Rechtsprechungsdatenbank

3 W 4/74 RhSch - Oberlandesgericht (Rheinschiffahrtsobergericht)
Entscheidungsdatum: 19.02.1975
Aktenzeichen: 3 W 4/74 RhSch
Entscheidungsart: Beschluss
Sprache: Deutsch
Norm: § 406 ZPO
Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Abteilung: Rheinschiffahrtsobergericht

Leitsätze:

1) Die Schifferbörse ist keine Behörde oder sonstige öffentliche Stelle, die als Sachverständige nicht nach § 406 ZPO als befangen abgelehnt werden könnte.

2) Ihre Gutachten können als schriftliche Sachverständigengutachten nach der Zivilprozeßordnung nur zugelassen werden, wenn der oder die Verfasser namentlich bezeichnet sind und damit eine Ablehnung, Vorladung und Vereidigung möglich ist. Bei derartigen nicht behördlichen Gutachten können die Parteien die namentliche Bezeichnung der Gutachter fordern.

Beschluß des Oberlandesgericht - Rheinschiffahrtsobergericht – Karlsruhe

vom 19. Februar 1975

3 W 4/74 RhSch

(Rheinschiffahrtsgericht Mannheim)

Zum Sachverhalt:

Der Vorstand der Schifferbörse hatte gemäß einem Auftrag des Rheinschiffahrtsgerichts ein Sachverständigengutachten in nautischen Fragen zu Behauptungen der Prozeßparteien und der Streithelfer der Klägerin erstattet. In dem vom Geschäftsführer der Schifferbörse „im Auftrag" unterzeichneten Gutachten hieß es u. a., daß aufgrund einer schriftlichen Umfrage und einer Aussprache in der Gutachterkommission zu den Beweisthemen Stellung genommen werde. Auf Antrag der Beklagten fragte das Gericht bei dem Vorstand der Schifferbörse an, welche Gutachter an der Stellungnahme mitgewirkt hätten. Die Schifferbörse gab darauf Auskunft über die Art der Zusammensetzung des Börsenvorstandes und der Gutachterkommission. Eine Liste des Börsenvorstandes zum Zeitpunkt der Erstattung des Gutachtens wurde beigefügt.
Die Beklagten richteten nach Kenntnis der Auskunft an das Gericht ein Gesuch auf Ablehnung der Gutachter wegen Besorgnis der Befangenheit, weil drei der in der Vorstandsliste aufgeführten Sachverständigen in enger wirtschaftlicher Beziehung und Abhängigkeit zu den beiden Streithelfern der Klägerin ständen. Der Vorstand der Schifferbörse sei auch kein Sachverständiger im Sinne der ZPO.
Das Ablehnungsgesuch wurde vom Rheinschiffahrtsgericht wegen verspäteter Einreichung als unzulässig abgewiesen. Zusätzlich wurde die Ablehnung auch als unbegründet erklärt.
Auf die sofortige Beschwerde hat das Rheinschiffahrtsobergericht nach zwei weiteren, auf Verlangen des Gerichts erteilten Auskünften, in denen zu der Frage des Gerichts nach der protokollmäßigen Niederlegung der Beratungen der Gutachterkommission nicht Stellung genommen wurde, den Beschluß des Rheinschiffahrtsgerichts aufgehoben und das Gesuch der Beklagten auf Ablehnung des Vorstandes der Schifferbörse als Sachverständigen für begründet erklärt.

Aus den Gründen:

