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3 U 75/09 BSch - Oberlandesgericht (Moselschiffahrtsobergericht)
Entscheidungsdatum: 25.01.2011
Aktenzeichen: 3 U 75/09 BSch
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Oberlandesgericht Köln
Abteilung: Moselschiffahrtsobergericht

Leitsätze:

1) Das Überholen ist unzulässig, wenn der Gegenverkehr dadurch in eine Lage gebracht wird, in der nur ganz besondere Geschicklichkeit einen Unfall  vermeidet oder ein  leichtes Versehen  ihn herbeiführt; Zweifel an der  »Genüge des Raumes« gehen zu Lasten des Überholers.

2) Steht fest, dass für die Bergfahrt ein Überholvorgang zulässig ist, muss der begegnende Talfahrer bei geregelter Begegnung seinen Kurs so weit nach steuerbord richten, dass die Vorbeifahrt gefahrlos stattfinden kann. Auch  im Bereich der geregelten Begegnung besteht kein Rechtsfahrgebot, das Fahrwasser  ist nicht  zwischen Berg- und Talfahrt aufgeteilt, die beiderseitigen Pflichten beim Begegnungsverkehr richten sich allein nach den möglichen Gefahren der Begegnung. Richtet der Talfahrer seinen Kurs nicht ausreichend nach steuerbord, darf der überholte Bergfahrer einen sicheren und gefahrlosen Kurs mit Abstand zum  linken Ufer einhalten, auch wenn der überholende Bergfahrer durch den  fehlerhaften Kurs des Talfahrers gezwungen wird, extrem dicht an das zu überholende Schiff heranzufahren, oder sogar mit diesem kollidiert. Selbst ohne Berührung des überholenden Bergfahrers mit dem begegnenden Talfahrer kann es dem überholenden Bergfahrer nicht anspruchsmindernd angelastet werden, dass er zur Vermeidung einer Havarie Kopf auf Kopf dicht, möglicherweise zu dicht an den überholten Bergfahrer herangefahren ist.

3) Hat der überholende Bergfahrer trotz Dunkelheit ein vorhandenes Radargerät nicht eingeschaltet und das Bugstrahlruder nicht eingesetzt, so kann dies allenfalls dann als Mitverschulden zugerechnet werden, wenn der Talfahrer beweist, dass dieses Unterlassen unfallursächlich geworden ist.

4) Jedenfalls  soweit der Geschädigte gegen den Ausrüster eines Schiffes nur einen Zahlungstitel erwirkt hat, besteht ein Feststellungsinteresse des Geschädigten gegen den Eigentümer des Schiffes, dessen Besatzung die Havarie schuldhaft verursacht hat, auf Feststellung der dinglichen Haftung nach §§ 102 Ziffer 4 i.V.m. 103 II BinSchG (Schiffsgläubigerrecht).

 

Urteil des Oberlandesgerichts Köln

- Rheinschiffahrtsobergericht -

vom 

Gründe
Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Das Rheinschifffahrtsgericht hat der Schadensersatzklage gegen beide Beklagte zu Recht stattgegeben.

I. Die Beklagte zu 1) ist als Ausrüsterin des SV »VN« gemäß §§ 2 Abs. 1, 3, 92 Abs. 2, 92 b BSchG i. V. m. § 9.04 Ziffer 1 b, Ziffer 2 RhSchPV zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der  am  15.03.2006  an MS »W« infolge des Zusammenstoßes mit  einem Leichter des SV »Y IX« entstanden ist.

1. Der Schiffsführer des Talfahrers SV »VN« hat schuldhaft gegen § 9.04 Ziffer 1 b, Ziffer 2 RhSchPV verstoßen, weil er seine Fahrt bei Rheinkilometer 811 nicht so weit nach Steuerbord gerichtet hat, dass eine Vorbeifahrt durch MS »W« ohne Gefahr backbord an backbord stattfinden konnte.

