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30 UR II 1/18 BinSch - Amtsgericht (Schiffahrtsgericht)
Entscheidungsdatum: 04.06.2018
Aktenzeichen: 30 UR II 1/18 BinSch
Entscheidungsart: Beschluss
Sprache: Deutsch
Gericht: Amtsgericht Mannheim
Abteilung: Schiffahrtsgericht

Leitsatz:

Der Antragsteller eines Verklarungsverfahrens hat auch hinsichtlich des Havarievorganges, der Gegenstand seines Antrages ist, ein Zeugnisverweigerungsrecht wie ein Zeuge nach § 384 Nr. 2 ZPO.

 

Beschluss des Schiffahrtsgerichtes Mannheim

Az.: 30 UR II 1/18 BinSch

(Verklarungsverfahren)

vom 4. Juni 2018

Beschluss

In Sachen ... wegen Verklarung ... hat das Amtsgericht Mannheim ... beschlossen:

Der Antrag der Verfahrensbeteiligten Ziffer 2 und Ziffer 3 auf Verhängung eines Ordnungsgeldes gegen den Antragsteller wird abgelehnt.

Gründe:

Der Antragsteller hat während seiner Vernehmung am 28.05.2018 das Zeugnis verweigert, Angaben zu einem Alkoholkonsum vor, während oder nach der Havarie am 27.02.2018 mit dem Schubverband A bei Rhein-km 427,6 zu machen. Die Verfahrensbeteiligten Ziffer 2 und Ziffer 3 erachten die Zeugnisverweigerung als unrechtmäßig und haben die Verhängung eines Ordnungsgeldes beantragt. Der Antragsteller habe es selbst in der Hand, sich durch Rücknahme des Antrags auf Durchführung der Beweisaufnahme über den tatsächlichen Hergang des Schiffsunfalles aus der misslichen Situation zu befreien, kein umfassendes Zeugnis über den Havarievorgang abzulegen. Entscheide er sich aber, einen Antrag auf Verklarung zu stellen, müsse er auch umfassend aussagen (vgl. von Waldstein, Das Verklarungsverfahren im Binnenschifffahrtsrecht, Seite 85).

Der Antrag war zurückzuweisen, da dem Antragsteller, der zum Zeitpunkt der Havarie Schiffsführer des Schubverbandes A war, zu Recht ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht. Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 BinSchG hat sich der Schiffsführer als Antragsteller selbst zum Zeugnisse zu erbieten und die zur Feststellung des Sachverhältnisses sonst dienlichen Beweismittel zu bezeichnen. Bereits aus dem Wortlaut ergibt sich, dass der Antragsteller selbst - anders als im selbständigen Beweisverfahren gemäß § 485 ZPO - als Beweismittel, nämlich als Zeuge, in Betracht kommt, nicht als Beweismittel sui generis. Zudem erfolgt gemäß § 13 Abs. 1 BinSchG die Aufnahme des Beweises nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung. Danach sind die Beweismittel Sachverständiger, Augenschein, Parteivernehmung, Urkunden und Zeugen zulässig. Wäre aber der Antragsteller einer Partei gleichzustellen, wäre diese ohnehin nicht verpflichtet, auszusagen oder vollständig auszusagen (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 32. Aufl., § 453 Rn. 2). Ist der Antragsteller einem Zeugen gleichzustellen, wofür - wie ausgeführt - der Wortlaut des § 11 Abs. 1 Satz 2 BinSchG spricht, stehen ihm damit auch die Zeugnisverweigerungsrechte gemäß §§ 383, 384 ZPO i.V.m. § 13 Abs. 1 BinSchG zu (vgl. von Waldstein/Holland, Binnenschifffahrtsrecht, 5. Aufl., § 13 Rn. 7 unter Aufgabe der Ansicht in von Waldstein aaO).

Der Antragsteller hat das Zeugnis auch nicht ohne Angabe eines Grundes verweigert. Vorliegend ergibt sich bereits aus der Ermittlungsakte der Wasserschutzpolizei (VST/0366107/2018), dass bei dem Antragsteller die Frage der Fahrtauglichkeit infolge der Einnahme von alkoholischen Getränken thematisiert worden ist. Dem Antragsteller sind um 05.40 Uhr und 06.10 Uhr Blutproben entnommen worden, die einen Wert von 1,46 Promille bzw. 1,35 Promille erge-ben haben. Darüber hinaus haben die ermittelnden Polizeibeamten angegeben, beim Antragsteller Alkoholgeruch wahrgenommen zu haben. Schließlich hat der Antragsteller im Ermittlungsverfahren im Rahmen seiner Beschuldigtenvernehmung selbst Angaben zu seinem Alkoholkonsum gemacht. Der Antragsteller hat also auf eine Frage, deren Beantwortung die Gefahr zuziehen würde, wegen einer Straftat verfolgt zu werden, das Zeugnis verweigert (§ 384 Nr. 2 ZPO).