Das Ablehnungsgesuch war nach der Einreichung des schriftlichen Gutachtens der Schifferbörse noch zulässig, weil ein Ablehnungsgrund vorher nicht geltend gemacht werden konnte (§ 406 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Dies bedarf im vorliegenden Fall keiner Glaubhaftmachung, weil es offenkundig ist. Es war erst aus dem Gutachten ersichtlich, daß der Vorstand der Schifferbörse dieses ohne Benennung des tätig gewordenen Sachverständigen oder der als Sachverständige am Gutachten mitwirkenden Personen abgab. Infolgedessen bedurfte es einer ergänzenden Auskunft über diese Personen, die von den Beklagten abgewartet werden mußte, da das Gutachten insoweit unvollständig war und eine reine Ablehnung auf Verdacht unzulässig gewesen wäre (vgl. Baumbach-Lauterbach, ZPO, 32. Auf., Anm. 3 B zu § 406). Vor Abgabe des Gutachtens aber brauchten die Beklagten noch keine Erkundigungen darüber anzustellen, welche Personen namentlich als Sachverständige tätig sein würden. Deren Bezeichnung hatte im Gutachten zu erfolgen, wenn dieses nicht von einer Behörde erstattet wurde. Während nach herrschender Meinung Behördengutachten nicht von namentlich benannten Sachverständigen erstattet werden müssen und deshalb eine Sachverständigenablehnung bei solchen Gutachten nicht in Betracht kommen soll (vgl. Jessnitzer, Der gerichtliche Sachverständige, 4. Aufl., S. 39 zu III; dagegen Klaus Müller, Der Sachverständige im gerichtlichen Verfahren, 1973, S. 88), müssen von privaten Organisationen, wenn sie mit einem Gutachten beauftragt werden, auf jeden Fall bestimmte Gutachter eingesetzt werden, die im Gutachten als veranwortliche Verfasser namentlich zu bezeichnen sind (vgl. Zöller, ZPO, 11. Aufl., Anm. 3 zu § 402; Thomas-Putzo, ZPO, 7. Aufl., Anm. zu § 404; Müller aaO S. 89; Jessnitzer aaO S. 43/44; derselbe in NJW 1971, 1075; BVerwG NJW 1969, 1591; Hanack NJW 1961, 2041). Die Parteien können daher bei Gutachten, die nicht von einer Behörde erstattet werden, die Mitteilung der Sachverständigen im Gutachten erwarten und fordern. Demzufolge besteht bei derartigen Gutachten, wie bei solchen aus einem medizinischen Institut, einem TÜV und dergleichen, wenn es dessen Leiter überlassen blieb, den oder die im Gutachten zu bezeichnenden Sachverständigen auszuwählen (vgl. Zöller aaO Anm. 1 zu § 404; Thomas-Putzo aaO; BVerwG aaO; Hanack aaO), keine Verpflichtung einer Prozeßpartei, vor Abgabe des Gutachtens Nachforschungen über die Sachverständigen zu betreiben.
Erst aus dem Gutachten und seiner Ergänzung ergaben sich Umstände, die die Besorgnis der Befangenheit für die Beklagten begründeten. Das Ablehnungsgesuch, das die Beklagten nur etwa 5 Tage nach Empfang der Auskunft und somit unverzüglich anbrachten, ist mithin rechtzeitig und zulässig.
Die Schifferbörse ist keine Behörde oder sonstige öffentliche Stelle, die - wie schon ausgeführt - der herrschenden Meinung zufolge als Sachverständige nicht nach § 406 ZPO als befangen abgelehnt werden könnte. Um die Stellung einer Behörde zu haben, genügt es nicht, daß sich die Schifferbörse der sachlichen und personellen Einrichtung einer Industrie- und Handelskammer bedient, wiewohl diese selbst als Körperschaft des öffentlichen Rechts, bei der eine Mitgliedschaftspflicht besteht, zu den Behörden gezählt wird (vgl. OLG Düsseldorf NJW 1953, 792; OLG Karlsruhe Rechtspfleger 1963, 204). Nach der Satzung der Schifferbörse, die ihr Vorstand ohne weitere Erklärung zu der ihm gestellten Frage nach der Rechtsform vorgelegt hat, ist davon auszugehen, daß die Schifferbörse eine private Organisation in der Form des nicht eingetragenen Vereins darstellt. Nach den §§ 1 und 4 der Satzung ist sie eine selbständige Organisation mit eigenem Geschäftsbereich, deren Mitglieder Reedereien, Partikuliere, Verlader, Spediteure, sonstige Firmen und Einzelpersonen des In- und Auslandes, die am Schiffahrtsgeschäft beteiligt oder interessiert sind, sein können. § 1 bestimmt zwar auch, daß diese Vereinigung mit der Industrie- und Handelskammer Duisburg-Wesel zu Duisburg in Personal- und Realunion verbunden ist. Das bedeutet jedoch nur, daß die Geschäftsführung in Personalunion mit der niederrheinischen Industrie- und Handelskammer Duisburg-Wesel erfolgt und das zur Erledigung der Geschäfte nötige Personal vom Geschäftsführer im Einverständnis mit dem Vorsitzenden angestellt und entlassen wird und seine Weisungen durch den Geschäftsführer empfängt (§ 9 Abs. 1 und 3 der Satzung). Eine rechtliche Eingliederung in die Industrieund Handelskammer besteht indessen nicht, was daraus folgt, daß Organe der Schifferbörse nur die von den Mitgliedern der Schifferbörse gebildete Börsenversammlung, der aus Vertretern der Mitgliedergruppen bestehende Vorstand und die Geschäftsführung sind (§§ 6, 7 und 8 der Satzung) und der Geschäftsführer allein den Weisungen des Vorstands der Schifferbörse unterworfen und diesem verantwortlich ist (§§ 9 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 der Satzung).
