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3 U 90/82 - Oberlandesgericht (Rheinschiffahrtsobergericht)
Entscheidungsdatum: 21.12.1982
Aktenzeichen: 3 U 90/82
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Oberlandesgericht Köln
Abteilung: Rheinschiffahrtsobergericht

Leitsatz:

Zu den Sorgfaltspflichten eines Schiffes, wenn ein Gegenfahrer Kollisionskurs steuert und über Sprechfunk nicht ansprechbar ist oder auf Signale nicht reagiert.

Urteil des Oberlandesgerichts - Rheinschiffahrtsobergerichts - in Köln

vom 21. Dezember 1982

3 U 90/82

(Rheinschiffahrtsgericht St. Goar)


Zum Tatbestand:

Der der Klägerin gehörende, mit Heizöl beladene Schubverband, bestehend aus dem MTS GR und dem Tankleichter G, befand sich im Februar 1979 gegen 6.45 Uhr auf der Bergfahrt durch die „Kleine Gies" an der linken Fahrwassergrenze in Höhe von Eltville, als ihm das dem Beklagten gehörende, von diesem selbst geführte MS E zu Tal entgegenkam. Weder auf dem Schubverband noch auf dem Motorschiff waren Zeichen bezüglich des Begegnungsmanövers (blaue Seitenflagge, Blinklicht) gesetzt. Der Schubverband geriet außerhalb des Fahrwassers und erlitt Grundberührung.
Die Klägerin behauptet, daß MS E, das sich ebenfalls an der linken Fahrwassergrenze bewegt habe, trotz Anrufes des Schubverbandes über Kanal 10 und trotz dessen zusätzlichen Achtungssignals nicht reagiert, sondern weiterhin Kollisionskurs gehabt habe. Deshalb sei der Schubverband noch weiter nach Steuerbord ausgewichen, dabei jedoch auf Grund geraten. MS E sei erst in letzter Sekunde nach Steuerbord ausgewichen, wodurch die Kollision vermieden worden sei. Die Klägerin verlangt Ersatz ihres Gesamtschadens von ca. 130900,DM.
Der Beklagte bestreitet, den Schubverband bei der Begegnung behindert oder zum Ausweichen veranlaßt zu haben. Durchsagen über Sprechfunk und Signale seien nicht gegeben worden. Auch die Schadenshöhe wird bestritten.

Das Rheinschiffahrtsgericht hat den Beklagten zur Zahlung von 45400,- DM verurteilt und auch die weitergehende Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die Berufung des Beklagten ist vom Rheinschifffahrtsobergericht zurückgewiesen worden.


Aus den Entscheidungsgründen:
„...

Entsprechend § 6.04 Nr. 2 RheinSchPVO hat der Schubverband GR dem MS E vor der Begegnung keine Zeichen gegeben, weil der zu Berg fahrende Schubverband das Motorschiff Backbord an Backbord vorbeifahren lassen wollte.

Wurde von MS E eine Backbord-an-Backbord-Begegnung verlangt, mußte dieses Schiff insbesondere wegen der Nachtzeit seinen Kurs so rechtzeitig auf die Begegnung einrichten, daß Zweifel über die Art der Vorbeifahrt nicht entstehen konnten (BGH, VersR 1966, 771).
Ein zu spätes Ausweichen des Talfahrers vor einer festgelegten Begegnung, wie es hier geschehen ist, begründet den Vorwurf einer Verletzung der nautischen Sorgfalt (BGH, VersR 1967, 1147; 1974, 852).
Mit Recht hat das Rheinschiffahrtsgericht aufgrund des Beweisergebnisse: festgestellt, daß der Beklagte als verantwortlicher Schiffsführer des MS „ELWI" dem Schubverband nicht genügend Platz zum Begegnen gelassen hat, so dass der Schubverband zum Ausweichen veranlaßt wurde und hierbei Grundberührung erlitt.

