wird für Recht erkannt :

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Strassburg vom 14.2.1974 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Strassburg vom 14.2.1974 wird bestätigt.

Die Kosten der Berufungsinstanz gehen zu Lasten der Beklagten.

Die Berufungskosten sind gemäss Art. 39 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte vom Rheinschifffahrtsgericht Strassburg festzusetzen.