Anmerkung der Redaktion:

Das Verklarungsverfahren ist ein Verfah­ ren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, das in der Regel unmittelbar nach einer Hava­rie beantragt und eröffnet wird. Der Verklarungsrichter ermittelt nach der Offizi­almaxime nach eigenem Ermessen alle relevanten Umstände der Havarie. Dazu gehört an erster Stelle die Vernehmung der Besatzungen aller havariebeteiligten Schiffe sowie weiterer Zeugen.

Antragsbefugt nach § 11 BinSchG ist der verantwortliche Schiffsführer eines an ei­nem Schiffsunfall beteiligten Schiffes. In der schifffahrtsrechtlichen Praxis ist es üblich, dass sich die beteiligten Schiffs­ parteien formlos darüber verständigen, welches Schiff einen Verklarungsantrag stellt. Da sowohl eine Angriffsverklarung als auch eine Verteidigungsverklarung möglich ist und in vielen Havariefällen zunächst Unklarheit über die mögliche Schuldfrage besteht, ist es mehr oder weniger zufällig, welches Schiff den An­trag stellt.

Verfahrenstechnisch hat der den Antrag stellende Schiffsführer eine andere Rol­le als nur eine Zeugenrolle im Verkla­rungsverfahren. Er ist als Antragsteller Beteiligter des Verklarungsverfahrens. Deshalb stellt sich die Frage, ob derjeni­ge, der einen Antrag auf Aufklärung des Schiffsunfalles stellt, ein Zeugnisverwei­gerungsrecht haben kann. Eine Zeugnisverweigerung steht in objektiver Be­trachtung zunächst im Gegensatz zu dem Antrag auf vollständige Aufklärung des Havarieherganges.

Wie das Schiffahrtsgericht in vorliegen­ dem Fall richtig entschieden hat, ist auch der Antragsteller prozessrechtlich als Zeu­ge im Sinne des Beweiserhebungsrechtes anzusehen. Dies ergibt sich schon aus der Tatsache, dass der Antragsteller selbst An­gaben über eigene Wahrnehmungen zum Havariehergang machen kann. Im Übrigen findet im Anschluss an ein Verklarungsver­fahren – falls die Parteien sich nicht außer­ gerichtlich über die Regulierung der ent­standenen Schäden einigen können – ein Streitverfahren zwischen den Versicherern des einen Schiffes gegen den Schiffseig­ner/Ausrüster des jeweils anderen Schiffes statt. Spätestens in diesem Stadium der gerichtlichen Auseinandersetzung werden die im Verklarungsverfahren erhobenen Beweise verwertet. Zu diesen Beweisen gehören auch die Angaben, die der An­tragsteller in seiner richterlichen Verneh­mung (also unabhängig von der Havarieschilderung in der Antragsschrift) macht. Würde man den antragstellenden Schiffsführer vor die Alternative stellen, entwe­der den Verklarungsantrag zurückzuziehen oder uneingeschränkt und ohne Zeugnis­verweigerungsrecht Angaben zu machen, dann würde man den Zweck des Verkla­rungsverfahrens unterlaufen. Das hava­riebeteiligte Schiff, dessen Schiffsfüh­rer den Antrag stellt, hätte dann faktisch nicht mehr die Möglichkeit, die Beweissi­cherungsfunktion des Verklarungsverfah­rens zu nutzen.

Umgekehrt kann es nicht richtig sein, ei­nen Schiffsführer, der das Havariege­ schehen selbst beobachtet hat, dazu zu zwingen, möglicherweise ihn selbst straf­rechtlich belastende Angaben zu ma­chen. Das Zeugnisverweigerungsrecht hat Verfassungsrang, da niemand dazu gezwungen werden kann, an seiner ei­genen Bestrafung mitzuwirken.

Deshalb hat selbstverständlich jede an­tragstellende natürliche Person ein Zeugnisverweigerungsrecht auch im Verkla­rungsverfahren. Im Übrigen wird nach schifffahrtsrechtlicher Übung auch der Antragsteller für seine Teilnahme an einer Beweisaufnahme im Verklarungsverfahren entschädigt durch Ersatz der ihm entstan­denen Fahrtkosten und durch eine Freizei­tentschädigung, die gegenwärtig bei den Schiffahrtsgerichten auf 150,00 € pro Tag für einen Schiffsführer beziffert wird.

Der vorstehend veröffentlichten Entschei­dung des Schiffahrtsgerichtes Mannheim ist daher uneingeschränkt zuzustimmen.

Rechtsanwalt Dr. Martin Fischer, Frankfurt am Main

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2018 - Nr.9 (Sammlung Seite 2549 f..); ZfB 2018, 2549 f.