a) Dem Talfahrer  kann nicht  schon allein daraus ein Vorwurf gemacht werden, dass er sich  im Bereich der geregelten Begegnung auf der Strecke  zwischen Duisburg (KM 769) und der deutsch-niederländischen Grenze  (KM 857,68) nicht auf der  rechtsrheinischen Seite der Fahrrinne gehalten hat. Ein  dem  Straßenverkehr  vergleichbares Rechtsfahrgebot gibt es hier nicht. Im Rahmen der Rheinschifffahrtspolizeiverordnung bestehen Rechtsfahrgebote nur aus Gründen der Verkehrssicherung im engen Fahrwasser, nicht aber allgemein bei der geregelten  Begegnung.  Deshalb  ist  das Fahrwasser im Bereich der geregelten Begegnung nicht zwischen Berg- und Talfahrt aufgeteilt, sondern die beiderseitigen Pflichten beim Begegnungsverkehr sind an den bei diesem Manöver möglichen Gefahren ausgerichtet. § 9.04 Ziffer 2 RhSchPV gebietet es nur, dass die Bergfahrer und die Talfahrer beim Begegnen ihren Kurs so weit nach steuerbord  richten, dass die Vorbeifahrt ohne Gefahr backbord an backbord stattfinden kann (vgl. Berufungskammer der Zentralkommission Strasbourg, Urteil vom 10.05.2001 – 406 Z – 2/01). Diese Pflicht  traf den Talfahrer SV  »VN« auch gegenüber dem überholenden Bergfahrer MS »W«. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht auch zur Überzeugung des Senats  fest, dass der Überholvorgang zulässig war. Der Überholer darf den Gegenverkehr nicht in eine Lage bringen,  in der nur ganz besondere Geschicklichkeit einen Unfall vermeidet oder ein leichtes Versehen ihn herbeiführt. Jeder Zweifel an der »Genüge des Raumes« muss ausgeschlossen sein  (vgl. BGH, Urteil vom 12.05.1960  in NJW 1960, 1452). Nach den überzeugenden Ausführungen des  Sachverständigen  Dr.  F  in  seinem schriftlichen Gutachten vom 29.04.2010 mit der Ergänzung vom 03.11.2010 sowie seinen Erläuterungen in der mündlichen Verhandlung  vom  03.12.2010  ist  auch  der Senat davon überzeugt, dass der Überholvorgang von MS »W« mit dem vollabgeladenen vorgespannten SL »P« bei Rheinkilometer 811 – beginnend bei ca. Rheinkilometer 813,85 – ohne Gefährdung der Talfahrt  (SV »VN«, 176,75 m lang, bestehend aus einem Schubboot und 9 vorgespannten beladenen Leichtern) und der überholten Bergfahrt (Schubverband »Y IX« mit 4 beladenen Leichtern, je 2 nebeneinander, 175 m  lang) unter Berücksichtigung der Länge und Breite der Schubverbände, der Geschwindigkeitsdifferenz  zum  überholten  Verband  von  ca. 2 km/h  sowie der  starken Strömung und dem damaligen hohen Wasserstand unbedenklich war. Dem Talfahrer stand im Überholbereich eine Fahrwasserbreite  von ca. 140 m zur Verfügung. Das Fahrwasser war wegen des hohen Wassers am Unfalltag mindestens 220 m breit. MS »W«  fuhr  im Seitenabstand von ca. 10–15 m zum überholten Schubverband, der wiederum einen Seitenabstand zu den linksrheinischen Kribben von 20–30 m hielt. Die dem Talfahrer zur  Verfügung  stehende  Wasserbreite reichte aus, um den Schubverband mit genügendem  Abstand  zum  überholenden Bergfahrer durch die Rheinbiegung zu manövrieren, und zwar auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass bei dem erhöhten  Wasserstand  und  damit  der erhöhten Fließgeschwindigkeit  für die Talfahrt eine erhöhte Neigung bestand, in der Rechtskurve stark  in den  linksrheinischen Hang zu fallen. Der Talfahrt war es möglich, in der Rechtskurve etwa  in der Mitte des Stromes zu fahren, also maximal 100 m vom rechten Ufer entfernt. Der Überholvorgang war auch nicht deshalb unzulässig, weil er ohne Gefährdung des Talfahrers nur mit einem zu geringen Seitenabstand  zum  Überholten  hätte durchgeführt werden können. Denn unabhängig davon, ob der Seitenabstand von einer Schiffsbreite zu gering war, hätte die Talfahrt auch bei Einhaltung eines in jedem Fall ausreichenden Sicherheitsabstandes von 30 m genügend Platz gehabt.