Als private Organisation ohne Behördeneigenschaft kann aber die Schifferbörse als solche nicht Sachverständige sein. Ihre Gutachten können als schriftliche Sachverständigengutachten nach der Zivilprozeßordnung nur zugelassen werden, wenn der oder die Verfasser namentlich bezeichnet sind und damit eine Ablehnung, Vorladung und Vereidigung möglich ist. Diesem Erfordernis entspricht das abgegebene Gutachten nicht.
Die Ansicht des Rheinschiffahrtsgerichts, Gutachten der von der Schifferbörse abgegebenen Art seien infolge Gerichtsgebrauch statthaft, teilt das Beschwerdegericht nicht. Die Anforderungen der Zivilprozeßordnung werden nicht durch einen solchen Gebrauch außer Kraft gesetzt, vielmehr ist nur in jedem Einzelfall, in dem die Rüge des Mangels unterblieb, dessen Heilung nach § 295 ZPO eingetreten.
Die auf Verlangen des Rheinschiffahrtsgerichts erteilte ergänzende Auskunft des Vorstands der Schifferbörse vom 2. 5. 1974 ließ die Urheber des Gutachtens nicht namentlich erkennen. Von 30 benannten Personen hatten 18 in der Gutachterkommission des Börsenvorstands an dem Gutachten mitzuwirken. Da sie nicht näher bezeichnet waren, ergab sich für die Beklagten ein Grund für die Befürchtung, es könnten Gutachter beteiligt gewesen sein, an deren Unparteilichkeit Zweifel gerechtfertigt sein können (§§406 Abs. 1, 42 Abs. 2 ZPO). Denn unter den als Gutachter möglichen 30 Personen befanden sich 3 Interessenten der G., die - was unbestritten ist - mit den Streithelfern der Klägerin wirtschaftlich eng verbunden sind.
Dieser Umstand rechtfertigt es, daß die Beklagten außer dem Hinweis auf die prozeßrechtliche Unzulässigkeit des Gutachtens, den sie im übrigen erst im Wege einer Berufung hätten weiterverfolgen können, nach Kenntnis von der Auskunft des Vorstands der Schifferbörse unverzüglich auch ein Ablehnungsgesuch wegen Befangenheit anbrachten. Dabei ist es im gegebenen Fall unerheblich, daß die tatsächliche Mitwirkung der als befangen anzusehenden Gutachter nicht feststand. Die Beklagten durften dies für ihr Ablehnungsgesuch unterstellen, da zur nötigen Aufklärung hierüber nur die Schifferbörse in der Lage war, in deren Auskunft aber diese Frage offen geblieben war.
Der Vorstand der Schifferbörse hat erst auf eine Bitte des Berufungsgerichts um weitere Auskunft die der Gutachterkommission zur Zeit der Abgabe des hier in Betracht stehenden Gutachtens angehörenden 18 Personen namentlich bezeichnet. Unter diesen befindet sich von den drei Interessenten der G., nur Herr W., wozu in der Auskunft allerdings erklärt wird, es könne für die Bearbeitung der Anfrage des Rheinschiffahrtsgerichts im anstehenden Falle gesagt werden, daß er nicht mitgewirkt habe.
Auch wenn diese Auskunft, worauf das Beschwerdegericht vertraut, objektiv richtig ist, bleiben Gründe bestehen, die geeignet sind, für die Beklagten Zweifel daran zu rechtfertigen, ob die gutachtliche Stellungnahme nur von unparteiischen Personen beeinflußt worden ist. Die Schifferbörse ist auf die vom Beschwerdegericht erhobene Frage nach der protokollmäßigen Niederlegung der Behandlung eines Gutachtenauftrags nicht eingegangen. Sie hat jedoch dargetan, daß an der Erarbeitung einer gutachtlichen Stellungnahme grundsätzlich sämtliche Mitglieder der Gutachterkommission beteiligt seien außer solchen, die zur Klärung der gestellten Fragen im einzelnen sachlich nichts beizutragen hätten oder bei denen die Besorgnis der Befangenheit bestehe, daß im Bedarfsfall aber die Umfrage auch über diesen Kreis ausgedehnt werde. Abgesehen davon, daß nach dieser Darlegung der Kreis der Gutachter wiederum unzulässigerweise nicht bestimmt ist, ist die mögliche Ausdehnung der Umfrage über den Kreis der Gutachterkommission hinaus und das offenbare Fehlen einer Protokollführung über das Zustandekommen von Gutachten geeignet, bei den Beklagten den Eindruck zu erwecken, es könnten auch befangene Personen mitgewirkt haben, ohne daß dies noch feststellbar wäre. Darauf, ob dieser Eindruck objektiv richtig oder unrichtig ist, kommt es für die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch nicht an, da er immerhin geeignet ist, auch bei einer vernünftigen Partei Bedenken gegen eine unparteilich erfolgte Gutachtenserstattung zu erwecken (vgl. OLG Stuttgart NJW 1958, 2122; OLG Frankfurt NJW 1960, 1622 Nr. 12). Unerheblich ist es dabei auch, wenn nachweislich eine Mehrheit unbefangener Gutachter mitgewirkt hat, da auch die Befürchtung eines starken Einflusses einzelner parteiischer Gutachter nicht unvernünftig ist. Die Ablehnung des Vorstands der Schifferbörse als Sachverständigen wird aus diesen Gründen für gerechtfertigt erklärt."