Nach den Bekundungen der vom Rheinschiffahrtsgericht vernommenen Zeugen H. und D. ist MTS GR mit dem vorgespannten Leichter G linksrheinisch zu Berg gefahren. Auf dem Schubverband war das Blinklicht nicht in Tätigkeit gesetzt worden, so daß für das zu Tal fahrende MS E nur eine Begegnung Backbord an
Backbord in Betracht kam. Das ganze Revier war frei. MS E hielt sich ebenfalls linksrheinisch. Weil die Fahrzeuge auf Kollisionskurs lagen, hat Schiffsführer H. seinen Angaben zufolge das Motorschiff mindestens dreimal über Kanal 10 angesprochen. Danach reduzierte Schiffsführer H. die Fahrtstufe des Schubverbandes und gab Achtungssignal. Er hielt dann nach Steuerbord an die Grenze des Fahrwassers und stoppte ab. MS E machte im letzten Augenblick eine Steuerbordbewegung und fuhr den dem schiebenden Motorschiff vorgespannten Leichter mit geringem Abstand frei. Bei dem Versuch, wieder in das Fahrwasser zu gelangen, fuhr sich GR fest und wurde hierdurch beschädigt.
Der Senat sieht keinen Grund, den Angaben der Zeugen H. und D., sowie denen des unbeteiligten Zeugen P. zu mißtrauen. Denn ihre Angaben werden weitgehend durch die eigenen Angaben des Beklagten im Bußgeldverfahren vor der Wasserschutzpolizei bestätigt. Dort hat der Beklagte selbst ausgesagt, der Schubverband sei im normalen Bergfahrwasser durch die „Kleine Gies" zu Berg gekommen. Er selbst sei mit seinem Motorschiff etwas weit von den dort liegenden roten Tonnen mehr zum linksrheinischen Ufer hin gefahren. Soweit der Beklagte anschließend ausgeführt hat, er habe dem Schubverband aber immer noch genügend Platz zur Begegnung gelassen, widerspricht das seinen weiteren Angaben, wonach die Begegnung in einem Abstand von 5 m erfolgt ist. Ein solcher Begegnungsabstand entsprach nicht der nautischen Sorgfalt, zumal es zu dieser Tageszeit noch dunkel war.
Da die Fahrzeuge nach den Bekundungen des Zeugen H. auf Kollisionskurs lagen, kann diesem Zeugen durchaus geglaubt werden, daß er Steuerbordkurs nahm, um dem Talfahrer so weit wie möglich auszuweichen, zumal der Schubverband eine große Ladung Heizöl beförderte. Indem Schiffsführer H. nach Steuerbord hielt, seinen Verband über die Fahrwassergrenze hinaus fuhr und dort abstoppte, hat er auch den Sorgfaltspflichten entsprochen, die der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BGH, VersR 1974, 1362) dem Radarfahrer auferlegt, wenn ein Gegenfahrer einen Kollisionskurs steuert und über Sprechfunk nicht ansprechbar ist.
...
Ohne Erfolg wendet sich der Beklagte auch dagegen, daß die Grundberührung des Schubverbandes in geraumer Entfernung von dem Begegnungsort erfolgt ist. Die Begegnung soll bei km 512, das Festkommen soll bei km 511,5 erfolgt sein. Wenn der Schubverband nach linksrheinisch über die Fahrwassergrenze auswich, um eine Kollision mit dem Talfahrer zu vermeiden, mußte die Schiffsführung des Schubverbandes selbstredend versuchen, vorsichtig wieder in das Fahrwasser zu gelangen. Dabei mußte man zunächst aus dem Steuerbordkurs aufstrecken und nach Backbord halten. Da Hochwasser herrschte, wie der Beklagte selbst ausführt, mußte der Schubverband Vorausgang haben, um Druck auf dem Ruder zu haben. Ehe man überhaupt wieder das Fahrwasser erreichen konnte, mußte eine gewisse Strecke voraus gefahren werden, da man mit dem 185 m langen Schubverband keine harten Kursmanöver steuern konnte, weil anderenfalls das Achterschiff des Verbandes noch weiter an das Ufer geraten wäre.
Soweit der Beklagte meint, der Schubverband hätte durch ein Rückwärtsmanöver eine Grundberührung vermeiden können, verkennt der Beklagte, daß das zur Unfallzeit herrschende Hochwasser und die Dunkelheit ein solches Manöver als risikoreich erscheinen lassen konnten. Auch konnte Schiffsführer H. nicht sicher wissen, ob er bei einem solchen Manöver zu Tal bessere Fahrwasserverhältnisse hatte, als wenn er versuchte, zu Berg fahrend in das Fahrwasser zu gelangen. In seiner Situation mußte H. das Manöver wählen, das die geringste Gefahr für seinen Verband bot. Wenn dann sein Verband gleichwohl festkam, können ihm deshalb keine Vorwürfe gemacht werden. Der Vorwurf, der Schubverband sei aus eigenem Verschulden festgekommen und man suche lediglich in MS E einen Schuldigen, ist hiernach unhaltbar.
...“