b) Steht  somit  fest, dass MS »W« an der Unfallstelle den Überholvorgang durchführen durfte, so musste SV »VN« seinen Kurs so weit nach steuerbord  richten, dass die Vorbeifahrt gefahrlos  stattfinden  konnte. Gegen diese Pflicht hat der Talfahrer schuldhaft verstoßen, weil er nach dem eigenen Vortrag der Beklagten leicht über die Mitte der an der Unfallstelle überwiegend linksrheinisch verlaufenden Fahrrinne gekommen ist und damit mindestens 140 m aus dem rechten  Ufer.  Nach  den  überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. F war für den Unfall ursächlich, dass der Führer des SV »VN«, der Zeuge S, nicht rechtzeitig aufgestreckt hat, wie  sich aus der Aussage des Zeugen ergebe. Er musste unter Berücksichtigung der wesentlich größeren Strömungsgeschwindigkeit als normal infolge des Hochwassers und der hohen Fahrgeschwindigkeit den Steuerbordkurs so  rechtzeitig  legen, dass der Schubverband in der Rechtskurve nicht so weit zum linksrheinischen Ufer abgetrieben wurde, dass es zu einer Gefährdung der Bergfahrt kam. Dies wäre ohne Probleme möglich gewesen. Bei  rechtzeitiger Einleitung des Steuerbordmanövers hätte der Talfahrer – wie oben ausgeführt – maximal 100 m vom rechten  Ufer  entfernt  fahren  können.  Er musste auch mit dem Überholvorgang der Bergfahrt  im Kurvenbereich  rechnen, da er die Absprache der beiden Bergfahrer über Kanal 10 hätten mithören müssen.

c) Aufgrund des Fahrfehlers war MS »W« gezwungen,  nach  rechts  auszuweichen, um eine Kollision mit dem  in seinen Kurs fahrenden SV  »VN«  zu  vermeiden,  – der Seitenabstand betrug nach den Aussagen der Zeugen E und D, die mit der Berufung nicht angegriffen werden, nur noch 2–3 m – und geriet dabei gegen einen der vorgespannten  Leichter des Schubverbandes »Y IX«, dessen Schiffsführer T nach seiner Aussage versuchte, den Schubverband in Richtung Strommitte aus den Kribben herauszudrücken, um nicht im Land zu landen. Ein Mitverschulden der Schiffsführerin von MS »W« lässt sich hieraus nicht herleiten. Ein solches Mitverschulden ist auch nicht aus anderen Gründen festzustellen. Ob die Schiffsführerin wegen der Dunkelheit ihr Radar hätte in Betrieb setzen müssen, kann dahinstehen, da das Unterlassen nicht unfallursächlich geworden  ist. Auch mit Radar  hätte  sie  ebenso wie der mit Radar fahrende Schiffsführer T die Situation als problemlos zum Überholen geeignet einschätzen dürfen. Ferner kann nicht festgestellt werden, dass die Schiffsführerin von MS »W« durch einen frühzeitigen Einsatz des Bugstrahlruders den Unfall  hätte  verhindern  können. Der Sachverständige Dr. F  hielt dies  für  unwahrscheinlich, weil das Bugstrahlruder angesichts  der  relativ  hohen  Fließgeschwindigkeit des Rheins wenig Wirkung hatte  und  außerdem der Schubverband »Y IX« nach backbord drückte. Schließlich  ist  der  Schiffsführerin  von MS »W« nicht anspruchsmindernd anzulasten, dass  sie  in einem  seitlichen Abstand zum überholten Schiff von weniger als 30 m gefahren ist. Denn bei Einhaltung eines Sicherheitsabstandes von 30 m hätte es eine folgenschwerere Kollision mit dem entgegenkommenden SV »VN« gegeben, wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt.

d) Das Rheinschifffahrtsgericht hat rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die von der Klägerin geltend  gemachten  Schäden  an MS »W«  bei  dem  streitgegenständlichen Unfall entstanden  sind.  Insoweit wird auf die  zutreffenden Ausführungen  im angefochtenen Urteil  Bezug  genommen.  Der Zeuge T hat eine plausible Begründung dafür gegeben, warum er in seinem Havariebericht  vermerkt hat, MS »W« habe  keine Schäden erlitten. Zu  jenem Zeitpunkt war MS »W« noch nicht leergestellt, so dass ein Schaden noch nicht sichtbar war. II. Die gegen die Beklagte zu 2) als Eignerin des SV »VN« gerichtete dingliche Klage ist zulässig und begründet. Das Rheinschifffahrtsgericht hat zu Recht und  mit  zutreffender  Begründung  das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage bejaht. Das Rechtsschutzbedürfnis  für eine dingliche Klage gegen den Eigentümer würde nur dann fehlen, wenn der Schiffsgläubiger einen dinglichen Titel gegen den Ausrüster hätte, weil aufgrund eines solchen Titels die Befriedigung aus dem entstandenen Pfandrecht  in  das Schiff  erfolgt  und  dann  ein weiterer Titel gegen den Eigentümer nicht erforderlich ist, weil dieser nach § 2 BSchG den Schiffsgläubiger nicht an der Durchführung der Zwangsvollstreckung hindern kann. So lag der im Urteil der Berufungskammer der  Zentralkommission  Strasbourg  vom 10.05.2001 (ZfB 2001, SaS 1828) entschiedene Fall, auf den die Beklagte zu 2) sich für  ihre Rechtsauffassung bezieht. Davon zu unterscheiden  ist aber der Fall,  in dem gegen den Ausrüster nur ein Zahlungstitel erwirkt  wurde.  In  diesem  Fall  kann  der Schiffsgläubiger nicht gehindert sein, einen dinglichen Titel gegen den Eigentümer zu erwirken. Weder aus § 2 BSchG noch aus § 103 BSchG ergibt sich, dass der Schiffsgläubiger  beim  Bestehen  eines  Ausrüstungsverhältnisses nicht den Schiffseigner auf Feststellung der dinglichen Haftung verklagen darf. § 103 Abs. 2 BSchG erweitert  vielmehr die Befugnisse des Schiffsgläubigers über die Rechte gegen den Eigentümer aus den allgemeinen Vorschriften über das gesetzliche Pfandrecht  (§§ 1257, 1204 ff BGB) hinaus, indem das Pfandrecht – auch – gegen jeden dritten Besitzer verfolgbar ist. Auch das Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission Strasbourg vom 10.05.2001 hält  im Falle eines Ausrüstungsverhältnisses nicht etwa die Erwirkung eines dinglichen Titels gegen den Eigentümer  für  grundsätzlich  unzulässig, sondern lediglich für nicht erforderlich, falls bereits ein dinglicher Titel gegen den Ausrüster vorliegt. …Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.

II. Die gegen die Beklagte zu 2) als Eignerin des SV »VN« gerichtete dingliche Klage ist zulässig und begründet.
Das Rheinschifffahrtsgericht hat zu Recht und  mit  zutreffender  Begründung  das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage bejaht. Das Rechtsschutzbedürfnis  für eine dingliche Klage gegen den Eigentümer würde nur dann fehlen, wenn der Schiffsgläubiger einen dinglichen Titel gegen den Ausrüster hätte, weil aufgrund eines solchen Titels die Befriedigung aus dem entstandenen Pfandrecht  in  das Schiff  erfolgt  und  dann  ein weiterer Titel gegen den Eigentümer nicht erforderlich ist, weil dieser nach § 2 BSchG den Schiffsgläubiger nicht an der Durchführung der Zwangsvollstreckung hindern kann. So lag der im Urteil der Berufungskammer der  Zentralkommission  Strasbourg  vom 10.05.2001 (ZfB 2001, SaS 1828) entschiedene Fall, auf den die Beklagte zu 2) sich für  ihre Rechtsauffassung bezieht. Davon zu unterscheiden  ist aber der Fall,  in dem gegen den Ausrüster nur ein Zahlungstitel erwirkt  wurde.  In  diesem  Fall  kann  der Schiffsgläubiger nicht gehindert sein, einen dinglichen Titel gegen den Eigentümer zu erwirken. Weder aus § 2 BSchG noch aus § 103 BSchG ergibt sich, dass der Schiffsgläubiger  beim  Bestehen  eines  Ausrüstungsverhältnisses nicht den Schiffseigner auf Feststellung der dinglichen Haftung verklagen darf. § 103 Abs. 2 BSchG erweitert  vielmehr die Befugnisse des Schiffsgläubigers über die Rechte gegen den Eigentümer aus den allgemeinen Vorschriften über das gesetzliche Pfandrecht  (§§ 1257, 1204 ff BGB) hinaus, indem das Pfandrecht – auch – gegen jeden dritten Besitzer verfolgbar ist. Auch das Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission Strasbourg vom 10.05.2001 hält  im Falle eines Ausrüstungsverhältnisses nicht etwa die Erwirkung eines dinglichen Titels gegen den Eigentümer  für  grundsätzlich  unzulässig, sondern lediglich für nicht erforderlich, falls bereits ein dinglicher Titel gegen den Ausrüster vorliegt. …

Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.

 

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2011 - Nr.4 (Sammlung Seite 2026 ff.); ZfB 2011, 2026 ff.